Brot und Wein oder Das Elend der DDR-Aufarbeitung
Eine Wortmeldung aus Anlass der Vorbereitungen zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer


von Antonín Dick

06/09

trend
onlinezeitung


HO-Gaststätte „Tutti Frutti“ in der Spandauer Straße 4 in Berlin-Mitte,
wo am 22.9.1987 die
„Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaft der DDR“
gegründet wurde  -
Aufnahme aus den 80er Jahren von A. Dick

Was noch gar nicht systematisch aufgearbeitet worden ist: Es gab in der DDR nicht nur die innerparteiliche, die kirchliche, die intelligenzgestützte, die Jugend- und die Arbeiteropposition, es gab auch das, was man, ihrer historischen Wurzeln wegen, auch die jüdisch-sozialistische Opposition nennen könnte, die in großer Streuung auftrat, nie nach außen, aber doch stets hier und da spürbar vorhanden war, als diffuser geistiger Unterstrom im Massiv der DDR-Gesellschaft. Man wirkte in Bündnissen, leise und unangestrengt, fühlte sich ihnen verpflichtet, inspirierte sie aus eigener historischer Erfahrung heraus, mehr unbewusst als bewusst, im steten Verständnis jedoch, dass Bewegung und Gegenbewegung zwei Seiten eines einheitlichen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses in der DDR bildeten. Zu dieser Opposition gehörten nicht zuletzt die Töchter und Söhne antifaschistischer Emigranten mit ihrer internationalistisch grundierten Sozialisation.

Deren Bezug zur DDR war nie antagonistisch, weil sie diese als Schutzmacht gegen Restauration und Neonazismus in der BRD anerkannten, aber sie waren von ihrer Grundhaltung her zugleich nie national, sondern vertraten einen sozialen Internationalismus à la Marx, der bekanntlich vom Sozialismus als einem welthistorischen Prozess sprach, nicht vom isolierten Aufbau des Sozialismus in einem Land. Deutschland? Das konnte unmöglich das Ziel dieser zahlenmäßig kleinen und diffusen DDR-Strömung sein. Die libertäre Internationale? Die gab es noch nicht. Das war ihr treibender Widerspruch, ein Widerspruch übrigens, der sich aus den Grundwidersprüchen der gesamten politischen Emigration ableitete, wie sie auf das prägnanteste von ihrem Haupt, Thomas Mann, unmittelbar nach der militärischen Niederringung Nazideutschlands auf den Begriff gebracht worden waren, in seiner Rede nämlich vom 6. Juni 1945 in der Library of Congress in Washington, die als Broschüre dann den Weg in die Welt antrat, zuerst unter dem Titel „Germany und the Germans“ in einer Drucklegung der Library of Congress in Washington, ab Oktober 1945 als erste deutschsprachige Veröffentlichung unter dem Titel „Deutschland und die Deutschen“, die der nach Stockholm emigrierte Bermann-Fischer Verlag besorgte, und ab Mai 1947 schließlich, sieht man von einer Auszugsveröffentlichung in einer Rückübersetzung aus dem Englischen am 30. Juni 1945 in einer Münchener Zeitung ab, als erste deutschsprachige Veröffentlichung auf deutschem Boden in einer Auflage von 20.000 Exemplaren, besorgt vom Suhrkamp Verlag in Berlin, in der Stadt, in der ich vierzig Jahre später als Aktivist eben jener jüdisch-sozialistischen Opposition die autonome „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ gründete, im Ostteil der Stadt, Hauptstadt der DDR. Doch davon später.

Als universitär ausgebildeter Theaterschaffender geriet ich Ende der siebziger Jahre zunehmend in Kollision mit der DDR. Das Deutsche Theater Berlin, an dem ich als Dramaturg tätig gewesen war, beauftragte mich 1978 mit der Leitung des Arbeitertheaters des Kabelwerkes Oberspree Berlin, mit dem es durch einen Patenschaftsvertrag, der auf den Exiltheaterschaffenden Wolfgang Langhoff zurückging, freundschaftlich verbunden gewesen war. Inspiriert von den Erfahrungen des jungen Brecht, der ganz zielgerichtet mit Arbeiterschauspielern kooperierte, von Ernst Tollers proletarischer Revue „Hoppla, wir leben!“, von den Theaterumwälzungen Piscators und der jungen Sowjetmacht, von der Bildkraft eines John Heartfield und von der Rhythmik und Sprachkunst der Lieder und Märsche der internationalen Arbeiterbewegung, setzte ich die Schwerpunkte der künstlerischen Arbeit: Arbeiterdemokratie, Antikriegsarbeit, antifaschistische Jugendarbeit, Demokratisierung der Beziehungen zwischen Theater und Publikum, Theater der Improvisation in Schulen, Jugendwerkhöfen und Jugendclubs, Straßentheater. Es hagelte
Medaillen und Verbote in irritierender Abfolge. Im Jahre 1982, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, dann die jähe Wende: eine Performance des KWO-Arbeitertheaters gegen die Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen in West- und Osteuropa, ein kollektiver Akt der Empörung gegen den todbringenden Aufrüstungswahn auf beiden Seiten der Mauer, mit dem ich mir den harten Vorwurf des Pazifismus einhandelte, nicht zuletzt wegen der Theatralisierung des Wortes von Brot und Wein, einer Metapher für engagierte Brüderlichkeit aus der jüdisch-biblischen Überlieferung, die später nicht nur die christliche Kirche, sondern auch Dichter wie Hölderlin oder der Exilautor Kurt Barthel (Kuba) emblematisch verarbeitet hatten. Allein: Meine Verteidigung verhallte in den endlosen Wandelgängen der DDR-Kulturbürokratie, denn ein solcher Empörungsakt, zu dem sich kein einziges Theater der DDR, ob Berufs- oder Amateurtheater, aufschwingen wollte, zog mit militärdemokratischer Konsequenz nur zwei Antworten nach sich: Berufsverbot und MfS-Repressalien. Das Ensemble von hervorragend arbeitenden Amateurschauspieler wurde zerschlagen, zunichte gemacht wurde auch ein letzter und tapferer Versuch eines Initiativkreises der Amateurschauspieler zur Rettung dieses innovativen Arbeiterkulturprojektes kraft Bittgesuch an die Verantwortlichen, indem man nach bewährter Methode disziplinierte.

