Betrieb & Gewerkschaft
Guter Kapitalist - schlechter Kapitalist?
- Zum Lidl-Skandal -


von
Gruppe Wissenschaftlicher Sozialismus (GWS)

06/08

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Die Wellen schlugen hoch beim Lidl-Überwachungsskandal. In vielen Zeitungen und im Fernseher wurde darüber berichtet. Die Hauptmessage war: „Lidl der böse Kapitalist“. Wie schon beim Skandal um die Steuerflüchtlinge wurde ein Bild verbreitet, als gäbe es den schlechten Kapitalisten, der seine Gelder mittels ausländischer Banken an der Steuer vorbei führt, seine Mitarbeiter überwacht und dann auch den guten Kapitalisten, der artig seine Steuern zahlt, seine Beschäftigten nicht Videoüberwacht und in der Pause auch auf die Toilette lässt. Somit kann man auch sagen, dass diese Medienkampagne eigentlich dazu dient, durch die schwarzen Schafe zu vermitteln, es gibt auch einen guten Kapitalismus, den man nicht beseitigen soll. Nichts wird gesagt über das Ausbeutungsverhältnis dem die Arbeiterinnen und Arbeiter unterliegen. 

Zu den konkreten Vorwürfen: Lidl wird vorgeworfen, seine Mitarbeiter durch Videokameras und Detektive zu überwachen und ihnen die Pause zu verwehren. Und es wird so getan, als stünde Lidl ganz alleine da. Selbst Vertreter von Ver.di sprechen immer wieder „vom besonders krassen Fall Lidl“. Aber stimmt dies? Kammerüberwachung gehört längst in vielen Bereichen zum Alltag. Da sind eben nicht nur Casinos zu nennen in denen den Mitarbeitern auf die Finger geschaut wird, sondern fast der gesamte Einzelhandel und auch Teile der Produktion, Behörden usw. In Teilen der Produktion werden die Beschäftigten gar abgetastet, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlassen um auszuschließen, dass sie klauen. In vielen Callcentern werden die Beschäftigten bei ihrer Arbeit abgehört. Und eine Überwachung beginnt ja nicht erst mit einem Videoband. Z.T. wird in der Produktion eine direkte Kontrolle vom Schichtleiter ausgeübt, der die unmittelbare Arbeit beobachtet und zur Optimierung der Produktion aufruft. Und auch bei den Pausenreglungsverstößen steht Lidl nicht alleine da. Nehmen wir nur mal große Teile des sozialen Bereiches als Beispiel, in denen die Personaldecke so gering ist, dass kaum Pausen möglich sind, da man das Klientel nicht unbeaufsichtigt lassen darf. Die Pausen werden also durchgearbeitet, ohne sie bezahlt zu bekommen.

Guter Kapitalist - schlechter Kapitalist? Uns geht es nicht darum Lidl zu verteidigen, wir bleiben aber auch nicht bei der Erscheinung stehen und greifen den Kapitalismus an sich an. Denn er ist es, der solche Erscheinungen hervorruft. Diese Erscheinungen sind nichts anderes als die Folgen bei der Jagd auf maximale Profite. Denn dabei spielt die Optimierung der Arbeitszeit eine große Rolle. Natürlich haben Kapitalisten ein gewisses Handelsspektrum, in dem sie relativ frei wählen können. Durch den tendenziell sich verschärfenden Konkurrenzkampf wird dieser aber auch tendenziell immer mehr eingeengt. Es gibt also nicht den guten oder schlechten Kapitalisten. Dies ist eine Illusion die uns gerne von sozialdemokratischen Kräften verkauft werden soll.Forderungen nach einem Boykott von Lidl, wie sie z.B. von der Grünen-Chefin Claudia Roth kamen und auch SPD-Generalsekretär Hubertus Heil machte entsprechende Andeutungen, sollen uns in dem Glauben lassen, dass wir etwas Gutes tun, wenn wir dann z.B. beim Konkurrenten Aldi kaufen. Aber herrschen da wirklich andere Arbeitsbedingungen? Wir ändern nichts an den Verhältnissen ob wir nun beim Kapitalisten A oder B kaufen. In den letzten Monaten tauchte der ebenso berechtigte Vorwurf, dass Lidl versucht die Bildung von Betriebsräten zu verhindern, nichts mehr auf. Aber auch bei diesen Erscheinungen steht Lidl nicht alleine da. Ähnliche Berichte gibt es auch von anderen Ladenketten und auch bspw. aus der Industrie. Gerade in kleineren Metallbetrieben gibt es viele Fälle bei denen Arbeiter, die einen Betriebsrat aufbauen wollten unter irgendwelchen Vorwänden gekündigt wurden. Bei großen Konzernen werden Betriebsräte mit Geldern und Reisen geschmiert und so gibt es zwar Betriebsräte, aber diese vertreten in solchen Fällen nicht die Interessen der Arbeiter. Bei kirchlichen Arbeitgebern im sozialen Bereich gibt es nicht mal die juristische Möglichkeit Betriebsräte zu gründen, hier kann man nur so genannte Mitarbeitervertretungen mit geringeren Befugnissen bilden.

