Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Frankreich unter Nicolas Sarkozy
De facto-„Kabinett der nationalen Einheit“ lanciert die ersten „Reformen“. Die Dampfwalze läuft an
06/07
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onlinezeitung„Welcher Feind steht an unseren Grenzen, dass wir eine Regierung der nationalen Einheit bräuchten?“ fragt der Hochschullehrer Maurice Goldring in einem Gastbeitrag für die Pariser Abendzeitung Le Monde. Und fährt in kritischer Absicht fort: „Es gibt nur noch eine Grobe Partei Frankreichs, in der Links und Rechts zusammengeschlossen sind.“
François Bayrou, der Kandidat des christdemokratisch-liberalen Zentrums, war mit pseudo-rebellischen Zungenschlägen gegen „das Regime der beiden groben Parteien“ in die Präsidentschaftswahl zog und von vielen als Anti-Establishment-Kandidat gewählt worden. Er schlug es im Wahlkampf vor: „Jenseits der Spaltungslinie zwischen Rechts und Links“ sollten „die fähigen Leute, die Sachargumente“ genommen und zusammengeführt werden. Die bisherigen Trennungen zwischen den politischen Lagern sollten verwischt werden. Nicolas Sarkozy hat es gemacht, und einem aufstrebenden politischen Konkurrenten damit den Weg aus den Segeln genommen. Als ob Frankreich sich in einer schweren Krise befände, die eine nationale Einheitsregierung erfordern würde, hat Präsident Sarkozy der gröbten parlamentarischen Oppositionspartei mehrere seiner Kabinettsmitglieder abgeworben.
Nicht, dass dabei Bündnis- und Koalitionsverhandlungen stattgefunden hätten und hart um politische Lösungen, um unterschiedliche mögliche Antworten auf gesellschaftliche Probleme gerungen worden sei. Sarkozys neuer Premierminister François Fillon, der am vorletzten Freitag (18. Mai) ernannt worden ist, stellte sofort klar: Man werde „versuchen, den unterschiedlichen Hintergrund der Männer und Frauen, die die Regierung bilden“, zu berücksichtigen. „Aber indem wir diese Diversität (Verschiedenheit) in den Dienst des politischen Projekts Nicolas Sarkozys stellen“, das alle Minister und der Regierungschef selbst „auf das Genaueste umzusetzen“ haben werden.
Kurzportrait: François FILLON
Der neue Premierminister, der aus dem westfranzösischen Le Mans stammt, gilt traditionell eher als „sozialer Gaullist“. Demnach hält der Mann es eher mit der Bewahrung gewisser sozialer Errungenschaft und eines Mindestniveaus an Staatsanteil in der Wirtschaft. Soweit die Rhetorik. Nun kommen wir zum Faktischen: François Fillon ist ein Regierungspolitiker, der bereits unter den aufeinanderfolgenden Kabinetten Raffarin-1, Raffarin-2 und Raffarin-3 (2002 bis 2005) als Minister mit unterschiedlichen Ressortzuständigkeiten im Kabinett sab - und dort Erhebliches für das Vorankommen der neoliberalen „Reformwelle“ geleitest hat.
Insbesondere hat François Fillon in diesem Zeitraum drei gröbere „Reformprojekte“ auf dem Kerbholz, denn die jeweiligen Gesetze wurden in allen drei Fällen unter dem Namen ‚Loi Fillon’ bekannt. Ausweislich seiner Vorarbeit, als zuständiger Fachminister, an den jeweiligen Gesetzentwürfen vor ihrer Einreichung ins Parlament trugen diese „Reform“vorhaben jeweils seine Handschrift. Daher zählt Fillon nicht wirklich zu den „unbeschriebenen Blättern“ unter den bürgerlichen Politikern, sondern gehört eher in die Kategorie der schweren Jungs. Sein politisches Vorstrafenregister ist anschaulich.