Nach so erzwungenem Antrag auf Ausreise aus der DDR vom Dezember 1986 gründete ich zusammen mit einem anderen Theaterregisseur und zwei anderen Aktivisten nach langer, gründlicher Vorbereitungsphase im Herbst 1987 die „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“. Diese Oppositionsgruppe, die ich strikt auf Dialog statt Konfrontation mit der Staatsmacht orientierte, gewährte sowohl ausreisewilligen DDR-Bürgern als auch in der DDR lebenden Ausländern Beratung und rechtlichen Beistand in staatsbürgerschaftsrechtlichen Fragen, nicht zuletzt auch und gerade unter Berufung auf das moderne Völkerrecht und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948.

Was geschah nach meiner Ausreise in der ersten Oktoberwoche 1987 mit dieser wirkmächtigen Gruppe? Sie driftete, die Konfrontation suchend, ins Nationale ab, wie auch der Politikwissenschaftler Jan Athmann in seiner vom Historiker Wolfgang Wippermann betreuten Magisterarbeit „ ‚Wir bleiben hier’ Die Auseinandersetzung innerhalb der neueren DDR-Oppositionsbewegung um die ‚Ausreiser’ “ diagnostizierte: „Ausreise …, ohne sich für die alternativen politischen Ideen zu interessieren.“ Zuletzt war sie nur noch eine an „nationalstaatlichen Werten orientierte Formation“ und zerbrach daran. Statt diese für DDR-Verhältnisse einzigartige Bürgerrechtsgruppe durch die Irrungen und Wirrungen der Zeiten zu tragen, vor allem um Flüchtlingen, Asylbewerbern, Gastarbeitern, in- und ausländischen Antragstellern auf gesicherte Ein- oder Ausbürgerung, Doppelstaatlern und Staatenlosen
wirksamen Rechtschutz bieten zu können, wie es beispielsweise unabhängige Gewerkschafter in Österreich in selbstlosem Einsatz für Migranten seit Jahren in einer solchen Staatsbürgerschaftsrechtsgruppe praktizieren, instrumentalisierte man sie für das Projekt einer schnellen Massenausreise aus der DDR und verriet damit das eigentliche politische Anliegen dieser Gruppe – die Solidarität, sowohl die mit Antragstellern als auch die mit Nichtantragstellern. Unter der Wucht des Massenexodus von Antragstellern im Januar / Februar 1988 und der ihr folgenden staatlichen Gegenwehr zerbarst die „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“. Dies alles geschah in diametralem Gegensatz zum Grundkonsens der Gründer dieser Oppositionsgruppe: unbedingter Erhalt der Gruppe als ständiger Anlaufpunkt für Hilfesuchende, keine Gefährdung ihres Überlebens durch mediengestütztes Ausreisebegehren.

In der offiziösen DDR-Forschung insgesamt, nicht nur bei dem hier zu kritisierenden Autor Ehrhart Neubert, wird der Widerspruch zwischen dem Ideal der politischen Emanzipation und dem nationalen Impuls, der die Entwicklung dieser wichtigen Oppositionsgruppe nach ihrer Gründung zunehmend charakterisierte, ignoriert, um diesen Verrat nicht thematisieren zu müssen. In dem von der in Bonn ansässigen Bundeszentrale für politische Bildung im Jahre 2006 herausgegebenen Standardwerk „Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989“ eliminiert der Autor Ehrhart Neubert (CDU), ein Aktivist der kirchlichen Opposition, mich, einen Aktivisten der jüdisch-sozialistischen Opposition, sowie einen anderen kosmopolitisch orientierten Mitbegründer der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der
DDR“ aus der geschriebenen Geschichte, und dies gegen alle wissenschaftlich gesichtete und gesicherte Wahrheit. Auf meine begründete Intervention vom April 2006 an den Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger (SPD) wird die Rehabilitierung der historischen Wahrheit über die „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ verbindlich zugesichert, doch Ehrhart Neubert entzieht sich ihr elegant mittels Verlagswechsel. Im Piper Verlag München kommt 2009 sein zweites Standardwerk „Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989 / 90“ heraus, durchsetzt, was die Darstellung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ anbetrifft, von demselben Eliminierungsverfahren.

