Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Spritztour mit Maschinenpistole
Militante Neonazigrüppchen in Frankreich, und ihre scheinbar ungewöhnlichen Bündnispartner

06/08

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Zwei (oder drei) maskierte Männer durchqueren im Auto eine Hochhaussiedlung in Saint-Michel-sur-Orge, rund 20 Kilometer südlich von Paris, und ballern aus einer Maschinenpistole. Sie schießen in Mannshöhe aus dem fahrenden Auto. Mindestens 35 Schuss Munition vom Kaliber neun Millimeter werden abgefeuert. „Nur durch glücklichen Zufall“, so wird die Staatsanwaltschaft kurz darauf konstatieren, gibt es keine Opfer sondern sind nur Sachschäden zu verzeichnen. In dem Fahrzeug sitzen zwei respektive drei von wildem Hass erfüllte Neonazis. Ihre Schüsse feuern sie in Richtung der Einwohner einer Sozialbausiedlung in der Trabantenstadt ab.  

Diese Szene trug sich nicht in einem Film zu, sondern ereignete sich am Abend des Mittwoch, 28. Mai 2008 wirklich. Im Anschluss wurde eine polizeiliche Durchsuchung bei den Hauptverdächtigen vorgenommen, die in einem Hangar in einem Industriegebiet ein ganzes Arsenal von Waffen zu Tage beförderte: Maschinenpistolen vom Typ Kalaschnikows und eine große Menge Munition, laut Staatsanwaltschaft „eines der bedeutendsten Waffenarsenale, das jemals in diesem Département  entdeckt worden ist.“           

Kurz darauf wurden, am 30. Mai und 1. Juni, drei junge Männer - im Alter zwischen 20 und 24 Jahren - festgenommen. Der jüngste von ihnen ist ein Oberschüler in Saint-Michel-sur-Orge, der ersten Angaben in der Regionalpresse zufolge infolge eines Streits mit Schulkollegen beschlossen bzw. seine Gruppe aufgefordert hatte, „ihn zu rächen“. Die beiden Zwanzigjährigen wurden in Untersuchungshaft genommen, und ein Strafverfahren wegen Mordversuchs, Bildung eines bewaffneten Haufens und illegalen Waffenbesitzes wurde gegen sie eingeleitet.  

Der älteste der drei Festgenommenen, Camille F., war hingegen möglicherweise nicht selbst bei der Schießerei dabei. Manche Medien und Agenturmeldungen bezeichnen ihn als „Schützen“ während der bewaffneten Spritztour im Auto. Anderen Angaben zufolge war er nicht selbst bei der „Strafexpedition“ im Auto dabei. Auf jeden Fall aber hat er im Nachhinein versucht, das Tatauto zu verbrennen und so Spuren zu beseitigen. Alle drei jungen Männer haben bekannt, Mitglieder einer bis dato quasi unbekannten Neonazigruppe namens „Nomad-88“ (mit der üblichen Buchstabenkombination „88“ für „Heil Hitler“) zu sein. Die Gruppierung, die weitgehend identisch mit „Nomad-Sécurité“ - einem überwiegend aus Skinheads bestehenden Ordnerdienst für rechtsradikale Veranstaltungen und Konzerte - zu sein scheint, soll rund 30 Mitglieder umfassen. Die meisten davon im Raum Paris, mit einem Ableger im ostfranzösischen Nancy. Jüngst soll die Gruppe auch begonnen haben, im Raum Lyon Fuß zu fassen. Camille F. gilt als ihr Anführer. Diese Prügelcombo ist wiederum (teil)identisch mit einer ein bisschen breiter angelegten „politischen“ Gruppierung unter dem Namen La Droite Socialiste (Sozialistische Rechte), die sich insbesondere durch einen rabiaten Antisemitismus kennzeichnet.  

Bis dahin könnte man glauben, es handele sich um eine bedeutungslose Splittergruppe. Allerdings verfügt die Vereinigung über recht weitreichende Verbindungen. Camille F. nahm etwa am 24. Mai 2008 am „Nationalistenkongress“ in Villepreux in der Nähe von Versailles teil, zu dem zwei stiefelfaschistische Gruppierungen - Renouveau français und Oeuvre française - aufgerufen hatten. Dabei handelt es sich nur um einen der Versuche, im Rahmen des laufenden Prozesses der Umgruppierung der französischen extremen Rechten - vor dem Hintergrund der tiefen Krise ihrer ehemaligen Kernpartei Front National (FN) - eine bestimmte ideologische Unterströmung herauszukristallisieren.

So fasste der Kongress von Villepreux, an dem rund 350 Personen teilgenommen haben den militanten Flügel mit starkem Nationalstaatsbezug zusammen. Die am darauffolgenden Sonntag, 1. Juni in Paris gegründete neue rechtsextreme Partei unter dem Namen Nouvelle droite populaire (NDP, „Den kleinen Leuten verbundene neue Rechte“), die dem FN künftig Konkurrenz machen möchte, organisiert hingegen eher die Anhänger eines rassisch definierten, großmächtigen Europa. 

Anhänger der Droite Socialiste oder „Sozialistischen Rechten“ nahmen aber auch am diesjährigen Aufmarsch des FN am 1. Mai 2008 in Paris teil, auch wenn sie bei der Kundgebung - die in diesem Jahr nur rund 1.500 Menschen anzog, im Gegensatz zu rund 4.000 in den vorangegangenen Jahren -  durch den Ordnerdienst ein wenig abgedrängt wurden.
(VGL. DAZU DIE NEBENSTEHENDEN FOTOS VOM AUTOR DIESER ZEILEN.)

Dabei trugen sie Kopfbedeckungen, die an die französische Miliz während des Zweiten Weltkriegs erinnern sollen, schwarze Handschuhe und die bereits bei früheren Kundgebungen zu sehenden Fahnen der Droite Socialiste, nämlich Flaggen in den französischen Nationalfarben mit einem „V“ im schwarzen Kreis in der Mitte.

Allianz mit schwarzen Rassisten 

Aber auch wesentlich ungewöhnlichere Kontakte zeichnen sich ab. So organisierte die Droite Socialiste am 8. Mai 2008 eine kleine Kundgebung in der Nähe des Saint-Michel-Brunnens in der Pariser Kernstadt - zusammen mit der „Bewegung der Verdammten des Imperialismus“ (MDI, Mouvement des damnés de l’impérialisme). (Vgl. das Video davon: http://fr.youtube.com )











Bei letzterer Gruppierung handelt es sich um die früheren Anhänger der 2006 verbotenen „Tribu K“, einer Bewegung schwarzer Rassisten und Antisemiten vgl:

die für Rassentrennung eintreten und sich für die Abkömmlinge eines alten Herrenvolks namens „Kemiten“ - in Abgrenzung zu den Semiten - erklären.  

Ihr Anführer „Kémi Séba“, mit bürgerlichem Namen Stellio Capochichi, rechtfertigte diese Strategie des Bündnisses mit weißen Rassisten und Neonazis seinerseits im Oktober 2006 folgendermaßen: „Die Wut, die seit 20 Jahren in den Banlieues kocht, ist durch die zionistischen Laboratorien wie SOS Racisme und Co kanalisiert und auf den idealen Sündenbock in Gestalt der nationalen Rechten umgeleitet worden. Ich selbst bin im Geiste des Hasses auf diejenigen, die ihr Land lieben, erzogen worden - bis ich die Augen öffnete und jene erkannte, die uns manipulieren, also die Zionisten.“ In diesem Zusammenhang wird Capochichi im Übrigen am 02. September 2008, aufgrund antisemitischer Äuberungen, in Paris vor Gericht stehen. 

Und er fügte damals noch hinzu: „Frankreich ist zu einem Konzentrationslager geworden, das die rassische Würde jedes Volkes erstickt. Jede menschliche Gattung hat das Recht, in ihrem Lebensraum zu leben, mit ihren eigenen Gütern. Deswegen sind die Kemiten hier: Sobald wir Entschädigungszahlungen - dieselben wie die von Nürnberg - bekommen haben, werden wir zu uns nach Hause zurückkehren.“ Er bietet den weißen Rassisten also - für den Fall, dass den Schwarzen Reparationszahlungen für Sklaverei und Kolonialismus geleistet würde - die Perspektive einer „Rückkehr“ der in Frankreich lebenden Schwarzen sowie der rassischen „Entmischung“ an. Treten doch beide Seiten für eine Idee der „Reinheit“ durch Nichtvermischung ein. 

Extremer „Antizionismus“  

Während der Antizionimus in den großen Parteien der französischen extremen Rechten nahezu keine Rolle spielt - traditionell war ein Teil dieses Spektrums eher pro-israelisch, aufgrund des Bündnisses Frankreichs mit Israel während des Algerienkrieges und der Kolonialkriege in den 60er Jahren -, bildet er einen ideologischen Kitt für die Allianz dieser Sorte Neonazis mit der „Tribu K“.  

Zur nötigen Begriffsklärung, in Zeiten gröbter politischer Verwirrung: „Antizionismus“, in all seinen Varianten, nennt man die Ablehnung eines (mehrheitlich) jüdischen Nationalstaats in Israel. Für eine solche Haltung kann es zwar völlig unterschiedliche Gründe geben; manche radikale israelische/jüdische Linke beispielsweise definieren sich als „antizionistisch“, da sie für einen „gemischten“ jüdisch-arabischen (oder „binationalen“) Staat als Lösungsperspektive für die israelisch-palästinensischen und israelisch-arabischen  Konflikte eintreten. Wie immer man eine solche Option politische bewertet, sie basiert bei diesen Protagonisten jedcnfalls auf einer grundsätzlich durch und durch menschenfreundlichen Haltung. Nichts dergleichen, auch nicht im Entferntesten, gilt für den „Antizionismus“ jener Prägung, wie ihn unter anderem (aber keineswegs nur) die Neonazigruppierung La Droite Socialiste, oder auch die schwarze Rassisten- und Antisemitentruppe „Tribu K“ alias „Bewegung der Verdammten des Imperialismus“ vertreten. Bei ihnen dient die Chiffre „Antizionismus“ ausschlieblich zur Maskierung eines unverhüllten, offenen, ungebändigten Judenhasses. Wenn sie (aus u.a. strafrechtlichen Gründen) „Zionisten“ und „zionistische Politik“ sagen, dann bezeichnen sie nicht eine bestimmte ideologische Strömung oder die spezifische  israelische Nationalstaatsideologie – sondern dann meinen sie völlig unverblümt „Juden“ und „Weltherrschaft“. Damit stehen sie freilich nicht allein. 

Der allererste öffentliche Auftritt von La Droite Socialiste war eine Kundgebung im März 2008 - die allerdings nur zehn bis maximal 15 Personen anzog - gegen den Staatsbesuch des israelischen Präsidenten Shimon Peres in Paris. (Vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0408/t210408.html

Der Aufschwung von Splittergruppen wie Nomad-88, La Droite Socialiste und anderen, auf den ersten Blick „durchgeknallt“ wirkenden Vereinigungen hängt eng mit dem momentanen Niedergang des Masseneinflusses etablierter rechtsextremer Parteien wie des FN und des MNR (Nationale republikanische Bewegung) zusammen.  

FNAR: Aufgeflogen, bzw. in die Luft geflogen 

Eine weitere „irre“ wirkende Gruppe ist die Fraction nationaliste armée révolutionnaire (FNAR), die ihre Bekennerschreiben mit einem dem der früheren westdeutschen RAF ähnelnden Emblem schmückte, aber jüngst aufgeflogen sein dürfte. Bei der FNAR, deren Abkürzung von manchen Beobachtern auch mit „Front national anti-radar“ übersetzt wurde, handelt es sich um eine Kleingruppe, die seit anderthalb Jahren Radarfallen im Pariser Umland in die Luft sprengt. In Bekennerbriefen forderte sie ein Ende der „Verfolgung der Autofahrer“ durch Geschwindigkeitskontrollen der Staatsmacht, aber auch einen „totalen Einwanderungsstopp“, die „Rückführung aller Illegalen“ und eine bessere Sozialpolitik.

Das Treiben der Truppe dürfte aber vorletzte Woche ein Ende gefunden haben, da ihrem Chef - wenn nicht einzigen aktiven Mitglied - Frédéric Ramiller in seiner Wohnung in der Pariser Vorstadt Clichy-la-Garenne eine seiner eigenen Bomben um die Ohren flog. Und dies in sehr buchstäblichem Sinne. Ihm wurden beide Hände und ein Teil des Gesichts abgerissen, und er liegt noch immer im Koma. Beim Eintreffen der Ersten Hilfe konnte er gerade noch sagen: „Ich bin von der FNAR“, bevor er in Ohnmacht fiel. Dies ereignete sich in der Nacht vom 27. zum 28. Mai dieses Jahres.

Noch ist nicht unklar, ob der 29jährige, der in einem Sortierzentrum der Post in Nanterre arbeitete und als Einzelgänger galt, noch weitere aktive Mitstreiter hatte. Auch untersuchen die Ermittlungsbehörden im Augenblick noch, ob sich die jüngst aufgekommene Vermutung bestätigt (oder nicht), dass Frédéric Ramiller bzw. die FNAR auch mit den drei rassistisch motivierten Brandanschlägen auf den algerischstämmigen Präfekten Aissa Dermouche im westfranzösischen Nantes im Jahr 2004 zu tun hatte.

Unstrittig scheint hingegen, dass er sich von rechtsextremer Prosa ernährt hatte. Nicht nur, dass Schriften wie „Mein Kampf“ in seiner Wohnung gefunden wurde, sein Bekennerbrief trug auch die Spuren des ideologischen Einflusses der früheren Intellektuellenriege des FN. Denn seinen Beitrag zur „Ausländerfrage“ rechtfertigte der Radarfallenbomber damit, dass die französische Identität eine Frucht „griechischen, keltischen und christlichen Erbes“ sei. Diese ideologische Quintessenz war seit den siebziger und achtziger Jahren schrittweise durch die Vordenker der etablierten extremen Rechten herausdestilliert worden, um die „französische Identität“ und ihr angebliches tieferes Wesen – als Kompromiss aus den unterschiedlichen (nationalkatholischen, neuheidnischen...) ideologischen Ansätzen, die zuvor die französische extreme Rechte prägten – zu definieren.

In Anbetracht der Krise der etablierten Kräfte der extremen Rechten scheint sich in Teilen ihrer aktivistischen Umfelds, so stellt die Antifagruppe SCALP in einer ersten Analyse fest, die unter den Neonazis in den USA wie in Deutschland beliebte These vom „führerlosen Widerstand“ kleiner Gruppen an Boden zu gewinnen.

Editorische Anmerkungen

Der Text  wurde uns vom Autor für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt.