Preissteigerungen, der Streik der Milchbauern
und die Haltung der ArbeiterInnenklasse

Stellungnahme der Liga der Sozialistischen Revolution (LSR)

06/08

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1. Der Streik der Milchbauern in Österreich, Deutschland und anderen Ländern Europas findet vor dem Hintergrund der sich vertiefenden kapitalistischen Weltwirtschaftskrise statt. Angesichts der Rezession versuchen die multinationalen Konzerne ihre Profite durch vermehrte Spekulation – sowohl mit Erdöl als auch mit Weizen, Soja, Reis, Mais und anderen Nahrungs- und Futtermitteln – zu steigern. Schätzungen zufolge sind bisher im Jahr 2008 etwa 40 Mrd. US-Dollar durch Spekulanten in den Rohstoffmarkt verschoben worden. Hinzu kommt die Umstellung in der Landwirtschaft in Richtung verstärkter Herstellung von sogenanntem Biosprit. Das Resultat sind in die Höhe schiessende Lebensmittel- und Treibstoffpreise. Während ein Barrel Erdöl 1998 noch 9,80 US-Dollar kostete, hat er heuer schon die 135 Dollar-Grenze überschritten. Ebenso explodieren die Lebensmittelpreise: der FAO-Nahrungsmittelpreisindex lag in den ersten drei Monaten 2008 um 53% über dem Stand ein Jahr zuvor. Insgesamt liegen die Lebensmittelpreise inflationsbereinigt auf dem höchsten Stand seit 30 Jahren. Das Ergebnis könnte für die beiden Hauptklassen in der kapitalistischen Gesellschaft nicht unterschiedlicher sein: die Kapitalistenklasse – allen voran das Monopolkapital – ist der Hauptprofiteur der Krise, während die ArbeiterInnenklasse und die Armen in den Halbkolonien – die sogenannte 3. Welt – das Hauptopfer ist.

2. Doch nicht nur die ArbeiterInnenklasse, sondern auch Teile der Bauernschaft und des städtischen Kleinbürgertums leiden unter den Preisexplosionen. Die Teuerung der Futtermittel und der Treibstoffe lässt die Einkommen der Bauern, der Fischer und der selbständigen LKW-Fahrer zusammenschmelzen. Das Kleinbürgertum – also jene Klasse von Produktionsmittelbesitzern, die im Unterschied zu den Kapitalisten hauptsächlich von der Selbstausbeutung (inklusive Familienangehörigen) lebt und nicht alleinig von der Ausbeutung fremder Arbeitskräfte – gerät zunehmend unter die Räder des Monopolkapitals, welches die Wirtschaft beherrscht und die Preisgestaltung zunehmend manipuliert. Im Fall der Milchbauern – die Grossteils Kleinbürger oder Kleinstunternehmer sind – bedeutet dies, dass von den steigenden Preisen, unter denen die ArbeiterInnenklasse zu leiden hat, ein immer grösser werdender Anteil von den Handelsketten und Molkereien einbehalten wird, während nur ein kleiner werdender Anteil an die produzierenden Bauern geht. So stiegen im Jahre 2007 die Verbraucherpreise – und somit die Kosten für die ArbeiterInnenklasse – für Milch, Käse und Eier um über 15%, während gleichzeitig die Erzeugerpreise – also die Kosten für die produzierenden Bauern – im gleichen Zeitraum um knapp 25% anstiegen. Die Handelsketten und Molkereikonzerne sind der Nutzniesser dieser Entwicklung auf Kosten der ArbeiterInnenklasse und der Milchbauern.


3. Diese Entwicklungen sind der Hintergrund für die zunehmenden Proteste von Bauern, Fischern und der selbständigen LKW-Fahrer in ganz Europa. In Österreich fordert die IG Milch – eine Interessensvertretung der Milchbauern – höhere Milchpreise, um so die Einkommen der Bauern zu steigern. So verständlich die Forderung der Bauern gegen sinkende Einkommen ist, so muss auch klar gesagt werden, dass die Forderung nach Milchpreiserhöhung durch und durch reaktionär ist und nicht von der ArbeiterInnenbewegung unterstützt werden kann. Sie ist reaktionär, denn sie trifft die KonsumentInnen – d.h. in erster Linie die ArbeiterInnenklasse.


4. Es wäre jedoch falsch, würden marxistische RevolutionärInnen nicht das berechtigte Grundelement bei diesen Protesten erkennen: Der Protest der Bauernschaft gegen die Auswirkungen der durch das Monopolkapital verursachten Krise. Daher darf die ArbeiterInnenbwegung nicht abseits stehen oder gar die Preispolitik der Grosskonzerne unterstützen, sondern muss die Erhöhung der Einkommen der Kleinbauern bei gleichzeitiger Senkung der Lebensmittelpreise fordern, d.h. auf Kosten der Gewinne der Handelsketten und Molkereikonzerne. Es gilt also, die Proteste der Kleinbauern von einer reaktionären in eine fortschrittliche Richtung zu wenden. Einmal mehr gilt die Grundthese des Marxismus, dass das Proletariat die Klasse der Zukunft, die Bourgeoisie der Feind und das bäuerliche Kleinbürgertum die Klasse der Vergangenheit ist. Alleine kann die Bauernschaft keine fortschrittlichen Proteste organisieren, doch wenn die ArbeiterInnenklasse den organisierten Kampf gegen die Konzerne aufnimmt, kann sie die Bauernschaft für diesen Kampf gewinnen.


5. Das entscheidende Element ist jedoch, dass die ArbeiterInnenklasse als eigenständiger Faktor die Arena des Klassenkampfes betritt. In einer Periode der Wirtschaftskrise und der Preisexplosionen gilt es, durch Massenstreiks und –demonstrationen für höhere Löhne und für die Kontrolle der Preisentwicklung im Handel zu kämpfen. Die LSR tritt für eine automatische Koppelung der Lohnsteigerungen an die Preissteigerungen ein. Weiters fordern wir die entschädigungslose Verstaatlichung des Grosshandels sowie der grossen Lebensmittelkonzerne. Gleichfalls gilt es, einen europaweiten Kampf für die Verstaatlichung der Erdölkonzerne (BP, Shell, Total-Elf, OMV usw.) unter Kontrolle der ArbeiterInnen zu führen. Ebenso treten wir für staatliche Massnahmen zur Senkung der Preise für Lebensmittel und Treibstoffe ein. Schliesslich fordern wir die Förderung des Zusammenschlusses der Kleinbauern zu Genossenschaften durch zinslose Kredite u.ä., um effizienter produzieren zu können.


6. Um erfolgreich kämpfen zu können, dürfen wir uns nicht auf die Spitzen der Gewerkschaft oder gar der Sozialdemokratie verlassen. Im Gegenteil, die SPÖ-Spitze dient als willfähriger Diener des Kapitals und all jene wie die SJ-Führung oder der Funke, die allen Tatsachen zum Trotz noch immer innerhalb der SPÖ für deren Gesundung eintreten, sind nichts anderes als linke Feigenblätter für eine neoliberale Partei. Wir brauchen Aktionskomitees in den Betrieben und Preiskontrollkomitees in den Stadtteilen, um den Kampf gegen die Auswirkungen der kapitalistischen Krise zu führen. Wir brauchen eine Basisbewegung in den Gewerkschaften, um die Gewerkschaftsführung zu zwingen, sich nicht mit den Vertretern des Kapitals ins Bett zu legen, sondern den Widerstand zu organisieren. Wir brauchen eine internationale Koordination der Abwehrkämpfe in der EU und weltweit. Darüberhinaus ist heute dringlicher denn je der Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei, die den konsequenten Kampf für die Interessen der ArbeiterInnen auf der Strasse, in den Betrieben und in den Ausbildungsstätten aufnimmt, die in Protesten wie jene der Kleinbauern eine antikapitalistische Perspektive hineinträgt und sie mit der ArbeiterInnenklasse zu verbinden trachtet und die die heutigen Klassenauseinandersetzungen mit der Perspektive des Sturzes des Kapitalismus durch eine sozialistische Revolution in Österreich und international verbindet. Für diese Ziele kämpft die Liga der Sozialistischen Revolution. Dafür wollen wir gemeinsam mit allen AktivistInnen, die diese Ziele teilen, zusammenarbeiten.

Wien, 2008-06-06

Politisches Büro der Liga der Sozialistischen Revolution

Editorische Anmerkungen

Den Text wir vom politischen Büro der LSR zur Veröffentlichung