Am
19. Juni soll der Arbeitsgericht über die Entlassung von Emmely
entscheiden. Sie arbeitet seit 31 Jahren als Kassiererin in
einem Kaiser’s in Hohen Schönhausen. Ihr wird vorgeworfen, zwei
Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro falsch abgerechnet zu
haben. In Wirklichkeit geht es darum, die Beschäftigten der
Filiale einzuschüchtern und vom Streik abzuhalten. Emmely war
die letzte ihrer Filiale, die sich noch zu streiken traute.
Das Scenario einer
Tarifverhandlungen scheint wohl bekannt. Die Gewerkschaft
fordert eine Lohnerhöhung von X%. Die Arbeitgebern finden es ist
zu viel. Um deren Position abzulenken wird es demonstriert oder
gestreikt. Heimliche Verhandlungen sorgen für Suspens in den
Medien. Nach einiger Zeit ist man sich aber einig. Ouf ! Zwar
sieht die Lohnerhöhung mager aus. Aber das Leben kann weiter ihr
Kurs laufen. Die Demokratie ist gerettet.
Schaut man in die Kulissen des seit mehr als einem Jahr
dauernden Tarifkonfliktes im Einzelhandel hinein, entdeckt man
eine ganz andere Realität. Dort trifft man vor allem Menschen,
genauer Frauen. Aus Verzweiflung haben viele den Kampf
aufgegeben. Während andere dazu gezwungen wurden. So Emmely, 50
Jahre, seit 31 Jahren in einer Kaiser’s Filiale beschäftigt.
Als sie dort als Verkauferin zu arbeiten anfing, handelte es
sich um einen staatlichen Laden der DDR. Nach der Wende wurden
viele Arbeitsplätze abgeschafft, so dass die Beschäftigten immer
intensiver arbeiten mussten. Die Arbeitszeit wurde gekürzt, die
Schichten flexibilisiert. Verkauferinnen wurden zu
Kassiererinnen. Und die Löhne immer geringer. Wie viele andere
alleinerziehende Müttern musste sich Emmely anpassen. Bei der
hohen Arbeitslosigkeit kann man sich über eine Festanstellung
und deren dazugehörigen Sozialversicherung nur freuen. Im
Supermarkt wurden dennoch die Restruktierungen fortgesetzt:
heute arbeiten neben Festangestellten billig bezahlten
Studenten, Leiharbeiten und Honorarkräfte. Teure
Langfristigangestellte wie Emmely werden zur Tür geschubst.
Als Ende 2006 die Arbeitgebern des Einzelhandels den
Tarifvertrag kündigten, weil sie die Zuschläge für Spät- und
Nachtarbeit (gerade wo die Öffnungszeiten verlängert werden),
das Urlaub und Weihnachtsgeld nicht mehr bezahlen wollen, dachte
Emmely: jetzt geht es zu weit. Mit anderen Kolleginnen streikte
sie. Am Anfang haben sie sich stark gefühlt. Sie sind
demonstrieren gegangen, konnten in der Öffentlichkeit über ihre
Problemen erzählen. Sie waren vertrauensvoll, denn sie wissen,
sie sind richtig. Jede Arbeit muss sein Lohn kriegen. Wird das
Leben teurer, erwirtschaften die Supermärkte mehr Profite, dann
müssen sie auch besser bezahlt werden. Und nicht das Gegenteil,
es ist logisch.
Während des Streiks haben aber die Supermärkte Leiharbeitern
eingesetzt. Die Medien interressierten sich wenig für ihren
Kampf. Sodass er kaum Wirkung hatte. Zurück bei der Arbeit
wurden sie von der Geschäftsführung durch Gespräche und
Kontrolle eingeschüchtert. Januar 2008 war Emmely die Letzte in
der Filiale, die sich noch getraut hat, weiter zu streiken. Dann
musste sie diese wahnsinnige Geschichte mit dem Leergutbon und
der fristlosen Verdachtskündigung erleben. Das stand nicht im
Scenario der Tarifverhandlung. Dafür ist noch kein «Happy End»
zu sehen, wenn überhaupt.
Der Skandal beginnt damit, dass schon die unbewiesene
Behauptung, Pfandbons über 1,30 € nicht korrekt eingelöst zu
haben, die Existenzgrundlage einer Beschäftigten, die 31 Jahren
im selben Betrieb arbeitete, vernichten können soll. Das
deutsche Arbeitsrecht lässt zu, dass Beschäftigten bereits auf
Grund eines dringenden Tatverdachts gekündigt werden kann, die
sogenannte Verdachtskündigung. Damit kann der Kündigungsschutz
von Beschäftigten mit Hilfe von unbewiesenen Beschuldigungen
ausgehebelt werden. Dies wird von Arbeitgebern immer wieder
genutzt, um unliebsame Beschäftigte los zu werden.
Der erste Kammertermin in diesem Verfahren findet am 19. Juni um
10:15 Uhr in Raum 213 im Arbeitsgericht am Magdeburgerplatz 1
statt. Die Verhandlung ist öffentlich. Unterstützung ist
willkommen.
Kaiser's muss die Kündigung zurücknehmen und sie wieder
einstellen. «Ich verfolge den Kampf, bis ich mein Recht gekriegt
habe», sagt Emmely.
Sie müssen nicht bei Kaiser's einkaufen: Sagen Sie Ihrer
Filialleitung die Meinung zur Kündigung von Emmely und gehen sie
woanders einkaufen bis die Kündigung zurückgenommen ist.
Wir dokumentieren:
Komitee "Solidarität mit
Emmely" Berlin, den 19.06.2008
Hans Köbrich , 0177 - 867 81 59
Gregor Zattler , 030 - 29 77 92 51
Pressemitteilung
Kassiererin streikt – Kaiser's kündigt
Erstes Kündigungsschutzverfahren: 2. Kammer des Berliner
Arbeitsgerichts setzt Beweisaufnahme für 21.08.2008 an.
Heute hat die zweite Kammer des
Berliner Arbeitsgerichts unter Vorsitz von Richter Axel
Schleusener die Kündigungsschutzklage von Barbara E. (genannt
Emmely) verhandelt. Emmely hatte auf Aufforderung von ver.di in
der seit einem Jahr geführten Tarifauseinandersetzung im
Einzelhandel gestreikt. Am 22.02.2008 wurde ihr nach 31 Jahren
Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt: sie habe zwei
Pfandbons für 1,30 € eingelöst, ohne sie vorher abzeichnen zu
lassen.
Zu Beginn der Verhandlung machte
Richter Schleusener, auch an die über 30 Zuschauer gerichtet,
deutlich, dass die Kammer über einen Fall (möglichen)
vollendeten Betruges urteile, der losgelöst von dem
Streikhintergrund verhandelt werden müsse. Er legte Emmely nahe,
auf das Vergleichsangebot von Kaiser's einzugehen, die fristlose
in eine fristgemäße Kündigung zum 30.09.2008 umzuwandeln. Damit
deutete er an, dass die Kammer bereits ohne Beweisaufnahmen der
Auffassung ist, dass die Klage erfolglos bleiben müsse. Er
verwies auf das „Bienenstichurteil“ des Bundesarbeitsgerichts
vom 17.5.1984 (2 AZR 3/83, DB 1984 S. 2702) das die fristlose
Kündigung einer Bäckereiverkäuferin, die ein unbezahltes Stück
Kuchen gegessen hatte, bestätigte.
Der Anwalt von Emmely, Benedikt
Hopmann, führte aus, dass er entgegen der herrschenden
Rechtssprechung Kündigungen aufgrund geringfügigster
Eigentumsdelikte für unvertretbar hält,
im vorliegenden Fall kein dringender Tatverdacht bestehe und die
Kündigung auch deshalb gegenstandslos sei, seine
Mandantin alle Vorwürfe zurückweise, der Kaiser's-Betriebsrat in
seinem Widerspruch gegen die Kündigung von Emmely, ausdrücklich
auf den Zusammenhang mit dem Streik und die Möglichkeit einer
Manipulation hinwies,
Emmely den vorgeschlagenen
Vergleich ablehnt und auf Rücknahme der Kündigung besteht.
Ergebnis des ersten
Verhandlungstages: Die zweite Kammer des Berliner
Arbeitsgerichts setzte die Beweisaufnahme für den 21.08.2008 an.
Im Publikum gab es Empörung über
die Verhandlungsführung des Richters Schleusener. „Der Richter
hat den Anwalt der Kassiererin immer wieder unterbrochen und die
Sicht der Arbeitgeberseite übernommen“ meinte Willi Hajek, ein
Prozessbeobachter.
„Mich hat überrascht, dass im
Publikum jemand von der Security Firma war, die vorletzte Woche
gegen unsere Streikaktion bei Reichelt eingesetzt wurde. Er hat
uns vor und nach dem Gerichtstermin beobachtet. Ich dachte, die
bespitzeln nur die Belegschaft!?“ sagte Emmanuelle, eine
Unterstützerin des ver.di -Einzelhandelsstreiks.
„Dass es Verdachtskündigungen
ohne Beweis überhaupt geben kann, ist für mich der eigentliche
Skandal. Es spricht Bände über das deutsche Arbeitsrecht, dass
Emmely nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit wegen popeliger 1,30
€ die soziale Existenzgrundlage entzogen wird. Sie hat schon vor
einem Urteil vom Amt die Aufforderung bekommen, sich eine
billigere Wohnung zu suchen“ erklärte Gregor Zattler vom Komitee
„Solidarität mit Emmely“.
„Wir stellen wir uns auf eine
längere Auseinandersetzung ein. Dabei geht es uns nicht nur
darum, die skandalöse Rechtssprechung des BAG in Frage zu
stellen, sondern auch darum Emmely juristisch und materiell zu
unterstützen. Sollte der fristlosen Kündigung stattgegeben
werden, bedeutet das für sie eine Sperre beim Arbeitsamt“ sagte
der IG Metaller Hans Köbrich. „Ich verstehe nicht, warum kein
offizieller Vertreter von ver.di da war, schließlich hatte ja
ver.di zum Streik aufgerufen“ meinte er.
Editorische
Anmerkungen
Den Text
erschien bei Indymedia am 19.6.08. Wir spiegelten.
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