Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der Tag des Rotz...

06/09

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Anmerkungen zu dem Film „Der Tag des Rocks“ und den von ihm ausgelösten Diskussionen – Subtile rassistische Botschaft und „Sicherheits“diskurs

So manche/r Lehrer/in, und nicht nur in Frankreich, hätte sich das wohl erträumt: einmal den Spieb umdrehen, und einer chaotischen und unverschämten Klasse auf unerwartete Weise in die Parade fahren! Als Überraschungscoup und Schocktherapie. Die Schüler zu Ruhe und Aufmerksamkeit zwingen! Ihnen den Unterrichtsstoff eintrichtern, ohne dass die leiseste Widerrede kommt! Und sie dabei auch noch zur konstruktiven Diskussion bewegen können - wäre das nicht das höchste der Lehrergefühle...?

Isabelle Adjani, die Schauspielerin, die in den letzten Wochen als Hauptdarstellerin des Films La journée de la jupe („Der Tag des Rocks“; als deutschsprachiger Filmtitel auch „Heute trage ich Rock“) ihr Comeback auf den französischen Kinoleinwänden feiert, verwirklicht diesen Traum scheinbar stellvertretend für sie. Als frustrierte, allmorgendlich mit Psychopharmaka vollgestopfte, ihren Ehemann deswegen zur Verzweifelung treibende Lehrerin – ‚Sonia Bergerac’ im Film – quälte sie sich seit längerem Tag für Tag in ihre Schule. Eines jener ‚établissements difficiles’, jener „schwierigen Lehranstalten“ in den Trabantenstädten von Paris oder Lyon, in denen zu unterrichten die Lehrer zur Zeit vom französischen Bildungsministerium mit einer Prämie von 6.000 Euro angelockt werden. Letzteres ist die derzeitige Realität, die Lehrerin Bergerac existiert nur im Film.

Kein Interesse für Molière

Sonia Bergerac hat ein extrem schwieriges Leben als Lehrerin. Unter anderem, weil sie einen nur knielangen Rock trägt, wird sie von einigen ihrer Schüler offen als „Schlampe“ bezeichnet und verachtet. Hinzu kommt, dass sie Französischlehrerin ist und klassische Literatur zu unterrichten versucht – die Begeisterung ihrer Schülerinnen und Schüler für Molière hält sich, höflich ausgedrückt, in engsten Grenzen. Ihr Versuch, die Jugendlichen eine Szene aufführen zu lassen, endet in einem Desaster. Schülerinnen oder Schüler weigern sich offen, ihren Anweisungen Folge zu leisten. Papierkugeln fliegen von hinten quer durch die Klasse auf sie. Ein besonders auffälliger Schüler, ein hochgeschossener Schwarzer mit Namen Moussa Diop – ein offenkundig senegalesischer Name -, bedroht sie explizit und vor versammelter Klasse mit Gewalt. Bis sie in seiner Tasche kramt und darin einen Revolver findet, den sie ihm vor die Nase hält und mit dem sie ihn am Bein verletzt. Ab diesem Zeitpunkt kippt die Handlung um, Sonia Bergerac bekennt sich zu ihrer neuen Rolle als Akteurin, die nunmehr das Heft in der Hand hält. Buchstäblich, um daraus ihren Unterricht - nunmehr ungestört - abzuhalten, und im übertragenen Sinne.

Umso schwerer hatte es die Lehrerin Sonia Bergerac allerdings bis dahin, als die Situation an ihrer Schule und in ihrem Umfeld eine weit über die Kenntlichkeit hinaus überzeichnete Karikatur darstellt. Bei einem Achtel dessen, was sich in dem Film allein in ihrer Klasse abspielt, würde es in der Realität Disziplinarstrafen und Schulverweise hageln. Aus den Worten des Direktors in La journée de la jupe – der in der Darstellung zum Lager der naiven Gutmenschen gehört, denn der Film teilt alle wichtigen Protagonisten fein säuberlich in zwei Lager auf – geht hervor, dass seine Schüler alle oder fast alle unter 16jährig sind. Denn er beruft sich, als das Drama anläuft, vor laufenden Fernsehkameras darauf, dass er die Querulanten doch nicht loswerde, da bis zum Alter von 16 Schulpflicht herrsche. Was in der Realität übrigens noch keinen Schulausschluss verhindert hat, der den Betreffenden dazu zwingt, selbst eine Aufnahmeschule zu suchen.

