Betrieb & Gewerkschaft
Pin AG — Privater Postdienst
Beispiel für erfolgreiche Gegenstrategien

SoZ-Gespräch
mit Benedikt Frank
06/07

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Nicht nur in der Telekom gärt es. Auch im Bereich der Postdienste werden Sozialstandards und Arbeitsplätze abrasiert. Gegen diese Zukunftsaussichten demonstrierten am 14.Mai. 30000 Beschäftigte der Deutschen Post AG in Berlin. Die Kundgebung richtete sich gegen die deutsche Vorreiterrolle bei der Öffnung der Briefmärkte, die die Mitarbeiter von Postdienstleistern zwingt, für weniger Geld mehr zu arbeiten und sie einer ungezügelten doppelten Konkurrenz aussetzt: durch inländische private Dienstleister und durch ausländische Dienstleister, bei denen das Briefmonopol für Briefe unter 50 Gramm erst frühestens 2009 ausläuft.

Benedikt, du hast bereits auf der Gründungskonferenz des Berliner Sozialforums anschaulich berichtet, wie ihr vor Ort neue Wege geht, um den Prozess der Entmachtung der Gewerkschaften bei den Postdienstleistungen umzukehren. Wie kam es dazu?

Als ich 2004 anfing, war mir bald klar: Wir brauchen eine starke Konzentration auf die Pin AG. Anders als in anderen Bundesländern war der private Dienstleister Pin AG sehr stark und hatte mit 1000 Beschäftigten auch einen Auftrag des Senats. Ich war einiges gewohnt. Ich habe auch schon Lidl betreut. Was ich jedoch bei der Pin AG an Abwehrmaßnahmen erlebt habe hat all das übertroffen. Ich wurde persönlich mit Unterlassungsverfügungen überzogen, wo es nur ging. Vermutlich hat man auch mein Privatleben ausgeforscht, um Dinge zu finden, mit denen man mich unter Druck setzen kann.

Als ich meine ersten Treffen organisierte, gab es bei der Pin AG etwa 15 Mitglieder bei 900 Beschäftigten. Ziel dieser Treffen war es, die Kollegen stark zu machen. Dort gab es einige Leute, die sich sehr kritisch äußerten. Deren Verträge wurden daraufhin nicht verlängert. Dazu muss man wissen, dass damals um die 75% nur befristet beschäftigt waren — über vier Jahre, was normalerweise nur über zwei Jahre möglich ist. Der Trick war, dass die erst in einer hauseigenen Zeitarbeitsfirma angefangen haben. Und wenn man dann das eigene Rückgrat abgegeben hatte, konnte man bei der Pin AG anfangen und bekam dann wieder drei befristete Verträge über zwei Jahre. Es gab also insgesamt sechs Verträge über vier Jahre; zwei Jahres- und vier Halbjahresverträge. Logischerweise findet man erst mal keinen, der zum Betriebsrat kandidiert. Man kann also überhaupt nur bei den 25%, die nicht befristet beschäftigt sind, anfangen Leute zu finden, die sich zur Verfügung stellen. Die sind natürlich auch durch die ganze Mühle gelaufen und haben vielfach entweder ihr Rückgrat abgegeben oder auf die andere Seite gewechselt.
 

2002 gab es die ersten Versuche einen Betriebsrat wählen zu lassen. Das wurde jedoch gekonnt vom Arbeitgeber torpediert. Der Arbeitgeber hat dann selbst einen Betriebsrat installiert, der uns auch nicht reingelassen hat. Gleichzeitig wurden bestimmte Teilnehmer unserer Treffen gekündigt bzw. ihre Verträge nicht verlängert. Denn auf diesen Treffen saßen U-Boote des Arbeitgebers. Danach bin ich dazu übergegangen, Geheimtreffen abzuhalten. Für jeden Zustellbezirk habe ich versucht jeweils eine Person zu finden, die mein Kontakt war. Diese Person hat dann nur Leute ihres Vertrauens eingeladen. Das war so ähnlich, wie früher antifaschistische Gruppen im Widerstand gearbeitet haben. Ich war der Einzige, der die Kontaktpersonen kannte. Und es war klar, dass ich sie nicht verpfeifen werde. Es konnte also praktisch im schlimmsten Fall nur eine Gruppe hochgehen. Erst nach zwei bis drei funktionierenden Treffen habe ich dann die Einlader zusammengerufen und miteinander bekannt gemacht. Wir hatten 16 Zustellbezirke plus Sortierung, bei der ich bis heute noch nicht richtig drin bin. Aus den 16 Bezirken bildeten sich zehn Gruppen und bei den anderen hatte ich Einzelpersonen.

Anfänglich dachte ich, dieser systematisch strukturierte psychische Druck auf die Beschäftigten muss doch jemand in der Presse interessieren. Doch dem war nicht so. Erst als ich meine Botschaft geändert habe, ist die Presse aufgesprungen. Die Botschaft war: Der rot-rote Senat beschäftigt ein Unternehmen, bei dem ein Drittel der Beschäftigten ALG II bezieht, da sie so wenig verdienen, dass der Staat ihren Verdienst aufstocken muss. Das kam dann bei Frontal 21 und in andern Kanälen.

