Das Philosophische Wörterbuch  BAND 2

hrg. von Georg Klaus & Manfred Buhr

06/09

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Parteilichkeit - Wesenszug aller Formen des gesellschaftlichen Bewußtseins in der Klassengesellschaft, Ausdruck ihres Klassencharakters und ihrer Klassengebundenheit.
 
In der marxistisch-leninistischen Philosophie und Wissenschaft ist die Parteilichkeit zugleich ein bewußt angewandtes theoretisch-methodisches Prinzip, das den objektiven Wahrheitsgehalt, das kämpferische, revolutionäre Wesen und die konsequente offene Parteinahme des Marxismus-Leninismus für die Sache der Arbeiterklasse, den Sozialismus und Kommunismus, für den Fortschritt der Menschheit überhaupt deutlich macht.

Den Schlüssel zum Verständnis der Parteilichkeit als Ausdruck der Klassengebundenheit einer Ideologie liefert der historische Materialismus. Durch ihn ist erstmals in der Geschichte der Philosophie und Wissenschaft der gesetzmäßige, dialektische Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Sein und dem gesellschaftlichen Bewußtsein wissenschaftlich, d. h. dialektisch-materialistisch, aufgedeckt und begründet worden. Da das gesellschaftliche Bewußtsein durch das gesellschaftliche Sein bestimmt wird, kann es in einer Gesellschaftsordnung, die auf Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht und demzufolge in antagonistische Klassen, in Besitzende und Besitzlose, Ausbeuter und Ausgebeutete, Herrschende und Unterdrückte gespalten ist, kein einheitliches, alle Glieder dieser Gesellschaftsordnung in gleicher Weise verbindendes und verpflichtendes gesellschaftliches Bewußtsein geben. Die Existenzbedingungen der Klassen, ihre Stellung und Rolle in der betreffenden Gesellschaftsordnung und im Gesamtverlauf der Geschichte, ihre ökonomischen und politischen Interessen und Ziele bestimmen jeweils die Philosophie und Moral der Klassen wie auch alle anderen Formen ihres Bewußtseins. Ihren allgemeinen ideellen Widerschein finden die Klassenkämpfe jeweils in den philosophischen Parteienkämpfen, besonders in den Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern des Materialismus und denen des Idealismus. In ihnen reflektieren sich in abstrakter Gestalt die Gegensätze und Kämpfe zwischen progressiven, aufstrebenden Klassen, deren Weltanschauungen in der Regel materialistisch sind oder zum Materialismus tendieren, und den reaktionären, untergehenden Klassen, deren Weltanschauungen in der Regel idealistisch sind. So äußerte sich etwa die ökonomische und politische Emanzipationsbewegung der emporkommenden Bourgeoisie und deren Kampf gegen die feudal-absolutistischen Ideologien und Institutionen in einem vielgestaltigen Geltendmachen materialistischer Weltanschauungen und weltanschaulicher materialistischer Motive: im Rahmen der Renaissancephilosophie und des frühbürgerlichen Humanismus, in Gestalt des Empirismus und des mechanischen Materialismus.

Die entscheidende Erscheinungsform des philosophischen Parteienkampfes in unserer Epoche ist der Kampf zwischen dem dialektischen und historischen Materialismus, der marxistisch-leninistischen Philosophie, der Weltanschauung der Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen Menschen einerseits und den verschiedenen Spielarten des philosophischen und religiösen Idealismus, dem weltanschaulichen Rüstzeug der untergehenden Bourgeoisie andererseits - in allgemeiner Form: zwischen sozialistischer und bürgerlicher Ideologie.