Und hier seine drei gröbten Glanztaten:
Gesetz vom 24. Juli 2003 (Datum des Inkrafttretens), François Fillon ist Minister für Arbeit & Soziales: ‚Réforme Fillon sur les retraites’, Rentenreform. U.a. Anhebung der Zahl der erforderlichen Beitragsjahre – für eine Person, die einen vollen Rentenanspruch geltend machen möchte - von zvor 37,5 auf zukünftig (ab 2020) 42,5 Beitragsjahre. Ferner Absenkung der garantierten Mindestbezüge für PensionsempfängerInnen. Für die nahe Zukunft deutet sich bereits eine weitere Verschärfung an, denn für das Jahr 2008 ist im Rahmen der Loi Fillon eine „Bilanzierung“ durch die Regierung vorgesehen, also eine Zwischenetappe, die zur partiellen Überarbeitung der damaligen ‚Reform’ führen kann (und soll, so deutet sich derzeit an). Aber sage niemand, es werde nicht an die armen Rentner/innen gedacht, die im Alter nichts mehr zu Beiben haben. Zum Glückwunsch an ihre Adresse wird voraussichtlich noch im Juli 2007 eine Bestimmung verabschiedet werden, die es erlaubt, nach dem Eintritt des Rentenalters, neben dem Beziehen einer Pension, nebenher auch weiterhin lohnabhängig zu arbeiten. Nun, falls man nicht über die Runden kommt...
Gesetz vom 04. Mai 2004 „über den sozialen Dialog“, ebenfalls ‚Loi Fillon (sur le dialogue social)“, François Fillon amtiert noch immer als Arbeits- und Sozialminister: Es hebt den bisherigen Vorrang für den Flächentarifvertrag (convention de branche) vor dem betrieblichen Abkommen (accord d’entreprise) auf. Damit fällt faktisch das so genannte „Günstigkeitsprinzip“ (principe de faveur): Bis dahin galt grundsätzlich vorrangig der Flächentarifvertrag – AUSSER, wenn das Betriebskommen günstigere Bestimmungen aus Sicht der Lohnabhängigen enthielt. Und im letzteren Falle galten die Bestimmungen zu jenen Punkten, in denen das Betriebsabkommen günstiger ausfiel. Diese Verknüpfung zwischen Flächen- und Firmentarifvertrag diente dazu, gewisse Mindeststandards (die durch den Branchentarifvertrag ausgewiesen werden) zu garantieren. Und zu verhindern, dass diese durch einen Unterbietungswettbewerb zwischen Personalvertretern in Firmen, die im Namen der „bedrohten Arbeitsplätze“ ihrer Kollegen agieren und deswegen „Opfer“ in Kauf nehmen, unterlaufen werden. Die ‚Loi Fillon’ vom 04. Mai 2004 dreht die bisherigen Prioritäten um und stellte die Hierarchie auf den Kopf: Grundsätzlich hat demnach das Betriebsabkommen den Vorrang, es sei denn, dass das Thema eine einheitliche Regelung per Flächentaifvertrag erforderlich macht. Dem befürchteten Unterbietungswettbewerb zwischen Unternehmen und Firmen, die gewerkschaftlich ausgehandelten Arbeits- und Sozialstandards betreffend, wird dadurch Tür und Tor geöffnet. Es ist noch zu früh, um die genauen Konsequenzen dieser neuen Gesetzgebung näher zu analysieren.