Aldi ein guter Kapitalist? Es ist schon sehr auffällig, dass über Aldi in den Medien diesbezüglich zunächst nichts gesagt wurde. Dass Aldi über großen Einfluss in den Medien verfügt ist nichts Neues, ob dies der Grund ist warum dieser Hauptkonkurrent von Lidl (medientechnisch gesehen) so gut dabei wegkommt, bleibt aber Spekulation. Und auch Ver.di bleibt oft sehr ruhig bei Aldi. In einem Interview zum Lidl-Schwarz-Buch hat Bernd Scheinmann am 17.12.04 auf die Frage „Warum hat ver.di ein Schwarz-Buch Lidl veröffentlicht und kein Schwarz-Buch Aldi?“ folgendes gesagt:
„Lidl ist ein besonders krasses Beispiel dafür, dass die meisten Discounter das Verkaufspersonal gnadenlos ausnutzen. Aldi nehmen wir uns als nächstes vor...“. Nun sind schon ein paar Jahre vergangen, aber über Aldi gibt es noch immer kein Buch von ver.di! Dabei gab es auf das Lidl-Buch, wie Internetforen berichten, auch viele Reaktionen von Beschäftigten der Ketten Aldi, Kaufland, Schlecker etc. die über vergleichbare Arbeitsbedingen berichteten. Und Aldi ist auch kein völlig Unbekannter. Bereits im Dezember 2005 ging die Kritik der zweitgrößten Allbranchengewerkschaft der Schweiz, Syna, bei den Anstellungen bei Aldi in der Schweiz durch die Medien. Und darauf gab es einst auch Reaktionen von Beschäftigten, woraufhin Syna feststellte, dass es auch gesetzliche Verletzungen bei den Arbeits- und Ruhezeitenbestimmungen gibt. Die Gewerkschaft kritisierte u.a, dass Aldi darauf besteht, Nebenbeschäftigungen, die durch die geringen Löhne nötig sind, abzusegnen und dass sie solche Nebenbeschäftigen dadurch auch verhindere, dass die Arbeitspläne erst am Donnerstag für die darauf folgende Woche bekannt gegeben werden. Dies führt auch zu großen Problemen im Familienleben (Kinderbetreuung etc.). Und die Beschäftigen klagten auch über Unregelmäßigkeiten bei der Gewährung der Pausenregelung. Und Syna meinte bereits 2005, dass die von Aldi zur Sicherung von Waren eingerichtete Videoüberwachung zur Kontrolle des Verhaltens der Beschäftigten missbraucht wird. Für die Betroffenen hat die Gewerkschaft einst eine eigene Hotline eingerichtet. Und im Juni 2007 gab die Schweizer Datenschutzbehörde bekannt: „Im Verlauf des Jahres 2006 haben wir eine Filiale der Firma ALDI SUISSE AG einer eingehenden Datenschutzkontrolle unterzogen. Hauptaugenmerk galt dem Bereich der Videoüberwachung im Detailhandel. Der Hauptzweck der Überwachung – Schutz gegen Diebstahl und Überfall – wurde dem Verhältnis und der Intensität des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte gegenübergestellt. Nach differenzierter Gesamtbeurteilung mussten aus datenschutzrechtlicher Sicht diverse Anpassungen empfohlen werden. Nebst diversen Verbesserungen und Verfeinerungen hat ALDI insbesondere die Kameras im Kassenbereich so zu fokussieren, dass Aufnahmen von Mitarbeitenden nicht mehr möglich sind. Zudem hat sich ALDI verpflichtet, bis spätestens Ende 2008 in der Videoüberwachung datenschutzfreundliche Technologien (Privacy-Filter) einzusetzen.“. Also auch Aldi hat die Überwachung der Mitarbeiter ebenso, wie Lidl in ihrer Erklärung von März 2008, mit der Verhinderung von Diebstählen begründet.

Anfang April 2008 gab die Süddeutsche Zeitung bekannt, dass Aldi Nord über Jahre hinweg heimlich die arbeitgeberfreundliche Betriebsräte-Organisation AUB unterstützt. Die AUB ist bereits durch Siemens bekannt. Ziel solcher Organisationen ist es den Betriebsrat zu reinen Co-Managern verkommen zu lassen. Diese Meldung war aber nur wenige Tage in den Massenmedien zu finden und war nur eine Randmeldung.

Wir können nun nicht über alle Handelsketten etwas schreiben, damit Aldi aber nicht allein erwähnt wird nehmen wir noch ein zweites Beispiel: Schlecker. Hierzu nur eine kleine Pressemeldung: „(AFP) - Nach dem Überwachungsskandal bei Lidl hat die Gewerkschaft Verdi auch Vorwürfe gegen die Drogeriekette Schlecker erhoben. Dort spähten Detektive und Sicherheitskräfte durch Lochwände teils stundenlang in die Verkaufsräume, sagte der Handelssekretär des Verdi-Bezirks Berlin-Brandenburg, Achim Neumann, der ‚Bild am Sonntag‘. Mitarbeiter berichteten, dass sie sich dadurch in ihrem Verhalten und ihrer Leistung ‚ausgespäht und überwacht‘ fühlten. Schlecker und Lidl seien keine Einzelfälle. Viele Discounter überwachen ihre Mitarbeiter."

Lidl reagiert: Lidl hat auf die negative Medienaufmerksamkeit recht schnell reagiert. Der Hauptgrund war, dass das Ansehen bei den Kunden stark absank. Dies zeigte der tägliche Markenmonitor "BrandIndex" des Marktforschungs- und Beratungsinstituts psychonomics AG. Demnach fiel der Wert für das Gesamtimage von Lidl seit der Veröffentlichung des Mitarbeiterüberwachungsskandals von plus 29 auf minus 4 Indexpunkte. Im Branchenvergleich der 16 größten Lebensmittel-Einzelhandelsmarken rutschte Lidl vom bisherigen zweiten Platz hinter dem Imagemarktführer Aldi auf den mit Norma geteilten letzten Platz. Somit ist auch offensichtlich was in solchen Fällen passiert, Kunden gehen ggf. vorübergehend bei Aldi bzw. anderen Ketten einkaufen und Lidl muss um seine Profite bangen. Und dies in einer zunehmend zugespitzten Konkurrenzsituation dieser Monopolisten. Es ist ja sehr offensichtlich, dass man einen scharfen Kampfkurs fährt. Oft baut Lidl seinen neuen Filialen in unmittelbarer Nähe zu Aldi bzw. andersherum, weil man versucht sich gegenseitig Kunden abzuwerben.

Also ging Lidl in die Öffentlichkeit und gab eine Erklärung ab. Diese wurde dann auch in den Medien recht ausführlich dargestellt. In den Lidl-Filialen wurde diese Erklärung auch für die Kunden ausgelegt um das Image wieder aufzubessern. Wenige Wochen Später, wurde in den Medien nichts mehr über die Vorwürfe gegen Lidl berichtet.

Schlussfolgerung: Lidl's Praxis ist kein besonders krasses Beispiel, sondern ein Beispiel für viele – es ist ein Beispiel wie die Erscheinungen des Kapitalismus im Alltag aussehen. Wollen wir solche Bedingungen beseitigen, so geht dies nur, wenn wir den Kapitalismus an sich bekämpfen und durch die nächst höhere Gesellschaftsformation ablösen. Deshalb kämpfen wir für den Sozialismus!
 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien auf der Website der AutorInnen. Wir spiegelten von dort.