Stichwort Irland & die EU
Danke, Irland! - Linke und Soziale Bewegungen begrüßen die Ablehnung des Europas der Milliardäre und Militärs

06/08

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Das irische Nein zum Lissabon-Vertrag muss von den EU-Eliten akzeptiert
werden.

Von Edith Bartelmus-Scholich

Drei Jahre nach dem Scheitern der EU-Verfassung am Nein der Niederländer und Franzosen haben die EU-Eliten erneut eine Niederlage erlitten: Beim Referendum in Irland über den Vertrag von Lissabon - den Ersatz für die gescheiterte Verfassung - stimmte eine klare Mehrheit mit "Nein".

In dem Referendum hätten 53,4 Prozent den Vertrag abgelehnt, 46,6 Prozent hätten mit "Ja" gestimmt, berichtete das irische Sender RTE unter Berufung auf das offizielle Endergebnis. Die Wahlbeteiligung lag bei 45 Prozent. Die Gegner des Vertrags liegen vor allem in ländlichen Gebieten vorn, aber auch in städtischen Arbeitervierteln. In Wahlbezirken in Dublin mit mittelständischer Einwohnerschaft zeichneten sich dagegen Gewinne für die Befürworter ab.

Die irische Ablehnung des Vertrages ist nicht als Absage an die Europäische Union zu werten. Bei der jüngsten Umfrage der EU-Kommission sagten drei von vier Befragten in Irland, die EU-Mitgliedschaft ihres Landes sei eine gute Sache. Vielmehr haben die Iren stellvertretend für die 26 Länder in denen kein Referendum durchgeführt werden muss, ein Europa der Milliardäre und Militärs abgelehnt. Diese Meinung teilen auch viele Organisationen und Einzelpersonen aus den linken und sozialen Bewegungen in Deutschland und Europa. Gleichzeitig betonten viele von ihnen, dass die Situation nun wieder völlig offen sei und sich Chancen für eine demokratische, soziale und friedliche EU bieten würden.

Nein zur Militarisierung der Union

So meint der EU- Abgeordnete Tobias Pflüger (MdEP, DIE LINKE), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses (AFET) und Koordinator der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des Europäischen Parlaments: "Nun muss das NEIN zum Lissabonner Vertrag von den EU-Eliten akzeptiert werden. Da es sich beim Lissabonner Vertrag nur um eine leicht veränderte Variante des alten EU-Verfassungsvertrages handelte, der in Frankreich und den Niederlande abgelehnt worden war, ist es nun an der Zeit, dieses Vertragswerk aufzugeben. Dieser EU-Vertrag (Lissabonner Vertrag oder EU-Verfassungsvertrag) ist nun endgültig tot, dies müssen alle (EU-Rat, EU-Kommission, die diversen EURegierungen und die Mehrheit des Europäischen Parlamentes), die so getan haben, als ob er schon in Kraft sei, akzeptieren. Ein herausragendes Thema bei der Debatte in Irland über den Lissabonner Vertrag war die Kritik an der mit dem Lissabonner Vertrag einhergehenden Militarisierung der Europäischen Union (Eigenständiger EU-Militärhaushalt, Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, enge NATO/EU-Zusammenarbeit, Solidaritätsklausel, Aufrüstungsverpflichtung etc.). Auch hier müssen die EU-Eliten endlich eingestehen, dass die Kritik an der Militarisierung der EU - insbesondere in den noch neutralen EU-Staaten - wie Irland, aber auch weit darüber hinaus geteilt wird. Deshalb: Stopp des Ausbaus der EU zu einem Militärbündnis! Das irische NEIN bringt eine völlige neue Situation in der Europäischen Union. Das Ergebnis des Referendums in Irland ist keine Katastrophe, wie jetzt beschworen wird, sondern eine Chance, es eröffnet die Möglichkeit für einen Diskussionsprozess unter breiter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der EU über die Zukunft dieser Europäischen Union. Damit bekommt die Vision einer wirklich demokratischen, sozial gerechten und friedlichen Europäischen Union noch einmal eine Chance."

Der Bundesausschuss Friedensratschlag führt das irische Nein ebenso auf die Ablehnung der Militarisierung der Union zurück. In einer Erklärung seines Sprechers, Peter Strutynski heißt es: "Der Lissaboner Vertrag enthielt u.a. folgende Gefahren:

