Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich vor der Parlamentswahl:
Und was tut sich bei den französischen (parteiförmigen) Linkskräften?
06/07

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Die Schadenfreude war spürbar: „Finanzielle Krise bei der französischen KP“ schlagzeilte die konservative Tageszeitung Le Figaro am Mittwoch dieser Woche (06. Juni) auf ihrer Eins. Im Blattinneren füllt das Thema eine volle Seite, unter der Überschrift: „Die französische KP bereitet sich auf eine finanzielle Berezina vor.“ Der Ausdruck Berezina, der im Französischen sehr gebräuchlich ist, rührt vom Namen eines Flusses in Russland her. Dort erlebte Napoléon I. die erste schwere militärische Niederlage während seines Russlandfeldzugs, die den Anfang vom Ende seiner Karriere einläutete. 

Den Anlass für den seitenfüllenden Bericht bildet ein Gerücht, das sich zwar auf Presseinformationen und ein paar handfeste Fakten stützen kann, aber inwischen auch zu Dementis geführt hat. Inhalt des Gerüchts: Die Französische kommunistische Partei plane den Verkauf noch in ihrem Besitz befindlicher Kunstschätze. In Umlauf gebracht wurde die Nachricht zunächst durch die Pariser Abendzeitung Le Monde. Diese berichtete in ihrer Ausgabe vom vergangenen Samstag Abend, die KP-Spitze habe das Wandbild von Fernard Léger Liberté, j’écris ton nom – das derzeit auf der Führungsetage, im fünften Stock des Parteigebäudes hängt – sowie ein Portrait Pablo Picassos aus der Feder von Edouard Pignon einer Wertschätzung unterziehen lassen. „Ich habe verstanden, dass sie dabei sind, ihre letzten Besitztümer zu verkaufen“ wird dazu ein anonym bleibender Direktor eines Pariser Kunstmuseums zitiert. Die französische KP hatte vor allem in den Jahren nach 1945 ein enormes Prestige in Künstler- und Intellektuellenkreisen besessen, und Prominente wie Pablo Picasso oder Louis Aragon in ihren Reihen gezählt. Letzterer hatte dem  seinerzeitigen Generalsekretär Georges Marchais im Jahr 1979 das Kunstwerk ‚Die schnauzbärtige Mona Lisa’ von Marcel Duchamp, um das es in den Gerüchten ebenfalls geht, geschenkt.   

Genau dies ist aber inzwischen seitens des Parti communiste français (PCF) dementiert worden. Ebenfalls an diesem Mittwoch berichtete etwa die Boulevardzeitung Le Parisien: „Die KP will ihre Schätze behalten.“ Am Vortag hatte der offizielle Sprecher der Partei, Olivier Dartigolles, eine Führung für Journalisten am Parteisitz an der Pariser Place du Colonel Fabien organisiert. „Ich bin nicht gekommen, um Ihnen einen Flohmarkt/Ramschverkauf (vide-grenier) anzukündigen“, sprach Dartigolles dabei sarkastisch aus, und: „Wir handeln weder mit Immobilien noch mit Kunstwerken.“

Ramschverkauf bleibt aus. Noch 

Dass der Direktor eines Pariser Museums – nunmehr wird präzisiert, es handele sich um das Musée d’Art moderne de la Ville de Paris – eingeschaltet worden sei, um manche Kunstwerke zu begutachten, leugnet der Sprecher des PCF nicht. Im Gegenteil. Aber er stellt sie in Zusammenhang mit Plänen, diese durch Leihgaben an Museen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – ohne finanzielle Hintergedanken, glaubt man seiner Version. Ähnlich, wie ‚Die Schnauzbärtige Mona Lisa’ seit 2005 als Leihgabe dem Centre Pompidou zur Verfügung gestellt worden ist. Der Satz mit den Immobilien bezieht sich auf zur selben Zeit gestreute Behauptungen, wonach die PCF-Führung sogar erwogen habe, ihren Parteisitz zu veräubern. Dies wird aber von allen Seiten höchst energisch dementiert. Aus gutem Grund: Stünde das 1971 nach Plänen des berühmten brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer errichtete Gebäude von 15.000 Quadratmetern – davon ein Drittel unterirdischer Parkfläche – zum Verkauf, so würde dies das definitive Ende des PCF symbolisieren. In den eigenen Reihen wuchsen schon seit einigen Jahren diesbezügliche Befürchtungen, nachdem der Parteisitz zu Anfang dieses Jahrzehnts – in manchen Fällen gegen Geld – Aubenstehenden für kommerzielle und andere Ereignisse zur Verfügung gestellt worden war. So hatte im Oktober 2000 eine Modeshow des Bekleidungshauses Prada an „Colonel Fabien“ stattgefunden, und im Dezember desselben Jahres eine Ausstellung zum Thema „Jesus“. Viele Parteimitglieder kniffen sich in den Arm und beklagten, ihre KP nicht wiederzuerkennen. Seitdem sind die Empfindlichkeiten gewachsen, und an den Parteisitz würde man auch im Falle einer schweren Krise sicherlich zu allerletzt drangehen. Zu heftig würden die Reaktionen in den eigenen Reihen ausfallen.  

Le Figaro bereitet sich freilich eine diebische Freude damit, dieses Szenario doch schon einmal in Gedanken durchzuspielen. Das konservative Blatt lässt auch gleich zwei Immobilienmakler mit ihren „Schätzungen“ zu Wort kommen. Einer von ihnen denkt schon darüber nach, dass „man einen seltenen Klienten finden müsste, der Verwendung für alle diese Flächen hat und der in dieser Ecke von Paris ein Konferenzzentrum oder eine Universität errichten möchte. Oder warum nicht ein Hotel?“ Gebremst wird der gedankliche Elan der rechtsbürgerlichen Zeitung nur dadurch, dass das PCF-Gebäude an „Colonel Fabien“ seit dem 26. März dieses Jahres unter Denkmalschutz steht, also weder abgerissen noch in gröberem Mabstab umgebaut werden dürfte. 

So weit, dass diese Frage konkret aufgeworfen wäre, ist es nicht. Nichtsdestotrotz besteht eine materielle Grundlage für all diese Spekulationen: Die finanzielle Lage der Französischen kommunistischen Partei ist auch nach den Worten ihres Finanzbeauftragten Jean-Louis Frostin „angespannt“. Dies geht aus einem Bericht hervor, den er auf einer Führungstagung noch vor dem ersten Durchgang der französischen Präsidentschaftswahl – der am 22. April stattfand – vorlegte. „Bis Ende Juni müssen wir kollektiv über geeignete Mabnahmen nachdenken, um auf Dauer ein finanzielles Gleichgewicht herzustellen“ heibt es darin. Als wahrscheinlich gilt etwa eine Personalreduzierung am Parteisitz, der zur Zeit noch 55 Angestellte beschäftigt. Ein Teil des Immobilienbestands der Partei ist bereits (im Jahr 2004) verkauft worden, so die frühere „Kaderschule“ im südlichen Pariser Vorort Draveil, die für eine geheim gehaltene Summe den Eigentümer wechselte. Ab September dieses Jahres wird das Bauwerk, als Anstalt für geistig behinderte Menschen, 70 Patienten aufnehmen. Auch das Haus des ehemaligen Sitzes des Theorielabors der KP, des früheren „Marxistischen Forschungsinstituts“ (IRM), das in jüngerer Zeit in Espace Marx umbenannt worden ist, am Boulevard Blanqui im Pariser Süden ist 2005 im Gegenwert von 3,2 Millionen Euro verkauft worden. Seitdem residiert Espace Marx am Parteisitz an der Place du Colonel Fabien, der freilich im Gegenzug nun intensiver genutzt wird. 

Wahlergebnisse im Keller 

Schlechte Wahlergebnisse für die Partei sind natürlich die Hauptursache für diese Veränderungen. Dass die PCF-Kandidatin und bisherige Parteivorsitzende – die offizielle Bezeichnung lautet „Nationale Sekretärin“ und löste 1994 den früheren Begriff Secrétaire général ab, der nach damaliger Auffassung zu sehr nach sowjetischer Ära klang - bei der Präsidentschaftswahl nicht die Fünf-Prozent-Hürde erreichen würde, war erwartet worden. Deswegen hatte die Partei finanzielle Rücklagen gebildet. Denn ab fünf Prozent der Stimmen bekommt eine Kandidatin oder ein Kandidat die Hälfte der nachgewiesenen Wahlkampfkosten zurück bezahlt - darunter aber nur eine pauschale Unkostenerstattung, dieses Jahr in Höhe von 808.000 Euro. In diesem Jahr wurde die Partei bei der Präsidentschaftswahl durch Marie-George Buffet repräsentiert, die 59jährige frühere Ministerin für Jugend und  Sport (1997 bis 2002), die ihr Parteiamt nun in Bälde abgeben möchte. Zunächst hieb es, sie wolle den Vorsitz schon  im Herbst dieses Jahres niederlegen; nunmehr aber verlautet, sie werde wahrscheinlich noch bis zu einem vorgezogenen Parteitag im  Jahr 2008 (statt, turnusmäbig, im März 2009) im Amt bleiben. Die Generation der potenziellen Nachfolger, zu denen die relativ jungen Kader wie Parteisprecher Dartigolles oder der Vorsitzende des Pariser Parteiverbands – Patrice Bessac - zählen, galt im Moment als „noch nicht reif“ für die Aufgabe. 

