Italiens Rechte, nach Gründung der neuen Sammelpartei und vor der EP-Wahl
Wettlauf zwischen Altfaschisten und NeoRassisten. Und Silvio Berlusconi in der (sehr rechten) Mitte

von Bernard Schmid

06/09

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Bei der kommenden Europaparlamentswahl werden erneut Rechtsextreme und „Rechtspopulisten“ aus verschiedenen Ländern, im Westen wie im Osten Europas, in das Strasbourger Parlament Einzug halten. Ein westeuropäisches Land, aus dem ein relativ starkes Kontingent kommen wird und in dem Rechtsextreme ferner unmittelbaren Einfluss auf die Regierungspolitik ausüben können, ist Italien.

Dort regiert Silvio Berlusconi, seit seinem Wahlsieg vom April 2008, zum dritten Mal (mit Unterbrechungen) seit 1994. Und zum dritten Mal steht er dabei einer Regierungskoalition vor, die – neben seiner konservativ-liberalen, eher „ideologiefreien“ und wie ein Fanclub aufgebauten Partei Forza Italia – auch zwei Parteien mit rechtsextremem Hintergrund umfasst(e).

Da war, bis vor kurzem, zum Einen die Alleanza Nazionale (AN), die 1995 aus der früheren „Italienischen Sozialbewegung“ – dem neofaschistischen MSI, Movimiento Sociale Italiano – hervorging. Der MSI hatte, seit seiner Gründung 1946/47, eine spitze Flamme in den drei Nationalfarben der italienischen Tricolore zum Parteisymbol: Sie symbolisierte ursprünglich „die Seele Benito Mussolinis, die in Gestalt einer Flamme aus seinem Sarg aufsteigt“. Dieselbe Flamme, dieses Mal in den drei Farben der französischen Nationalflagge, hat der Front National in Frankreich seit seiner Gründung 1972 vom damaligen MSI übernommen und führt er bis heute als Wahrzeichen. Unterdessen hatte die frühere neofaschistische Partei in Italien, infolge ihrer Umwandlung zur AN auf dem Kongress von Fiuggi Anfang 1995, die Flamme verkleinert und als miniaturisiertes Abzeichen an den Fub eines grünenden Baums verbannt.

Zum Anderen besteht noch immer die norditalienische, früher offen separatistische und heute eher föderalistisch auftretende, Lega Nord. Letztere entstand 1990/91 aus mehreren Regionalparteien wie der Lega Lombarda, die gleichzeitig einen „radikalen Einwanderungsstopp“ forderten und eine rassistische Anti-Ausländer-Hetze betrieben - und dagegen eintraten, „dem Moloch des italienischen Zentralstaats oder den faulen Süditalienern“ weiterhin „Geld in den Rachen zu werfen“. (Die gemeinsame regionalübergreifende Partei, deren voller Name Lega Nord per l'Indipendenza della Padania - „Nord-Liga für die Unabhängigkeit v. Padanien/der Po-Ebene“, lautet, wurde offiziell am o8. Februar 1991 gegründet. Im Raum Venedig entstand die erste „Liga“, die Liga Veneta, freilich schon vor über dreißig Jahren, im Jahr 1978.)

Die Philosophie, die die Regionalisten – die anfänglich für ein „unabhängiges Padanien“ in der Po-Ebene eintraten – prägte, lautete damals, wie ein Slogan verkündete: „Südlich von Rom beginnt Afrika“, also aus Sicht ihrer Anhänger das Reich der Barbaren. Teilweise fühlen die fanatisierten Nördler sich sogar stärker zum „Germanentum“ als zu ihren italienischen Landsleuten hingezogen; so unterstützte ihr früherer Europaparlamentarier (von 2004 bis 06) bei der Fußball-WM im Frühsommer 2006 ausdrücklich die Deutschen, die doch „ernsthafte Leute“ seien, gegen Italien.

