Berichte aus Frankreich
Die Politik möchte die Gewerkschaftslandschaft umkrempeln

Von Bernhard Schmid
06/06

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Die französischen Präsidentschaftswahlen, die in nunmehr elf Monaten stattfinden werden, werfen ihre Schatten voraus. Die beiden (auf dem derzeitigen Stand) mutmablichen SpitzenkandidatInnen der beiden groben politischen Blöcke, Nicolas Sarkozy auf der bürgerlichen Rechten und Ségolène Royal im Lager der Sozialdemokratie, haben in den letzten Tagen bzw. Wochen auch Vorschläge zur Umgestaltung der französischen Gewerkschaftslandschaft gemacht. Diese Vorschläge haben inzwischen bereits zu Reaktionen geführt. 

Die Ausgangssituation ist davon geprägt, dass der Organisationsgrad in Frankreich (gemessen an vergleichbaren Industrieländern) sehr niedrig ist. Im nationalen Durchschnitt beträgt er derzeit 8 Prozent, verteilt auf mehrere miteinander konkurrierende Richtungsgewerkschaften. Allerdings darf man dabei nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Denn vergleichsweise wenige Menschen treten in Frankreich einer Gewerkschaft als passive Mitglieder bei, wie man einer Versicherung (für Notmomente) beitritt. Dies hätte auch wenig Sinn, denn es wäre in Frankreich etwa rechtlich verboten, den Nutzen des Tarifvertrags auf die Gewerkschaftsmitglieder zu beschränken. Streikgeld gibt es auch ohnehin keines, vielmehr bezahlen die streikenden Lohnabhängigen den Ausstand aus ihrer eigenen Tasche. Umgekehrt sind sie selbst es, die allein (auch ohne oder sogar den Willen einer Gewerkschaft, im Notfall) über die Ausübung oder Nichtausübung ihres Streikrechts entscheiden.  

Ségolène Royal: Warum nicht Pflichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft? 

Die, nach derzeitigem Stand, wahrscheinliche Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialdemokratie für das kommende Jahr war am vorigen Freitag (19. Mai 06) mit einem längeren Interview in der Wirtschaftstageszeitung ‘Les Echos’ vertreten. Dabei fiel vor allem auf, dass sie sich bei einem Grobteil der aufgeworfenen Themen und Fragen schlichtweg nicht festlegen wollte. Zur Frage einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) etwa blieb ihre Antwort äuberst vage. 

Bisher gehört es allgemein zur politischen Technik von Ségolène Royal (die auch ehemalige Umweltministerin und, nebenbei, Gattin des sozialdemokratischen Parteivorsitzenden und Oberlangweilers Françoise Hollande ist), sich nicht festzulegen, «denn wenn ich jetzt schon mein Programm bekannt gebe, dann werden die anderen Mitbewerber mein Programm kopieren». Derzeit hat sie noch mit 6 mit 8 innerparteilichen Konkurrenten (fast ausschlieblich männlich) um die sozialdemokratische Präsidentschaftskandidatur zu kämpfen. Der ‘Parti Socialiste’ (PS) entscheidet im November 2006 durch eine innerparteiliche Urabstimmung, wer im kommenden Jahr für ihn ins Rennen gehen wird. Ségolène Royal kann aber auf gute Umfragewerte bauen, aber auch auf die Unterstützung der Medien: Von der liberalen Pariser Abendzeitung ‘Le Monde’ über die PS-nahe ‘Libération’ bis hin zur linksliberalen, sonst eher Grünen-nahen Wochenzeitung ‘Charlie Hebdo’ haben einige Presseorgane bereits einen Medienhype um sie begonnen und ihren Bekanntsheitsgrad stark anwachsen lassen. Zwischendurch setzt Royal aber schon mal einige inhaltliche Duftmarken. So lobte sie etwa vor ein bis zwei Monaten, ohne näher darauf einzugehen, die Politik Tony Blairs. Ferner spricht sie häufig über das Thema «Innere Sicherheit», wie auch den sie unterstützenden Medien bereits auffiel.    

Zu einem Thema aber wagte Ségolène Royal sich in ihrem Interview bei ‘Les Echos’ mit einem neuen, als ungewöhnlich geltenden Vorschlag vor. Zum Thema Gewerkschaften führte sie in diesem Gespräch aus: «Man wird in Frankreich ein Massen-Gewerkschaftswesen/Gewerkschaften mit Massenbasis (im Original : ‘un syndicalisme de masse’) schaffen müssen. Warum nicht (durch) eine obligatorische/pflichtmäbige Mitgliedschaft (für jede/n) in der Gewerkschaft seiner Wahl?» Ende des Originalzitats.

