Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Unterwegs im Auftrag des Kapitals

06/08

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Am 05. Juni sendete Panorama eine Reportage über die Bespitzelung von Hartz-IV-Empfängern durch „Außendienstmitarbeiter“ der „ARGEN“ – Arbeitsgemeinschaft von Arbeitsagentur und Kommunen. (Download, Manuskript als PdF)

Die vorgestellten Fälle machen deutlich in welche Richtung sich der bürgerliche Staat entwickelt und was vom „Sozialstaat“ durch die „Reformen“ der Hartz-IV-Parteien, allen voran der SPD und den Grünen, immer häufiger übrig bleibt: Schikane von Arbeitslosen!

In Anbetracht solcher Bespitzelungen und Schikanen verschlägt einem die Dreistigkeit, mit der Bezieher von Arbeitslosengeld II als „Kunden“ bezeichnet werden, die Sprache! Das ist der pure Hohn selbst auf die normal-bürgerliche Tausch-Beziehung zwischen Kunden und Leistungsanbietern. 

Ein Leistungsempfänger hatte es z.B. gewagt, einem Spitzel der ARGE den Zutritt zu seiner Wohnung zu verwehren und eine vorherige Anmeldung des „Besuchs“ verlangt. Zur Strafe wurde ihm das Arbeitslosengeld II komplett gestrichen.

Begründung eines Mitarbeiters der ARGE Viersen vor laufender Kamera:

„Da er vom Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung Gebrauch gemacht hat, trägt er in letzter Konsequenz jetzt auch die Verantwortung für die Entscheidung, dass Leistungen nicht weiter gewährt werden können.“

Praktizierte bürgerliche Demokratie Anno 2008! Ob dieser Mensch wohl Gefahr läuft ein „Berufsverbot“ zu erhalten, weil er nicht zweifelsfrei auf dem Boden des Grundgesetzes steht? 

Es ist wie bei einer Rasterfahndung, bei der ein bestimmter Personenkreis verdächtigt wird, einer kriminellen Vereinigung anzugehören. Bezieher von Arbeitslosengeld II brauchen über keine weiteren Merkmale zu verfügen, die sie verdächtig machen. Es reicht aus, dass sie Leistungen beziehen, um sie des Missbrauchs zu verdächtigen. Schließlich tönt es mittlerweile Land auf, Land ab: Vollbeschäftigung ist möglich! Man muss die vom Lohn abhängigen Menschen nur genügend unter Druck setzen, damit sie jede „nicht sittenwidrige“ Arbeit annehmen, die das Kapital vermehrt! Hungerlöhne und unmenschliche Arbeitsbedingungen verstoßen nicht gegen die „guten Sitten“ des Kapitals. Das Kapital braucht vielmehr solche Arbeits- und Lebensbedingungen, damit es sich auch dann erfolgreich verwerten kann, wenn es überakkumuliert ist und als allgemeines Produktionsverhältnis zunehmend unerträglich wird. 

Nein, die sauberen ARGEN können auch anders, sie können geschehen lassen, zuschauen und ihre Hände in Unschuld waschen; dann etwa, wenn jemand, dem sie die Leistungen auf Null gekürzt haben verhungert. So geschehen in Speyer 2007. Die Frankfurter Rundschau berichtete darüber in ihrer Ausgabe vom 19.04.2007.

„Nach dem Hungertod eines 20 Jahre alten Hartz-IV-Empfängers in Speyer sieht die zuständige Behörde bei sich keine Versäumnisse. "Wir hätten nichts tun können", sagte Hans Grohe von der Arbeitsgemeinschaft (Arge) für die Betreuung von Hartz-IV-Empfängern am Mittwoch. "Ich kann meinen Mitarbeitern keinen Vorwurf machen." Der verhungerte 20-Jährige war am Sonntagabend in seiner Wohnung gefunden worden, in der er mit seiner ebenfalls arbeitslosen Mutter gelebt hatte. Die stark geschwächte 48-Jährige sagte, sie hätten kein Geld gehabt, um Lebensmittel zu kaufen.“

Solche Ohnmachtsbekundungen des „Sozialstaates“ hört man nicht nur von Vertretern der ARGEN. Man hört sie gleichermaßen etwa von Vertretern der Jugendämter, wenn es um Kindesmissbrauch bis hin zum Mord geht. Da kann man nichts machen! Ärzte können Knochenbrüche oder den Zustand der Unterernährung bei misshandelten Kindern feststellen, ohne dass Spitzel losgeschickt und Wohnungen untersucht werden. Da kann man nichts machen! Familie eben! Familie erscheint als unantastbares Rechtsgut mit besonderem Stellenwert und kommt gleich nach dem Privateigentum! Familie wird vor allem dann zu einer unantastbaren Einrichtung, wenn es darum geht gesellschaftliche Verantwortung abzulehnen, zurückzunehmen und auszuschalten. Familie erscheint als „Schonraum“ des Staates, wenn Kinder misshandelt werden. Familie wird dann dem Übergriff freigegeben,  wenn es das Interesse des Kapitals es verlangt, weil es ökonomisch notwendig ist, um dem „Missbrauch sozialer Leistungen“ Einhalt zu gebieten. Dann ist keine Tür  sicher genug, um die „Sozialarbeiter“ draußen zu halten! 

Rücksichtslos aktiv wird der „Sozialstaat“ garantiert dann, wenn es darum geht im Dienste des Kapitals die „Faulheit“ auszurotten. Dann kann man nicht weg schauen und an die Stelle von Ohnmacht tritt die forsch zupackende Macht. Ein Recht auf „Faulheit“, das wissen wir spätestens seit Schröder, gibt es nicht. Mit den Kampagnen gegen die „Faulheit“ marschiert die bürgerliche Reaktion auf breiter Front und revidiert erkämpfte Klassenkompromisse. Die Anerkennung der gesellschaftlichen Ursachen von Lohnarbeitslosigkeit, und daraus folgend der Arbeitslosenversicherung“, wird zurück genommen. Die Arbeitslosen sind auf Grund ihrer individuellen Fehler, vor allem auf Grund ihrer „Faulheit“, verantwortlich für die Lohnarbeitslosigkeit. (Im Faschismus galten Arbeitslose als Kriminelle!) Mit zunehmendem Repressionsaufwand wird nun der Kampf gegen die „Faulheit“ geführt, während man sich gleichzeitig für überfordert oder nicht zuständig erklärt für die sozialen „Kollateralschäden“ des Kapitals. Es herrscht eben „Krieg“, ökonomischer „Krieg“, den sie „Wettbewerb im Zeitalter der Globalisierung“ nennen.

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.