Dass die Bewerberin des PCF bei der Präsidentschaftswahl aber mit 1,93 Prozent der Stimmen einen historischen Tiefststand erreichen würde, wie er seit den 1920er Jahren nicht vorkam, traf die Partei dann aber doch unerwartet schwer. Denn bereits das Wahlergebnis für ihren Vorgänger im Parteivorsitz und als Präsidentschaftskandidat, Robert Hue, der im Jahr 2002 noch 3,35 Prozent erhielt, hatte einen Negativrekord der letzten Jahrzehnte dargestellt.

Nunmehr droht es für die Partei auch finanziell ums Eingemachte zu gehen, falls sich bei den Parlamentswahlen eine ähnlich desaströse Situation einstellt. Denn auf ihren Ergebnissen bauen die Berechnungen auf, die als Grundlage für die staatliche Parteienfinanzierung dienen; für jede erhaltene Stimme bei den Parlamentswahlen gibt es für eine politische Formation 1,63 Euro pro Jahr bis zur nächsten Wahl. Aller Voraussicht nach werden sich die PCF-Ergebnisse beim ersten Durchgang der Parlamentswahlen, an diesem Wochenende, leicht erholen: Momentan wird mit rund 4 Prozent der Stimmen im nationalen Durchschnitt für ihre KandidatInnen gerechnet. Denn ein Teil des katastrophalen Einbruchs bei der Präsidentschaftswahl resultierte auch aus dem extrem starken Trend zum vote utile („nützliche Stimmabgabe“), der in diesem Jahr zum Ausdruck kam. Neben diesem konjunkturellen Grund gibt es freilich auch tiefer liegende, strukturelle Ursachen für den Niedergang. Diese reichen vom Ende des früher einmal als Orientierungspunkt dienenden „sowjetischen Modells“ über die eher bzw. eindeutig negative Bilanz der vergangenen Regierungsbeteiligungen der französischen KP (1981 bis 84 sowie in den Jahren 1997 bis 2002), bis hin zu den soziologischen Veränderungen in der Zusammensetzung der französischen Arbeiterschaft bzw. Lohnabhängigenklasse. 

Die Keule des ‚Vote utile’ 

Die Logik des vote utile oder „kleineren Übels“ schlug in diesem Jahr wesentlich stärker durch als in früheren Jahren. Denn nachdem im April 2002 ein Grobteil der Linkswählerschaft den damaligen amtierenden sozialdemokratischen Premierminister Lionel Jospin für seine fünfjährige Regierungsbilanz abstrafen wollte, hatte dieser daraufhin den Einzug in die Stichwahl verpasst. Letztere machten daraufhin der konservative Amtsinhaber Jacques Chirac und der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen untereinander aus. Dieses Szenario wirkte aber auf die politische Linke wie ein Schock, auch wenn es so nicht vorsehbar war und in vielerlei Hinsicht nur einen „Wahlunfall“ bildete. Daher rührte in diesem Jahr der verbreitete Hang zum berühmten „kleineren Übel“, der übrigens sowohl der (rechts)sozialdemokratischen Kandidatin als auch dem liberal-christdemokratischen Bewerber François Bayrou zugute kam und ihnen linke WählerInnen zutrieb – in der Hoffnung, einer von beiden möge den strammen Rechtskandidaten Nicolas Sarkozy auf seinem seit langem angekündigten Marsch in den Elysée-Palast aufhalten können.  Zu sehr dominierte links die Furcht vor einem „Durchmarsch“ Sarkozys, der dann freilich doch stattfand, aber auch vor einem hohen Wahlergebnis Le Pens. Letzteres war im Vorfeld ebenfalls für möglich gehalten worden, blieb jedoch aus, weil über ein Viertel der Anhänger des alternden Rechtsextremisten sich in diesem Jahr schon im ersten Wahlgang direkt für Sarkozy entschieden hatte.

Diese Entwicklung markiert den Gegenschlag des Pendels gegenüber 2002, als die Sozialdemokratie noch hart abgestraft worden war. Damals erhielt die radikale Linke in Gestalt zweier Kandidaten der auberparlamentarischen Linkskräfte – der Alttrotzkistin Arlette Laguiller (damals 5,7 Prozent) und des undogmatischen Trotzkisten Olivier Besancenot (damals 4,3 Prozent) – genau 10 Prozent. Deren Anteil ist in diesem Jahr ebenso zurückgegangen wie der Stimmenanteil des PCF, wobei der Rücklauf stärker zu Lasten von Frau Laguiller mit jetzt nur noch 1,3 Prozent wirkte als zu Ungunsten von Besancenot (4,1 Prozent).