Neue (Beinahe-)Einheitspartei auf der Rechten

Inzwischen hat sich die allgemeine Konstellation auf der italienischen Rechten modifiziert. Alleanza Nazionale und Forza Italia fusionierten am letzten März-Wochenende 2009 zu einer neuen rechten Einheitspartei unter dem Namen Popolo della Liberta (PdL, „Volk der Freiheit“). Ihr wurden zunächst, je nach Umfrage, zwischen 39 und 43 % der Stimmen bei der kommenden Europaparlamentswahl vorhergesagt, die letztgenannte Angabe ist jedoch umstritten und stammt aus einem Berlusconi-freundlichen Institut. Hinzu kämen dann noch zunächst prognostizierte o9 Prozent für die Lega Nord, die eigenständig bleibt und mit einer eigenen Liste antritt, neben o7 Prozent für eine christdemokratische Liste im Mitte-Rechts-Spektrum. - Abzuwarten bleibt, ob die jüngste privat-öffentliche Ungemach für Regierungschef Silvio Berlusconi, dessen Ehefrau Veronica Lario Berlusconi die Scheidung verlangt, weil ihr Ehegatte „sich mit Minderjährigen herumtreibt“, eventuell Einfluss auf die Wahlergebnisse (insbesondere im katholischen Spektrum) haben wird. Bislang sieht es nicht so sehr danach aus, und 84 % der Befragten erklären, dieses Wissen habe keinen Einfluss auf ihr Bild von Berlusconi (15 % sind gegenteiliger Auffassung), während 69 % es grundsätzlich zur Privatsache erklären. Dennoch könnten in einem Land, wo die katholische Kirche relativ mächtig bleibt, zumindest am Rande wahlpolitische Auswirkungen eintreten; Berlusconis selbst gestecktes Wahlziel in Höhe von „51 %“ dürfte nun wohl (noch) schwerer zu erreichen sein. Dass die politische Rechte in Italien auch bei der EP-Wahl vorläufig hegemonial bleibt, dürfte hingegen wohl unstrittig sein.

Die neue Partei wird stark durch die Person des 72jährigen Silvio Berlusconi dominiert. Aber schon aus Altersgründen wird sich die Frage von dessen politischer Nachfolge in näherer oder etwas fernerer Zukunft unweigerlich stellen. Dem 57jährigen bisherigen AN-Chef, Gianfranco Fini - in den frühen neunziger Jahren noch Chef der neofaschistischen Jugend und damals noch bekennender Fan des „Duce“, wovon er inzwischen abgeschworen hat - werden Ambitionen nachgesagt, bei dieser Gelegenheit das politische Erbe Berlusconis zu übernehmen.

Ob diese Rechnung aufgeht, und ob die bisherigen AN-Kader deshalb das Aufgehen ihrer „Bewegung“ in der neuen Einheitspartei hinnahmen, weil sie sich insgeheim erhoffen, den Laden zu übernehmen oder ihm zumindest einen starken Stempel aufdrücken zu können, bleibt umstritten. Manche Beobachter sehen darin eine geschickte Taktik, andere sehen hingegen die frühere AN durch die Berlusconi-Partei „aufgesogen“ und „absorbiert“. Näheres werden die kommenden Jahre zeigen müssen. Fest steht unterdessen, dass die neue Partei es vermocht hat, rechts von der bisherigen AN-Parteilinie stehende „Kameraden“ zurück zu gewinnen, die bis dahin die 1995 verkündete „postfaschistische Wende“ – durch Abkehr vom offenen Bezug auf das Mussolini-Regime – ablehnten. Die Parteizeitung Il Secolo d’Italia berichtete sogar offen erfreut darüber, dass solche alten Kameraden in den Kreis der nunmehr vereinigten Rechten zurückkehren. Der „postfaschistische“ Kurswechsel beim Übergang vom MSI zur AN, 1994/95, hatte damals eine Reihe von rechtsextremen Splittergruppen – die sich weiterhin auf den alten MSI und seine Symbole beziehen – am Wegesrand zurückgelassen. Zu ihnen zählten etwa der MSI-Fiamma Tricolore, der zu Anfang des Jahrzehnts eng mit dem französischen Front National kooperierte, und die Forza Nuova. Letztere hielt am o5. April in Mailand eine Veranstaltung mit europaweiter Beteiligung von Neofaschisten und Neonazis ab.