Eine Zwangs- oder Pflichtmitgliedschaft in einer Gewerkschaft kann man sich nur so vorstellen, dass sie vom Staat garantiert würde, indem dieser etwa jeder/m lohnabhängig Beschäftigten eine Geldsumme zur Verfügung stellt, die er als Mitgliedsbeitrag einer Gewerkschaft ihrer/seiner Wahl übermitteln kann. Ähnliche Erfahrungen, auf niedrigerem Level, bestehen in der Form freiwilliger Selbstverpflichtungen durch grobe Unternehmen. Am bekanntesten wurde das Beispiel des Versicherungskonzerns AXA, der im Jahr 1990 eine entsprechende Betriebsvereinbarung mit den dort vertretenen Gewerkschaften abschloss. Darin verpflichtete der Konzern sich freiwillig, «seinen» MitarbeiterInnen einen so genannten «Gewerkschafts-Scheck» (chèque syndical) zur Verfügung zu stellen. Also einen Werttitel über eine pauschal berechnete Summe, die jede/r Angestellte einer Gewerkschaft seiner Wahl (soweit sie als «repräsentativ» anerkannt ist, dafür gibt es in Frankreich gesetzliche Kriterien) zur Verfügung stellen kann. Die Gewerkschaft kann sich dann die Summe, die dem Gesamtwert der von ihr eingesammelten «Schecks» entspricht, vom Unternehmen ausbezahlen lassen. 

Dass Arbeitgeber auf solche (freiwilligen bzw. mit den Gewerkschaften ausgehandelten) Selbstverpflichtungen zurückgriffen, hängt damit zusammen, dass viele Unternehmensleitungen auf der Suche nach «berechenbaren Ansprechpartnern» sind. Gewerkschaften, deren Verhalten sie als «verantwortungsvoll» betrachten, sollen ihnen (aus ihrer Sicht) als Frühwarnsystem für sich anbahnende soziale Konflikte innerhalb des Personals dienen. Denn viele Unternehmensleitungen kamen zu der Auffassung, dass er der Produktivität mehr schade, wenn soziale Konflikte unerkannt vor sich hin schwelen, weil sie (erstens) zu indirekten Ausdrucksformen wie etwa erhöhtem Krankenstand und Abwesenheitsquoten führen und (zweitens) zu einem aus Sicht des Arbeitgebers besonders ungünstigen Zeitpunkt ausbrechen können. Gewerkschaften sollen so, aus ihrer Sicht, zur Institutionalisierung  von sozialen Konflikten und ihrer Kanalisierung dienen. Im Februar 1996 wurde ein in diesem Sinne argumentierendes Strategiepapier eines Arbeitgeberverbands bekannt. Allerdings warnt dieses Strategiepapier auch vor «neuen, radikalen gewerkschaftlichen Akteuren» wie den SUD-Gewerkschaften, so dass offenkundig nicht jede Form von Gewerkschaft geeignet ist, diesem Bedürfnis Genüge zu tun. 

Reaktionen von Gewerkschaftsseite: ausschlieblich ablehnend 

Die notwendige Kehrseite einer solchen Vorstellung, in welcher der Staat (statt der einzelnen Unternehmen) eine solche Selbstverpflichtung zur indirekten – über die einzelnen Beschäftigten vermittelt ablaufenden – Finanzierung der Gewerkschaften übernimmt, wäre das damit verbundene strategische Kalkül. Selbstverständlich würde der Staat gegebenenfalls eine solche deutliche Stärkung der Gewerkschaften, deren Organisationsgrad (jedenfalls auf dem Papier) gewaltig angehoben würde, mit seinen eigenen Interessen verbinden. Notwendig wäre ein solches «Geschenk» an die Gewerkschaften mit Gegenleistungen verbunden: Stärkere Institutionalisierung als bisher, stärkere Einbindung in «sozialpartnerschaftlich» Konfliktregelungsmechanismen, Verpflichtung auf die «Stabilität» des Wirtschaftssystems u.ä. 

Bisher reagierten unterdessen ausnahmslos alle Gewerkschaften, die sich zum Vorschlag Ségolène Royals äuberten, ablehnend. 