Alle Varianten der marxistisch geprägten Linken, die beiden in trotzkistischer Tradition stehenden Parteien ebenso wie die französische KP, verloren im April massiv Wähler an Royal und in geringerem Mabe auch an Bayrou. Dass der 33jährige Briefträger und studierte Historiker Besancenot sich dabei besser zu behaupten verstand als die pensionierte Bankangestellte Arlette Laguiller (67) und in absoluten Zahlen gemessen sogar hinzugewann – mit 1,5 Millionen Stimmen gegenüber 1,2 Millionen vor fünf Jahren, bei gleichzeitig stark gestiegener Wahlbeteiligung und darum geringerem Prozentergebnis – liegt vor allem daran, dass er neue WählerInnen gewinnen konnte. Vor allem aus den jungen und sehr jungen Generationen, aus den Milieus der „globalisierungskritischen“ Linken und der sozialen Bewegungen. Dort stand er zwar in Konkurrenz mit dem parteilosen Linkspopulisten und früheren „Bauernrebellen“ José Bové, der ihm aber letztendlich nicht gefährlich werden konnte, da er – nach einem eher konfus wirkenden und schlecht konzipierten Wahlkampf – seinerseits nur 1,3 Prozent erhielt.  

LCR und LO: Die L-Gruppen

Wahrscheinlich hat zudem noch eine Umschichtung von Wählerstimmen zwischen den beiden Formationen der auberparlamentarischen Linken stattgefunden. Bei ihrer sechsten und letzten Präsidentschaftskandidatur hat Laguiller den Preis dafür bezahlt, dass ihre Partei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) sich sowohl aus den Mobilisierungen gegen Le Pen zwischen den beiden Wahlgängen 2002, als auch aus dem Abstimmungskampf der Linken gegen den EU-Verfassungsvertrag von 2005 weitgehend herausgehalten hat. Anders als die aus der französischen 1968er Revolte heraus entstandene Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), der Besancenot angehört, setzt LO – deren Vorläuferorganisation Voix ouvrière (Arbeiterstimme) im Mai 68 schon seit zwei Jahrzehnten existierte – seit jeher stärker auf Alleingänge. Und darauf, in allmählicher Kleinarbeit aus den Betrieben heraus eine „neue Arbeiterpartei“ aufzubauen, die Arlette Laguiller als eine Art Neubelebung der KP der 20er Jahre beschreibt. Hingegen setzt die LCR, je nach Periode mal mehr und weniger erfolgreich, darauf, unterschiedlichste soziale Bewegungen aufzugreifen, sich in ihnen zu verankern und sie politisch zu radikalisieren: Streikbewegungen, aber auch Jugend- und Studierendenproteste, Antirassismus, Antimilitarismus, Trikont-Solidarität, ökologischer und antinuklearer Protest. Ihre trotzkistische Konkurrenz wirft ihr deshalb Opportunismus vor, da „die Ligue“ – wie sie kurz genannt wird - den Weg der leichteren Verankerung wähle, aber nicht genügend auf die Kernarbeiterschaft als „strategisch entscheidende Klasse“ abziele. Anders als Lutte Ouvrière ist die LCR durchaus auch zu theoretischen Lockerungsübungen bereit, etwa zu einer Kritik an der historischen Rolle Trotzkis beispielsweise während der Niederschlage der Kronstadt-Revolte 1921, die kontrovers diskutiert wird. In seinem 2001 veröffentlichten Buch Révolution hatte Besancenot postuliert, auch „libertäre Kommunisten“ – die sich eher in anarchistischer Tradition verstehen, aber den Marxismus als theoretisches Instrument akzeptieren – müssten ihren Platz in seiner Organisation haben.

