Gut ein Viertel der 24.000 Angestellten der französischen
Arbeitsagentur ANPE (Agence nationale pour l’emploi, « Nationale
Agentur für Beschäftigung ») streikten am Dienstag dieser Woche.
Die linksliberale Tageszeitung ‘Libération’ spricht von einer
Streikbeteiligung von « 29 % laut den Gewerkschaften », die
Pariser Abendzeitung ‘Le Monde’ hingegen von « 27 % nach Angaben
der Gewerkschaftsführungen, 22 % nach denen der Direktion (der
ANPE) ». Die KP-nahe Tageszeitung ‘L’Humanité’ begnügt sich mit
der Feststellung : « Rund ein Viertel der Angestellten der ANPE
haben die Arbeit im ganzen Land niedergelegt ».
Zu
dem Ausstand vom 13. Juni hatten frankreichweit 4 Gewerkschaften
aufgerufen : SNU (die fortschrittliche Abspaltung von der
ehemaligen Sektion CFDT-ANPE, jetzt dem
Bildungs-Gewerkschaftsbund FSU angegliedert), CGT (ehemals
KP-nahe), SUD (linke Basisgewerkschaft) und FO (populistisch).
Auf lokaler Ebene riefen zusätzlich oftmals die CFDT
(sozialdemokratisch) und die CFTC (christlich) ebenfalls zum
Ausstand auf. Vom Kongresspalast im Nordwesten von Paris, wo
eine « Messe der mittelständischen Unternehmen » unter starkem
Polizeischutz stattfand, bis zum Arbeitsministerium im
Stadtzentrum – in der Nähe des Invalidendoms – wurde ein
Pappsarg getragen. Er sollte « das Ende der Arbeitsvermittlung
als öffentliche Dienstleistung » symbolisieren, da letztere
immer stärker von der Dienstleistung für die Erwerbslosen zum
Druck-, Kontroll- und Geldsperr-Instrument umgewandelt werde.
Rund 100 streikende Angestellte der ANPE zogen zusammen mit
Arbeitslosen (vom CGT-Arbeitslosenkomitee und der Erwerbslosen-selbstorganisation
AC !) quer durch die Stadt.
Ihr Protest richtete sich gegen die Einrichtung der nunmehr
monatlichen Kontrolltermine für die (seit einigen Monaten neu
eingeschriebenen) Arbeitslosen. Dadurch soll der Druck auf die
Erwerbslosen erhöht, und eine möglichst grobe
Zahl von ihnen aus der Arbeitslosenstatistik heraus gedrängt
werden – durch massive Streichungen wegen Versäumens eines
Termins (die Vorladungen werden nicht per Einschreiben, sondern
durch normale Briefe verschickt, so dass ein Verlustrisiko
besteht). Vor etwa drei Monaten gab es einen kurzen Skandal,
weil einem Erwerbslosen sämtliche Mittel wegen « geistiger
Abwesenheit beim monatlichen Termin », « unkooperativer
Haltung » und « Zum Fenster hinaus-Schauens » gesperrt worden
waren. - Ferner richtete sich der Ausstand auch gegen die
zunehmende Präsenz privater Vermittlungsfirmen im
Arbeitslosensektor, die der staatlichen Arbeitsagentur ANPE
Konkurrenz machen und sie unter zusätzlichen « Effizienz » druck
setzen sollen.
Die Tageszeitung ‘L’Humanité’ zitiert eine streikende
Angestellte der Arbeitsagentur: « Früher bestand unsere
Tätigkeit darin, den Arbeitslosen dabei zu halfen, einen Job zu
finden, und manchmal auch, ihnen zu helfen, den Verlust ihrer
alten Arbeitsstelle zu verdauen. Es gab auch noch
Menschlichkeit: Es ist doch nicht leicht, in der
Erwerbslosigkeit zu leben. Aber jetzt erhalten wir Druck,
Sollzahlen zu erfüllen, das ist ein Schlachtunternehmen
geworden... » Und die CGT-Gewerkschafterin bei der « ANPE »
namens « Micheline » wird mit den Worten wiedergegeben, sie sei
stolz darauf, bislang noch keine/n Erwerbslose/n aus der « Liste
der Arbeitssuchenden » gestrichen und damit die Sperrung
seines/r Anspruchs auf Unterstützung verursacht zu haben. Aber
mit der zunehmenden Annäherung der Agentur an die Zahlstellen
ASSEDIC (die unter Druck der dort einzahlenden Arbeitgeber
stehen, siehe unten im Kasten zur Erklärung der Strukturen)
sowie an private Vermittlungsfirmen lasse sich dieses
Herangehen, diese Berufsethik immer schwerer aufrecht erhalten.