Aber während der Film 14 bis 16jähre in Szene setzt, benehmen einige von ihnen - und vor allem der brutale Moussa Diop - sich wie hartgesottene, ausgewachsene Mafiabosse und sind für jede Diskussion absolut unerreichbar. Dies entspricht kaum der Realität: Es gibt Gewaltprobleme unter Jugendlichen in französischen Banlieues, und einige von ihnen wandern im Laufe ihrer „Karriere“ in die Organisierte Kriminalität ab. Aber die definitive Entscheidung dazu, der „Bruch“ mit allen sonstigen möglichen Formen der Sozialisation, verläuft in der Regel ab Anfang 20. Dann, wenn aus der „Masse“ der Kleinstdealer, Angehörigen von Jugendbanden und Kleinkriminellen nur noch die total durch den Rost fallenden Individuen oder die „schweren Jungs“ übrig bleiben - während der Rest sich einem wie auch immer prekären Erwerbs- oder Familienleben zuwendet. Aber in dem Film benehmen sich bereits 15jährige wie Ausgeburten der absoluten Bösartigkeit, die keinerlei anderer Gedanke als jene an Gewalttätigkeit, Kriminalität und Sexismus durchzieht.

Karikaturhafte Charaktere

Auch sonst sind die Filmfiguren oft veritable Karikaturen. Auf der einen Seite gibt es die verzweifelten, stumm oder laut gegen die „Schlappheit“ der Behörden und die „Komplizenschaft“ der Vorgesetzten rebellierenden Realisten, die sehen, was abläuft. Auf der anderen Seite die dümmlichen Gutmenschen, die wirklich keinen anderen Gedanken fassen können, als hilflos an einen diffus bleibenden Dialogwillen zu appellieren. Auf den völlig überspitzten Punkt wird dies in einer Szene gebracht, wo ein Lehrer mit blauem Auge vor die im Schulgebäude zusammengezogene Polizei tritt. Danach befragt, ob er von Jugendlichen geschlagen worden sei, verneint er dies mit den pseudo-pädagogischen Worten: „Nein, wir haben es nur nicht geschafft, uns auszusprechen.“ Und auf die Nachfrage, ob er Strafanzeige erstatten wolle, wehrt er heftig ab: Die Betreffenden seien dann nur noch weniger erreichbar. Eine solche Mentalität des Die-andere-Wange-Hinhaltens dürfte so in der Realität kaum anzutreffen sein. In dem Film soll sie aber die allgemeine politische Situation charakterisieren: Der Staat greift bei weitem nicht hart genug durch.

Und auch gegen wen er besser durchgriffe, wird ziemlich deutlich. Beinahe alle Schülerinnen und Schüler in der Klasse von Sonia Bergerac, vor allem aber die problematischen und gewalttätigen, sind entweder schwarz oder arabisch. Und alle Probleme, die anzutreffen sind, weisen irgendeinen Bezug zum Islam auf. An „dem Islam“ liegt es, dass ein Schüler im Unterricht seine Kappe nicht vom Schädel nehmen will: Es sei „eine religiöse Vorschrift“, eine solche zu tragen, behauptet er frech. An „dem Islam“ liegt es, dass Mädchen wie Freiwild behandelt werden und zum Ficken oder Vergewaltigen freigegeben sind – in Wirklichkeit verbietet die muslimische wie jede andere Religion auberehelichen Geschlechtsverkehr -, aber selber in der Schule unattraktiv gekleidet sein müssen, um nicht als „Schlampen“ zu gelten. In einer Szene fordert Sonia Bergerac, nun mit der Pistole ausgestattet, erst die „jungfräulichen“ Jungs und daraufhin die Mädchen dazu auf, sich auf eine von ihr bezeichnete Stuhlreihe zu setzen. Es stellt sich vermeintlich heraus, dass keiner der Jungs, aber die Mehrzahl der Mädchen in ihrer Klasse „unberührt“ sind. Auf die Idee, dass beide Seiten dabei lügen könnten, verfällt der Film allerdings nicht.