Auf meine erneute Intervention vom April 2009 folgte nichts als Schweigen von Autor und Verlag. Auch ein Schreiben vom Juni desselben Jahres vermochte dieses Schweigen nicht aufzubrechen. Dann ein Telefonat: Der Piper Verlag verweigerte, ganz im Gegensatz zur Bundeszentrale für politische Bildung, die Korrektur der Falschdarstellung.  

Warum diese neue Mauer, nunmehr eine des Schweigens über die Zeiten der Mauer?  

Die eigenständige und höchst widersprüchliche Geschichte der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ soll umgedichtet werden zu einer widerspruchsfreien Zuliefergeschichte für die Gesamtdarstellung eines von nationalen Kräften geschaffenen Nationalepos Deutschland. Dass Ehrhart Neubert dabei nicht davor zurückschreckt, Glaubensbrüder aus der Geschichte zu vertreiben, wie beispielsweise das bereits erwähnte Gründungsmitglied, das sowohl ein inspirierter Christ als auch ein Nicht-Antragsteller war,
scheint ihn nicht weiter anzufechten.

Überhaupt scheint diesem DDR-Forscher, zugespitzt formuliert, die Opferung behutsam aufgebauter und dynamisch sich entfaltender alternativer Bündnisarbeit auf dem Altar des Nationalen das eigentliche Ziel bei der Erforschung der Geschichte der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ zu sein. Nach Dokumentenlage dürfte ihm aber bekannt sein, dass die Initiative zur Gründung dieser Oppositionsgruppe, einschließlich ihrer Namensgebung, von mir ausging, und zwar auf dem Ostberliner Evangelischen Kirchentag im Protestsommer von 1987 im Rahmen der „Kirche von unten“, dieses wundervoll-buntscheckigen Sammelbeckens aller alternativen Strömungen der DDR, auf dem er – niemand möge dies bezweifeln! – an herausragender Stelle tätig gewesen war, während ich mich, vorwiegend noch zuhörend, unter alternativen Umweltgruppen umtat, um eine wahrheitsgetreue Publikation über die Lage der Grünen in der DDR vorzubereiten. Nach Dokumentenlage müsste ihm ferner bekannt sein, dass vielfältige christlich-marxistische und christlich-jüdische Bündnisaktivitäten der im September 1987 vollzogenen Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ vorausgingen, ohne Schwerpunktlegung auf das Nationale, ganz im Gegenteil, in bewusster Fortsetzung der Bündnisarbeit von Marxisten, Juden und Christen auf einem hohen Niveau der politischen
Reife während der Zeit des antifaschistischen Widerstandes, wovon meine Eltern und andere Widerstandskämpfer immer wieder mit Hochachtung zu berichten wussten. So kooperierte ich zwecks Verständnis des Gegensatzes zwischen Menschen- und Staatsrechten sowohl mit dem in ganz Ostberlin geachteten Pfarrer Martin-Michael Passauer von der Evangelischen Gemeinde der Sophienkirche im Stadtbezirk Berlin-Mitte, dessen Vater als Mitglied der Bekennenden Kirche von den Nazis verfolgt und ins Gefängnis geworfen worden war, als auch mit namhaften Vertretern der „Aktion Sühnezeichen“, die sich weltweit und mit großem Engagement um die jüdischen Opfer der Hitlerdiktatur kümmerten, und nicht wenige der hierbei gewonnenen Diskussionsergebnisse
beflügelten auch die dann folgende Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“. Nicht unwesentlich zu betonen, dass sich diese Bündnisarbeit jüdisch-sozialistischer Opposition bereits während der Theaterarbeit im KWO-Arbeitertheater herausgebildet hatte, so beispielsweise bei der Vorbereitung und Inszenierung der Antikriegsperformance, die durch ausführliche Fachgespräche mit dem Leiter des Ostberliner Antikriegsmuseums, einem engagierten Katholiken, kontinuierlich begleitet wurden.

Dass die offiziöse DDR-Forschung insgesamt, so auch Ehrhart Neubert, in der Darstellung der Geschichte der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ einen ihrer wichtigsten Mitbegründer gezielt eliminiert, nur weil er zu den Protagonisten der internationalistisch denkenden jüdisch-sozialistischen Opposition in der DDR gehörte, beweist aber nicht nur, um einen klassischen Ausdruck von Marx zu verwenden, deren „nationale Borniertheit“, sondern auch deren Unfähigkeit, die eigenen progressiven Denk- und Bündnistraditionen, soweit sie im christlich-jüdischen Menschenbild ihre Wurzeln haben, zu bewahren und schöpferisch weiterzuentwickeln. Brot und Wein im übertragenen
Sinne des Wortes dagegen teilte mit einem ehemaligen Aktivisten der jüdisch-sozialistischen Opposition auch zwanzig Jahre später ganz bewusst ein anderer ehemaliger Aktivist der oppositionellen „Kirche von unten“, nämlich der bereits erwähnte Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger, Theologe wie Ehrhart Neubert. Kurz nach Zusicherung für die Korrektur der Falschdarstellung der Geschichte der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ in dem von der Bundeszentrale für
politischen Bildung im Jahre 2006 herausgegebenen Standardwerk „Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989“ ließ er mir in Anerkennung des politischen Engagements meiner Eltern während des antifaschistischen Exils sowie in Anerkennung meines eigenen Engagements innerhalb der jüdisch-sozialistischen Opposition der DDR zwei Grundlagenwerke der wissenschaftlichen NS-Forschung sowie eine Dokumentation über ein individuelles jüdisches Verfolgungsschicksal, als deren Herausgeber die Bundeszentrale für politische Bildung verantwortlich zeichnet, zwecks Fundierung von Fragestellungen der wissenschaftlichen Exil-Forschung, an denen ich gerade intensiv arbeitete, zukommen: Saul Friedländers Standardwerk „Das Dritte Reich und die Juden. Verfolgung und Vernichtung 1933 – 1945“, den von Karl Dietrich Bracher, Manfred Funke und Hans-Adolf Jacobsen betreuten Sammelband „Deutschland 1933 – 1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft“ sowie Martin Doerrys biographischer Bericht „ ,Mein verwundetes Herz’ . Das Leben der Lilly Jahn 1900 – 1944“.