  • die EU-Mitgliedstaaten sollten sich verpflichten, ihre militärischen
    Fähigkeiten "schrittweise zu verbessern" (Art. 28c);
  • es sollte eine "Europäischen Verteidigungsagentur" gegründet werden, die
    "Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des
    Verteidigungssektors" ergreifen soll (Art. 28a, Ziff. 3)(die "Verteidigungsagentur" arbeitet bereits seit 2004 - also ohne vertragliche Grundlage);
  • es sollten "besonderer Verfahren (angewandt werden), um den schnellen Zugriff auf die Haushaltsmittel der Union zu gewährleisten", damit Militäreinsätze ("Missionen") durchgeführt werden können; hierfür sollte ein sog. "Anschubfonds" gebildet werden;
  •  "Schnelle Eingreiftruppen" und sog. Battle groups (Schlachtgruppen) für Kampfeinsätze in aller Welt sollten gebildet werden (auch sie gibt es bereits!);
  • der Tatbestand des "Terrorismus" sollte mit militärischen Mitteln (d.h. mit Krieg) beantwortet werden;
  • die Machtlosigkeit des Europäischen Parlaments in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik sollte bestehen bleiben: Das EP wird in Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik lediglich informiert und angehört; Entscheidungen trifft ausschließlich der Rat (also die "Exekutive" der EU);
  • der ganze Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik bliebe rechtsstaatlicher Kontrolle entzogen; nach Art. 240 ist der Gerichtshof der Europäischen Union hierfür "nicht zuständig"." Und: "Der Weg in die Militärunion muss umgekehrt werden. Die EU muss sich ganz auf ihre zivilen und sozialen Traditionen und Tugenden besinnen. Dann braucht sie keine Furcht mehr vor Volksabstimmungen haben."

Absage an Europa der Milliardäre

Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat das Nein der Iren zum EU-Reformvertrag (Vertrag von Lissabon) begrüßt. "Der Vertrag hätte die neoliberale Schlagseite der Europäischen Union auf Kosten der Mehrheit der europäischen Bürgerinnen und Bürgern für lange Zeit festgeschrieben sowie die weitere Militarisierung der EU vorangetrieben", sagte Gerold Schwarz, Sprecher der EU-Arbeitsgemeinschaft von Attac Deutschland. Attac kritisierte allerdings auch die No-Kampagne der irischen Rechten, die auf eine falsch verstandene nationale Souveränität ausgerichtet war. "Wir lehnen den Vertrag ab, weil er falsche und nicht weil er zu viele gemeinsame Regeln festlegt. Um die negativen Folgen der neoliberalen Globalisierung für die große Mehrheit der Menschen abzumildern, brauchen wir den Schutz sozialer Rechte und Standards sowie Mindeststeuersätze und einheitliche Bemessungsgrundlagen in Europa", sagte Sven Giegold vom bundesweiten Attac-Rat. Stattdessen hätte der Vertrag den Wettlauf der EU-Mitgliedsstaaten um die niedrigsten Sozialstandards, Löhne und Unternehmenssteuern festgeschrieben und fast ausschließlich die Interessen der Konzerne und Kapitalbesitzer bedient.

"Während immer mehr Menschen durch die sozialen Netze fallen, organisiert die Europäische Union bereits heute einen gnadenlosen Standortwettbewerb", sagte Gerold Schwarz. Soziale Gerechtigkeit müsse endlich ganz oben auf die europäische Tagesordnung. Ein soziales, demokratisches und friedliches Europa sei weder auf der Grundlage der bestehenden Verträge noch mit dem EU-Reformvertrag zu haben. Dies sei die eigentliche Ursache der zunehmenden Europaskepsis.

Demokratiedefizit sichtbar gemacht

Mit "Danke Irland!" würdigte das Sekretariat der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung die Ablehnung des Lissabon - Vertrags. In einer Erklärung schreibt Angela Klein für die Europäischen Märsche: "Der Mangel an Demokratie war offenbar einer der Hauptgründe für die irische NEIN. Nach dem Nein aus Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag hätte die EU die Chance gehabt, in einen wirklichen Dialog mit der Bevölkerung zu treten und ihre Anliegen zu hören. Das aber war nicht gewollt. Im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon bleibt hinter der Verfassung vieler Mitgliedstaaten zurück und setzt diese de facto
außer Kraft, ohne die für solche Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheiten. Für 90% aller Rechtsnormen sollte das weitaus undemokratischere EU-Recht als das höherrangige gelten. Was das praktisch bedeutet, konnten wir zuletzt am Beispiel der Entsenderichtlinie erfahren, die nationale Tariflöhne aushebelt. ... Die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung werben seit langem dafür, dass wir diesem Modell der EU ein anderes Modell entgegen setzen: das eines demokratischen, auf dem Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungen seiner
Mitgliedstaaten beruhenden, gegen über den Völkern des Südens offenen, friedlichen und sozialen Europa." Diese Kritik am Lissabon - Vertrag teilt auch der Vorsitzende der Partei DIE LINKE und der Europäischen Linkspartei, Lothar Bisky. Er resümiert: "Eine Europäische Union gegen den Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wird es nicht geben. Die Regierenden sind gut beraten, auch in der EU vom Grundsatz der Volkssouveränität auszugehen."

Des ungeachtet zeigten sich Repräsentanten der EU-Eliten und die bürgerlichen Parteien, egal welcher Couleur nur verärgert. Überwiegend lassen ihre Äußerungen darauf schließen, dass sie ihren Kurs nicht korrigieren wollen. Die deutsche und die spanische Regierung kündigten bereits an, das Ratifizierungsverfahren fortsetzen zu wollen. Es wird die nächste Aufgabe der Gegner des Vertrages sein, europaweit durchzusetzen, dass die EU-Eliten das irische Nein akzeptieren und den Weg für ein Europa der Millionen frei machen.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir von Edith Bartelmus-Scholich am 13.6.08.

Edith Bartelmus-Scholich
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