Der aus der AN kommende, als ideologischer Hardliner geltende Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno, der Ende April 2008 ins Amt gewählt wurde und nach wie vor das Keltenkreuz – ein jungfaschistisches Symbol – um den Hals trägt, animiert unterdessen eine eigene Strömung unter dem Titel Destra Sociale (Soziale Rechte). Letztere versucht, der neuen Gesamtpartei „Orientierungen“ und „Werte“ zu formulieren und dabei ideologische Pflöcke einzuschlagen. Zu ihnen zählen „Ordnung“, „Autorität“ und „Identität“. Gianni Alemanno hat es im November 2008 vermocht, einerseits zusammen mit einer Schulklasse das frühere Vernichtungslager Auschwitz zu besuchen, um dort öffentlichkeitswirksam Bekenntnisse gegen die Barbarei abzulegen – andererseits aber in seinem dort vorgetragenen Statement festzuhalten, die Barbarei drohe immer dann, wenn „die unterschiedlichen Identitäten nicht mehr respektiert werden“. Zu denen, könnte man den Gedanken fortsetzen, selbstverständlich und an vorderster Stelle auch die italienische und europäische Identität gehören. So funktioniert Diskursverschiebung: Einerseits wird man mit zu den Zivilisierten gerechnet, weil man Lippenbekenntnisse auch gegen den Faschismus ablegt, andererseits aber verschiebt man – hinter den Worten – die Inhalte im Sinne der rechten.

Profilierung durch Ausländerhetze

Die Lega Nord profiliert sich unterdessen, anders als die alten AN-Kameraden, die vor allem auf die Rehabilitierung des historischen Faschismus erpicht sind, eher entlang sozusagen „zeitgenössischer“ Fragen. Insbesondere schwingt die Liga sich zur zentralen Lobby für eine radikale Verschärfung der Einwanderungsgesetze auf. Teilweise ist sie dabei sehr erfolgreich. So ging ein am o5. Februar 2009 im italienischen Senat (parlamentarischen Oberhaus) angenommener, aber zunächst noch nicht definitiv verabschiedeter, Gesetzentwurf auf die Nordpartei zurück: Er sah in der damaligen Fassung vor, dass Ärztinnen/Ärzte und medizinisches Personal den Eid des Hippokrates verraten „dürfen“, wenn sie einen „illegalen Einwanderer“ vor sich haben, und in diesem Falle die von ihnen behandelte Person bei der Polizei anzeigen dürfen. Auch sah ein am 19. Februar 20o9 in erster Lesung angenommener Entwurf vor, die „Bürgerrunden“ zu legalisieren, die überwiegend auf die Lega Nord zurückgehen. Dabei handelt es sich in Wirklichkeit um eine Art unbewaffneter Milizen oder Bürgerwehren, die Patrouille laufen und auf die Jagd nach „illegalen Ausländern“ sowie Prostituierten gehen. - Gegen den solcherart geplanten, legalisierten Bruch des ärztlichen Eids demonstrierten am 17. März rund zweihundert Mediziner/innen in Rom, zusammen mit der Vereinigung ‚Ärzte ohne Grenzen’, und forderten ein „Verbot der Denunzierung“ unter der Parole: „Ärzte, nicht Spione!“ (Vgl. http://www.cerium.ca/rubrique150.html?debut_plus=40) In vielen Arztpraxen in Rom und anderswo in Italien hingen unterdessen Plakate mit der Aufschrift: „Wir sind Ärzte, nicht Polizisten.“ (Vgl. http://www.lutte-ouvriere-journal.org)

Allerdings hatte Silvio Berlusconi sich am 19. März o9 dann von den beiden Anliegen, dem Gesetzentwurf zum „Recht auf Denunziation“ für die Ärzte und den Bürgerwehren, öffentlich verbal distanziert. Berlusconi bezog sich dabei positiv auf den Offenen Brief von 101 Parlamentariern, die den Verrat am Eid des Hippokrates als skandalös bezeichnet hatten. Initiatorin des Briefes der 101 Abgeordneten ist ausgerechnet Alessandra Mussolini, die „Duce-Enkelin“, die 1993 in die italienische Politik einstieg – damals beim MSI – und später zu den rechten „Abweichlern“ infolge der „postfaschistischen Wende“ zählte. Mutmablich versuchte ein Teil der Ex-Neofaschisten sich auf diesem Wege gegenüber den wahrhaftigen rassistischen Fanatikern der Lega Nord als „moderate Kraft“ profilieren zu können – um dadurch umso besseren Einfluss auf die ablaufende Umgruppierung der Rechten nehmen zu können.

