Seit heute morgen
(13.6.06) wird Logistik-Zulieferer von
Opel in Bochum bestreikt.
Während im portugiesischen
Azambuja heute die 1100 ArbeiterInnen der dortigen
General-Motors-Fabrik in allen drei Schichten gegen die drohende
Werksschließung streiken wollen, droht dem Konzern bei Opel in
Bochum aus anderen Gründen eine Produktionsunterbrechung. Die
Beschäftigten der Logistik-Firma ESI wollen ihre Hungerlöhne
nicht länger hinnehmen und befinden sich seit heute morgen um 6
Uhr im Streik. Da die Fließbänder bei Opel just-in-time von
dieser Firma mit Scheiben und Kleinteilen beliefert werden,
könnte sich der Streik schon bald auf die Autoproduktion
auswirken.
ESI steht für Edelhoff & Schollmayer Industrie-Service. Die
Firma beschäftigt etwa 300 ArbeiterInnen, die an drei Standorten
in Bochum für Opel Teile verpacken. Neben dem Hauptsitz in der
Bessemer Str. 80 am Rande des Zentrums von Bochum, wird an zwei
weiteren Standorten, die sich auf den Geländen der Opel-Werke I
und II befinden vorsortiert. Denn dort werden die Teile "sequentiert",
das heißt in genau der Zusammenstellung und Reihenfolge
verpackt, wie sie später am Band gebraucht werden und mit einem
zeitlichen Puffer von nur wenigen Stunden angeliefert. Die
moderne Logistik besteht längst nicht mehr aus einfacher
Lagerhaltung und Anlieferung, sondern ist eng mit den
Produktionsabläufen verzahnt und übernimmt Teile der
eigentlichen Produktion. Halbprodukte werden gekauft, gelagert
und dann für den Einsatz in der Produktion aufbereitet. Seit den
80er Jahren haben die Autokonzerne große Teile der Lagerhaltung
und Vorarbeiten ausgelagert, um durch die geringeren Löhne und
schlechteren Arbeitsbedingungen in den Zulieferbetrieben Kosten
zu sparen. Derselbe Kostendruck hat diese Betriebe aber nun
wieder so eng in die Produktionsketten der Automultis
eingebunden, dass den dort Beschäftigten dämmert, über welche
Macht sie verfügen. Bei ESI will die Gewerkschaft ver.di diese
Macht antesten, um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen
durchzusetzen.
ESI ist heute nicht mehr Edelhoff & Schollmayer, nur die
Abkürzung ist geblieben - und das alte Firmenschild an der
Bessemer Straße. In den letzten eineinhalb Jahren hat die Firma
dreimal den Besitzer gewechselt. Heute gehört sie zum Remondis/Rhenus-Konzern,
der selbst erst vor kurzem von der RWE-Umwelt AG abgestoßen
wurde. Seit sieben Monaten versucht ver.di erfolglos, über die
Anerkennung des Tarifvertrags Großhandel NRW zu verhandeln.
Bisher kam immer ein Besitzerwechsel dazwischen und die neue
Geschäftsleitung hat nun klipp und klar erklärt, dass sie mit
der Gewerkschaft nicht reden werde. Wie
ver.di-Verhandlungsführer Helmut Süllwold berichtete, weigerte
sich der Geschäftsführer Herr Schorb sogar, ihm die Hand zu
geben. Ab dem 7. Juni führte die Gewerkschaft daraufhin eine
Urabstimmung durch, bei der sich bis zum 11.6. weit über 90
Prozent der Abstimmenden für Streik aussprachen.
Seitdem die Logistik 1999 von ESI übernommen wurde, hat es nie
einen Tarifvertrag gegeben. Einige der Streikenden, die sich
gegen 6 Uhr an der Bessemer Straße versammelt haben, berichten,
dass es seit sieben Jahren keine Lohnerhöhung gegeben hat -
außer vielleicht ein paar Nasenprämien für einzelne. Die Löhne
liegen nach Gewerkschaftsangaben bei 7,00 bis 7,50 Euro die
Stunde. Ein streikender Staplerfahrer meint, dass er ca. 1.400
Euro brutto (!) im Monat herausbekommt - und damit gehört er
schon zu den Besserverdienenden in dieser Firma. Gearbeitet wird
in zwei Schichten, manchmal auch am Wochenende - alles ohne
Zuschläge. Und wer mehr als drei Krankheitstage im Jahr hat,
bekommt statt 30 nur 25 Urlaubstage. Einige ständen sich
angesichts dieser Bedingungen mit Hartz IV wohl besser.