März 2005, Fillon amtiert (in der Periode 2004/05) als Bildungsminister: Artikel für Artikel wird, begleitet von heftigen Protesten, sein Gesetz zur Reform der Oberschulen verabschiedet. Es dient der Umsetzung der Beschlüsse der EU von ihrem Lissabon-Gipfel betreffend „Bildungswesen und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Ökonomien“. Insbesondere sollen so genannte Schlüsselkompetenzen, die auf dem neuen Arbeitsmarkt relevant und für die Bedürfnisse der sich modernisierenden Ökonomie interessant sind, auf- und andere Bildungsinhalte und z.T. ganze Fächer abgewertet werden. Unter dem Druck einer teilweise militanten Bewegung der Oberschüler/innen kann diese „Reform“ jedoch (vorläufig?) zum Grobteil verhindert werden. Das Gesetz wird zwar vom Parlament angenommen, obwohl die Welle von Schul- und Rektoratsbesetzungen gleichzeitig nicht abreibt. Aber die Regierung hat in der Folgzeit davon abgesehen, die erforderlichen Dekrete mit den konkretisierenden Ausführungsbestimmungen zu erlassen. So der bisherige Stand der Dinge....
Ex-sozialistische Würstchen zieht es an den Fleischtrog
Dennoch hat die neue Regierungsmannschaft ehemalige führende Köpfe der Sozialisten gewinnen können, oft vor dem Hintergrund enttäuschter Karriereambitionen und persönlicher Frustrationen. Der frühere Bildungsminister Claude Allègre, der mit seiner Sozialistischen Partei verkracht ist, in seiner Amtszeit die Lehrergewerkschaften gründlich vergrätzt hat und wegen seiner mitunter höchst notdürftig begründeten Ansichten zu wissenschaftlichen Themen sehr umstritten ist - er leugnet etwa den Klimawandel - wurde beim Verlassen eines Hinterausgangs bei Sarkozy gesichtet. Minister wird er nun doch nicht, aber er wird eine „Mission“ für den neuen Präsidenten zu Sachthemen akzeptieren. Hubert Védrine, dem ehemaligen Aubenminister unter François Mitterrand und Lionel Jospin, wurde sein früheres Ministerium angeboten. Er schlug jedoch aus, da er nicht über hinreichende politische Autonomie gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt verfügt hätte. Ein anderer - nunmehr ehemaliger – Sozialdemokrat, Bernard Kouchner, der in Sachfragen der internationalen Politik oft entgegengesetzte Positionen zu denen Védrines vertreten hat, übernahm stattdessen das Amt. wird. Tatsächlich entspricht Kouchners pro-US-amerikanische und interventionistische Linie weitaus eher den Positionen Sarkozys. Ferner kommen auch mehrere Staatssekretäre aus den Reihen der Sozialdemokratie oder ihrem Umfeld.
Chefsache Aubenpolitik
Die Aubenpolitik wird der Präsident aber weitgehend selbst in die Hand nehmen, und nicht den Ministern überlassen. Um ihr Profil zu prägen möchte Sarkozy in Bälde einen politisch-militärischen „Nationalen Sicherheitsrat“ gemäb dem existierenden US-Vorbild, schaffen, der dem Staatsoberhaupt direkt zuarbeiten soll und der Regierung damit Kompetenzen entziehen wird. Bislang war nur die „afrikanische Zelle“ im Elysée-Palast, die für die offene und verdeckte neokoloniale Afrikapolitik zuständig ist - jüngst hatte Ségolène Royal als erste aussichtsreiche Elysée-Kandidatin ihre Auflösung gefordert - unmittelbar dem Präsidenten unterstellt. Nicolas Sarkozy hat bereits ihr neues Oberhaupt ernannt, Bruno Joubert, einen bisherigen Beamten des Aubenministeriums und hohen Funktionär des Auslandsgeheimdiensts DGSE, der die Nachfolge von Jacques Chiracs Afrikaberater Michel de Bonnecorse antritt. Zukünftig soll die Zelle für afrikanische Angelegenheiten aber dem neu zu bildenden „Nationalen Sicherheitsrat“ eingegliedert werden.
Ansonsten hat Sarkozy auf der internationalen Ebene bereits erste Gespräche in Brüssel begonnen, um die Initiative für einen Neuanlauf im EU-Verfassungsprozess zu ergreifen. Am Donnerstag (24. Mai) begann sich dabei ein Ansatz für einen Konsens rund um Sarkozys Vorschlag, einen „Mini-Vertrag“ - eine verkleinerte Version des gescheiterten Verfassungsvertrag - aufzusetzen und durch die Parlamente verabschieden zu lassen. Anders als 2005 sollen die Bevölkerungen also nicht mehr konsultiert werden. Dafür hat Nicolas Sarkozy an diesem Donnerstag, 31. Mai, nach einigen Debatten auch den spanischen Premierminister Zapatero gewinnen können.
Geil: „Nationale Identität“ nunmehr mit eigenem Ministerium ausgestattet
In der französischen Innenpolitik hat Nicolas Sarkozy in der Anfangsphase erhebliche Anstrengungen darauf gesetzt, unterschiedliche und zum Teil gegensätzliche Symbole zu besetzen und sich dadurch als obersten Garanten des nationalen Zusammenhalts zu profilieren. Im Wahlkampf hatte Sarkozy lautstark die „nationale Identität“ beschworen – im März tauchte sie in einer Rede des damaligen Kandidaten gleich 28 mal auf. Nunmehr wurde in der Sache ein eigenes Ministerium geschaffen, das für „Zuwanderung, Integration, nationale Identität“ und Beziehungen zu den Herkunftsländern von Migranten – vornehm co-développement genannt – sowie für Staatsbürgerschaftsfragen zuständig sein wird. Unter dem dafür ernannten Minister Brice Hortefeux (UMP) wird es in naher Zukunft vor allem eine Verschärfung der Regeln für den Familiennachzug von Einwandern geben. Auch soll eine feste Quotenregelung für Zuwanderung eingeführt werden, durch die auch der Zuzug von Asylsuchenden nach der Genfer Konvention jährlich vorab kontingentiert wird.
Aufgrund der Benennung des neuen Ministeriums sprachen manche Kritiker – Historiker wie Gérard Noiriel oder Juristinnen wie Danièle Lochak – davon, erstmals seit Vichy mache es sich der Staat zur Aufgabe, „nationale Identität“ amtlich zu definieren. Als erste Amtshandlung hat Präsident Sarkozy zugleich an die Résistance angeknüpft, indem er anordnete, in allen Oberschulen zu Schuljahresbeginn den Abschiedsbrief des jungen Résistants Guy Môquet an seine Eltern zu verlesen. Der 17jährige Kommunist war 1941im Rahmen einer Geiselerschiebung durch die nazideutsche Besatzungsmacht hingerichtet worden. Sarkozy bezeichnete Guy Môquet als Symbol der Verweigerung von „Fatalität (Schicksalhaftigkeit) und Ehrlosigkeit“, ging aber nicht näher auf die politischen Ideale des jungen Mannes ein. Kritiker sprechen davon, dass Sarkozy vor allem die Emotion, die mit den Abschiedsworten des 17jährigen an seine Mutter verbunden sind, ausnutzen und zugleich die Geschichte entpolitisieren wolle.
Und versteht Sarkozy sich nicht auch selbst gern als Symbolfigur der Ablehnung von Fatalität, wenn er „soziale Besitzstände endlich antasten“ und Frankreich gründlich durchreformieren möchte? Der neue Präsident behauptet, sein Aktivisismus sei die Garantie für „die Rehabilitierung der Politik“, indem er beweise, dass man mit Voluntarismus etwas erreiche und der Staat auch in Zeiten der Globalisierung „nicht machtlos geworden“ sei. Als ideologische Grundlage für dieses Vorhaben spannt Sarkozy immer wieder gern auch die französische Geschichte ein, als Symbol- und Emotionsquelle. Neben der Résistance knüpfte er im Wahlkampf auch wiederholt an Jeanne d’Arc an, die in den letzten Jahrzehnten auf der politischen Bühne nur durch die extreme Rechte als „Nationalheilige“ beschworen und gefeiert worden war. Die „Jungfrau von Orléans“ hatte im 15. Jahrhundert in der Normandie gegen die Engländer gekämpft, es war gerade Hundertjähriger Krieg, und ist in Rouen verbrannt worden. Sarkozy zitierte sie etwa in seiner Kandidatenrede im normannischen Caen mit glühenden Worten. Auch sie ist ihm ein Symbol für die Ablehnung von Fatalismus und für historischen Voluntarismus.
Gleichzeitig wurde erstmals ein Schlüsselministerium mit einer Tochter von Einwanderern besetzt, mit der 42jährigen Rachida Dati als Justizministerin. Die Tochter eines marokkanisch-algerischen Paares soll die Aufstiegschancen für Einwandererkinder symbolisieren. Die ersten Mabnahmen, für die die ehemalige Staatsanwältin zuständig sein wird, sind im Sommer dieses Jahres die Abschaffung des Jugendstrafrechts für 16- und 17jährige und die Einführung von Mindeststrafen – bislang legte das Gesetz nur Höchststrafen fest und überlieb ansonsten das Strafmab dem Richter – bei mehrfach straffällig Gewordenen. Die Quotenregelung und das Erwachsenenstrafrecht ab 16 sind zwei alte Projekte Sarkozys, mit denen er unter seinem Amtsvorgänger Chirac nicht durchkam, da seine damaligen Regierungskollegen noch einen Bruch mit republikanischen Prinzipien befürchteten.
In der Innen-, Justiz- und Polizeipolitik ist mit weiteren Änderungen zu rechnen. Nachdem Nicolas Sarkozy in den vergangenen Tagen eine Reihe von Umbesetzungen in den Führungspositionen der verschiedenen Polizeidienste vorgenommen und Leute seines Vertrauens an den Schalthebeln platziert hat, wurden am Donnerstag Pläne für eine Umstrukturierung der Apparate bekannt. Polizei und Geheimdienste sollen eine erhebliche Annäherung erfahren. Die polizeiliche Nachrichtenabteilung RG (Renseignements Généraux), die grob mit den deutschen Verfassungsschutzämtern verglichen werden kann, der Inlandsgeheimdienst DST und in naher Zukunft auch die Anti-Terror-Abteilung der nationalen Kriminalpolizei werden dasselbe Gebäude im Pariser Vorort Levallois-Perret beziehen. Dadurch werden Polizei und Nachrichtendienste quasi miteinander fusioniert. Dies deutet eine stärkere Konzentration der staatlichen Ermittlungstätigkeiten und Eingriffsbefugnisse an.
Schwerpunkt Wirtschafts- und Sozialpolitik: Die Gegenreform drängt auf Taten
Die einschneidendsten Veränderungen sind, innerhalb von kurzer Zeit, auf wirtschafts- und sozialpolitischer Ebene zu erwarten. „Monsieur Sarkozy will ‚alle Reformen auf einmal durchführen’“ titelte die Pariser Abendzeitung Le Monde am vorletzten Wochenende. Der neue Präsident ist offenkundig finster entschlossen, eventuelle Kritiker und Gegner der anvisierten wirtschaftsliberalen „Reformen“ gar nicht erst Atem schöpfen zu lassen. Dieselbe Zeitung zitiert die neue Hochschulministerin, die 39jährige Valérie Pécresse (UMP), mit den Worten: „Es ist einfacher, die Reformen gleichzeitig zu machen, als sie nacheinander durchzuführen.“
Obwohl die Gesamtzahl der Ministerien unter Präsident Nicolas Sarkozy auf 15 reduziert worden ist, erhielt die junge Aufsteigerin Pécresse erhielt ein eigenes Ministerium, während bis dahin ein Staatssekretär im Bildungsministerium für die Hochschulen und die Forschung zuständig war. Da die neue Regierung wichtige Pläne bezüglich der Universitäten hegt, musste ein Schlüsselposten für diese Aufgabe her. Präsident Sarkozy hat sich die „Autonomie der Universitäten“ auf die Fahnen geschrieben. Im Schul- ebenso wie im Hochschulwesen wird künftig verstärkte Ungleichheit herrschen. Die Universitäten sollen finanzpolitisch autonom werden, also ihren eigenen Haushalt verwalten, private Geldmittel erwerben und - um Spitzenkräfte aus Forschung und Lehre anzuziehen – für „die Besten“ ihre Bezahlung frei aushandeln. Schon im Sommer, während einer von Sarkozy angeordneten Sondersitzung des Parlaments in d en Urlaubsmonaten Juli und August, soll ein entsprechendes Gesetz verabschiedet werden. Der Graben zwischen armen und reichen Hochschulen wird also breiter werden. Daneben soll die so genannte carte scolaire bis im Herbst 2008 eingestampft, also die Wohnortbindung bei der Einschulung von Kindern und Jugendlichen aufgehoben werden. Schon ab diesem Herbst sollen zum Schuljahresbeginn, so Bildungsminister Xavier Darcos zur Mitte dieser Woche, „doppelt so viele Ausnahmegenehmigungen wie bisher“ erteilt werden.
Aufgrund der geplanten Abschaffung des Wohnortprinzips – das schon bislang durch wohlhabende Eltern, die ihren Nachwuchs nicht auf dieselben Schulen wie Unterschichtskindern schicken wollten, durch vielfältige Tricks oft umgangen worden ist (daher die von Darcos angesprochenen „Ausnahmegenehmigungen“) – werden die begehrtesten Etablissements dann Aufnahmegespräche und Tests einführen. Die Sprösslinge der gesellschaftliche Elite und eine hauchdünne Schicht von Hochbegabten werden die Gewinner dieser Entwicklung sein.
Ebenfalls noch im Hochsommer soll die Aufhebung der Überstundenbegrenzung verabschiedet werden. Das Ableisten von Überstunden wird gesetzlich erleichtert, und die Mehrarbeit von Steuern und Abgaben befreit werden. „Um die Kaufkraft anzukurbeln“ werden die Erbschaftssteuern reduziert werden, was vor allem den Nachfahren der Wohlhabenden zugute kommt. Und die Kreditaufnahme für den Erwerb eines Eigenheims soll von der Steuer abgezogen werden können – eine Mabnahme, die inzwischen durch Jean-Marie Le Pen als alten „(Anti-)Steuerrebellen“ lautstark begrübt worden ist. (Vgl. http://www.universalpressagency.com ) Denn Sarkozy will erklärtermaben die französische Gesellschaft in ein „Volk von Wohnungseigentümern“ verwandeln, „um die sozialen Mentalitäten zu ändern“. Der soziale Wohnungsbau wird natürlich faktisch zurückgefahren werden. Vor allem die reichen Kommunen, die ihren gesetzlichen Verpflichtungen diesbezüglich seit längerem nicht nachkommen und durch das jetzige Regierungslager darin unterstützt werden, wollen davon nichts mehr wissen.
Und die Gipfel kommen erst noch
Im Herbst soll es dann gleich vier gröbere „Gipfel mit den Sozialpartnern“ geben. Um eventuellen sozialen Explosionen vorzubeugen, ist Sarkozy schon jetzt intensiv darum bemüht, die Gewerkschaften einzubinden, deren Spitzenvertreter er schon zwei mal - kurz vor und kurz nach seinem offiziellen Amtsantritt – empfangen hat. Aber im September wird ihnen dann die Pistole auf die Brust gesetzt. Entweder können sie sich mit dem Arbeitgeberlager freiwillig auf zwei wichtige Punkte einigen: die Einschränkung des Streikrechts insbesondere durch Einführung einer Mindest-Dienstverpflichtung – des berühmten Service minimum, über den seit langem debattiert wird - in allen öffentlichten Diensten sowie eine Aufweichung des Kündigungsschutzes in allen neu geschlossenen Arbeitsverhältnisses. Oder aber der Gesetzgeber wird eingreifen, um den Erwartungen von Regierung und Kapital gerecht zu werden.
Neobonapartismus?
Eine Reihe von bürgerlichen und auch linken, v.a. libertären Kommentaren vergleichen Sarkozy gern mit den beiden Napoléons, dem Ersten und dem Dritten. (Vgl. bspw. liberterrien.blogspot.com/2007/05/noconservatisme-nobonapartisme-ou.html) Und er selbst operiert mitunter mit ähnlichen Anspielungen, so wurde ein Ausspruch von ihm kolportiert, demzufolge er sich wünschte, dass die Medien angestellte Parallele zwischen seiner Kür zum Präsidentschaftskandidaten bei einer Zeremonie in Paris am 14. Januar 2007 und der Krönung Napoléons I. (identifikationsstiftend) in den Gedächtnissen haften bleibe. Aber der Vergleich hinkt, wie so oft.
Der historische Bonapartismus setzte sich in der Folge schwerer Klassenkonflikte, die aufgrund einer Pattsituation nicht aufgelöst werden konnten, mittels der Figur des „Einigers der Nation“ durch. Letztere Dimension nutzt Sarkozy zwar ebenfalls zu seinen Gunsten. Doch die historische Parallele geht nicht völlig auf, denn wo der Bonapartismus - zumindest im Schein – eine starke Staatsmacht schuf, die „über den Klassen“ stehen sollte, verkörpert Sarkozy längerfristig eher eine aggressive Regierungsform des Kapitals.
In den letzten 15 Jahren kam es in Frankreich zu starken sozialen Abwehrkämpfen, die jedoch bislang keine auf Dauer durchsetzungsfähige politische Alternative hervorbrachten und nicht erlaubten, die Defensivposition der Linken und der Lohnabhängigenklasse zu überwinden. Die bürgerliche Rechte ihrerseits konnte die Schalthebel der politischen Macht nicht dazu nutzen, um in einer gröberen Offensive die angestrebten „neoliberalen Reformen“ brachial durchzusetzen. Jacques Chirac war nicht die politische Figur, die dazu in der Lage gewesen wäre – weil er kein „historisches Projekt“ und nicht einmal ein Minimum an Glaubwürdigkeit hatte, sondern offenkundig nur gewählt werden wollte und dabei die ideologischen Moden häufiger wechselten als die Hemden (oder Unterhosen). Sarkozy verspricht, die Blockade aufzubrechen und – als neuer Einiger der Nation, der „das Vertrauen auf die Politik, die etwas bewirken kann, rehabiliert“ und den Voluntarismus verkörpert – die Veränderungen „von oben“ durchzusetzen. Er bietet dabei aber zugleich auch an, Wünsche auf Veränderung „von unten“ zu bedienen: Wenn er die „Leistungsträger“ anspricht – um Sozialneid gegen die „Faulen in der sozialen Hängematte“ oder die „privilegierten und ewig streikenden Staatsbediensteten“ zu schüren - sowie das „Frankreich, das früh aufsteht“ mitsamt seinem Leistungssinn und Arbeitsstolz lobt, soll sich auch der Prolet angesprochen fühlen. Ihm wird versprochen, „mehr zu verdienen“, wenn er sich willig erweist, „mehr zu arbeiten“ und längere Wochen- und Lebensarbeitszeiten hinzunehmen.
Da Sarkozy im Wahlkampf weitaus mehr Dynamik ausstrahlte als Sozial- und Christdemokraten, die mit Ségolène Royal und François Bayrou für ein „Irgendwie weiter so“ mit ein bisschen vager sozialer Abfederung stritten, konnte er diese Synthese tatsächlich schaffen. Vorübergehend? Werden die Widersprüche, die aus den unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Erwartungen resultieren, aufbrechen? Dies wird die nähere Zukunft erweisen müssen.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von Autor am 1.6.07 zur Veröffentlichung.
Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.