Am vorletzten Mittwoch und Donnerstag, dem 13. und 14. Mai 2009 hat die italienische Nationalversammlung nun ihrerseits den (überarbeiteten) Entwurf für eine verschärfte Einwanderungs- und „Sicherheits-“Gesetzgebung mit 297 gegen 255 Stimmen, bei drei Enthaltungen, angenommen. Nachdem dieses parlamentarische „Unterhaus“ zwischenzeitlich einige Änderungen an dem Entwurf gegenüber dem Votum im Senat vom Februar o9 vorgenommen hatte, muss nun das „Oberhaus“ seinerseits wiederum zustimmen; diese Annahme im Senat gilt jedoch im jetzigen Stadium nur noch als Formsache. Der Gesamttext kam jedoch in der Nationalversammlung nur durch, weil die Regierungsspitze die Abstimmung über die Vorlage mit einem Vertrauens- respektive Misstrauensvotum verknüpft hatte - so dass Abgeordnete aus dem rechten Regierungslager, die in dieser Sachfrage anders als ihre Parteikollegen abstimmen mochten, damit automatisch auch für den Sturze der Regierung hätten stimmen müssen.

Aus dem neuen Ausländergesetz war freilich vor dem Votum vom 13. Mai eine Passage entfernt worden, die inzwischen nicht mehr nur das „Recht“, sondern die „Pflicht“ zur Denunziation von „illegalen Einwanderern“ für Ärzte (jedenfalls in öffentlichen Einrichtungen wie Krankenhäuser?), aber auch Schuldirektoren und Postbedienstete vorsah. Dieser Passus hatte es nicht durch die parlamentarischen Beratungen hindurch geschafft. (Unterdessen ist es in Frankreich - wo keine offenen Rechtsextremen in der Regierung sitzen - in Einzelfällen bereits Praxis geworden, dass Staatsbedienstete „illegale Einwanderer“ denunzieren. Im Juli 2008 hatte eine Bedienstete des Bezirksrathauses im 5. Pariser Arrondissement eine „illegale“ Immigrantin aus dem südamerikanischen Ecuador denunziert, die als Putzfrau in dem besitzbürgerlichen Bezirk lebt und ihr Kind in eine öffentliche Schule einschreiben wollte. Der Bezirks- und frühere Pariser Oberbürgermeister Jean Tiberi hatte dieses Handeln gerechtfertigt: Es sei gesetzliche Pflicht aller Staatsbediensteten, Straftaten anzeigen, wie es ein Gesetzestext vom Dezember 1985 vorsehe. Was den notorisch hyperkorrupten Jean Tiberi, Stadtoberhaupt von Paris zwischen 1995 und 2001, nie daran gehindert hatte, geltende Gesetze zu brechen - er wurde vor im Januar 2008 und, in zweiter Instanz, am 10. April 2009 wegen Wahlbetrugs rechtskräftig verurteilt…)

Ansonsten hat es das neue, schärfere Ausländergesetz in Italien jedoch ebenfalls in sich. Es sieht vor, dass „illegale“ Einwanderung und „illegaler“ Aufenthalt zur Straftat werden, die mit 5.000 bis 10.000 Euro Geldstrafe belegt werden kann. Die italienische Justiz darf künftig Denunzierungen von Bürgern zum Thema entgegen nehmen. Wer einen „illegalen Einwanderer“ beherbergt, kann künftig mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. (Erstere und letztgenannte Bestimmung existieren freilich bereits in einem Land wie Frankreich, wo Menschen u.U. wegen „illegalen Aufenthalts“ in der Praxis bis zu drei Monate ohne Bewährung in Haft wandern können und auf das ‚délit de solidarité’ - die „Beihilfe zum illegalen Aufenthalt“ - theoretisch bis zu fünf Jahre Haft als Höchststrafe drohen.)

Die festgenommenen „Illegalen“ können nunmehr in Italien bis zu sechs Monate, statt bislang einen Monat respektive zwei Monate, in Abschiebehaftanstalten festgehalten werden. Auch diese Bestimmung ist zwar einerseits skandalös, wird aber andererseits in der Wirklichkeit in manch anderen EU-Ländern ohne Rechtsradikale in der Regierung noch übertroffen: In Deutschland beträgt die zulässige Höchstdauer des Verweilens in einem Abschiebegefängnis bis zu 18 Monate (in Frankreich hingegen bislang „nur“ 32 Tage). - Ungewöhnlich auch gegenüber anderen, repressiven Gesetzgebungen in EU-Ländern ist jedoch, dass das neue italienische Ausländergesetz auch vorsieht, dass für die Anmeldung von Geburten die Verfügung über einen Aufenthaltstitel zwingend vorgeschrieben ist. Dies bedeutet, dass es zukünftig zahlreiche nirgendwo registrierte, und also „gesetzlich nicht existierende“, Kinder auf italienischem Boden geben wird. Darin liegt auch im Vergleich zu anderen EU-Staaten eine ziemlich krasse Neuerung. (Vgl. http://www.francesoir.fr )