Und die aktuelle Bedeutung dieser zeitgeschichtlichen Kontroverse?  

Die Antwort liegt auf der Hand: Schutz des jüdischen Lebens, Schutz der jüdischen Tradition, Schutz des jüdischen Erbes, wozu zweifelsohne auch die fruchtbringenden Beiträge der jüdisch-sozialistischen Opposition in der DDR gehören. Der Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden hebt gleich mit den ersten Worten der Präambel dieses unveräußerliche Recht auf Schutz unmissverständlich hervor: „Im Bewusstsein der besonderen geschichtlichen Verantwortung des deutschen Volkes für das jüdische Leben in Deutschland, angesichts des unermesslichen Leides, das die jüdische Bevölkerung in den Jahren 1933 bis 1945 erdulden musste, geleitet von dem Wunsch, den Wiederaufbau jüdischen Lebens in Deutschland zu fördern und das freundschaftliche Verhältnis zu der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu verfestigen und zu vertiefen, schließt die Bundesrepublik Deutschland mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland folgenden Vertrag …“ Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu: die besondere Verantwortung Ehrhart Neuberts als Christ gegenüber den Juden und ihrem Erbe. Die in der Bundesrepublik Deutschland arbeitenden Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, die von allen demokratischen Parteien getragen und unterstützt werden, also auch von der CDU, d. h. von der Partei, der Ehrhart Neubert angehört, sind unmittelbar nach Zerschlagung des
Hitlerfaschismus von Teilen der Anti-Hitler-Koalition sowie der Schweiz auf dem Boden des untergegangenen Deutschen Reiches ins Leben gerufen worden. „Die Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit“, heißt es in einer Erklärung des Deutschen Koordinierungsrates dieser gesellschaftlichen Verbände, „sind in der Bundesrepublik nach der Befreiung vom nationalsozialistischen Unrechtsstaat entstanden. Sie wissen von der
historischen Schuld und stellen sich der bleibenden Verantwortung angesichts der in Deutschland und Europa von Deutschen und in deutschem Namen betriebenen Vernichtung jüdischen Lebens. Begründet in der biblischen Tradition folgen sie der Überzeugung, dass im politischen und religiösen Leben eine Orientierung nötig ist, die Ernst macht mit der Verwirklichung der Rechte aller Menschen auf Leben und Freiheit ohne Unterschied des Glaubens, der Herkunft oder des Geschlechts.“ Die von Ehrhart Neubert im Rahmen seiner DDR-Forschung exzessiv betriebene Eliminierung gegenüber einem ehemaligen Aktivisten der jüdisch-sozialistischen Opposition in der DDR hat vor den bedeutsamen Zielen und Aufgaben der in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit keinen Bestand. Der Christ und Theologe Ehrhart Neubert steht jedoch kraft dieser von allen demokratischen Parteien der Bundesrepublik getragenen Grundsatzerklärung ohne Wenn und Aber in einer „bleibenden Verantwortung“ gegenüber dem jüdischen Erbe mit all seinen Zeugen und Repräsentanten.

‚Brot und Wein’ – in welcher Beziehung steht dieses biblische Symbol zu den hier skizzierten Auseinandersetzungen um die Wahrheit in der zeitgeschichtlichen Forschung?

‚Brot und Wein’ versinnbildlicht Gerechtigkeit. Erstes Buch Mose 14, 18: „Und Malki-Zedek, König von Schalem, brachte Brot und Wein heraus; er war aber Priester des höchsten Gottes.“ Zedek bedeutet Gerechtigkeit. Geht es denn gerecht zu in der von Ehrhart Neubert geschaffenen Welt von Fehlinterpretationen der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“? Gerechtigkeit in vorliegender Auseinandersetzung hieße, die Kraft aufzubringen, einem Beteiligten zuzuhören, der sich zu Wort meldet gegen
das ungerechtfertigte Weglassen empirisch belegter Geschichtsfakten. Gerechtigkeit hieße diesbezüglich, die Kraft aufzubringen, einem Beteiligten zuzuhören, der sich zu Wort meldet gegen die Umdichtung historisch erwiesener Zusammenhänge. Gerechtigkeit hieße diesbezüglich die Kraft aufzubringen, einem Beteiligten zuzuhören, der sich zu Wort meldet gegen die Eliminierung der sie tragenden Protagonisten aus dem Korpus der
Geschichtsschreibung. Wie kann es sein, dass ein gläubiger Mensch, der als
Historiker arbeitet, Ort und Zeit der Gründung der „Arbeitsgruppe
Staatsbürgerschaft der DDR“ in seiner Darstellung einfach umfälscht? Aus dem
22. September 1987, dem tatsächlichen Tag der Gründung dieser Oppositionsgruppe, den wahrheitswidrigen Tag 27. September 1987 macht? Aus der HO-Gaststätte „Tutti Frutti“ in der Spandauer Straße 4 in Berlin-Mitte, dem tatsächlichen Ort der Gründung dieser Oppositionsgruppe, den wahrheitswidrigen Ort Umweltbibliothek der Zionskirch-Gemeinde in der Griebenowstraße 16 in unmittelbarer Nähe zum Stadtbezirk Berlin-Prenzlauer Berg macht? Und diese Fälschung über einen Zeitraum von fast einem halben Jahrzehnt aufrechterhält? Trotz Abmahnung durch den Gruppengründer und die Bundeszentrale für politische Bildung? Und dies nicht in irgendwelchen Detailuntersuchungen, sondern in von renommierten Verlagshäusern betreuten Standardwerken der DDR-Aufarbeitung?