Bei den Parlamentswahlen dürfte der Effekt des „kleineren Übels“ zwar weiterhin wirken, aber nicht in eben so starkem Ausmab wie zuvor bei der Präsidentschaftswahl. Zumal das Gesamtergebnis schon von vornherein feststehen dürfte: Niemand rechnet mit einem Wahlsieg der französischen Sozialdemokratie. Letztere ist nicht allein durch die Niederlage ihrer Kandidatin Royal gebeutelt worden ist, sondern stärker noch durch die Tatsache, dass der neue Präsident Sarkozy ihr mehrere seiner derzeitigen Minister abwerben konnte.  Dass es eine massive „blaue Welle“ geben wird, gilt also als ausgemachte Sache – blau ist die Farbe der konservativen Regierungspartei UMP -, allein ihr Ausmab steht noch in Frage. Erneut dürfte die Furcht vor dem totalen „UMP-Staat“ nunmehr einige Wählerinnen und Wähler von der Stimmabgabe für kleinere Parteien, weiter links, abhalten und der Sozialdemokratie in die Arme treiben. Allerdings wirkt dieses Phänomen nunmehr schwächer als bei der Wahl des Staatsoberhaupts, da die politische Tendenz in groben Zügen ohnehin feststeht und unabänderlich erscheint. Ferner spielt die stark personifizierte Furcht vieler Anhänger der Linken vor Nicolas Sarkozy, der nicht persönlich bei den Parlamentswahlen kandidiert, keine so starke Rolle wie bei der Präsidentschaftswahl. Und die Furcht vor dem rechtsextremen Front National (FN) überhaupt keine, denn auch diese Partei ist nunmehr in eine Krise gerutscht. 88 Prozent ihrer Anhänger finden im übrigen derzeit Präsident Sarkozy zu Beginn seiner Amtszeit gut, so dass die extreme Rechte derzeit nicht aus dem Schatten des neuen Staatschefs herauszutreten vermag. 

Trotzdem dürften am Sonntag die Bäume für die verschiedenen Linkskräfte, die neben dem Parti Socialiste (PS) zur Wahl antreten, nicht in den Himmel wachsen. Denn für die beiden trotzkistischen Parteien etwa sind die Parlamentswahlen kein sonderlich gutes Terrain. In den letzten Jahren haben sie es zwar – erstmals in der Geschichte – vermocht, die französische KP bei Wahlen zu überflügeln, und insbesondere schon zum zweiten Mal hintereinander bei der Präsidentschaftswahl. Noch aber ist ihnen nicht der Sprung zu echten „Massenparteien“ gelungen, was ihre Mitgliederzahl und damit ihre konkrete örtliche Verankerung in ganz Frankreich betrifft. Deswegen sind auch ihre Parlamentskandidaten wesentlich weniger bekannt als ihre durch die Medien prominent gewordenen Gallionsfiguren, Besancenot respektive Laguiller.

Beide Parteien, LCR und LO, dürften je rund 3.000 Mitglieder haben. Die LCR lag vor der Präsidentschaftswahl knapp unter dieser Zahl, verzeichnet jedoch seit dem relativ guten Abschneiden ihres Kandidaten Besancenot am 22. April einen stark steigenden Zuwachs. Lutte Ouvrière beanspruchte kürzlich offiziell „8.000 Beitragzahlende“, aber diese Zahl dürfte in Wirklichkeit weit übertrieben sein. Vor diesem Hintergrund dürften die Ergebnisse ihrer lokalen ParlamentskandidatInnen für beide Formationen hinter denen ihrer jeweiligen Präsidentschaftskandidaten zurückbleiben. Gerechnet wird derzeit mit rund 3 Prozent für die auberparlamentarische marxistische Linke.

Vergangene Woche hat Olivier Besancenot seine Absicht ausgerufen, eine breitere „neue Partei“ auf der radikalen Linken – deren Gründung durch die Wahlergebnisse seiner Präsidentschaftskandidatur ermutigt worden sei – zu schaffen. Deren genauere Konturen sind aber in den Reihen der LCR, wo das Fraktionsrecht garantiert ist und es drei gröbere politische Strömungen gibt, umstritten. Manche fordern vorrangig den Zusammenschluss der „revolutionären Marxisten“, während andere Stimmen eine breiter gefasste linke Partei unter Einschluss bisheriger Mitglieder der KP, der „globalisierungskritischen“ Linken, ja unter Umständen sogar des Parti Socialiste fordern.           

            KP: Mitgliederschwund oder Überalterungsproblem 

Die französische KP hat hingegen andere Probleme. Nach wie vor ist sie zwar eine mitgliederstarke Kraft: Im Jahr 2005, aus dem die letzten verfügbaren Zahlen stamme, beanspruchte sie offiziell noch 134.000 Mitglieder zu haben. Das wäre damals eine höhere Mitgliederzahl als jene der Sozialdemokratie gewesen, denn der PS hatte bis im vorigen Jahr noch rund 120.000 Mitglieder – hat diese Zahl aber im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfs, durch „Schnuppermitgliedschaften“ und kostengünstige Beitritte im Internet, auf das Doppelte steigern können. Diese neue Mitgliedschaft des PS ist aber weitgehend „künstlich“ und beruht nicht auf politischer Erfahrung oder Bereitschaft zum Engagement, sondern auf Neugier, einem Medienhype und der Leichtigkeit des Mausklicks im Internet. Der Parti communiste dagegen ist eine echte Mitgliederpartei aus historischer Tradition, hat aber andere Probleme, namentlich das einer zunehmenden Überalterung seiner Beitragszahler und – damit zusammenhängend – der Häufung von Karteileichen. Real dürfte seine Mitgliedschaft zwischen jenen 53.000, die sich bei einer Urabstimmung 2002 beteiligten, und den 93.000 Teilnehmern an der innerparteilichen Kandidatenwahl im vorigen Herbst liegen. 