Nachdem sie in die Lage versetzt ist, die Knarre zu schwingen, verändert Sonia Bergerac die gesamte Situation. Nun kann sie den Ton angeben. Zuerst benutzt sie ihr neu gefundene Machtposition, um die Jugendlichen dazu zu zwingen, endlich ihrem Unterricht über Molière zuzuhören. Aber alsbald macht die Lehrerin sich zur Rächerin der Unterdrückten, zur Ritterin für Gerechtigkeit. Zufällig entdeckt sie auf dem Telefon von Moussa Diop – schon wieder er – einen Handyfilm über eine Vergewaltigung, den er in seiner Hochhaussiedlung mitgeschnitten hat. Das Opfer, so stellt sich schnell heraus, ist eine Schülerin ihrer Klasse, die gerade gefangengenommen da sitzt. Nachdem sie es geschafft hat, Moussa Diop die Namen der jugendlichen Täter abzupressen, gibt sie diese den mit ihr versammelten Polizeibehörden bekannt. Und sie fordert – nachdem nunmehr mit ihr als „Geiselnehmerin“ verhandelt wird – die Polizei auf, die drei zu verhaften; was auch geschieht.

Die Situation in der gefangenen Klasse heizt sich zunehmend auf. Einzelne unter den Schülern und vor allem Schülerinnen stellen sich nun auf die Seite der Lehrerin gegen ihre - leicht vergröbernd ausgedrückt - männlichen Unterdrücker. Auch dabei rücken Bezüge auf die jeweilige Herkunft und auf den Islam ins Zentrum. Eine der Schülerinnen, die nun die Lehrerinnen unterstützen, beruft sich darauf, ihre Mutter sei 1994 - also während der Hochphase des algerischen Bürgerkriegs - von Islamisten ermordet worden. Ein anderer Schüler, offenkundig derselben Herkunft, nimmt plötzlich die Waffe an sich, verlangt Geld und sein Ausfliegen nach Australien. Zur Begründung führt er an, falls er in der heimischen Banlieue bleibe, sei er nach dem Ende der „Geiselnahme“ in seiner Klasse den dort ebenfalls sitzenden Kriminellen und ihrer Rache hoffnungslos ausgeliefert. Als ein anderer Schüler - einer von den Bösen - ihn darauf mit der Bemerkung bedroht, seine Schwester sei ihnen danach ja ausgeliefert, erschießt er diesen Schüler. Die Lehrerin Bergerac ihrerseits bezichtigt sich vor laufenden Kameras der Tat - und begeht Selbstmord.

Migrantentochter statt Rassistin?

Zwei symbolisch starke Szenen durchbrechen die Handlung, die dramatisch endet, aber cinématographisch eher schlecht präsentiert ist und wie ein miserabler Actionfilm wirkt. Etwa 15 Minuten vor Schluss erfolgt eine symbolische Brechung des Geschehens, als die Unterhändler des RAID - der Eliteeinheit der französischen Polizei ähnlich der deutschen GSG9, die das Klassenzimmer umstellt - die Eltern von „Sonia Bergerac“ ans Telefon holen. Plötzlich stellt sich heraus, dass diese selbst algerischer oder marokkanischer Herkunft ist, dies aber die ganze Zeit über erfolgreich vor ihren Schülern und ihrer Umgebung verborgen hatte. „Ich bin Französischlehrerin an einer laizistischen Schule“, führt sie zur Begründung aus, als eine Schülerin - eine von den „Netten - vor der nun arabisch sprechenden Lehrerin verwundert ausruft: „Warum haben Sie uns das nicht gesagt?“ Aus den Worten des alten Vaters erfährt man indirekt, dass die Lehrerin infolge ihrer Heirat mit einem Herkunftsfranzosen und aufgrund ihrer Kleidung aus dem Elternhaus verbannt worden war. Die Eltern versprechen eine Aussöhnung, und ein Happy-end scheint so kurz vor Schluss zu winken, das dann doch ausbleibt.

Eine zweite symbolisch starke Szene ist, in den letzten 30  bis 60 Sekunden des Films, die Beerdigung. Alle Schülerinnen sind in knielangen Röcken erschienen. Eine der Hauptforderungen von Sonia Bergerac, als die „Geiselnehmerin“ mit den Unterhändlern der Polizei am Telefon war, lautete auf Einführung eines „Nationalen Tag des Rockes“ an allen öffentlichen Schulen. Alle Schülerinnen sollten an jenem Tag „in Röcken erscheinen dürfen“. Denn dadurch wolle sie dem konstatierten Zwang für die Mädchen, unattraktiv - meist in Trainingsanzügen - gekleidet zu sein, um im „Ehrenkodex“ der Schülerschaft nicht als „Nutten“ zu gelten, entgegen wirken. Bei ihrer Beerdigung folgen ihre vormaligen Schülerinnen offenkundig ihrem Wunsch.

„Tag des Rocks“, zwischen Fiktion und Realität

Einen „Tag des Rocks“ gibt es wirklich. Genauer gesagt, eine Kampagne, die 21 Tage dauert und  „Frühling des Rocks und des Respekts“ heißt. Die alljährliche Veranstaltungsreihe findet seit 2006 an einem Collège – einer Mittelschule, ungefähre Entsprechung zur deutschen Mittelstufe (aber ohne Trennung der Schüler/innen in Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialzweig) - im westfranzösischen Rennes statt. An der Schule in der Bretagne hatte im Januar jenes Jahres eine Vergewaltigung stattgefunden. Opfer war eine 12jährige, und die Vergewaltiger waren mehrere, zwischen 13 und 16 Jahre alt. Als der Regisseur Jean-Paul Lilienfeld sein Drehbuch verfasst hatte, war er im Internet - wo er überprüfen wollte, ob der von ihm anvisierte Name ‚La journée de la jupe’ nicht schon für einen anderen Film vergebensei - darauf gestoßen.

An dieser Mittelstufenschule wurde der Film am 31. März aufgeführt. Häftlinge aus dem örtlichen Gefängnis waren dazu eingeladen worden. Die Pariser Abendzeitung Le Monde verfasste aus diesem Anlass eine Reportage, die in ihrer Ausgabe vom o7. April erschien. „Alles im Film ist wie in der Wirklichkeit“ sagt ein Schüler darin aus. Mindestens eines aber ist ziemlich anders als in dem Film von Jean-Paul Lilienfeld: Er besucht eine katholische Privatschule namens Lycée Jeanne d’Arc in Rennes, dessen Bedingungen sich doch erheblich von denen an der im Film dargestellten öffentlichen Schule inmitten der Hochhäuser einer Trabantenstadt unterscheiden dürften. Fast keiner der in der Reportage beschriebenen Schüler ist migrantischer Herkunft, wie auch generell der „Ausländeranteil“ in der Bretagne insgesamt gering ist. Unterdessen erschien am o9. April eine Reportage aus Schulen in Pariser Vorstädten und benachteiligten Pariser Stadtteilen in Libération, die ein insgesamt etwas differenzierteres Bild als etwa der Film zeichnet. Schülerinnen berichten darin durchaus von sexistischen Sprüchen und Beschimpfungen, und wie sie damit umgehen. Allerdings trifft die Zeitung auch eine Reihe von Mittel- und Oberschülerinnen an, die selbst Röcke tragen und dazu stehen.

In einem Chat mit den Leserinnen und Lesern von Libération hatte Regisseur Jean-Paul Lilienfeld Ende März o9 selbst Rede und Antwort gestanden. Dort führt er aus, er sei sich darüber bewusst, dass Sexismus und sexuelle Gewalt keineswegs nur ein Problem von Schwarzen oder Arabern seien, sondern die gesamte französische Gesellschaft betreffen. „Aber mein Film handelt nicht nur von Sexismus, und die am stärksten benachteiligten Klassen - in jedem Sinne des Wortes - bestehen in ihrer Mehrheit aus Schwarzen und Arabern. (…) Ich hätte es ebenso lächerlich gefunden, eine Klasse von Weißen zu nehmen, wie einen Pornofilm mit Schauspielern in Unterhosen zu drehen.“ An anderer Stelle in dem Chat widerspricht er einem Leser, der ihn ausdrücklich dafür loben möchte, dass er „Vorstadtmachos“ zeige, „deren einziger Bezug der Islam ist.“ Lilienfeld korrigiert ihn an dieser Stelle: „Nein, der Islam ist nicht ihr einziger Bezug“, im Übrigen wüssten diese Vorstadtjugendlichen in der Regel ausgesprochen wenig von dieser Religion. Diese konstruierten sich vielmehr eine Identität zurecht: „Wenn man eine unsichere Identität hat oder gesellschaftlich nicht anerkannt wird, dann sucht man sich einen Identitätsersatz, auf den man stolz sein kann.“ (Vgl. http://www.liberation.fr/)

Applaus von Rassisten

Diese (im Vergleich zur Filmbotschaft) relativ differenzierenden Worte würde bei vielen von denen, die Lilienfeld als Erste und am lautstärksten öffentlichen Beifall spendeten, schon zweifellos als „zu viel Verständnispädagogik“ und „Gutmenschentum“ abgetan. So wurde Lilienfelds Film schnell auf Webpages wie Fdsouche (für français de souche, also „Abstammungsfranzose“) und in anderen autoritären oder rassistischen Krise gehyped. Dort hieß es dann schnell, dieser Film zeige „ungeschminkt die Realität“. Bei der Webpage ‚Novopress’, die dem neofaschistisch-aktivistischen ‚Bloc identitaire’ nahe steht, firmiert der Film „Der Tag des Rocks“ ausdrücklich als angebliche positive Alternative und „donnernde Antwort“ zu dem preisgekrönten Film ‚Entre les murs’.  (Vgl. http://qc.novopress.info/?p=5022 ) Letzterer zeigt zwar auch die Schule als Spiegel sozialer Probleme sowie der Debatten rund um den Migrationshintergrund vieler Familien, stellt diesen gesellschaftlichen Kontext jedoch im Unterschied zum „Tag des Rocks“ nicht als pure Apokalypse voller unlösbarer Horrorprobleme dar.

Beifall kam aber noch aus einer anderen Ecke, jener der kulturpessimistischen Laizisten, die einen von ihnen festgestellten Niedergang der republikanisch-universalistischen französischen Staatsideologie beklagen und gern eine stärkere Selbstaffirmation des republikanischen Nationalstaats sehen. Zu ihnen gehört ein Konservativer wie der aggressive Figaro-Kommentator Ivan Rioufoul, aber auch frührer Linker wie Alain Finkielkraut. Finkielkraut hatte sich in den letzten Jahren, neben dem Kampf gegen Antisemitismus, auch auf jenen gegen „antiweißen Rassismus“ - den Ausdruck prägte er 2005 - und gegen den Niedergang der Hochkultur durch Rückgang literarischer Anforderungen an den Schulen spezialisiert. Insgesamt vertritt er eine Theorie des Kulturpessimismus, die auf der Idee einer „Selbstaufgabe“ des republikanischen Staates und der Absenkung des Schulniveaus und der intellektuellen Anforderungen etwa durch „Vermassung“ der Bildung basiert. Finkielkraut bezeichnete den Film Jean-Paul Lilienfelds als „historisches Ereignis“.

Heftige Kritik kam, wie zu erwarten, von muslimischen Webpages. Aber auch aus der anderer Ecke. Die Filmkritik der renommierten Abendzeitung Le Monde warf dem Film, ohne ihn gänzlich zu verreißen, Mitte März o9 „Schwarz-Weiß-Malerei“ vor. Auf dem Blog von Le Monde diplomatique wurden an dem Film, in einem detailliert argumentierenden Artikel von Mona Challet, rassistische Tendenzen aufgezeigt. Für zusätzliche Kritik sorgte, dass der Regisseur Jean-Paul Lilienfeld einer stark rechtslastigen Homepage von militanten Verteidigern des Abendlands, Primo Europe (Europa zuerst), ein Interview erteilt hatte.