Neue Streiktaktik angesichts von Prekarisierung
Von den etwa 300 ESI-Beschäftigten sind nur 147 Frauen und
Männer festangestellt, viele von ihnen stammen aus allen
möglichen Ländern dieser Erde. Die andere Hälfte sind
LeiharbeiterInnen, die unter anderem von den Firmen DEKRA und
ABS Personalservice zu ESI geschickt werden. Die Gewerkschafter
bemühten sich heute morgen, den LeiharbeiterInnen auf dem Weg
zur Arbeit zu erklären, dass sie gesetzlich nicht verpflichtet
sind, in einem bestreikten Betrieb zu arbeiten, und die Firma
ihnen trotzdem ihren Lohn bezahlen muss (§ 11
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz). Aber natürlich würden sie sich
damit bei den Chefs nicht gerade beliebt machen und ihren
Rausschmiss bei nächster Gelegenheit riskieren. In der
Streikrealität ist dieser Paragraph ein völlig bedeutungsloses
gesetzgeberisches Feigenblatt, wie sich selbst beim großen
ver.di-Streik im öffentlichen Dienst oder beim sechsmonatigen
Streik bei Gate Gourmet am Düsseldorfer Flughafen gezeigt hat,
als Leiharbeiter systematisch als Streikbrecher eingesetzt
wurden.
Um den absehbaren Streikbruch zu unterlaufen, der bei einem
Anteil von 50 Prozent LeiharbeiterInnen absehbar ist, hat sich
die Streikleitung etwas anderes ausgedacht. Sie hat heute morgen
nicht alle Festangestellten von ESI zur Arbeitsniederlegung
aufgerufen, sondern nur etwa 40 handverlesene ArbeiterInnen, die
an neuralgischen Punkten der Produktion tätig sind - zum
Beispiel Maschinenführer und Staplerfahrer. Die Firma müsste
dann den Nicht-Streikenden den Lohn weiterbezahlen, auch wenn
sie - so die Hoffnung - wegen des Streiks nicht mehr arbeiten
können. Heute morgen gab es zudem Anlaufschwierigkeiten, weil
Frauen mitstreikten, die normalerweise morgens die Türen zu den
Räumen aufschließen. Dem Arbeitgeber war der heutige
Streikbeginn bewusst nicht mitgeteilt worden, um den
Überraschungseffekt nutzen zu können.
Heute und morgen soll zunächst nur am Standort in der Bessemer
Straße gestreikt werden - um zu sehen, wie sich der Streik
auswirkt und ob die Streiktaktik aufgeht. Sollte sich die
Geschäftsleitung trotzdem auf keine Gespräche einlassen, dann
werde man nach dem Feiertag sämtliche Beschäftigten zum Streik
aufrufen. Wenn die Arbeit an den beiden Standorten im Opel-Werk
I und II niedergelegt wird, dann würde es - so der Betriebsrat -
sehr schnell zu Auswirkungen auf die Autoproduktion kommen.
Gegenüber Radio Bochum erklärte Helmut Süllwold, man werde auch
bis zur Sommerpause streiken, falls die Firma nicht einlenkt.
Verständlicherweise hat auch Opel ein Interesse daran, dass die
Löhne und Arbeitsbedingungen bei ESI so beschissen bleiben, wie
sie sind, um Kosten zu sparen. Opel-Manager deckten daher die
sture Haltung der ESI-Geschäftsleitung und erklärten gegenüber
der Presse, durch den Streik werde es zu keinen Problemen in der
Produktion kommen. Gerade den ArbeiterInnen in den ausgelagerten
und prekarisierten Bereichen soll immer wieder eingehämmert
werden, dass sie machtlos sind und ohnmächtig die miesesten
Bedingungen zu schlucken haben. Die ESI-Beschäftigten sehen das
anders - zudem hoffen sie auf Unterstützung und Solidarität von
Seiten der Opel-ArbeiterInnen.
Editorische Anmerkungen
Der Artikel erschien am 13.6.2006 bei
Indymedia.
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