Hast du über Öffentlichkeitsarbeit etwas erreichen können?

Ich bin Mitglied von WASG und Linkspartei, allerdings erst seit letztem Jahr. Ich wollte innerhalb der Linkspartei auch Politik machen in Bezug auf die Pin AG. Dort hörte man sich zwar an, was wir zu sagen hatten, dann bekam man symbolisch betrachtet einen Klaps auf den Po mit der Empfehlung: Nun verschwindet mal wieder.

Erst als ich den Druck über die Medien erhöhen konnte, wurde der Senat aktiv. Diesen Druck habe ich auf mehreren Schienen aufgebaut. Durch die Öffentlichkeitsarbeit und indem ich mit den Personalräten der Bezirksverwaltung zusammenarbeitete und ihnen sagte, sie sollen doch mal ihren Arbeitgeber anspitzen und ihre Missbilligung der Vergabepraxis erklären.

Das dritte Standbein, das Druck entwickelte, war die Einbeziehung der Kunden. Als ich mir irgendwann die Kunden der Pin AG genauer angeschaut habe, fand ich plötzlich zwei Gewerkschaften, die jüdische Gemeinde und die evangelische Kirche. Zuerst sagte ich mir: Die müssen sofort ihre Geschäftsbeziehungen beenden. Doch dann wurde mir klar: Kunden können Druck machen, was Ex-Kunden viel weniger können. Deshalb habe ich diese Kunden angeschrieben und sie zu einem Gespräch gebeten. Die kamen auch. Doch mehrheitlich waren es die Kleinkunden, auf die die Pin AG sicher gerne verzichtet hätte, wenn sie nach deren Verlust damit Ruhe vor den gewerkschaftlichen Querköpfen gehabt hätte.

Der entscheidende Hebel waren die Großkunden: Die Polizeigewerkschaft hat natürlich durchaus Einfluss auf die Polizei. Und wir als Ver.di hatten Einfluss auf die BSR, die BVG, auf die Gasag und auf die AOK. Da sitzen wir ja überall in den Aufsichtsräten drin. Irgendwann hatte ich dann eine Erklärung dieser Unternehmen, dass sie daran mitwirken wollen die Pin AG dazu zu bewegen anständige Arbeitsbedingungen zu garantieren. Das war der Punkt, an dem die Pin AG eingeknickt ist. Zu diesem Zeitpunkt aber der Senat auch schon so weit, dass er das Vergabegesetz geändert hatte.

Im Koalitionsvertrag von SPD und Linkspartei wurde vereinbart, dass Tariftreue ein Kriterium bei der Vergabe von öffentlichen Leistungen sein soll. Das hat ganz gut geklappt und allein diese Aussage führte dazu, dass die Pin AG auf uns zugekommen ist zwecks Aufnahme von Tarifverhandlungen. Am 22.Mai ist jetzt das zweite Sondierungsgespräch und danach gehen die Tarifverhandlungen los. Bundesweit.

Die verschiedenen Tarifarchive, die es gibt, geben ja Auskunft darüber, was es mitunter heißt, wenn im Dienstleistungsbereich Tarifverträge abgeschlossen werden. Es gibt da ja Beispiele von Tariflöhnen, die kaum über 3 Euro liegen. Was bedeutet das für die von dir ins Auge gefassten Tarifverhandlungen? Liegen die dann auch unterhalb des von Ver.di propagierten Mindestlohns von 7,50 Euro oder wo wird dieser Tarif liegen?

Wenn dieser Tarifvertrag nicht deutlicher besser ist als diese 7,50 Euro, werden wir hier keinen Tarifvertrag abschließen. Ein Fortschritt ist es natürlich vor diesem Hintergrund schon, wenn die Tarife nicht mehr unter 7,50 Euro liegen. Das tun wir aber seit zwei Jahren auch nicht mehr. Da lassen wir die Branche dann lieber untertarifiert. Mit dem Mindestlohn können wir die Entwicklung ein wenig abmildern. Aber die Folgen der Privatisierungsorgie können wir so nicht beseitigen.

Was passiert jetzt eigentlich mit Jurex? Müssen die, nachdem dieser Sumpf im öffentlich- rechtlichen Fernsehen zu besichtigen war, jetzt dichtmachen?

Eine von Jurex‘ 53 GmbHs wurde jetzt dicht gemacht. Den gekündigten Beschäftigten bot man an, in der GmbH nebenan weiterzuarbeiten, für einen schlechteren Lohn. Nachdem wir sie so richtig aufs Korn genommen haben [siehe SoZ 5/07] flogen sie aus der Vermittlung des Arbeitsamts raus.

Editorische Anmerkungen

Benedikt Frank ist Sekretär im Fachbereich 10 des Ver.di- Landesverbands Berlin-Brandenburg. Für die SoZ sprach Jochen Gester mit Benedikt Frank.

Wir spiegelten von http://www.vsp-vernetzt.de/soz-0706/0706061.htm

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