Schon am vorigen Freitag erklärte der Vorsitzende des sozialliberalen Dachverbands CFDT, Françoise Chérèque, er sei «total gegen eine gewerkschaftliche Pflichtmitgliedschaft». Anlässlich einer Vorbereitungssitzung für den kommenden CFDT-Kongress, der vom 12. bis 16. Juni in Grenoble stattfinden wird, fügte er hinzu: «Gewerkschaftsmitglied werden ist eine individuelle und persönliche Entscheidung, die man nicht zur Pflicht machen kann». (Zitiert aus ‘Les Echos’ vom Montag, 22. Mai) 

Auch die übrigen Gewerkschaften reagierten ngeativ. Die CGT, der gröbte Gewerkschaftsverband (bis Ende der 1990er Jahre der KP nahe stehend), erklärte, sie sei «sehr skeptisch». Man ziehe diesem Vorschlag, der nicht «französischen Gewerkschaftstraditionen» entspreche, die Einführung von «Rechten und Garantien, die eine bessere Betätigungsmöglichkeit für Gewerkschaften (in den Betrieben) ermöglichen», vor. 

Der drittgröbte Gewerkschaftsbund, Force Ouvrière (FO, «unpolitisch»-populistisch), erinnerte daran, dass der Europäische Gerichtshof soeben ein Urteil gefällt habe, in dem das dänische Modell in Frage gestellt werde. In Dänemerk existieren ähnliche Mechanismen, die einer solchen obligatorischen Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft nahe kommen. Der christliche Gewerkschaftsbund CFTC erklärte, man ziehe das System einer Finanzierung von Gewerkschaften durch freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen (wie im o.g. Fall des Versicherungskonzern AXA, wo die christliche Gewerkschaft Mit-Unterzeichnerin der entsprechenden Vereinbarung ist) vor. Und seitens des Vorsitzenden der CGC (Gewerkschaft der höheren und leitenden Angestellten), Bernard Van Craeynest, schlieblich hieb es, dass «Zwangsmabnahmen, die eine solche Pflichtmitgliedschaft begleiten würden, mehr Probleme schaffen, als dass sie lösen würden» (zitiert nach ‘Les Echos’ vom Dienstag, 23. Mai). 

Sarkozy: Gewerkschafts(bund)freie Listen bei Betriebsratswahlen zulassen 

Einen anderen Weg gehen möchte der höchstwahrscheinlich antretende konservative Spitzenkandidat, UMP-Chef und Innenminister Nicolas Sarkozy. Der extrem ambitionierte Sarkozy, der seine Kandidaturabsichten bereits im November 2003 verkündete, steht für eine Mischung aus Wirtschaftsliberalismus und autoritär unterlegtem Populismus. 

In Sachen Entwicklung der Gewerkschaftslandschaft schlug Nicolas Sarkozy vor, «die überkommene Regel aufzuheben», wonach nur als repräsentativ geltende Gewerkschaften Listen zum ersten Durchgang von Betriebsrats- und Personalratswahlen antreten dürfen. Einen solchen Vorschlag erhob er erstmals bereits im September 2005. Nunmehr wiederholte er ihn am 13. Mai 2006 vor dem Führungspersonal der UMP. 

Solche Wahlen werden in Frankreich in einem oder zwei Wahlgängen abgehalten: Wird eine Wahlbeteiligung von mindestens 50 Prozent der Beschäftigten erreicht, dann ist die Wahl damit zu Ende, und die Sitze werden auf die «repräsentativen» Gewerkschaften verteilt. Wird die Mindestbeteiligung verfehlt, was öfter der Fall ist, dann kommt es zu einem zweiten Wahlgang. In dieser zweiten Runde dürfen dann alle Listen teilnehmen, also auch solche anderer Gewerkschaften sowie nicht gewerkschaftlich gebundene Kandidatenlisten. - Welche Gewerkschaft als «repräsentativ» zu gelten hat, regeln Gesetze sowie eine Verordnung aus dem Jahre 1966. Erstens gelten demnach alle Gewerkschaften, die einem der 5 groben Dachverbände (CGT, CFDT, FO, CFTC, CGC) angehören, automatisch als «repräsentativ». Zu ihren Gunsten besteht eine «gesetzliche Vermutung» ihres Repräsentativcharakters, der auch nicht durch die Erbringung eines gegenläufigen Beweises (etwa vor Gericht) widerlegt werden kann. Diese Regel dient dazu, die Existenz von Gewerkschaften zu schützen. Denn ansonsten wäre es den Arbeitgebern möglich, vorhandenen Gewerkschaften im Betrieb ihre «Repräsentativität» zu bestreiten und sie dadurch vorübergehend aus dem Unternehmen zu drängen (bzw. zu Gerichtsprozessen zu zwingen, in denen sie nachweisen müssten, dass sie tatsächlich «repräsentativ» für das Personal sind). Jede Betriebsgewerkschaft, die einem der 5 Dachverbände beitritt, wird dadurch automatisch geschützt. Andere Gewerkschaften können aber ebenfalls den Nachweis antreten, dass sie (über die Mitgliedsorganisation der 5 Dachverbände hinaus) ebenfalls in einem Betrieb oder einer Branche «repräsentativ» sind. Dafür müssen sie dann aber auf dem Gerichtsweg den Beweis antreten. D.h. sie müssen nachweisen, dass sie «repräsentativ» sind, weil sie über genügend Einfluss und Verankerung in dem Betrieb/der Branche verfügen. 

