Das Selbstbestimmungsrecht muß auch für Kosova/o gelten
 
von Max Brym
06/07

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 Im Januar 1914 erschien in Belgrad ein Buch von Dimitrije Tucovic unter dem Titel „Serben und Albaner“. Der Autor war der führende Vertreter der damaligen „Serbischen Sozialisten“. Tucovic verurteilte als wahrer Internationalist die Massenmorde und die chauvinistische Unterdrückungspolitik der  serbischen Bourgeoisie in Kosova. Tucovic warnte in dem Buch vor der Gefahr, dass die Albaner durch die  Unterdrückungspolitik Serbiens zu Agenten von Österreich/ Ungarn werden könnten. Als Ausweg sah Tucovic nur den Weg, den Menschen in Kosova das Recht zuzugestehen „selbst und frei“ über ihre staatliche Zukunft zu entscheiden . Dies war für Tucovic der einzige Weg um die nationale Feindschaft zwischen Serben und Albanern überwinden zu können. Die Aussagen von Tucovic behalten bis heute ihre volle Gültigkeit.  

Kosova Realität und Perspektive 

Nach Untersuchungen der Weltbank gibt es in Kosova gegenwärtig die höchste Arbeitslosigkeit in Europa. Rund 15% der Menschen leben in extremer Armut mit weniger als 1. Dollar pro Tag, weitere 36% der Bevölkerung haben etwas mehr als einen Dollar am Tag um zu überleben. Die Zahl der Arbeitslosen wird von der Gewerkschaft BSPK auf knapp 70% geschätzt. Der Herr über die Ökonomie des Landes ist das vierte Büro der UNMIK und die von ihr geschaffene „Kosova Treuhandagentur“. Alles was nicht Niet und Nagelfest ist wird privatisiert. Die Basis für die neoliberale Privatisierungswelle bilden die Wirtschaftsgesetze aus der Milosevic Periode. Arbeiter galten untert Milosevic als Aktionäre mit einem Anteil an den Betrieben von 20%. Den Rest teilten sich privilegierte Bürokraten, ausländische Investoren und der serbische Staat. Das Jugoslawien unter Milosevic hatte mehr staatliches Eigentum Anfang des Jahres 1999 privatisiert als Kroatien. Die offizielle Gewerkschaft Kosovas lehnt  den jetzigen Privatisierungsprozess unter Federführung der UNMIK weitgehend ab. Die Menschen in Kosova nennen die UNMIK-„Armik“- zu deutsch Feind. Um eine soziale Explosion zu verhindern (Arbeitslosenquote bei 70%) wird den Menschen von den örtlichen politischen Cliquen und der Staatengemeinschaft gesagt - wartet nur bis wir den Status geklärt haben -. In der Tat wünscht die ungeheure Mehrzahl der Menschen das Recht auf Selbstbestimmung, dieses Recht wird ihnen aber sowohl von Moskau und Belgrad wie von Washington und Berlin verwehrt. Letztere wollen aus Kosova auf der Basis des nationalistischen Ahtisaari Planes ein EU-Protektorat machen. Der Ahtisaari-Plan teilt das Land auf ethnischer Grundlage. Rund 30% des Landes sollen unter dem Schlagwort Dezentralisierung unter die direkte Kontrolle Belgrads gestellt werden. Die Kompetenzen der serbischen Gemeinden sind umfassender als die Kompetenzen der Republik Serpska in Bosnien. Der Rest Kosovas wird einem hohem Kommissar der EU mit den dazugehörigen NATO-Truppen unterstellt. Der nationale Konflikt wird dadurch am Kochen gehalten. Teile und herrsche nennt man dieses Prinzip. 

Für eine wirklich linke Haltung in der Kosova Frage

 Es war von einigen Teilen der Linken während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien grundfalsch nach der Devise zu verfahren: Der Feind meines Feindes ist mein Freund und Milosevic zu bejubeln. Richtig war es gegen den NATO-Krieg zu sein, da er nicht wegen den Interessen der Menschen in Kosova geführt wurde, sondern aus schnödem Eigeninteresse gewisser westlicher Staaten. Der Krieg selbst hat zudem den serbischen Rechtsextremismus motiviert und argumentative Munition geliefert um verstärkt Massaker an der albanischen Zivilbevölkerung durchzuführen. Wer diese Verbrechen bis heute abstreitet kann bei den Menschen in Kosova oder in Bosnien auf keinerlei Verständnis hoffen. Es ist ein absolutes Gebot linker Politik mit den Fakten zu leben. Wenn beispielsweise publiziert wird, dass zwischen 250.000 und 300.000 Serben aus Kosova vertrieben wurden, dann ist das nur reine Propaganda ohne Grundlage. Der jugoslawischen Volkszählung von 1991 zufolge waren 10% der fast zwei Millionen zählenden Bevölkerung Serben, deren Anteil seitdem kaum sehr gestiegen sein kann. Das in Belgrad ansässige „Koordinationszentrum Kosovo“ (CCK) veröffentlichte Januar 2003 eine Untersuchung, derzufolge 2002 129.474 Serben in Kosova lebten. Sehr wahrscheinlich leben also noch 100-130.000 Serben (fast zwei Drittel der Anzahl der 90-er Jahre) im Land. Für systematische oder koordinierte Vertreibungen gibt es keine Beweise. Schlimmer ist die Situation der Roma, deren Anteil von 130.000 auf heutige 30-40.000 gesunken ist. Die Roma stellen eine traditionell besonders unterdrückte Minderheit ohne mächtige Beschützer dar. Personen wie Adem Demaci oder der in Kosova im Gefängnis sitzende Albin Kurti treten neben dem Recht auf Selbstbestimmung besonders für die Rechte der Roma ein. Es wäre wünschenswert auch in Serbien stärker gegen die dortige „Roma-Feindlichkeit“ aufzutreten. Es muß darum gehen das Recht auf Selbstbestimmung mit dem Kampf für die gleichen Rechte aller Menschen in Kosova zu verbinden.  Jeder der sich in Europa auf den Standpunkt stellt, Kosova gehört zu Serbien ignoriert den Willen der Menschen des Landes. Die konservative Haltung von der Unveränderbarkeit der Grenzen ist keine linke Position. Im Gegenteil, sie kann reaktionär im doppeltem Sinn sein. A) Sie negiert antidemokratisch, die Wünsche der Mehrheit der Bevölkerung. B) Die Argumentation gegen das Selbstbestimmungsrecht  Kosovas erinnert fatal an die Argumentation der französischen Rechten gegen die Unabhängigkeit Algeriens. Bekanntlich galt Algerien einst nicht als Kolonie, sondern als französische Provinz. Mit der gleichen Logik behauptet der serbische Chauvinismus Kosova wäre ein unveräußerlicher Bestandteil Serbiens

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Text vom Autor zur Veröffentlichung für die Juni-Ausgabe.