Besonders übel ist unterdessen, bereits seit Anfang Mai 2009, die Abschiebepraxis: Seit Anfang des Monats wurden in mehreren Schüben insgesamt rund 500 „unerwünschte“ Einwanderer, die zumindest zum Teil in Italien den Flüchtlingsstatus und politisches Asyl beantragen wollten, kurz nach ihrer Ankunft ins nordafrikanische Libyen abgeschoben. Es wurde ihnen bedeutet, sie sollten doch bitte „in Libyen Asyl beantragen“ - ein purer Zynismus, da dort kein des Namens würdiger Flüchtlingsstatus existiert. (Vgl. http://www.lesafriques.com/ oder http://www.souslemanguier.com) Regierungschef Silvio Berlusconi hatte öffentlich behauptet, die Betreffenden seien „auf wissenschaftliche Weise“ durch „kriminelle Netzwerke“ ausgewählt und gezielt rekrutiert worden. (Vgl. http://www.liberation.fr/ )

Im Namen der italienischen Mitte-Links-Partei der Demokraten (PD) sprach ihr Parteichef, Dario Franceschini, unterdessen von einer „Rückkehr der Rassengesetze“ aus der Mussolini-Ära, „70 Jahre später“. Er fügte hinzu, es gebe historische Momente, „in denen auch ein Moderater (wie der Mitte-Links-Politiker selbst) laut werden“ müsse. Der italienische Innenminister Roberto Maroni von der Rassistenpartei Lega Nord kommentierte dazu nur, das sollte ihn „eigentlich empören“, aber er „müsse lachen“. (Vgl. http://www.rtlinfo.be/ )

Regierungschef Silvio Berlusconi hatte die Zustimmung zu der Vorlage, zu welcher er sein Lager aufforderte, mit seiner Ablehnung „eines multiethnischen Italien“ begründet. Dadurch, dass das neue Gesetz wenige Wochen vor den Europaparlamentswahlen im parlamentarischen „Unterhaus“ (dessen Votum im Zweifelsfall entscheidend ist, da es im Konfliktfall das letzte Wort hat) vorgelegt und angenommen wurde, hat Berlusconi seinem Koalitionspartner von der Lega Nord einen Pluspunkt verschafft - aber gleichzeitig versucht, ihr nicht allein die Publizität zum Thema Immigration/Rassismus zu überlassen.

Die Lega Nord, die nun erstmals in den Umfragen auf nationaler Ebene bei über 10 Prozent der Stimm(absicht)en firmiert, steht in der Öffentlichkeit als Hauptinitiator der neuen Gesetzgebung dar. Nachdem ihr in Norditalien schon bislang viele Arbeiter - auch aus der früheren Linkswählerschaft - ihre Stimme geben, versucht die Lega Nord sich nun, mit dem Rassismus-/Einwanderungsthema auf gesamtitalienischer Ebene zu profitieren. Besonders in den mittelitalienischen Regionen Emilia-Romagna und Toskana - zwei früheren „Bastionen der Roten“ - versucht sie nun erklärtermaßen in neue Wählerschichten einzudringen. Neben einer „Steuerreform“, die den bereits bestehende „ökonomischen Graben“ in Gestalt des Reichtums-/Armuts-Gefälles zwischen Nord- und Süditalien festschreibt und noch vertieft, ist die (nun absehbare) Annahme der neuen Ausländergesetzgebung ihr zweiter größerer, politischer Erfolg.