Nicolas Sarkozy beruft sich nun darauf, die «Monopolstellung» der 5 Gewerkschafts-Dachverbände (die eine relative, nicht eine absolute ist!) sei «historisch überholt» und ein Produkt der Nachkriegszeit. Dies ist nicht einmal falsch, allerdings muss man eben bedenken, dass der zu ihren Gunsten bestehende Automatismus eben auch dafür sorgt, dass in manchen Betrieben überhaupt Gewerkschaften existieren können. Ansonsten würde der Druck des Arbeitgebers bzw. die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust übermächtig. 

Die CGT und die CFDT sind sogar selbst dafür, den bestehenden rechtlichen Automatismus (jedenfalls unter bestimmten Bedingungen, was die CGT betrifft) aufzugeben. Sie vertreten die Auffassung, dass ein solcher Automatismus die Legitimität der Gewerkschaften nicht unbedingt stärke, sondern in den Augen der öffentlichen Meinung sogar eher schwäche. Vielmehr müssten Gewerkschaften sich durch ihre Mitgliederzahlen und ihre Verankerung im Betrieb legitimieren können – wozu die Mitgliedsorganisationen dieser beiden Gewerkschaftsbünde auch noch, vielerorts, am ehesten in der Lage wären. Wahrscheinlich könnte eine Infragestellung der bestehenden Regelungen der CGT und CFDT sogar in vielen Sektoren dazu verhelfen, einige lästige Konkurrenten los zu werden, etwa in Gestalt «gelber» Sektionen der kleineren und rechteren Gewerkschaftsbünde (CFTC und CGC). FO ihrerseits tritt – im Gegenteil - deutlich für eine Aufrechterhaltung des Status quo ein, von dem sie profitiert, während ihre Aussichten sich sonst eher verschlechtern dürften.  

Aber dennoch bleiben die Gewerkschaften gegenüber dem Vorstob von Nicolas Sarkozy äuberst skeptisch. Die CGT erinnert ebenso wie FO daran, dass Sarkozys Vorschlag dazu beitragen könne, dass zahlreiche «gelbe Gewerkschaften» in den Betrieben entstehen könnten. (Mutmablich ist er sogar dazu konzipiert worden.... !) 

Ähnlich argumentiert die sozialliberale CFDT, die selbst am deutlichsten für die Aufgabe der bisherigen rechtlichen Quasi-Monopolstellung der 5 Dachverbände eintritt – auch deswegen, weil die CFDT am stärksten eine Kultur der «Betriebsvereinbarungen» (statt Flächentarifverträgen) entwickelt möchte, die mit einer stärkeren Verankerung der Verbände in den Betrieben einher gehen soll. Bezogen auf den Vorschlag des konservativen Spitzenmanns Nicolas Sarkozy argumentiert die CFDT, man müsse in einem solchen Falle zumindest die Kandidatur von Listen ohne jede Gewerkschaftsbindung ausschlieben. Nur tatsächliche organisierte Gewerkschaften sollten kandidieren können, im Gegenzug dafür, dass man das Recht zur Kandidatur nicht mehr von vornherein auf bestimmte («repräsentative») Gewerkschaften beschränke. Tatsächlich treten bereits heute zahlreiche «gewerkschaftsfreie», sich als pragmatisch präsentierende Listen in vielen Betrieben zum zweiten Wahlgang an, dort, wo eine solche Runde stattfindet. Laut den Statistiken des französischen Arbeitsministeriums bilden die «gewerkschaftsfreien» Listen sogar, nimmt man sie alle zusammen, landesweit die zweitstärkste Komponente bei den Betriebsratswahlen (nach der CGT).   

Die christliche CFTC ihrerseits (die, als kleinster allgemeiner Gewerkschaftsbund, wohl mit Abstand am meisten von einer Aufhebung des bisherigen rechtlichen Monopols der 5 Dachverbände zu befürchten hätte!) warnt ihrerseits davor, dies werde die Gewerkschaftslandschaft unnötig zersplittern. In ein, und demselben Atemzug warnen die Christenheinis vor «rechtsradikalen und linksradikalen Gruppierungen, und sogar Sekten», die in einem solchen Falle dann Listen aufstellen könnten. (Zitat nach ‘Les Echos’  vom 23. 05. 2006) Die Qualität dieses Arguments mag dahin gestellt bleiben. 

Jean-Marie Le Pen: Nieder mit den «repräsentativen» Gewerkschaften! 

In erheblich radikalerer Form tritt noch ein weiterer französischer Politiker für das Ende der «Monopolstellung» der «repräsentativen» Gewerkschaften ein. Es handelt sich um den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Jean-Marie Le Pen. Bei ihm handelt es sich freilich ganz eindeutig darum, die Entstehung rechtsextremer «gelber» oder berufsgruppen-korporatistischer Pseudogewerkschaften zu fördern. 

In seiner Ansprache vom 01. Mai 2006 vor rund 3.000 Anhängern - die an diesem Tag (jährlich seit 1988) zu Ehren der «Nationalheiligen» Jeanne d’Arc aufmarschieren, um dem Arbeiterfeiertag einen rechten Termin entgegen zu setzen -  erklärte Le Pen dazu wörtlich:  

«Die jüngste Krise um den CPE hat uns gezeigt, dass die Arbeitswelt nicht besser durch die Gewerkschaften vertreten wird, als die Bürger durch die politischen Institutionen. (Anm. d. Verf.: eine Anspielung auf die übliche Klage Le Pens, dass das Mehrheitswahlrecht den Wählerwillen verfälsche – was es auch tatsächlich tut -, weil ‘Millionen von Wählern des Front National vom Parlament ausgeschlossen bleiben’.) Es wäre darum angemessen, demokratische Spielregeln auch dort einzuführen, die den Gewerkschaften wie den politischen Institutionen die Legitimität verschaffen werden, ohne welche man nicht auf die Mitwirkung des Volkes zählen kann. Französische Arbeiter, bleibt nicht im Kerker veralteter politischer Auffassungen und überkommener Gewerkschaftstreue eingeschlossen. Was habt Ihr gemeinsam mit den sozialistischen Bourgeois und dem Rest an kommunistischen Apparatschiks? (Anm. d. Verf.: Le Pen spricht hier anscheinend sowohl von den ‘Links’parteien als auch von den Gewerkschaften.) Schliebt Euch dem Kampf der Patrioten an... blabla, bla.»

Ansonsten denunzierte Le Pen, im Rückblick auf die CPE-Krise, einmal mehr in heftigen Worten die Schwäche des Staates, der unbedingt hätte auf seinem Autoritätsanspruch beharren müssen und nicht nachgeben dürfen. Der rechtsextreme Politiker mokierte sich in seiner 1. Mai-Ansprache seinerseits darüber, dass «Schulkinder die Regierung zum Nachgeben zwingen», wobei er die Studierenden meinte. Erstmals seit Ausbruch des Konflikts um den CPE kritisierte er am 1. Mai allerdings auch die Deregulierung im Arbeitsrecht, die im Interesse «multinationaler Konzerne» betrieben werde - während er zugleich das Leistungsprinzip an und für sich sowie die Wertarbeit französischer Unternehmer und Mittelständler verteidigte. An gleicher Stelle forderte Le Pen freilich auch seinerseits eine Deregulierung der Ökonomie (das Sozialsystem sei unbezahlbar geworden, wegen der Einwanderer, und: «Man muss die Ökonomie befreien. Es kommt ein Moment, wo die Reglementierungen zu Ketten der Knechtschaft werden»). Aber eben nicht im Sinne der multinationalen Unternehmen, sondern des «guten» nationalen Kapitals... Die hohe Arbeitslosigkeit, so Le Pen, sei «die Frucht der weltweiten Konkurrenz ohne nationalen Schutz». Nationale Ausbeutung – möglichst ohne «Fesseln und Begrenzungen» - ist also gut, aber Ausbeutung unter internationalen Vorzeichen von Übel.  

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir am 28.5.2006 vom Autor.