 Und dann stellt sich die Frage nach seiner künftigen Strategie, die eng mit jener des längerfristigen politischen Überlebens verknüpft ist. Auf zwei Klippen steuert die Partei in nächster Zukunft unmittelbar zu: Zunächst einmal möchte sie dringend dafür sorgen dafür sorgen, dass sie ihren Fraktionsstatus in der Nationalversammlung behält. Denn  daran allein hängen 1,6 Millionen an öffentlichen Mitteln für ihre Parlamentsarbeit, die Existenz einer Fraktion vorausgesetzt. Dafür benötigt die Partei mindestens 20 Abgeordnete, derzeit liegt sie noch knapp über dieser Schwelle. Wahrscheinlich wird sie dabei aber einen Fehlschlag erfahren, derzeit werden ihr zwischen 4 und 12 Abgeordnete in der künftigen Nationalversammlung prognostiziert. Danach bleibt ihr nur noch, bei den Kommunalwahlen zu Anfang 2008 einige Rathäuser zu „behalten“ – derzeit regiert der PCF noch um die 30 Rathäuser in mittelgroben Städten, aber nur eine Kommune von über 100.000 Einwohern (Calais). An beiden Ebenen hängt nicht nur ein Gutteil des Prestiges der Partei, sondern auch – ganz banal – ein beträchtlicher Teil ihrer Finanzquellen. Noch verfügt die französische KP über 12.000 gewählte Mandatsträger, auf nationaler Ebene, in  Rathäusern und Kommunalparlamenten. Alle sind laut den Parteistatuten dazu verpflichtet, die Gesamtheit ihrer Diäten an die KP abzuführen, die wiederum den politischen (Vollzeit- oder Teilzeit-)Hauptamtlichen unter ihnen das Pendant eines Facharbeiterlohns zukommen lässt. Aber was passiert, wenn diese Zahl ihrer Mandatsträger sich verringert? 

Nur keinen Ärger mit der Sozialdemokratie 

Um dieses Problem zu lösen, setzt die Parteiführung darauf, es sich nicht auf Dauer mit der französischen Sozialdemokratie zu verscherzen. Denn von der Möglichkeit, mit ihr Wahlabkommen zu schlieben – entweder im Vorfeld einer Wahl, oder auch zwischen ihren beiden Durchgängen – hängt vielerorts die Möglichkeit für die KP ab, einen Wahlkreis oder eine Kommune zu halten. Würden die PS-Sozialisten gewichtige Gegenkandidaten zu ihren eigenen BewerberInnen aufbieten, wäre es damit an den meisten Orten vorbei. Die Bereitschaft seitens des Parti Socialiste, Rücksicht darauf zu nehmen, ist jedoch im allgemeinen gesunken. Zumal seit der Wahlniederlage Ségolène Royals die Parteirechte mächtig in die Offensive gegangen ist – ihr zufolge wurde die Wahl „nicht links, sondern in  der Mitte verloren“ , und der künftig zu umwerbende Bündnispartner muss das christdemokratisch-liberale Zentrum unter François Bayrou anstatt der KP sein. Schon im Vorfeld der Parlamentswahl vom Sonntag hat die Sozialdemokratie kein frankreichweit geltendes Abkommen mit der KP zur Aufteilung der Wahlkreise geschlossen, auch mit den inzwischen völlig marginalisierten Grünen übrigens nicht, anders als in der Vergangenheit. Abzuwarten bleibt, wie es sich damit in der kommenden Woche, also zwischen den beiden Wahlgängen verhält. In die Stichwahl können alle jene KandidatInnen einziehen, die im ersten Wahlgang durch mindestens 12,5 Prozent der in die Wählerlisten eingetragenen Wahlberechtigten gewählt worden sind – das entspricht mal eher 15, mal eher 18 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. Aber infolge von Verhandlungen zwischen den Linkskräften dürften vielerorts die aussichtsloseren BewerberInnen zugunsten des bestplatzierten Bewerbers auf der Linken zurückgezogen werden. Abzuwarten bleibt, ob und inwiefern es zu Rückzügen sozialdemokratischer Kandidaturen zugunsten der KP kommen wird.   

Welche strategische Option? 