‚Brot und Wein’ versinnbildlicht Frieden. Die Friedenssehnsucht lebt vor allem am Sabbat, an dem Tag des Ruhens und Nichtarbeitens, an dem gemeinsam das Brot gebrochen, an dem gemeinsam der Wein getrunken wird. ‚Brot und Wein’ wurde bei der Antikriegsperformance von 1982 in Ostberlin zu eines der Hauptgestaltungsmittel des KWO-Arbeitertheater, um dieser fundamentalen Sehnsucht in Zeiten lebensbedrohender Aufstellung von atomaren Mittelstreckenraketen auf beiden Seiten der Mauer lebendigsten Ausdruck zu verleihen. In dem von Ehrhart Neubert erarbeiteten Standardwerk „Geschichte
der Opposition in der DDR 1949 – 1989“ wird jedoch diese wichtige oppositionelle Friedensarbeit des KWO-Arbeitertheaters ausgegrenzt, mit keinem einzigen Wort erwähnt. Für ein Standardwerk über DDR-Opposition absolut nicht nachvollziehbar, repräsentierte doch dieser Einsatz für den Frieden eine für DDR-Verhältnisse radikal und geschichtsbewusst durchgeführte oppositionelle Friedensarbeit außerhalb der Kirche, nämlich betriebsgebunden, womit sich übrigens eine an das Kabelwerk Oberspree gebundene Friedensarbeit interessanterweise wiederholte bzw. fortsetzte, denn ein Angehöriger der jüdischen Unternehmerfamilie Cassirer, die maßgeblich am wirtschaftlichen Aufstieg des Berliner Kabelwerkes Oberspree beteiligt gewesen war, der Kunstmäzen und Verleger Paul Cassirer, wurde 1916 wegen seines offenen Bekenntnisses zum Pazifismus kurzzeitig von den Nationalen in Haft genommen, worauf er nach Entlassung sofort in die Schweiz emigrierte, um dort die internationale Friedensarbeit gegen die in einen blutigen Weltkriegswahn verwickelten Nationalstaaten systematisch
vorantreiben zu können.

‚Brot und Wein’ versinnbildlicht Weltbürgerlichkeit. Jesaja 58, 5 – 7: „Ist das ein Fasten, an dem ich gefallen habe, etwa wie dies: Ein Tag, an dem ein Mensch sich demütigt? Seinen Kopf zu beugen wie eine Binse und sich in Sacktuch und Asche zu betten? Nennst du das ein Fasten und ein dem Herrn wohlgefälligen Tag? Ist nicht vielmehr das ein Fasten, an dem ich gefallen habe: Ungerechte Fesseln zu lösen, die Knoten des Joches zu öffnen, gewalttätig Behandelte als Freie zu entlassen und dass ihr jedes Joch zerbrecht? Besteht es nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen und dass du heimatlose Elende ins Haus führst?“ Im Gegensatz zu diesem biblisch-weltbürgerlichen Gebot des Eintretens für „heimatlose Elende“ schlägt sich der christliche Theologe Ehrhart Neubert in seiner Untersuchung zur „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ auf die Seite der Fraktion der Nationalen und grenzt dabei die Fraktion der Weltbürger und politische Alternativen Suchenden aus. Statt sich den auf der Tagesordnung stehenden wissenschaftlichen Aufgaben zu stellen, d. h. den real existierenden gesellschaftlichen Gegensatz zwischen diesen beiden Fraktionen unter Zugrundelegung der gesammelten empirischen Daten und Fakten bewusst aufzunehmen, sorgfältig zu analysieren und zeitgeschichtlich einzuordnen, vor allem seine konkrete Bewegung präzise nachzuzeichnen und dann, das Feld seiner vielfältigen Lösungsmöglichkeiten, und zwar möglichst unter Angabe von Wahrscheinlichkeiten, aufspannend, die sich am Ende real durchsetzende Lösung des nach Auflösung drängenden Gegensatzes zu erfassen und adäquat abzubilden, möglicherweise sogar unter Herausarbeitung der aus dem Ergebnis dieser Gegensatzbewegung hervorgehenden gesellschaftlichen Perspektiven, reduziert Ehrhart Neubert die hier zu leistende historiographische Arbeit im Kern auf die bloße Parteinahme für die Fraktion der Nationalen, also auf Ideologie.