Micheline dazu: « Mit dem ‘Profiling’ (französisch: profilage)
der Erwerbslosen durch die Zahlstellen ASSEDIC (s.u. im Kasten)
machen letztere uns immer stärkere Vorschriften. Die
Erwerbslosen werden nach sogenannten Employabilité- (englisch
employability-)Kriterien durch einen Code eingestuft. (Anm. d
Verf.: Dadurch wird definitiert, welche Arten von Jobs sie
annehmen müssen oder verweigern dürfen, und in welchem Mabe
Druck auf sie ausgeübt werden muss bzw. die Erwerbslosen als
« autonom bei der Arbeitssuche » gelten dürfen.) Und wenn wir
bei der Arbeitsagentur/ANPE diese Kriterien im persönlichen
Dossier des Arbeitslosen verändern möchten, dann müssen wir –
theoretisch – bei der Zahlstelle/ASSEDIC um Erlaubnis anfragen.
Sehen sie das ? Der öffentliche Dienst (der Arbeitsvermittlung)
muss beim Arbeitgeberverband/MEDEF, der hinter den Zahlstellen
steht, nachfragen, was er tun darf! Aber ich folge dem nicht:
Ich bin der Auffassung, dass es zu meinen Aufgaben gehört, das
(‘eigenmächtig’) zu tun.»
Die linksliberale Tageszeitung ‘Libération’ druckt ihrerseits
in ihrer Mittwochsausgabe kurze Interviews mit 5 Personen ab:
Gewerkschafter/innen bei der Arbeitsagentur ANPE sowie
Arbeitslosen. Im folgenden sollen einige der interessantesten
Stellen wieder gegeben werden.
Philippe Sabater, der als Personalvertreter für die (eher
linke) Gewerkschaft SNU-ANPE, die der Bildungsgewerkschaft FSU
angegliedert ist, gewählt wurde : « Wenn die
Arbeitslosenzahlen mit der Einführung der monatlichen
Kontrolltermine sinken, dann liegt das daran, dass den
Erwerbslosen der Mut genommen wird. Heute haben nur 48 % der
Erwerbslosen, die bei der Arbeitsagentur ANPE als
Arbeitssuchende gemeldet sind, Anspruch auf
Arbeitslosengeld/Unterstützung bei der Arbeitslosenkasse.
(Anm.: Die anderen Arbeitslosen erfüllen die Kriterien – bspw.
betreffend die Länge der voraus gegangenen Erwerbsarbeit –
nicht. Oder aber andere Organismen als die Arbeitslosenkasse
ASSEDIC sind für sie zuständig, wie die ehemaligen
Staatsangestellten, für die gesonderte Kassen beim Staat
bestehen.) Jene, die keinen Anspruch auf Zahlungen haben,
werden es wohl nicht erdulden, dass man sie allmonatlich für
Nichts antanzen lässt. Viele von ihnen werden nicht mehr
kommen, und dann werden sie automatisch von der Liste
gestrichen. Die Berater haben das Gefühl, dass man ihnen ihren
Beruf gestohlen hat. Früher definierte man einen Berufswunsch
zusammen mit einem Arbeitslosen und untersuchte seine
Realisierbarkeit. Heute wird das (d.h. die Termine) zur puren
Kontrolle. »
Vincent Strobel, gewählter Personalvertreter für die CGT bei
der Arbeitsagentur : « Es herrscht ein starker Druck, um die
Arbeitslosen in den berühmten Sektoren mit Arbeitskräftemangel
zu platzieren: Gaststättengewerbe, Bauwirtschaft usw. (...)
Wenn diese Sektoren nicht genügend Arbeitskräfte rekrutieren
können, dann liegt das auch daran, dass die Arbeitsbedingungen
hart und die Löhne zu niedrig zum Leben sind. »
Marc Moreau von der Arbeitslosen-Selbstorganisation AC ! : «
(...) Man sagt, dass die Arbeitslosen keinen Job finden
wollen. Sie lehnen lediglich solche Arbeit ab, die niemand
machen will! »
Jean-Philippe Revel, CGT-Gewerkschafter in einer lokalen
Arbeitsagentur : « In den lokalen Agenturen, wo wir jungen
Arbeitslosen bei der Jobsuche helfen, bekommen wir langsam
auch diesen Diskurs zu sprüren: ‘Erfüllt die Zahlenvorgaben’.