Unter dem Druck einer zunehmend auf Bündnispartner zu ihrer Rechten schielenden, und historische Allianzen tendenziell aufgebenden Sozialdemokratie bleiben im Kern zwei strategische Optionen übrig. Entweder lässt sich eine auberinstitutionelle Strategie einschlagen, die den Bruch mit der in die wirtschaftsliberale „Mitte“ rückenden Sozialdemokratie, damit aber auch den Verzicht auf bestimmte institutionelle Machtbastionen in Kauf nimmt. Ähnlich, wie die beiden trotzkistischen Parteien dies tun. Oder aber dieses Risiko wird als zu hoch bewertet. Damit bleibt die Partei aber auf ihre „Bündnisfähigkeit“ gegenüber der Sozialdemokratie, und bis zu einem gewissem Grade auf deren Wohlwollen angewiesen. Dies koste was es wolle anzustreben, dessen „verdächtigen“ viele potenzielle BündnispartnerInnen auf der Linken die KP, oder jedenfalls ihre Führung. Darin liegt einer der – in Wirklichkeit vielfältigen – Gründe dafür, warum das von mehreren Seiten angestrebte „anti-neoliberale Bündnis“ auf der Linken im Vorfeld der diesjährigen Präsidentschaftswahl nicht zustanden kommen konnte. Andere Ursachen, vom Strategiestreit innerhalb der LCR – die mehrere grobe Tendenzen aufweist, die alle eine „neuere, breitere Partei“ auf der radikalen Linken anstreben, sich aber darüber uneinig sind, wie ihre Konturen aussehen sollen und bis wohin sie reichen kann – bis zum starken Ego des Kandidaten José Bové, spielten dabei freilich ebenfalls eine Rolle.

Wie es nun in Zukunft weitergehen soll, darüber streiten sich innerhalb der KP ebenfalls die Geister. Historisch gab es seit dem vorigen Jahrzehnt drei gröbere „Pole“. Auf der einen Seite die „Orthodoxen“ sowie die so genannten Marchaisianer – Anhänger des langjährigen Generalsekretärs George Marchais (1972 bis 1994), die die Auffassung vertreten, aufgrund des 1994 proklamierten Bruchs mit dem Parteimodell der sowjetischen Ära und der Dritten Internationale sei eine schädliche Aufweichung der politisch-ideologischen Grundlagen eingetreten. Anhänger dieses Pols vertreten die Auffassung, würde die KP nur zu ihren historischen basics zurückkehren, statt den „Moden der Zeit“ hinterherzulaufen, könne sie auch wieder tendenziell an ihre alte Rolle und Gröbe anknüpfen. Auf der anderen Seite standen die Refondateurs oder „Neugründer“. (Nicht zu verwechseln mit den Rénovateurs oder „Erneuerern“, welche die französische KP um 1987/88 verlieben und damals die Präsidentschaftskandidatur von Pierre Juquin unterstützte, der jedoch nur 2 Prozent der Stimmen erhielt. Juquin wurde später Grünen-Mitglied und tauchte im Jahr 2006 als Unterstützer des sozialdemokratischen Anwärters auf die Präsidentschaftskandidatur Laurent Fabius wieder auf; infolge des Scheitern des früheren Premierministers beim innerparteilichen Referendum des PS mochte Juquin jedoch nicht die Kandidatur der schlechten Blair-Kopie Ségolène Royal unterstützen.) Diese Refondateurs verfochten, und verfechten noch immer, die Auffassung, das überkommende Parteimodell – als „monolithische Kraft“, nach auben hin nicht pluralistisch und ohne erklärtes Fraktionsrecht – sei die Ursache fast aller Übel. Dieses sei daher vorrangig zu überwinden, zugunsten eines relativ breiten und pluralen linken Bündnisses. In der Mitte zwischen beiden Polen stand das Gros des Parteiapparats, der eine begrenzte, aber kontrollierte Öffnung der KP hin zu anderen linken Strömungen – die auberhalb der Traditionslinie der Dritten Internationalen stehen – anstrebte.  