Gerechtigkeit, Frieden, Weltbürgerlichkeit – bezüglich aller drei Aspekte des komplex zu verstehenden Lebenssymbols ‚Brot und Wein’, wie es die jüdische Denktradition Schritt für Schritt entwickelt hat, scheitert, wie man gesehen hat, Ehrhart Neubert als Theologe und Wissenschaftler im Rahmen der hier zur Diskussion stehenden Aufarbeitung von Kollisionen in der DDR, weil er dem offenen Dialog mit einem Andersdenkenden ausweicht, weil er die Notwendigkeit der Aufarbeitung der oppositionellen Friedensarbeit des Arbeitertheaters des Kabelwerkes Oberspree negiert, weil er die Aufarbeitung der oppositionellen Bürgerrechtsarbeit der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ unter untauglichen Prämissen angeht.

Bleibt abschließend der Hinweis an den interessierten Leser, dass beim Berliner Matthias-Domaschk-Archiv die bereits erwähnte Magisterarbeit „ ‚Wir bleiben hier’ Die Auseinandersetzung innerhalb der neueren DDR-Oppositionsbewegung um die ‚Ausreiser’ “ des Politikwissenschaftlers Jan Athmann, erarbeitet an der Freien Universität Berlin, sowie die von mir verfasste Studie „Zum gegenwärtigen Stand der Erforschung der oppositionellen ‚Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR’ “ zur allgemeinen Nutzung vorliegen. Trotz seines äußerst eingeschränkten Kenntnisstandes zu Entstehung und Geschichte der oppositionellen ‚Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ verweigert Ehrhart Neubert hartnäckig die Nutzung dieser beiden wichtigen zeitgeschichtlichen Arbeiten, betrachtet man die Literaturverzeichnisse seiner beiden Standardwerke. Auch das Quellenstudium anhand der Dokumentationen der „Schubladentexte aus der DDR“, für deren Veröffentlichung der Mitbegründer der oppositionellen DDR-SPD Torsten Hilse (MdA) sowie der Systemkritiker und alternative DDR-Forscher Dieter Winkler verantwortlich zeichnen, verweigert Ehrhart Neubert. In seinen beiden Standardwerken findet sich weder ein Bezug auf Band II der „Schubladentexte aus der DDR“, in welchem die oppositionelle
Friedensarbeit des Arbeitertheaters des KWO ausführlich dokumentiert wird, noch ein Bezug auf Band III der „Schubladentexte aus der DDR“, in welchem die oppositionelle Bürgerrechtsarbeit der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ ausführlich dokumentiert wird.


Anhang

Korrespondenz mit Autor und Verlagen im Ringen um die Verteidigung der historischen Wahrheit bei der Darstellung der oppositionellen „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ in wissenschaftlichen Untersuchungen zur Geschichte der DDR:

Dr. Antonín Dick

Zu Händen von
Herrn Thomas Krüger
Präsident
BUNDESZENTRALE FÜR POLITISCHE  BILDUNG
Adenauerallee 86
53113 Bonn

24. April 2006

Darstellung der DDR-Freiheitsbestrebungen

Sehr geehrter Herr Krüger,

gestatten Sie mir bitte, mich vertrauensvoll an Sie in einer Angelegenheit wahrheitsgetreuer Darstellung eines Beispiels der Freiheitsbestrebungen in der DDR zu wenden.

Die Darstellung der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR in dem von der Bundeszentrale für Politische Bildung edierten Werk „Geschichte der Opposition in der DDR 1949 – 1989“ entspricht nicht der Wahrheit, weil eine Hälfte der Wahrheit schlichtweg eliminiert wurde.

Im Jahre 1987 gründete ich, ein mit Berufsverbot belegter DDR-Regisseur, zusammen mit dem Regisseur Günter Jeschonnek in Berlin (Ost) die Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR.

Anfang der schwierigen 80er Jahre der DDR war ich im Rahmen der oppositionellen DDR-Friedensbewegung aktiv tätig. Wegen der Inszenierung eines Theaterstückes in Berlin (Ost) gegen die Bewaffnung Ost- und Westeuropas mit atomaren Mittelstreckenraketen – die einzige politisch direkte Theaterinszenierung in der gesamten damaligen DDR gegen den Wahnsinn der Aufrüstung! – erhielt ich Berufsverbot und wurde Opfer von Aktivitäten
des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. 1986 stellte ich einen Antrag auf Ausreise aus der DDR, und Anfang Oktober 1987 erhielt ich nach großen Schwierigkeiten die Genehmigung zur Emigration – fünfzig Jahre nach Flucht meiner deutsch-jüdischen Eltern aus Nazideutschland, die beide im aktiven Widerstand gegen die Hitlerdiktatur standen.

Zur Gründung der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR existieren bisher folgende, detailliert Auskunft gebende Publikationen:

1. Günter Jeschonnek: Ausreise – Das Dilemma des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauernstaates, in: Ferdinand Kroh (Hrsg): „Freiheit ist immer Freiheit ...“, Frankfurt/Main, Berlin 1988

2. Jan Athmann: Zur Problematik der DDR-Ausreisebewegung, Magisterarbeit, Bibliothek der Technischen Universität zu Berlin, Berlin 1997

3. Neubert, Ehrhart / Bundeszentrale für Politische Bildung: Geschichte der Opposition in der DDR 1949 -1989, Bonn 1997 bzw. 2000

4. Antonín Dick: Dokumente zur Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“, in: Manchmal habe ich Angst. Schubladentexte aus der DDR III (Hrsg. Torsten Hilse/ Dieter Winkler), Berlin 2002