Man muss die gröbt
mögliche Zahl von jungen Leuten in irgend welche Jobs
vermitteln. Die höchst mögliche Zahl in die Berufe, die Mühe
dabei haben, Arbeitskräfte zu finden. Man verdirbt uns unsere
Aufgabe, die immer mehr lautet: « Wir begleiten Sie (Anm. d.
Verf.: im Französischen sagt man ‘begleiten’ für das deutsche
Wort ‘betreuen’) , aber wir schreiben Ihnen vor, wohin Sie
gehen müssen. »
Zur
Erklärung:
Die Strukturen der Arbeitslosen « betreuung » in
Frankreich
In Frankreich besteht
die Besonderheit, dass bislang noch zwei getrennte
Strukturen für die Erwerbslosen zuständig sind: Die ANPE
bezahlt ihnen kein Geld aus, sondern ist allein für ihre «
Betreuung », Vermittlung, ggf. Weiterbildung und de facto
auch für ihre Überwachung zuständig. Dagegen wird das
Arbeitslosengeld von einem anderen Organismus verwaltet
und ausbezahlt, der UNEDIC (landesweiten
Arbeitslosengeldkasse), die auf lokaler Ebene Zahlstellen
in Gestalt der ASSEDIC aufweist.
Die ANPE ist eine staatliche Agentur und untersteht dem
öffentlichen Recht. Dagegen wird die UNEDIC paritätisch
verwaltet, d.h. Gewerkschaften und Kapitalistenverbände
sind gleichermaen in ihrem Verwaltungsrat (Conseil
d’adminstration) vertreten. Dies rührt daher, dass die
UNEDIC eine Sozialversicherungskasse ist (neben der
Rentenkasse CNAV, der Krankenkasse CNAM oder der
Kindergeldkasse CNAF, die ebenfalls paritätisch verwaltet
sind), die ihre Einnahmen aus den Sozialabgaben der
Lohnabhängigen und der Arbeitgeber gleichermaen bezieht.
Just am Dienstag dieser Woche schlug übrigens die
Vorsitzende des Haupt-Arbeitgeberverbands MEDEF, Laurence
Parisot, eine radikale Änderung dieser Modalitäten vor:
Künftig sollten die Unternehmen vollständig vom Zahlen
solcher Abgaben (als Lohnnebenkosten) entbunden werden,
die Abgaben sollten allein auf das Einkommen der abhängig
Beschäftigten erhoben werden. Im Gegenzug schlug sie eine
Lohnerhöhung vor, die der Höhe des solchermaen auf die
abhängig Beschäftigten transferierten/abgewältzen
Beitragsaufkommens entsprechen solle. Eine solche
Überführung der « Lohnnebenkosten » des Arbeitgebers auf
die abhängig Beschäftigten würde freilich eine einmalige
Sache bleiben, d.h. künftige Lohnerhöhungen würden mit den
steigenden Beitragskosten wohl kaum Schritt halten, und
die Lohnabhängigen wären die Angeschmierten. Dem MEDEF
geht es nach eigenen Aussagen um ein « pädagogisches »
Anliegen: Die Lohnabhängigen sollten für die « Kosten »
der Sozialversicherungssysteme « sensibilisiert » werden,
indem sie sie schmerzhaft auf ihrem Lohnzettel aufscheinen
sehen. Alle Gewerkschaften reagierten mit einem Aufschrei
auf den Vorsto, auf die « Provokation » der
Arbeitgeber-Präsidentin.
Seit längerem « regiert » eine Koalition aus dem MEDEF (gröter
Arbeitgeberverband, in dem die Grounternehmen vertreten
sind) und der CFDT (sozialdemokratischer und
pro-neolibaler Gewerkschaftsdachverband) die
Arbeitslosenkasse UNEDIC.