Letztere alte Mittelstömung wiederum hat sich jetzt in zwei Unterpole zerlegt: Die Anhänger des vormaligen Parteivorsitzenen und Präsidentschaftskandidaten Robert Hue (1994 bis 2002) streben ein privilegiertes Bündnis mit der Sozialdemokratie an, das einen Vorrang für „Regierungsfähigkeit“ impliziert. Hue hielt sich im diesjährigen Präsidentschaftswahlkampf des PCF stark zurück, sab jedoch während der Abschlussveranstaltung im Wahlkampf der rechtssozialdemokratischen Kandidatin Ségolène Royal – am 1. Mai, zwischen den beiden Durchgängen – auffällig platziert unter den Kameras. Ein ehemaliger „rechter Arm“ Hues, der frühere Transportminister Jean-Claude Gayssot (1997 bis 2002), tritt sogar dafür ein, dass die französische KP in einer neuen Partei gemeinsam mit Sozialdemokraten aufgeht, wie in ‚Le Monde’ vom 09. Juni nochmals bekräftigt wird. Hingegen setzte die Hauptfraktion in der Parteiführung, unter ihrer Vorsitzenden Buffet, auf ein „anti-neoliberales“ Bündnis, das jedoch durch eine Kandidatin oder einen Kandidaten der Partei selbst bei der Präsidentschaftswahl vertreten werden sollte – im Sinne eines Kurses der kontrollierten Öffnung. Als das Bündnis dann jedoch im Dezember vergangenen Jahres platzte, zog die Buffet-Fraktion die Eigenkandidatur der Partei durch, bemühte sich freilich um Unterstützung für selbige aus anderen Teilen der Linken.  

Man kann sagen, dass das Idealbild der Buffet-Fraktion in jenem Auftreten liegt, das die französische KP vor den Regionalparlamentswahlen im März 2004 wählte: Damals stellte sie Listen auf, die zwar solche der KP waren und (im Raum Paris) durch ihre Chefin Marie-George Buffet angeführt wurden, auf denen aber  auch parteilose KandidatInnen standen. Manche von ihnen, wie die frühere gewerkschaftliche und Arbeitslosenbewegungs-Aktivistin Claire Villiers, waren zuvor in den sozialen Bewegungen bekannt geworden. Als strukturierte politische Kraft stand zwar eindeutig die KP hinter diesen Listen, aber als Signal der „Offenheit“ trugen sie einen anderen Namen: ‚Gauche populaire et citoyenne( sinngetreu: ‚Linke der kleinen Leute und der Bürgerrechte’). Hingegen läge das Leitideal der ‚Refondateurs’-  oder ‚Neugründer’-Strömung um den früheren ‚L’Humanité’-Chefredakteur  Pierre Zarka, den  Historiker Roger Martelli u.a. eher in einem heterogeneren anti-neoliberalen Bündnis - wie jenem, das sich vor der jüngsten Prâsidentschaftswahl rund um José Bové scharte, nachdem die „Einheitskandidatur“ nicht zustande gekommen war. Unter den, politisch ziemlich uneinheitlichen, UnterstützerInnen  Bovés fanden sich auch viele bisherige KP-‚Neugründer’.   

Vorläufiges Fazit 

Diese Schwenks, taktischen Manöver und auch die enttäuschten Hoffnungen auf manchen Seiten haben vielerorts ihre Spuren hinterlassen. Bei der französischen KP hat die Fraktion der refondateurs ihre sämtlichen Sitze in der Parteiführung daraufhin geräumt, als das Scheitern der Pläne für eine „anti-neoliberale Bündniskandidatur“ bekannt geworden war. Auch bei der LCR hat eine starke innerparteiliche Minderheit, die zumindest zeitweise über 30 Prozent der Organisation repräsentierte, ihrer Leitung einen zu kompromisslosen Kurs etwa gegenüber der KP attestiert und ihr das Scheitern der Bündnispläne mit angelastet. Aus beiden Lagern rekrutierten sich in der Folge viele aktive UnterstützerInnen der Eigenkandidatur José Bovés. Aber dieser wiederum hat nicht nur ein schlechtes Ergebnis hingelegt, sondern auch Teile seiner politischen Freunde enttäuscht, als er kurz nach dem ersten Wahlgang ein Angebot der französischen Blair-Kopie Ségolène Royal annahm. Diese hatte Bové angeboten, in ihrem Namen einen Untersuchungsbericht über „Globalisierung und Ernährungssouveränität“ zu erstellen, worauf der frühere Bauernrebell bereitwillig einging.  

Teile der Linken liegen seitdem in Scherben. Die „herkömmlichen Parteistrukturen“, die etwa Bové im Wahlkampf als Verantwortliche für das Nichtzustandekommen einer Bündniskandidatur gescholten hat, haben sich zumindest vorläufig durchsetzen können. Bisher hat sich aber auch keine Alternative zu ihnen erfolgreich herausschälen können.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 9.6.07 zur Veröffentlichung.
Eine gekürzte Fassung erschien am Freitag, den 08. Juni in der Tageszeitung ‚Neues Deutschland’.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.

BERNHARD SCHMID, 35, hauptberuflich Jurist, arbeitet im Nebenberuf als freier Journalist, lebt und arbeitet seit 12 Jahren in Paris