Im Januar 1914 erschien in Belgrad ein
Buch von Dimitrije Tucovic unter dem Titel „Serben und
Albaner“. Der Autor war der führende Vertreter der damaligen
„Serbischen Sozialisten“. Tucovic verurteilte als wahrer
Internationalist die Massenmorde und die chauvinistische
Unterdrückungspolitik der serbischen Bourgeoisie in Kosova.
Tucovic warnte in dem Buch vor der Gefahr, dass die Albaner
durch die Unterdrückungspolitik Serbiens zu Agenten von
Österreich/ Ungarn werden könnten. Als Ausweg sah Tucovic nur
den Weg, den Menschen in Kosova das Recht zuzugestehen „selbst
und frei“ über ihre staatliche Zukunft zu entscheiden . Dies
war für Tucovic der einzige Weg um die nationale Feindschaft
zwischen Serben und Albanern überwinden zu können. Die
Aussagen von Tucovic behalten bis heute ihre volle Gültigkeit.
Kosova Realität und Perspektive
Nach Untersuchungen der Weltbank gibt es in
Kosova gegenwärtig die höchste Arbeitslosigkeit in Europa. Rund
15% der Menschen leben in extremer Armut mit weniger als 1.
Dollar pro Tag, weitere 36% der Bevölkerung haben etwas mehr als
einen Dollar am Tag um zu überleben. Die Zahl der Arbeitslosen
wird von der Gewerkschaft BSPK auf knapp 70% geschätzt. Der Herr
über die Ökonomie des Landes ist das vierte Büro der UNMIK und
die von ihr geschaffene „Kosova Treuhandagentur“. Alles was
nicht Niet und Nagelfest ist wird privatisiert. Die Basis für
die neoliberale Privatisierungswelle bilden die
Wirtschaftsgesetze aus der Milosevic Periode. Arbeiter galten
untert Milosevic als Aktionäre mit einem Anteil an den Betrieben
von 20%. Den Rest teilten sich privilegierte Bürokraten,
ausländische Investoren und der serbische Staat. Das Jugoslawien
unter Milosevic hatte mehr staatliches Eigentum Anfang des
Jahres 1999 privatisiert als Kroatien. Die offizielle
Gewerkschaft Kosovas lehnt den jetzigen Privatisierungsprozess
unter Federführung der UNMIK weitgehend ab. Die Menschen in
Kosova nennen die UNMIK-„Armik“- zu deutsch Feind. Um eine
soziale Explosion zu verhindern (Arbeitslosenquote bei 70%) wird
den Menschen von den örtlichen politischen Cliquen und der
Staatengemeinschaft gesagt - wartet nur bis wir den Status
geklärt haben -. In der Tat wünscht die ungeheure Mehrzahl der
Menschen das Recht auf Selbstbestimmung, dieses Recht wird ihnen
aber sowohl von Moskau und Belgrad wie von Washington und Berlin
verwehrt. Letztere wollen aus Kosova auf der Basis des
nationalistischen Ahtisaari Planes ein EU-Protektorat machen.
Der Ahtisaari-Plan teilt das Land auf ethnischer Grundlage. Rund
30% des Landes sollen unter dem Schlagwort Dezentralisierung
unter die direkte Kontrolle Belgrads gestellt werden. Die
Kompetenzen der serbischen Gemeinden sind umfassender als die
Kompetenzen der Republik Serpska in Bosnien. Der Rest Kosovas
wird einem hohem Kommissar der EU mit den dazugehörigen
NATO-Truppen unterstellt. Der nationale Konflikt wird dadurch am
Kochen gehalten. Teile und herrsche nennt man dieses Prinzip.
Für eine wirklich linke Haltung in der
Kosova Frage
Es war von einigen Teilen der Linken
während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien grundfalsch nach der
Devise zu verfahren: Der Feind meines Feindes ist mein Freund
und Milosevic zu bejubeln. Richtig war es gegen den NATO-Krieg
zu sein, da er nicht wegen den Interessen der Menschen in Kosova
geführt wurde, sondern aus schnödem Eigeninteresse gewisser
westlicher Staaten. Der Krieg selbst hat zudem den serbischen
Rechtsextremismus motiviert und argumentative Munition geliefert
um verstärkt Massaker an der albanischen Zivilbevölkerung
durchzuführen. Wer diese Verbrechen bis heute abstreitet kann
bei den Menschen in Kosova oder in Bosnien auf keinerlei
Verständnis hoffen. Es ist ein absolutes Gebot linker Politik
mit den Fakten zu leben. Wenn beispielsweise publiziert wird,
dass zwischen 250.000 und 300.000 Serben aus Kosova vertrieben
wurden, dann ist das nur reine Propaganda ohne Grundlage. Der
jugoslawischen Volkszählung von 1991 zufolge waren 10% der fast
zwei Millionen zählenden Bevölkerung Serben, deren Anteil
seitdem kaum sehr gestiegen sein kann. Das in Belgrad ansässige
„Koordinationszentrum Kosovo“ (CCK) veröffentlichte Januar 2003
eine Untersuchung, derzufolge 2002 129.474 Serben in Kosova
lebten. Sehr wahrscheinlich leben also noch 100-130.000 Serben
(fast zwei Drittel der Anzahl der 90-er Jahre) im Land. Für
systematische oder koordinierte Vertreibungen gibt es keine
Beweise. Schlimmer ist die Situation der Roma, deren Anteil von
130.000 auf heutige 30-40.000 gesunken ist. Die Roma stellen
eine traditionell besonders unterdrückte Minderheit ohne
mächtige Beschützer dar. Personen wie Adem Demaci oder der in
Kosova im Gefängnis sitzende Albin Kurti treten neben dem Recht
auf Selbstbestimmung besonders für die Rechte der Roma ein. Es
wäre wünschenswert auch in Serbien stärker gegen die dortige „Roma-Feindlichkeit“
aufzutreten. Es muß darum gehen das Recht auf Selbstbestimmung
mit dem Kampf für die gleichen Rechte aller Menschen in Kosova
zu verbinden. Jeder der sich in Europa auf den Standpunkt
stellt, Kosova gehört zu Serbien ignoriert den Willen der
Menschen des Landes. Die konservative Haltung von der
Unveränderbarkeit der Grenzen ist keine linke Position. Im
Gegenteil, sie kann reaktionär im doppeltem Sinn sein. A) Sie
negiert antidemokratisch, die Wünsche der Mehrheit der
Bevölkerung. B) Die Argumentation gegen das
Selbstbestimmungsrecht Kosovas erinnert fatal an die
Argumentation der französischen Rechten gegen die Unabhängigkeit
Algeriens. Bekanntlich galt Algerien einst nicht als Kolonie,
sondern als französische Provinz. Mit der gleichen Logik
behauptet der serbische Chauvinismus Kosova wäre ein
unveräußerlicher Bestandteil Serbiens
Editorische Anmerkungen
Wir erhielten den Text vom
Autor zur Veröffentlichung
für die Juni-Ausgabe.