Genügt ein/e Erwerbslose/r nicht seinen oder ihren «
Pflichten », etwa durch Verweigerung von « zumutbaren
Arbeitsangeboten » oder durch Nicht-Folgeleisten gegenüber
der Vorladung zu einem « Beratungstermin », dann schlägt
die staatliche Arbeitsagentur ANPE eine Sperrung seiner
oder ihrer Bezüge vor. Denn sie ist für solche Sanktionen
zuständig. Den Geldhahn zudrehen kann sie aber selbst
nicht, da sie keine Auszahlungen vornimmt. Sie schlägt
also den ASSEDIC eine Sperrung der
Erwerbslosengeld-Zahlung vor, die in der Regel auch sehr
gern Folge leisten.
Der MEDEF hätte es gern gesehen, dass auch die Zahlstellen
der ASSEDIC in eigener Vollmacht den Geldhahn zudrehen
können. Dies deshalb, weil nach Ansicht des
Arbeitgeberverbands ja « seine » Gelder (bzw. die der
Unternehmen, die in den Topf der UNEDIC flieen) sinnlos
verbraten werden. Deshalb hätte er gar zu gerne einen
Finger am Hebel, um den Geldstrom so restriktiv wie
möglich flieen zu lassen.
In einem « sozialpartnerschaftlichen » Abkommen, das im
Jahr 2000 zwischen der CFDT (und kleineren rechten
Gewerkschaften, namentlich dem christlichen
Gewerkschaftsbund CFTC) einerseits und dem MEDEF
andererseits im Rahmen der paritätischen Verwaltung der
UNEDIC-Kasse geschlossen wurde, wollte die
Arbeitslosenkasse sich selbst eine solche Sanktionsgewalt
geben. In Gestalt des damals präsentierten « Projekts zur
Rückkehr an einen Arbeitsplatz » (PARE), hinter dem sich
ein individueller « Vertrag » zwischen Arbeitslosen und
Kasse mit « gegenseitigen Pflichten » verbarg, sollten
zudem die Erwerbslosen in verschärfter Form zur Jobannahme
gezwungen werden. Die damalige sozialdemokratische
Regierung unter Lionel Jospin sperrte sich aber dagegen,
da dies nicht Aufgabe privater Initiative sei, sondern
staatliches Hoheitsrecht. Nach längeren Verhandlungen
akzeptierte Premierminister Lionel Jospin – nach einem
Telefonat mit dem damaligen Arbeitgeberpräsidenten
Ernest-Antoine de Seillière – im Herbst 2000 das Abkommen
und die mit dem PARE einher gehendenVerpflichtungen der
Erwerbslosen aber grundsätzlich. Allerdings sollte die
Sanktionsgewalt in den Händen der ANPE bleiben, die aber
besser mit der UNEDIC zusammen arbeiten sollte.
Unter der konservativen Regierung von Dominique de
Villepin sind die Geldverwalter der UNEDIC, die einen
möglichst rigiden Sparkurs durchsetzen möchte, und die
staatliche ANPE noch näher zusammen gerückt. Aber auch
private Firmen werden nunmehr zur Vermittlung von
Arbeitslosen herangezogen, so dass sich eine
Dreierbeziehung (staatliche Arbeitsagentur, Zahlstellen
unter Druck des Arbeitgeberverbands, private
Vermittlungsfirmen) ergibt. Das « Gesetz zum sozialen
Zusammenhalt » von Arbeits- und Sozialminister Jean-Louis
Borloo sowie ein Regierungsdekret vom 02. August 2005
verschärfen die Bedigungen für Erwerbslose erheblich. Neu
eingeschriebene Arbeitslose sollen zu einem monatlichen «
Beratungsgespräch » verpflichtet werden – bis dahin fanden
die Termine bei der ANPE durchschnittlich alle sechs
Monate statt. Dies ist aber faktisch kaum zu bewältigen,
da der Personalbestand der ANPE kaum aufgestockt worden
ist: Eine/r Angestellte/r soll so ab jetzt mindestens 130
allmonatliche persönliche Gespräche führen, zusätzlich zum
Empfang der neu eingeschriebenen Erwerbslosen sowie den
obligatorischen Seminanre für Arbeitslose etc. Die lokalen
Agenturen der ANPE sollen schneller die Streichung
erwerbsloser Personen von der « Liste der Arbeitssuchenden
» anordnen können, etwa wegen eines versäumten Termins
oder einer verweigerten Arbeitsaufnahme. Die lokalen
Zahlstellen der UNEDIC werden ihnen dann die Gelder
sperren. |
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel
erhielten wir am 17.6.2006 vom Autor.
|