Während die Publikationen 1, 2 und 4 die sachlichen und personellen Fakten im Zusammenhang mit der Gründung der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR zutreffend wiedergeben, wird die Wahrheit in der von Ihrer Einrichtung edierten Publikation 3 insofern massiv abgefälscht, als einer der beiden Gründungsaktivisten dieser oppositionellen Gruppierung – nämlich meine Person – bewusst eliminiert wird. Da heißt es auf Seite 672 des von Ihrer Einrichtung betreuten Werkes: „1987 kam es in Berlin zu einer
Kooperation zwischen Oppositionellen und einer sich organisatorisch formierenden Ausreisebewegung. Initiator war der Theaterregisseur Günter Jeschonnek, Sohn einer SED-Kulturfunktionärsfamilie und Mitglied der Berliner Gethsemanegemeinde, der nach einem Berufsverbot 1986 einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Jeschonnek, der auch bei oppositionellen Aktivitäten wie dem Olof-Palme-Friedensmarsch mitgearbeitet hatte, beschäftigte sich mit Freunden seit dem Frühjahr 1987 mit der rechtlichen Situation der Antragsteller und den verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verbindlichen Regelungen und Möglichkeiten der Übersiedlung. In Eingaben und Erklärungen stellten sie ihre Ergebnisse der Regierung und anderen Behörden vor, um auf die Willkürpraxis im Umgang mit den Antragstellern aufmerksam zu machen. Seit Mitte 1987 versuchten sie, in verschiedenen Oppositionsgruppen mitzuarbeiten. Da diese jedoch eine Relativierung ihrer
Anliegen befürchteten, beschlossen sie eine eigene Gruppe zu gründen. Durch Vermittlung der IFM-Mitglieder Lotte und Wolfgang Templin, stets Unterstützer der Ausreisewilligen, bekamen sie Kontakt zu weiteren an Rechtsproblemen arbeitenden Antragstellern. Die IFM trat 1989 mit weiteren Aktionen zugunsten der Antragsteller hervor. Die Umweltbibliothek gestattete, daß sich die Gruppe in ihren Räumen traf. Dort konstituierte sie sich am 27. September 1987 als Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR, die sich nun 14tätig traf.“

Folgende Korrekturen prinzipiellen Charakters sind dazu vorzutragen:

1. Initiatoren der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR waren zwei Theaterregisseure: ich – der übrigens dieser oppositionellen Gruppierung auch diesen Namen verlieh! – und Günter Jeschonnek.

2. Nicht irgendwelche anonymen Freunde beschäftigten sich seit Frühjahr 1987 in intensiver, gemeinsamer Arbeit mit den komplexen Rechts- und Sozialfragen der Ausreiseproblematik und reichten Eingaben ein, sondern eben nur zwei Aktivisten: Günter Jeschonnek und ich.

3. Den Arbeitskontakt zu Lotte und Wolfgang Templin von der Initiative Frieden und Menschenrechte stellte ich persönlich, ein ehemaliger Kommilitone von Wolfgang Templin von der Sektion Philosophie der Humboldt-Universität Berlin, her.

4. Die Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR konstituierte sich nicht am 27. September 1987, sondern am 22. September 1987. Und sie konstituierte sich nicht in der Umweltbibliothek, sondern in der HO-Gaststätte „Tutti Frutti“ in der Spandauer Straße 4 in Berlin-Mitte.

Sehr geehrter Herr Krüger, ich darf davon ausgehen, dass Sie mit mir darin übereinstimmen, dass in dem hier besprochenen Fall der öffentlichen Darstellung eines nicht unwesentlichen Vorgangs der DDR-Freiheitsbestrebungen eine Rehabilitierung der Wahrheit unumgänglich ist, um den hohen Maßstäben sorgfältig betriebener zeitgeschichtlicher Forschung gerecht werden zu können. Herr Torsten Hilse (MdA) und Herr Dieter Winkler sind anerkannte und engagierte Mitglieder der Sozialdemokratischen
Partei Deutschlands, die nicht umsonst mit großer Sorgfalt meine Publikation über die Gründung der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR in den Schubladentexten aus der DDR, Band III, betreut haben. Diese Publikation hat übrigens gegenüber den anderen Publikationen zur Gründung der Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR den großen Vorzug, dass sie mit Originaldokumenten arbeitet und daher die Gründungszusammenhänge intersubjektiv zugänglich und exakt nachprüfbar darstellt, also zwei elementaren Anforderungen wissenschaftlicher Arbeit voll und ganz genügt.

Ich rechne mit Ihrer freundlichen Unterstützung, eine nunmehr auf der Tagesordnung stehende Rehabilitierung der Wahrheit auch tatsächlich auf den Weg zu bringen.

In Erwartung einer Nachricht von Ihnen verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen
Dr. Antonín Dick
 


Dr. Antonín Dick

Zu Händen von
Herrn
Ehrhart Neubert
c/o PIPER VERLAG GmbH
Georgenstraße 4
D – 80799 München

26. April 2009

Sehr geehrter Herr Neubert,

mit großem Interesse ist Ihr neues Standardwerk zu Fragen der Auflösung der DDR „Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989 / 90“ in der Öffentlichkeit aufgenommen worden.

