Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der (vorläufige) Höhepunkt einer Karriere
Fadela Amara wird Kabinettsmitglied unter Sarkozy und Christine Boutin. Oder: Die Vorzeige-Antifundamentalistin als Wasserträgerin der katholischen Fundifrau…
06/07

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Kommt nun die Laufbahn einer Karrieristin an ihr Ziel? Oder handelt es sich vielmehr um ein hoffnungsfrohes Zeichen der politischen Öffnung? Die Ansichten gehen auseinander. Fakt ist, dass die 43jährige Fadela Amara, die als Vorsitzende der Frauenorganisation Ni Putes Ni Soumises (NPNS, „Weder Nutten noch Unterwürfige“) bekannt geworden ist, in die konservative Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy eintritt.

Die Pantent-Antifundamentalistin der linksliberalen Öffentlichkeit wird künftig als Staatssekretärin für die Vorstädte zuständig sein – unter den Fittichen der zuständigen Ministerin, die niemand anders ist als die katholische Fundamentalistin Christine Boutin. Das ist die Dame, die 1999 mit der Bibel von ihrem Abgeordnetensitz aus wedelte, um das sündige Gesetzesprojekt zu verdammen, mit dem damals der „Zivile Solidaritätspakt“ PACS geschaffen wurde. Dabei handelt es sich um eine eingetragene Lebensgemeinschaft für nicht verheiratete, homo- oder heterosexuelle Paare. 

Ihr jüngster Aufstieg bedeutet einen politischen Seitenwechsel für die in Clermont-Ferrand geborene Tochter algerisch-berberischer Eltern. Denn bislang war Amara sozialdemokratische Funktionärin. In Clermont-Ferrand ist sie seit 2001 Stadträtin für den Parti Socialiste (PS), obwohl sie diese Funktion nie wahrgenommen hat und zu keiner einzigen Sitzung erschien. Aber bereits seit 1986 war sie eine führende Kaderin der PS-Satellitenorganisation SOS Racisme, die damals der regierenden Sozialdemokratie als attraktives Aushängeschild diente - und mit viel Geld aus dem Elysée-Palast unter François Mitterrand aufgebaut wurde, um den Schwung der Bewegung junger Einwanderer für gleiche Rechte und gegen Rassismus einzufangen. Die dahinter stehende soziale Bewegung wurde dadurch ausgesaugt und marginalisiert, folglich zerstört, aber SOS Racisme diente vielen Individuen als politische Karriereleiter wie etwa ihrem damaligen Sprecher und heutigen Europaparlamentarier Harlem Désir.  

Ähnliches gilt auch für die 2002/03 gegründete Vereinigung NPNS, die ihrerseits durch den SOS Racisme-Apparat hochgezogen wurde. Ähnlich wie die Stammorganisation arbeitete auch die Tochtergruppe zu einem ernstzunehmenden und bitteren Problem, nämlich zur (tatsächlich verbreiteten) Gewalt gegen Frauen in den Vorstädten. Ähnlich wie SOS Racisme selbst diente aber auch sie vielfach als Karrieremaschine. Umstritten war ihre Rolle, als NPNS in den letzten drei Jahren zunehmend vorgeworfen wurde, als Alibi für die „besseren Kreise“ und die Etablierten zu dienen, weil sie Gewalt und Sexismus nur noch an den marginalisierten Teilen der französischen Gesellschaft festmache. Statt fundierte Gesellschaftskritik unter besonderer Berücksichtigung der Frauenunterdrückung (aber auch anderer Diskriminierungen) zu üben, feiere sie die „republikanischen Ideale“ und beschönige die herrschenden Verhältnisse, während sie zugleich die Situation in den Banlieues in finstersten Farben ausmale und letztlich die Trabantenstädte als barbarische Inseln in einer ansonsten harmonischen Gesellschaft darstelle. 

Fadela Amara ist nun dort angelangt, wo sie vielleicht schon immer hinwollte. Sarkozy und seinem Premierminister François Fillon diente ihre Präsenz im Kabinett als Beleg für eine Öffnung zu Einwandererkindern, ebenso wie jene von Justizministerin Rachida Dati (41) oder der neuen Staatssekretärin für „internationale Fragen und Menschenrechte“, Rama Yade (30), Tochter eines früheren Präsidentenberaters und Diplomaten mit Ministerrang im Senegal. Gleichzeitig sitzt in derselben Regierung aber auch ein Minister für „Einwanderung und nationale Identität“, Brice Hortefeux. Dieser hat präventiv angeordnet, die Polizei müsse in diesem Jahr die Sollziffer von 25.000 Abschiebungen erreichen.   

Am darauffolgenden Tag, 24 Stunden nach der Ernennung von Fadela Amara und Rama Yade ins Kabinett, setzte Präsident Nicolas Sarkozy schon wieder ein anderes Signal. Am Mittwoch empfing Sarkozy, im Rahmen seiner „Beratungen mit den politischen Parteien über die Zukunft der Europäischen Union“, den alternden Rechtsextremenführer Jean-Marie Le Pen im Elysée-Palast. Es handelte sich um den allerersten Empfang für Le Pen im Präsidentenpalast seit Bestehen der Fünften Republik (die 1958 begründet worden ist) überhaupt. Zudem fiel diese Premiere auf Le Pens Geburtstag, denn der rechtsextreme Politiker wurde am selben Tag 79, und Sarkozy konnte sich darüber nicht im Unwissen befinden. Sarkozys Amtsvorgänger hatten Jean-Marie Le Pen von den dortigen Treffen immer ferngehalten, zum Teil mit dem formalen Argument, dass dessen Front National (FN) – aufgrund des Mehrheitswahlrechts – nicht im französischen Parlament vertreten sei. Präsident Sarkozy hat dem nun das ebenso formale Argument entgegen gesetzt, der FN sitze aber im Europaparlament.  

Hinter der Sache steckt, dass Nicolas Sarkozy bei den zurückliegenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen das Gros der bisherigen Wähler Le Pens anziehen konnte. Nunmehr möchte er sie, trotz  seiner Gesten der „politischen Öffnung“ (hin zu früheren Linkspolitikern und/oder Nachfahren von Immigranten), bei der Stange  halten. Eine symbolische Aufwertung ihres ehemaligen „Chefs“ kommt da gerade richtig. Kritiker (zu ihnen gehören auch die französischen Sozialdemokraten) sprechen davon, Sarkozy habe die rechtsextreme Partei dadurch sträflich „normalisiert“. Aber um sich selbst zum totalen Mittelpunkt der französischen Politik zu machen, der Alles und Alle  vermittelt, kommt ihm offenkundig jedes Mittel nicht gerufen. Sicherlich handelte Sarkozy nicht aus Zuneigung zu Jean-Marie Le Pen, ebenso wenig wie zuvor zu Fadela Amara. Zugeneigt ist Sarkozy im Grunde nur einem, und das ist er selbst.    

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 23.6.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.