Wie die gesellschaftlichen Gegensätze zwischen fortschrittlichen und reaktionären Klassen, zwischen Bourgeoisie und Feudaladel in der Epoche des beginnenden Kapitalismus und zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie im Kapitalismus und in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus unversöhnlich sind, so sind auch die philosophischen Gegensätze zwischen Materialismus und Idealismus unversöhnlich. Ebenso wenig, wie zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen Kapitalismus und Sozialismus-Kommunismus ein «dritter Weg» möglich ist, ebensowenig kann es ihn zwischen der einheitlichen, in sich geschlossenen Philosophie des dialektischen und historischen Materialismus und der auf ihm begründeten sozialistischen Ideologie einerseits und den vielfältigen Formen der bürgerlichen Ideologie andererseits geben. «In einer Gesellschaft der Lohnsklaverei eine unparteiische Wissenschaft zu erwarten, wäre eine ebenso törichte Naivität, wie etwa von den Fabrikanten Unparteilichkeit zu erwarten in der Frage, ob man nicht den Arbeitern den Lohn erhöhen sollte, indem man den Profit des Kapitals kürzt» (lenin, Werke 19, 3). Jeder Versuch, bürgerliche und sozialistische Ideologie miteinander zu versöhnen, endet unvermeidlich in der bürgerlichen Ideologie und dient in letzter Instanz den Klasseninteressen der imperialistischen Bourgeoisie. Darum kann «die Frage nur so stehen: bürgerliche oder sozialistische Ideologie. Ein Mittelding gibt es nicht (denn eine .dritte' Ideologie hat die Menschheit nicht geschaffen, wie es überhaupt in einer Gesellschaft, in der Klassengegensätze existieren, niemals eine außerhalb der Klassen oder über den Klassen stehende Ideologie geben kann). Darum bedeutet jede Herabminderung der sozialistischen Ideologie, jedes Abschwenken von ihr zugleich eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie» (Lenin 5, 396).

Wenn auch bereits alle vormarxistischen Philosophien und Ideologien überhaupt das Moment der Parteilichkeit als Ausdruck ihres Klassencharakters und ihrer Klassengebundenheit implizierten, so haben doch erst die marxistisch-leninistische Philosophie und Wissenschaft ihren Klassencharakter, ihre Parteinahme für die Sache der Arbeiterklasse und den historischen Fortschritt der Menschheit offen, klar und eindeutig ausgesprochen und das ihnen objektiv innewohnende Wesensmerkmal der Parteilichkeit zu einem bewußt angewandten theoretisch-methodischen Prinzip der wissenschaftlichen Forschung und des Klassenkampfes (in allen seinen Formen) entwickelt. Allen dem Marxismus vorausgegangenen Ideologien, die die Interessen, Bestrebungen und Ziele ausbeutender und herrschender Klassen zum Ausdruck brachten, war die Tendenz gemeinsam, ihre Klassengebundenheit und Parteilichkeit weitgehend hinter «höheren» Prinzipien, wie «Gott», «Idee», «Natur» usw., bewußt oder unbewußt zu verbergen, die gegebenen Ausbeutungsverhältnisse nach dem «Gesetz» oder auch dem «Willen» dieser «höheren» Prinzipien zu rechtfertigen und ihre Standpunkte und Lehren, obwohl ideologischer Reflex der Lebensinteressen bestimmter Klassen und Schichten, für absolut gültige, allgemeinmenschliche und für alle Menschen verbindliche auszugeben. Dies gilt in verstärktem Maße für die Philosophie und Ideologie der imperialistischen Bourgeoisie. Hinter ihrem Anspruch auf «überparteiliche Objektivität» verbirgt sich einmal das Bestreben, den apologetischen, auf die Sanktionierung und Verewigung der bestehenden monopolkapitalistischen Zustände orientierten Charakter der Philosophie und Ideologie in der Epoche des Imperialismus zu verdecken und dem tatsächlichen, in dieser Philosophie und Ideologie zum Ausdruck kommenden Klassenegoismus und Klassensubjektivismus der untergehenden Bourgeoisie den Rang des Normativen zu verleihen. Zum anderen zielt die von den Ideologen der imperialistischen Bourgeoisie vorgegebene Unparteilichkeit darauf ab, der zunehmenden Hinwendung immer breiterer Massen der Werktätigen zu den von der marxistisch-leninistischen Philosophie und sozialistischen Ideologie verkündeten sozialistischen Zielen entgegenzuwirken, den Prozeß ihrer progressiven weltanschaulichen Entscheidung zu hemmen und die Fiktion der Möglichkeit weltanschaulicher Neutralität, philosophischer und ideologischer Koexistenz und Unparteilichkeit aufrechtzuerhalten, um die von ihr ausgebeuteten Massen und die von ihr abhängige Intelligenz um so fester an die Ideologie der imperialistischen Reaktion zu binden. «Die Verurteilung ... der Parteilichkeit ... ist schon offensichtliche Parteilichkeit» (lenin 11, 64). «Die Parteilosigkeit ist in der bürgerlichen Gesellschaft nur ein heuchlerischer, verhüllter, passiver Ausdruck der Zugehörigkeit zur Partei der Satten, zur Partei der Herrschenden, zur Partei der Ausbeuter, Parteilosigkeit ist eine bürgerliche Idee. Parteilichkeit ist eine sozialistische Idee» (Lenin 10, 66). Erscheinungsformen bürgerlich-imperialistischer Parteilichkeit und damit eines scheinwissenschaftlich begründeten Klassensubjektivismus sind in der gegenwärtigen bürgerlichen Ideologie solche Momente wie Unglaube in bezug auf den gesellschaftlichen Fortschritt, Leugnung erkennbarer und vom Menschen beherrschbarer gesellschaftlicher Entwicklungsgesetze, Negierung und Ablehnung des Klassenkampfes als Grundtatbestand der historischen Entwicklung, Erkenntnispessimismus, Negierung der fortschreitenden Naturerkenntnis und Naturbeherrschung, Unglaube in bezug auf die Macht der menschlichen Vernunft, Entwicklung von agnostizistischen Erkenntnistheorien, Verkündung von irrationalistischen Weltanschauungen und Erhebung des Irrationalismus zu einer philosophischen Methode, Proklamierung der Versöhnbarkeit von Wissenschaft und Religion, jede Form des Antihumanismus und Antikommunismus. All diese für die Ideologie der imperialistischen Bourgeoisie charakteristischen Momente werden als Resultate «überparteilichen», «objektiven» Philosophierens und wissenschaftlichen Forschens verkündet. Tatsächlich tragen sie jedoch deutlich das Gepräge imperialistischer Klasseninteressen und sind ideologischer Reflex der ausweglosen gesellschaftlichen Lage der imperialistischen Bourgeoisie in der allgemeinen Krise des Kapitalismus.

Die Parteilichkeit der heutigen bürgerlichen Philosophie und Ideologie, die sich, mehr oder weniger verschleiert, in der Parteinahme für die ökonomischen, politischen und ideologischen Interessen der imperialistischen Bourgeoisie ausdrückt, kann niemals in Übereinstimmung mit dem gesamtgesellschaftlichen Fortschritt und der wissenschaftlichen Wahrheit stehen. Das ergibt sich aus der gesellschaftlichen Stellung und Rolle der Bourgeoisie und den historisch-klassenmäßig bedingten Erkenntnisschranken der bürgerlichen Ideologie. Wie die Bourgeoisie nach Erfüllung ihrer progressiven gesellschaftlichen Funktion - der Vernichtung des Feudalismus und der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise - immer mehr in Gegensatz zur objektiven historisch-gesellschaftlichen Entwicklung geriet, so gerieten auch ihre philosophischen und ideologischen Repräsentanten in Gegensatz zum wissenschaftlichen Fortschritt, zum objektiven Gang der Geschichte und zur wissenschaftlichen Wahrheit. Der qualitativ neuen geschichtlichen Mission der Arbeiterklasse als des Schöpfers der von Ausbeutung freien sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft entsprechen die neuen Qualitäten ihrer Philosophie, des dialektischen und historischen Materialismus. Die von der Philosophie und Ideologie der Arbeiterklasse implizierte Parteilichkeit ist eine Parteilichkeit neuen Typus gegenüber der Parteilichkeit in allen vorausgegangenen Ideologien. Sie trägt ein prinzipiell neues Gepräge, das aus ihrem qualitativ neuen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Inhalt resultiert. Sie enthält nicht mehr das Moment des Klassensubjektivismus; denn die Interessen und Ziele der Arbeiterklasse stehen in Übereinstimmung mit dem objektiven Entwicklungsgang der Geschichte. Die Parteinahme für die Interessen der Arbeiterklasse ist gleichbedeutend mit der Parteinahme für den gesamtgesellschaftlichen Fortschritt. Da der revolutionäre Kampf der Arbeiterklasse um die Errichtung einer menschenwürdigen, von Ausbeutung freien sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung sich auf wissenschaftlicher Grundlage vollzieht, fällt die Parteinahme für diesen Kampf mit der wissenschaftlichen Objektivität in eins. Parteilichkeit und Wissenschaftlichkeit schließen in der sozialistischen Ideologie einander nicht aus, sondern sind zwei einander wechselseitig bedingende wesentliche Momente der sozialistischen Ideologie im allgemeinen und des dialektischen und historischen Materialismus im besonderen. Die Arbeiterklasse ist zum entscheidenden Träger des gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und philosophischen Fortschritts der Gegenwart geworden. Ihrer Ideologie haften keinerlei Schranken mehr an, die - wie bei der imperialistischen Bourgeoisie - zu Entstellungen der wissenschaftlichen Wahrheit oder zu einem Hindernis für ihre volle Entfaltung führen könnten. «Im Gegenteil, je unbefangener und rücksichtsloser die Wissenschaft vorgeht, desto mehr befindet sie sich im Einklang mit den Interessen und Strebungen der Arbeiter» (Marx/Engels 21, 307). In theoretisch-methodischer Hinsicht fordert das Prinzip der Parteilichkeit die konsequente Durchführung des Klassenstandpunktes der Arbeiterklasse in allen Bereichen des Klassenkampfes und der Wissenschaft, vor allem die konsequente Orientierung auf die wissenschaftliche und praktische Bewältigung der vielfältigen neuen Probleme, die aus der gegenwärtigen Epoche, aus dem Kampf zwischen Imperialismus und Sozialismus, zwischen Krieg und Frieden, für den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus erwachsen. Zugleich schließt das Prinzip der Parteilichkeit für den Marxismus-Leninismus den konsequenten Kampf gegen alle Formen der reaktionären bürgerlichen Ideologie ein und damit auch gegen jeden Versuch, einer ideologischen Koexistenz oder der Ideologie eines «dritten Weges» das Wort zu reden. Die Parteinahme für die Arbeiterklasse und die Verwirklichung ihrer geschichtlichen Ziele erfordert den beharrlichen und entschiedenen Kampf gegen alle jene Kräfte, die den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und den Aufbau des Sozialismus und Kommunismus mit ideologischen Mitteln aufzuhalten suchen oder aufhalten - gegen die verschiedenen Spielarten der reaktionären imperialistischen Ideologie, gegen Idealismus, Mystizismus und Religion, gegen Revisionismus und Dogmatismus. Die Geschichte des Marxismus-Leninismus ist zugleich die Geschichte des unversöhnlichen Kampfes des dialektischen und historischen Materialismus, der sozialistischen Ideologie überhaupt gegen die verschiedenen Formen der bürgerlichen und revisionistischen Ideologie, gegen ihre Entstellungen der gesellschaftlichen Entwicklung, der Geschichte, der Ergebnisse der Naturwissenschaften.

Parteilichkeit für die Interessen der Arbeiterklasse schließt so den allseitigen Kampf gegen jede Form bürgerlicher Ideologie ein, zugleich aber auch die Aufbewahrung und Fortentwicklung all dessen, was die Menschheit in ihrer geschichtlichen Entwicklung an Vorwärtsweisendem und Bleibendem hervorgebracht hat, um es für die Formung des weltanschaulichen und kulturell-ideologischen Bewußtseins des sozialistischen Menschen unserer Epoche fruchtbar zu machen.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde entnommen aus:

Buhr, Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970, S.819ff

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