Der Grundthese der Kritiker/innen widersprechen die Anhänger des Gedankens, Lilienfeld zeige mit seinem Film „nur die Wahrheit“ auf. Um den Vorwurf zurückzuweisen, verweisen sie auf die fiktive Herkunft der Hauptfigur Sonia Bergerac - die im übrigen mit der realen Herkunft von Isabella Adjani korrespondiert, denn die 55jährige hat einen algerischen Vater und eine deutsche Mutter. Allerdings existiert im republikanischen Frankreich auch eine unselige Tradition des „Integrationsversprechens“ - wie der Film es positiv hochhält - als Anforderung an jene, die man in Wirklichkeit in subalterner Position belässt. 1958, auf dem Höhepunkt des Algerienkriegs, zelebrierten französische Militärs auf einem zentralen Platz in Algier eine „Feier der Entschleierung“ algerischer Frauen, die symbolisch ihre Kopfumhüllung ablegten. Dies wurde nicht nur von gläubigen Moslems als Versuch der Legitimierung eines, im Kern illegitimen, Herrschaftsanspruchs verstanden. Dieses historische Erbe trägt eine Strömung des französischen Laizismus, sein etatistisch und autoritär geprägter Teil, mit sich herum. Deshalb ist es nicht ganz zufällig, dass auf einer Webpage wie Riposte laïque („Die Laizisten schlagen zurück“) - die den Film ebenfalls in höchsten Töne lobt - in jünger Zeit auch Rechtsextreme enttarnt wurden. Obwohl sie durchaus auch aus anderen Kreisen gespeist wird.

Das zentrale Problem des Films dürfte darin bestehen, dass er eine thematische Vermischung vornimmt: Er vermengt und verquickt die Autoritätsforderung und das Beklagen einer vermeintlichen Schwächlichkeit des Staates, Herkunftsbezüge und sehr reale Probleme - wie Sexismus und Gewalt nicht nur, aber auch in den Sozialghettos der Banlieues - miteinander.

Kein Kinovertrieb – aber nicht aus inhaltlichen Motiven

Die Polemik, die sich zunächst abzeichnete, fand in den Feuilletons und auf den Blogs durchaus stand. Dennoch blieb das Echo schwächer als erwartet, weil nämlich der angekündigte große Kinovertrieb von La journée de la jupe ausblieb. Nachdem der Film erstmals auf der Berlinale vom 5 bis 15. Februar o9 in der deutschen Hauptstadt lief, wurde er zudem am 2o. März dieses Jahres durch den deutsch-französischen Sender ARTE ausgestrahlt. Dies hatte seine Logik, denn ARTE hatte den Film finanziert - einige großen Kinoproduzenten hatten zuvor befunden, das Thema sei „zu heiß“. Aber dadurch, dass der Film fünf Tage vor seinem Kinostart (der am 25. März o9  stattfand) bereits im Fernsehen ausgestrahlt worden war -- wo er an jenem Abend 2,2 Millionen Zuschauer hatte, eine der zehn höchsten Einschaltquoten in der Geschichte der Sendeanstalt ARTE --, winkten viele Betreiber von Kinoketten ab. Auch im Internet war er noch bis zum 26. März umsonst zu sehen gewesen. „Das ökonomische Schema lautet, dass ein Film erst in die Kinos kommt, dann kostenpflichtig per DVD oder im Internet vertrieben und erst dann für die Fernsehbildschirme freigegeben wird“ monierte etwa die Kinokette UGC.

Dass der Kinostart also alles in allem nicht gigantisch ausfiel - er kam in etwa 55 Säalen frankreichweit, darunter acht in Paris, auf die Leinwand - hatte also weniger mit dem Inhalt als mit der Verteidigung eines ökonomischen Kalküls zu tun. Was Webseiten wie etwa die rechtsextreme Fdsouche nicht daran hinderte, sofort ein Komplott zum Mundtotmachen eines unbequemen Films oder Regisseurs zu wittern. Darum dürfte es sich definitiv nicht gehandelt haben. Eine Polemik erspart hat sich aber vielleicht mancher Kinobetreiber dadurch schon.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor.