Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

‚Le Monde’: Das Flaggschiff der französischen Presse  vor einem Machtwechsel?
06/07

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Die Welt - französisch le monde - drehte sich ein Stückchen weiter, Jean-Marie Colombani flog dabei aus der Kurve. Nun möchte er in den Wagen zurückklettern, aus dem er hinausgeschleudert worden war. Wieviel Erfolg er dabei haben wird, ist zur Zeit noch offen. 

Der bald 59jährige Colombani führte seit 13 Jahren als Herausgeber und Unternehmenschef die Geschicke der Pressegruppe Le Monde, deren Herzstück die gleichnamige Pariser Abendzeitung bildet. Am Dienstag vergangener Woche (22.  Mai) verfehlte er nun die Mehrheit im Repräsentationsorgan der bei der Zeitung beschäftigten Jorunalisten, die er benötigt hätte, um ein neues sechsjähriges Mandat als Direktor anzutreten. Bis zum Wochenanfang schien er jedoch nicht zum Aufgeben entschlossen. In einem dramatischen  Leitartikel, der in der Ausgabe vom vorigen Freitag erschien, beschwor er eine Krise, ähnlich derer, „die im Laufe ihrer langen Geschichte unsere Zeitung zu destabilisieren, ja zu zerstören drohten“.  

                        Was kümmert mich meine Niederlage...  

Ich oder das Chaos? So klingt seine Argumentation, obwohl er freilich hinzufügt, die Zukunft des bisher von ihm geführten Presseunternehmens liege nunmehr „in den Händen des Aufsichtsrats“ – in welchem die  internen und externen Aktionäre vertreten sind – und dessen Entscheidungen werde er respektieren, „so ungerecht auch immer sie mir erscheinen mögen“. Das Aufsichtsratsmitglied Claude Perdriel, Chef des sozialliberalen Wochenmagazins Le Nouvel Observateur, führt unterdessen lautstark eine Kampagne für den Verbleib des Direktors auf seinem Posten durch: Es gebe „keinerlei Grund dafür, dass Jean-Marie Colombani geht.“  

Die nächste Sitzung  des Aufsichtsrats verspricht also heib zu werden. Statt wie geplant am vorigen Freitag (25. Mai) stattzufinden, wurde sie vorsorglich zunächst einmal auf den 4. Juni verschoben. An diesem Donnerstag wurde nunmehr eine nochmalige Verschiebung publik, und die schicksalhafte Sitzung soll erst am 12. Juni stattfinden. Dann soll entweder Colombani im Amt bestätigt – oder aber, wenn eine Einigung darüber gelingt, dessen Nachfolger bestimmt werden. 

Zwar hatte dieser bei der Abstimmung der Société des rédacteurs du Monde (SRM), eine Art Zwischenform zwischen Selbstverwaltungsorgan und Personalrat für die Journalisten der Zeitung, die Mehrheit deutlich verfehlt. Statt der gemäb den Statuten notwendigen 60 Prozent der Stimmen erhielt er nur 48,5 Prozent. Und bei den Journalisten der beiden anderen „Pole“ in dem Pressekonzern, denen der linksliberalen Fernseh- und Kulturzeitschrif Télérama sowie des südfranzösischen Zeitungseigentümers Midi Libre, erntete Colombani deutliche Mehrheiten von Nein-Stimmen. Aber, so rechnen Perdriel und andere vor, hätte man bei der „Redakteursgesellschaft“ (SRM) von Le Monde die ungültigen Mehrheiten und Enthaltungen nicht mitgezählt – wie die Statuten es jedoch erfordern -, dann hätte Colombani dort immerhin 51 Prozent erreicht. Also eine hauchdünne Mehrheit, die aber ebenfalls nicht ausgereicht hätte. Und bei Télérama und Midi Libre hätte er noch immer absolute Stimmenmehrheiten gegen sich, im ersten Falle über 60 Prozent.  

Doch die Anhänger eines Verbleibs des bisherigen Chefs fügen ihrem Argument noch ein weiteres hinzu: Nähme man die Voten aller Beschäftigten bei Le Monde zusammen -  also neben denen des schreibenden Personals auch die der Techniker und sonstigen Angestellten -, dann hätten 297 für Colombani und 188 gegen ihn gestimmt. „Eine Minderheit möchte ihren Willen einer Mehrheit aufzwingen“, tönte Claude Perdriel deshalb. Die bisherige Struktur, die den Journalisten explizit ein Vetorecht über die Geschicke ihrer Zeitung einräumt, betrachten Teile des Aufsichtsrats und die Colombani-Anhänger damit offen als hinfällig.    

Rückblick auf die Ära Colombani 

Wie Gottvater habe er an der Spitze des  Medienkonzerns amtiert, autorit-paternalistisch geschaltet und gewaltet, meinen Kritiker. Der korsischstämmige Colombani, der im westafrikanischen Dakar - damals noch ein Verwaltrungssitz des französischen Kolonialimperium - zur Welt kam, hält  dagegen, er habe die ökonomische und dadurch auch die journalistische Unabhängigkeit seiner Zeitung bewahrt. Und dies in Zeiten, da die Kapitelkonzentration auch im Pressesektor erheblich zunimmt, ebenso wie die Investitionstätigkeit fachfremder Unternehmen und Konzerne. So gehört zur Zeit rund ein Drittel der französischen Presselandschaft dem Flugzeugbauer und Rüstungsindustriellen Serge Dassault - und ein weiteres Drittel dem in ähnlichen Bereichen tätigen Mischkonzern von Arnauld Lagardère, der unter anderem auch beim europäischen  Rüstungs-  und  Luftfahrtkonzern EADS mitmischt.  

Die Tatsache, dass mit ihm ein ehemaliger Journalist an der Spitze der Unternehmensgruppe stand, diente Colombani vor diesem Hintergrun ebenso als Argument für seine Politik wie die bisherigen statutenmäbigen Garantien für die Unabhängigkeit der Redaktion. Dazu zählt,  dass  die Personalvertretung der letzten weder durch eine Aufsichtsratsmehrheit noch durch die übrigen Beschäftigtenkategorien überstimmt werden kann. Ein Modell,  von dem sich die Unternehmensführung und/oder manche Aktionäre in eben diesem Augenblick  zu  verabschieden  scheinen. 

Ausdehnungsstragegie und Eroberungskurs 

Zu Colombanis Strategie zählte ein aggressiver wirschaftlicher Expansionskurs, der von der Pariser Abendzeitung  selbst ausging: „Bevor Andere uns fressen, werden  wir  selber grob und fressen wiederum andere Presseorgane auf“, lautete dabei die  Unternehmensphilosophie. Zählt Le Monde selbst rund 600 Beschäftigte, so beschäftigt der gesamte Medienkonzern inzwischen ihrer rund 3.000. So schluckte das Unternehmen im Jahr 2000 die regionale Pressekette Midi Libre in Südfrankreich und drei Jahre später den Herausgeber La Vie catholique, dem unter anderem das erfolgreiche Magazin Télérama gehört.  

Aber diese Operationen wurden teilweise mit ungedeckten Schecks finanziert. Denn Le Monde verfügte nicht über ausreichend Liquiditäten, sondern baute rechnerisch auf das, was die aufgekauften Publikationsorgane wirtschaftlich abwerfen sollten. Auf diesem Wege häufte der Konzern einen Schuldenberg in Höhe von rund  100  Millionen Euro an. Vielen Redakteuren wurde Colombanis Strategie aus diesen Gründe allmählich unheimlich: zu riskant, zu teuer, zu schuldenträchtig. Dies dürfte seinen, für den Augenblick erzwungenen,  Abgang zu erheblichen Teilen erklären. 

Überdies wurden die Aufkäufe und Übernahmen zwar im Namen der Unabhängigkeit der Presse gegenüber den Grobkonzernen getätigt – trugen aber indirekt dazu bei, diese zu stärken, da Le Monde in ihnen wichtige Kooperationspartner für seine Strategie entdeckte. Um das von ihm gewünschte grobe regionale Presseimperium in Südfrankreich zu realisieren, strebte Colombani wechselseitige Beteiligungen zwischen „seinem“ Unternehmen Midi Libre und den Filialen des  Hachette-Konzerns – das ist die Pressesparte im Imperium Lagardères - an. Hachette gehören La  Provence in Marseille  sowie  Nice-Matin in Nizza. Statt weniger wird es also zukünftig mehr Presseeintopf geben. 

Und das politische Profil?    

Ferner war de facto auch die Frage der politischen Positionierung von Le Monde aufgeworfen, auch wenn diese bisher nur implizit gestellt wird. Die Pariser Abendzeitung hat eine lange Tradition der Unabhängigkeit von Regierungen, und wurde deshalb mitunter nicht  sonderlich  von ihnen geliebt. Im Algerienkrieg wurde das Blatt über 20 mal durch die Staatsorgane  beschlagnahmt. Erstmals schwand diese Unabhängigkeit leicht,  nachdem 1981 der „Sozialist“ François Mitterrand zum Präsidenten gewählt worden war. Aber Le Monde ist noch immer eine Zeitung, in der sich fundierte Informationen über alle wichtigen politischen und gesellschaftlichen Strömungen finden  und fast alle auch dann und wann zu Wort kommen. Auch wenn das Profil eher bürgerlich ist, kann zu einem konkreten Thema  auch mal ein Gastbeitrag von einem Mitglieds der anarchosyndikalistischen CNT oder der trotzkistischen LCR  Abdruck finden. Lediglich die extreme Rechte kommt nicht mit eigenen Autoren zu Wort, es wird aber regelmäbig über sie  berichtet, wobei auf die Qualität der  Informationen und Analysen  geachtet wird. Insofern ist Le Monde eine im besten denkbaren Sinne liberale Zeitung, eine Qualitätszeitung, die freilich vorwiegend – neben  Intellektuellen – die bürgerlichen Eliten und besonders ihren linksliberalen Flügel informiert. 

Aber in den letzten Jahren hat die Pariser Abendzeitung   unter Colombani Neuland betreten, indem sie erstmals eindeutig bei Wahlkämpfen zugunsten bestimmter Kandidaten eingriffen. 1995 unterstützte die redaktionelle Linie implizit die Kandidatur Jacques Chiracs. Alle wichtigen politischen Angriffe wurden ausschlieblich auf dessen (innerbürgerlichen) Hauptkonkurrenten, den damaligen konservativ-wirtschaftsliberalen Premierminister Edouard Balladur, konzentriert. In diesem Jahr nun konnte man eine ungewohnt offene, explizite Unterstützung für die Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal erleben, die die Zeitung selbst seit Sommer 2005 politisch mabgeblich mit aufgebaut hatte. Zuletzt gab es kurz vor dem Wahltermin einen von Jean-Marie Colombani gezeichneten Leitartikel, der klipp und klar Partei ergriff.  Und das ist neu für Le Monde. 

Mutmablich entspricht es seiner Strategie, dass ein auf Expansionskurs befindliches Unternehmen auch politische Partner – möglichst mit Aussicht auf  Regierungsfähigkeit – benötigt. An der Seite Nicolas Sarkozys war dabei nicht viel zu holen, da dieser ohnehin eine Reihe von Duzfreunden an der Spitze führender Medienkonzerne zählt und auch mitunter offen in deren Berichterstattung eingriff. In den eigenen Reihen musste die offene Positionierung aber Widersprüche hervorrufen, da die Redaktion noch immer politisch heterogen zusammengesetzt ist. Das reicht vom thatcheristischen Wirtschaftsredakteur und Leitartikler Eric Le Boucher, dem die „Reform“versprechen Sarkozys zu schlapp ausfallen, bis hin zum Gewerkschaftsspezialisten Rémi Barroux, der zur radikalen Linken gehört. Eine einheitliche Positionierung nach auben hin wird dadurch erschwert. Auch Colombanis Vorpreschen an dieser Stelle könnte ihm – vorläufig -  den Kopf gekostet haben.      

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von Autor am 1.6.07 zur Veröffentlichung.

Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu haben sein.