Nördler-Liga: Rassistische Fanatiker regieren mit

Gegenüber den anderen (größeren) Rechtskräften ist der gegen Einwanderer gerichtete Rassismus in der Tat ein wesentlich stärkeres Anliegen für die Nördler von der „Liga“ als für die Alt-, Neo- oder Postfaschisten: Diese haben einen stärkeren Teil ihrer sozialen Basis in Zentral- und Süditalien, die historisch lange Zeit eher Auswanderungs- denn Einwanderungsregion waren, im Gegensatz zum früher und stärker industrialisierten Norditalien. Zwar hat sich diese Situation inzwischen verändert, ganz Italien ist heute zum Einwanderungs- und Durchwanderungsland geworden (im vergangenen Jahr reisten 36.000 Menschen vom afrikanischen Kontinent her kommend über die italienische Insel Lampedusa in die EU ein), und auch im Raum um Rom ist seit 2008 eine Explosion der rassistischen Gewalt zu verzeichnen. Aber ideologisch prägt der Anti-Migranten-Rassismus die norditalienischen Regionalisten noch immer weitaus stärker: Unter den Lega Nord-Anhängern befinden sich in dieser Frage regelrechte Fanatiker, die insbesondere alles hassen, was ihrer Auffassung zufolge nach „Islam“ riecht.

Um Moslems zu vertreiben, führen fanatisierte Liga-Aktivisten mitunter Schweine an der Leine spazieren, um sie etwa an den Baustellen von Moscheen auf die Erde urinieren zu lassen, damit der Ort „entweiht“ wird. Einer ihrer Spitzenpolitiker, Roberto Calderoli, hatte persönlich eine solche Aktion gegen einen Moscheebau in Bologna angekündigt. Ein Europaparlamentarier und Senator der Partei, Mario Borghezio - der etwa auch als Gast der rechtsextremen Regionalpartei Pro Köln zu ihrem (ersten) „Anti-Islamisierungs-Kongress“ eingeladen wurde – wurde seinerseits mehrfach aufgrund rassistisch motivierter Straftaten verurteilt. Er erhielt am 1. Juli 2005 eine Haftstrafe von zwei Monaten und 20 Tagen (die in eine Geldstrafe in Höhe von 3.040 Euro umgewandelt wurde), am 19. Oktober 2005 dann – wohl in nächst höherer Instanz – in derselben Sache eine Strafe von fünf Monaten Haft auf Bewährung aufgebrummt: Zuvor hatten er und sieben Aktivisten im Jahr 2000 in Turin Zelte von Immigranten angezündet, die unter einer Brücke schliefen. Mario Borghezio fiel aber auch durch, de facto rassistisch zu nennende, Äuberungen gegen Süditaliener auf. U.a. rief er anlässlich der Olympischen Spiele in Peking 2008 Aufmerksamkeit hervor, indem er sich negativ über die körperliche Tüchtigkeit süditalienischer Landsleute auslieb und die „ethnische  Überlegenheit“ der durch die Lega Nord so getauften „Padanier“ (Einwohner der Po-Ebene) unterstrich. Und ein Kommunalparlamentarier der Lega Nord in Treviso, Giorgio Bettio, hatte im Jahr 2007 wörtlich erklärt, „mit den Immigranten (müsse) man SS-Methoden anwenden: Zehn Einwanderer bestrafen, wenn einer gegenüber einem italienischen Staatsbürger straffällig wird.“

In Milano (Mailand) schlug der Lega Nord-Stadverordnete - und frühere Europaparlamentarier -  Matteo Salvini der Stadtverwaltung vor, getrennte Métrowaggons für „(echte) Mailänder“ und für „Ausländer“ einzurichten. Der Vorschlag kam zwar nicht durch, und der „postfaschistische“ Parlamentspräsident Gianfranco Fini qualifizierte ihn in Rom als „konträr zur Verfassung und zur Menschenwürde.“ (Vgl. http://andiamo.blogs.liberation.fr/) Dennoch wäre den rassistischer Fanatikern ein erneuter „Tabubruch“ geglückt, um einmal mehr die Grenze des - gegenüber solchen wahnwitzigen Vorschlägen - noch als „normal“ Geltenden weiter hinaus zu schieben…