Sie werden mir hiermit bitte gestatten, daß ich als ehemaliger Oppositioneller in der DDR (1982 Antikriegsprogramm in Berlin Ost gegen die Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen in West- und Osteuropa, 1987 Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ in Berlin Ost) einen gewichtigen Einwand vortrage. Auf Seite 54 Ihres wissenschaftlich angelegten Werkes steht der Satz: „In Berlin konstituierte sich am 27. September 1987 eine ‚Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR’, die sich um den Theaterregisseur Günter Jeschonnek gesammelt hatte.“ Die Aussage dieses Satzes entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Die „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ wurde nicht am 27. September 1987, sondern bereits am 22. September 1987 gegründet, und zwar in der HO-Gaststätte „Tutti-Frutti“ in der Spandauer Straße 4 im Stadtzentrum von Berlin Ost. Teilnehmer dieser Gründungsversammlung – hier in alphabetischer Reihenfolge – waren: Antonín Dick, Olaf Herfurth, Günter Jeschonnek und Heintz-Jörg Richter. Initiatoren dieser wichtigen Oppositionsgruppe waren Günter Jeschonnek und ich, beide politisch engagierte Theaterregisseure, die wir seit Ende 1986 gemeinsam und systematisch zu den rechtlichen Gegebenheiten der DDR-Staatsbürgerschaft eine autonome Forschungsarbeit sowie zahlreiche Solidarisierungsaktivitäten mit ausreisewilligen DDR-Bürgern, ausländischen Staatsbürgern und DDR-Bürgern mit ausländischer Herkunft aufgenommen hatten.

Als wissenschaftlichen Beleg für die von mir hier verteidigte Wahrheit über die Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ nenne ich Ihnen den Beitrag „Ausreise – das Dilemma des ersten deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates?“ von Günter Jeschonnek, der im Jahre 1988 in dem von Ferdinand Kroh herausgegebenen Sammelband „’Freiheit ist immer Freiheit …’ Die Andersdenkenden in der DDR“ publiziert worden ist, sowie meinen Beitrag „Dokumente zur Gründung der ‚Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR’ “ der im Jahre 2002 in dem von Torsten Hilse und Dieter Winkler herausgegebenen Sammelband „Manchmal habe ich Angst. Schubladentexte aus der DDR III“ publiziert worden ist. In beiden Beiträgen ist übrigens, und dies völlig unabhängig voneinander, das Gründungsdokument der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ zitiert bzw. als Original abgedruckt worden.

Freundlichst ersuche ich Sie darum, bei der Zweitauflage Ihres Werkes diese fundamentale Falschdarstellung der Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ zu korrigieren und auf Grundlage der nachprüfbaren Fakten die Gründungszusammenhänge wissenschaftlich seriös darzustellen.

Ich bedanke mich im voraus für Ihre Bemühungen und verbleibe

mit freundlichen Grüßen
Dr. Antonín Dick


Dr. Antonín Dick

PIPER VERLAG GmbH
Verleger
Georgenstraße 4
D – 80799 München

27. April 2009

Sehr geehrte Damen und Herren,

zu dem kürzlich von Ihrem Haus verlegten Buch „Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989 / 90“ von Ehrhart Neubert gibt es meinerseits einen gewichtigen Einwand, die Sicherstellung der historischen Wahrheit betreffend.

Als ehemaliger Oppositioneller der DDR habe ich mir erlaubt, an den Autor dieses wissenschaftlichen Werkes, Herrn Ehrhart Neubert, einen entsprechenden Brief zu schreiben. Ich lege diesen Brief diesem Schreiben mit der Bitte bei, es an Herrn Neubert zwecks Korrektur weiterzuleiten.

Ich darf davon ausgehen, daß auch Sie bei der Zweitauflage dieses Werkes darauf hinarbeiten werden, daß die historische Wahrheit im Zusammenhang mit der Gründung der „Arbeitsgruppe Staatsbürgerschaftsrecht der DDR“ wiederhergestellt wird.

Mit bestem Dank und mit freundlichen Grüßen
Dr. Antonín Dick


Dr. Antonín Dick


PIPER VERLAG GmbH
Verleger
Georgenstraße 4
D – 80799 München

01. Juni 2009

Sehr geehrte Damen und Herren,


vertrauensvoll habe ich mich mit Schreiben vom 26. 04. 2009 an den Autor Herrn Ehrhart Neubert bzw. sowie mit Schreiben vom 27. 04. 2009 an Sie gewandt, die Korrektur einer falschen Darstellung historischer Fakten der DDR-Oppositionsbewegung in dem wissenschaftlichen Standardwerk „Unsere Revolution. Die Geschichte der Jahre 1989 / 90“ betreffend.

Zu meinem Erstaunen halten es weder der Autor noch Sie für erforderlich, auf meine gewichtigen wissenschaftlichen Einwände zu reagieren. Dieses Verhalten entspricht weder dem Geist dieser Oppositionsbewegung noch den internationalen Gepflogenheiten wissenschaftlicher Arbeit. Ich ersuche Sie hiermit höflichst um eine Antwort auf meine freundlichen Schreiben. Ich behalte mir eine Veröffentlichung der vorliegenden nicht hinnehmbaren Manipulierung geschichtswissenschaftlich ermittelter Fakten vor.

Ich bedanke mich für Ihre Bemühungen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Dr. Antonín Dick

Editorische Anmerkungen

Text und Foto  erhielten wir zur Veröffentlichung vom Autor.