Rehabilitierung der faschistischen Vergangenheit

Die früheren Mussolini-Anhänger aus MSI oder AN unter Fini, ob nun „geläutert“ oder nicht, begeistern sich stattdessen eher für Ideen wie die eines starken Staates, einer mit harter Hard vereinten und kriegerischen Nation und für eine Dominanz Italiens über den Mittelmeerraum – wo die Nordisten vor allem von „weniger Steuern an Rom“ träumen dürften. Während die Lega Nord eine vorantreibende Rolle in Fragen des Rassismus und der Hetze gegen Einwanderer spielt, wobei die „Postfaschisten“ sich bei diesem Thema eher relativ zurückhalten, arbeiteten Letztgenannte in den vergangenen Jahren vor allem an einer „Normalisierung“ und Banalisierung des Verhältnisses zur faschistischen Vergangenheit. Dabei sollen die Grenzen dessen, was als „normal“, als unproblematischer Teil der Nationalgeschichte, als positiv hochzuhaltendes und zu ehrendes Erbe gilt, durch ständige Vorstöbe verschoben werden – wobei im Laufe der Zeit ein gewisser Gewöhnungseffekt des Publikums gegenüber diesem Hinausschiebungseffekt einzusetzen droht. Mit Händen greifbar ist diese Relativierung der Schrecken der faschistischen Vergangenheit, bei gleichzeitigem Hervorkehren ihrer „positiven Aspekte“, in den so genannten Gründerstädten geworden. Letztere wurden unter dem Mussolini-Regime geschaffen, indem Sümpfe und ehemalige Malariazonen trocken gelegt wurden, und liegen vor allem im Süden Italiens. Auf diesem geschichtlichen Hintergrund behielt das Regime bei ihren Bewohnern auch im Nachhinein ein eher positives Andenken. Und auch weil dieser Teil des „Stiefels“ von den ärgsten Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg – die sich vor allem in Norditalien konzentrierten, da dessen Eroberung durch die Alliierten wesentlich  länger dauerte – tendenziell verschont blieb, so dass vor allem die „Aufbauarbeit“ der Mussolini-Ära bei den örtlichen Bevölkerungen im Gedächtnis verankert blieb. Dieses Phänomen hat seit langem existiert, und die Einwohner dieser Gründerstädte lieferten in Nachkriegsitalien oft einen Teil der sozialen Basis der damaligen Neofaschisten. Aber im vergangenen Jahr 2008 durchzog eine Debatte über die Rehabilitierung des „architektonischen Erbes des Duce“, angereichert mit ideologischen Diskussionssträngen über die „positiven Errungenschaften“ des faschistischen Italien, nun auch die überregionale Presse.

Gleichzeitig sprach der aus den Reihen der „Postfaschisten“ kommende Verteidigungsminister Iganzio La Russa sich im September 2008 in der Öffentlichkeit dafür aus, neben den antifaschistischen Partisanen der Jahre 1943-45 künftig auch die Kämpfer der Repubblica Sociale Italiana (RSI) zu ehren. Diese staatliche Struktur, auch als „Republik von Salo“ bekannt, war das am Gardasee installierte Marionettenregime Nazideutschlands unter Führung Mussolinis und des harten Kerns seiner Getreuen. Es wurde errichtet, nachdem das „offizielle“ Italien unter dem Königshaus – das infolgedessen durch die faschistischen Hardliner des „Verrats“ bezichtigt wurde und wird – 1943 vor den Alliierten kapituliert hatte. Die Frontkämpfer der RSI, so tönte der amtierende Minister La Russa im vorigen September, hätten auch nur ihre Pflicht getan und für ihre Ideale gekämpft. Vor kurzem hat La Russa, der damals noch der inzwischen aufgelösten AN angehörte, zudem im italienischen Parlament einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die „Jungen von Salo“ historisch rehabilitiert, mit den gegen den Faschismus kämpfenden Partisanen gleichstellt und den Überlebenden und Hinterbliebenen einen Soldatenrente zusichert. – Allerdings hat Regierungschef Silvio Berlusconi am Samstag, den 25. April erstmals an einer Feier zum Jahrestag zur Befreiung Italiens vom Faschismus (im April 1945) teilgenommen. Aus diesem Anlass begab er sich in das Dorf Onna in den Abruzzen, das vor kurzem durch ein Erdbeben nahezu zerstört worden ist.  Das aber auch der Schauplatz der Erschiebung von – als „Vergeltung“ für Partisanenaktionen – zu Geiseln erklärten Zivilisten durch die Nazis im Jahr 1944 war. Bislang hatte Berlusconi stets Auftritte am „Tag der Befreiung“ gemieden und erklärt, er habe „Besseres zu tun“. Doch in diesem Jahr nahm er die, so ein Sprecher, angesichts der schweren Erdbebenschäden manifest gewordene „nationale Solidarität“ zum Anlass, um sich zu der Jahrestagsfeier in die Abruzzen zu begeben. Dort ehrte er sogar die kommunistischen Partisanen unter den Antifaschisten von 1943-45. Allerdings ist zu befürchten, dass Berlusconi – der auch erklärte, es gelte „den Nationalfeiertag nicht der Linken zu überlassen“ – künftig versuchen wird, im Zeichen der neu aufgekommenen „nationalen Solidarität“ künftig politische Widersprüche „zuzukleistern“ und die früheren Fronten zwischen Faschisten und Antifaschisten zu überdecken.

Kooperation zwischen Nördlerfanatikern und österreichischer FPÖ

Zur Europaparlamentswahl könnte die Lega Nord insbesondere sehr eng mit der österreichischen FPÖ zusammenarbeiten. Dies möchte jedenfalls der derzeit alleinige Abgeordnete der FPÖ im Europaparlament, Andreas Mölzer, wie er am o9. April dieses Jahres ankündigte. Zur Begründung für eine verstärkte Kooperation nannte er Gemeinsamkeiten zwischen beiden Parteien insbesondere bei der „Volksgruppenpolitik“ – wobei „Volksgruppenrechte“ bei der Lega Nord vor allem jene der Bewohner einer relativ reichen Region bezeichnen, unter Abgrenzung sowohl von ärmeren Regionen als auch von „Ausländern“ – sowie bei den Themen „Islam“ und „Zuwanderung“. Andeas Mölzer strebt aber auch eine Zusammenarbeit mit italienischen „Postfaschisten“, vor allem ihrem rechtesten Flügel unter Alessandra Mussolini, an. Unterdessen kündigten die deutschsprachigen „Südtiroler Freiheitlichen“ im November 2008 ihre Zusammenarbeit mit der österreichischen FPÖ auf; sie werfen den italienischen Rechten Bestrebungen zur „Entgermanisierung“ der Region Südtirol vor. Am 22. April dieses Jahres allerdings wetterten Mölzer und die FPÖ in einer Presseaussendung, vor dem Hintergrund des Sprachenstreits in „Südtirol“, gegen „altfaschistische Reflexe“ auf italienischer Seite. U.a. fielen die Worte: „Meinungsfreiheit der Südtiroler Schützen wird eingeschränkt, aber Denkmäler dürfen den Handlangern Mussolinis huldigen.” (Vgl. http://www.fpoe.at/i Nun, wenn da mal nicht der nächste Streit unter Nationalisten vorprogrammiert ist…

Heftiger Konflikt zwischen den Bürgermeistern von Paris und Rom

Zu einem Aufsehen erregenden Schlagabtausch zwischen den amtierenden Bürgermeistern von Paris und Rom, Bertrand Delanoë (Sozialdemokrat) und Giannio Alemanno („Postfaschist“), kam es in der dritten Aprilwoche dieses Jahres.

Delanoë hatte am 23. April öffentlich angemerkt, dass die Präsenz des „postfaschistischen“ Bürgermeisters auf dem Chefsessel der römischen Hauptstadt ihm Probleme bereite. Sie stelle die guten Beziehungen zwischen den beiden Hauptstädten in Frage. Und die Stadtverordneten der Grünen hatten daraufhin offiziell das Einfrieren, also die Aussetzung, der (seit 1952 bestehenden) Städtepartnerschaft zwischen Paris und Rom gefordert. Bertrand Delanoë hatte seine Aussage darauf gestützt, dass es schwer falle, mit Leuten eine offizielle Freundschaft zu unterhalten, „die (ihre Amtszeit) mit dem Faschistengruß beginnen“. Daraufhin hatte sein Amtskollege Alemanno zurückgekoffert: „Was der Bürgermeister von Paris sagte, ist falsch, beleidigend und nicht duldbar.“ Zwei italienische Minister der Rechts-Rechts-Regierung, Franco Frattini (Außenminister im Kabinett Berlusconi) und Andrea Ronchi (für europäische Angelegenheiten zuständiges Kabinettsmitglied), forderten daraufhin eine „sofortige öffentliche Entschuldigung“. Die italienische Seite bezichtigt nun die französische, die bei ihrer Darstellung bleibt, der Lüge.

Wer hat nun Recht? Tatsächlich hat Alemanno seine Amtszeit nicht durch Zeigen des faschistischen Grußes eröffnet. Es waren einige seiner Anhänger, die bei Bekanntwerden seines Wahlsiegs (im April 2008) vor dem Capitol mit dem so genannten „römischen Gruß“ posierten und sich mit selbigem fotographieren ließen.
 

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor.