Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Das letzte Wort der Pädagogik oder
The cry for law and order!
06/06

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onlinezeitung

Kein Zweifel, die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten rapide verändert Die Produktion hat sich verändert, die Konsumtion hat sich verändert, Politik hat sich verändert, die Medien haben sich verändert, Familie hat sich verändert usw. Dynamisches Wirtschaftswachstum zu großen Raten, „Vollbeschäftigung“ etc. das alles gehört der Vergangenheit an.

Schule ist kein abgeschlossener Raum, auch wenn die Klassenzimmer nach Beginn des Unterrichts oft so wirken, als seien sie das, in dem an den gesellschaftlichen Realitäten vorbei „Erziehung“ passiert.

  • Als ich noch zur Schule ging (von 1956 bis 1968), stellte sich nur die Frage, was man später mal werden sollte, nicht ob man überhaupt was werden könnte! Das ist heute anders!
  • Als ich noch zur Schule ging, gab es erst ein, später zwei Fernsehprogramme mit einem „sauberen“ Familienprogramm, keine 20 oder 30 Programme, die rund um die Uhr ausstrahlen.
  • Als ich noch zur Schule ging, gab es keine Computer, Spielkonsolen, DVD-Player etc. begleitet vom tausendfachen Angebot Gewalt verherrlichender Spiele, Pornovideos etc.
  • Als ich noch zur Schule ging, gab es keine Handys mit denen in Windeseile „Informationen“ verbreitet werden können. Es gab erst recht keine Handys, mit denen man fotografieren und Filme abspielen kann.
  • Als ich noch zur Schule ging, gab es keine Zeitungskioske, die vollgestopft sind mit Druckerzeugnissen, die all die technischen Wunderwerke und kulturellen „Höchstleistungen“ der interessierten Leserschaft nahe bringen. Es gab nicht diese Ausstellungsfenster, in denen uns entblößte Frauenbrüste und mehr geradezu „anspringen“.

Die Büchse der Pandorra
... wer sie öffnet

Die modernen Massenmedien gieren förmlich nach (ökonomisch) verwertbaren Informationen. Die Lust des Voyeurismus wird zur Sucht gemacht, weil die Verwertung es verlangt! Der Rubel muss rollen! Rund um die Uhr müssen Sensationen beschafft werden. Wo es keine gibt müssen sie gemacht werden, für Zeitungsartikel, Videos, Talkshows, von denen eine abartiger ist als die andere und auch die alltäglichsten und intimsten Erlebnisse solange bearbeitet werden, bis sie als Sensation dem voyeuristischen Publikum präsentiert werden können.

Gewalt und Sex, besser noch die Kombination von beiden (es geht wirklich immer weniger beim Sex um die Darstellung von Sex, als auch hier um die Darstellung von Unterwerfungstechniken, die sich auch in der Sprache ausdrücken. Das Wort „ficken“ steht oft synonym für Schlagen oder Misshandlung), sind die Renner, bei denen das meiste Gänsehaut hervortreibende Verlangen erzeugt wird. Dabei muss die (Reiz-) Schwelle immer höher gelegt werden, wenn sich was verkaufen lassen soll! Das ist nicht einfach da bei den Konsumenten! Es muss geschaffen werden! Es wird geschaffen, um die Nase vorn zu haben beim Umsatz. Moderne Massenmedien schaffen ein gewalttätiges, sexistisches Alltagsklima öffentlicher Meinung, indem sie gesellschaftliche „Fakten“ aufbereiten, verstärken, aufbauschen oder überhaupt erst zu „Fakten“ machen. Sie spiegeln nicht einfach nur wieder, was ist! Sie spiegeln Gesellschaft, indem sie gleichzeitig aus Eigeninteresse der ökonomischen Verwertung bestimmte Impulse verstärken. (Das liegt sowohl an der „Natur“ von Information bzw. ihrer Verarbeitung – das Verlangen nach Information steigt mit ihrer Einzigartigkeit und Neuigkeit - , wie an der der ökonomischen Verwertung – damit die Informanten immer wieder verkaufen können, müssen sie Informationen liefern die „einzigartig“ und „neu“ sind!)

... und wer dafür zur Verantwortung gezogen werden soll

Nun stellen „besorgte“ LehrerInnen und Politiker fest, dass all das bei Kindern und Jugendlichen Wirkung zeigt. Die modernen Medien und die angebotenen Inhalte der „Massenkommunikation“ werden tatsächlich genutzt, und die Inhalte werden massenhaft konsumiert! Nicht genug damit: Dank der Technik können Konsumenten selbst zu Produzenten werden. Gelegenheit schafft Diebe!

Die Krönung des Ganzen besteht dann darin, dass unsere famosen Massenmedien die Missetaten der Kids als Krönung der Informationssensation vermarkten können.

Es rumort in der Gesellschaft, und es rumort in den Schulen. Lehrer fühlen sich überfordert, ja geängstigt und bedroht. Man ruft nach „wirkungsvollen“ Gegenmaßnahmen. Handyverbot an Schulen! Kaugummi-Verbot (Lach)! Respekt voreinander! Androhung von Sanktionen! Gegen wen?

Die Frage ist leicht beantwortet: Gegen die Übeltäter natürlich, die Schülerinnen und Schüler, die immer frecher und undisziplinierter werden, Gewalt und Pornographie konsumieren und unter einander „kommunizieren“!  Aber: Schlich da nicht neulich Lehrer XY im Rotlichtmilieu aus der Peep-Show? SchülerInnen der Klasse xy sahen ihn. Oder haben sie sich getäuscht und kann das gar nicht sein?

Es ist gerade so, als hätten die Kinder die Technik entwickelt und die kulturellen „Höchstleistungen“ in Sachen Gewalt- und (unterwerfender) Sexdarstellung erzeugt. Muss dem Treiben der Kinder nicht endlich Einhalt geboten werden? Oder nutzen die Kinder nicht einfach nur dass, was die Welt der Erwachsenen ihnen anbietet? Sie nutzen es frech und ohne Scham und Heuchelei! Häufig macht nur das den Unterschied, zumindest in Sachen Pornografie!

Jawoll, hier ist Konsumentenverantwortung gefragt. Die Kinder müssen endlich „verantwortungsbewusst“ konsumieren! Sie müssen unterscheiden lernen, was gut und was schlecht ist, so wie der Lehrer XY, bei dem der „sexuelle Notstand“ ausgebrochen ist, weshalb er sich in der Kabine einen wichst, um vor der Klasse zu erklären, dass man so was nicht tut (wenn er überhaupt den Mut hat, so was anzusprechen! Angeboten werden darf „frei“, denn die Freiheit des Privateigentums ist unser höchstes Gut!

Wir leben in einer „freien“, angebotsorientierten Gesellschaft! Aber was von Privateigentümern in unkontrollierter gesellschaftlicher Arbeitsteilung erzeugt und angeboten werden darf, dass wird auch konsumiert! Und die Kinder und Jugendlichen werden sich einen Dreck um Verbote scheren, solange die Erwachsenenwelt eine Massenkultur der Gewaltverherrlichung und Pornographie erzeugt und in erheblichen Teilen auch genüsslich konsumiert. Der Ruf nach „Ordnung“ an den Schulen, nach Sanktionen gegen SchülerInnen ist nicht nur reaktionär, sondern auch hilflos!

Was für Kleingeister sind es, die da nach Sanktionen, nach Ordnung in den Schulen schreien und gleichzeitig jede Gesellschaftsveränderung widerstandslos schlucken, die diese famose Massenkultur hervorbringt? Da kann man nichts machen! Schließlich verdienen Anleger mit der ganzen Scheiße Milliarden und schaffen viele, viele (elende) Arbeitsplätze, auf die sich die Kinder freuen dürfen.

Mutig und drohend energisch dagegen tritt man den missratenen Kindern entgegen! Ihr dürft nicht ..., sonst ...!

Der Gipfel dieser ganzen Scheiße besteht dann darin, dass dem einzelnen Lehrer oder der einzelnen Lehrerin auch noch „absolutistische“ Macht zugesprochen werden soll. Sie allein sollen etwa entscheiden, wann sie sich durch Schüler beleidigt fühlen! Bravo! Das Kollegium wird zur Solidarität mit ihnen verdonnert! Sonst ... ist die Schulleitung gefragt und muss gegen die Dissidenten vorgehen ... damit Ordnung herrscht und der Unterricht pünktlich beginnen kann!

Man möchte ausrufen: Gott sei Dank gibt auch noch so etwas wie einen „demokratischen Rechtsstaat“, so dass man die „absolutistischen“ Lehrer im Zweifelsfall vor den Kadi zerren kann, um überprüfen zu lassen, ob der „gefühlten“ Beleidigung eine entsprechende Handlung von Schülern entspricht!

Wer nicht gewillt ist für eine Gesellschaft einzutreten, in der in gemeinsamer Verantwortung darüber diskutiert und entschieden wird, was und wie produziert werden soll und was nicht, der darf sich nicht wundern, wenn die in privater Verantwortung erzeugte Scheiße auch ihren Weg zum Verbraucher findet und dort ihre Wirkung zeigt (ständige Fastfood mach fett und ständiger Konsum von Gewaltdarstellungen – realen wie fiktiven - stumpft ab und die Schwelle zur Gewaltbereitschaft sinkt)! Wer die Produktion nicht kontrollieren will, der wird auch die Konsumtion nicht kontrollieren können. Wenn er es versucht, kann das nur ein ebenso reaktionäres, wie auf Dauer wirkungsloses Unternehmen werden!

Das alles bedeutet nicht, dass ich etwa die Situation von Lehrerinnen und Lehrern beneidenswert finde! Keine Frage, sie baden asoziale Gesellschaftsentwicklung aus! Das gibt ihnen aber nicht das Recht, selbst asoziale Entwicklung zu befördern und auf das schwächste Glied in der Kette einzudreschen, oder sich wenigstens in „gefühlter“ Ohnmacht nach einem solchen Eindreschen auf die missratenen Kids zu sehnen! Sie wären vielmehr verpflichtet, sich über die wirklichen Ursachen des „Elends“ an den Schulen Gedanken zu machen und sich am Widerstand gegen die gesellschaftlichen Kräfte zu beteiligen, die hierfür tatsächlich die Hauptverantwortung tragen.

Die grundlegenden Ursachen bleiben außen vor ... in Sorge und ängstlicher Verantwortung

Es bleibt dabei, dass die grundlegende Struktur dieser Gesellschaft eine Dynamik der zunehmenden Rücksichtslosigkeit auf Seiten der Individuen erzeugt. Diese Rücksichtslosigkeit wächst mit den Schwierigkeiten, das verkündete Glücksversprechen in der Verfolgung von Privatinteressen tatsächlich einzulösen. Die Individuen verhalten sich zueinander nicht als Subjekte einer Solidargemeinschaft (Gesellschaft), sondern als Konkurrenten, die ihre Interessen gegeneinander, bis hin zur Unterwerfung, durchsetzen müssen. Je schwieriger das wird, desto brutaler die Konkurrenz und das Einüben der Techniken zur Behauptung in dieser Konkurrenz. Sie verhalten sich nicht zueinander als sich wechselseitig respektierende Subjekte, sondern jeder für sich behandelt sein Gegenüber immer stärker als Objekt, dessen Leidensfähigkeit nicht in Betracht kommt (Gewalt und gewalttätiger „Sex“)! Man kann sich darüber moralisch empören und einzelne sich anders verhalten, allein es wird nichts nützen, solange diese Gesellschaft bleibt was sie ist, eine kapitalistische Gesellschaft, in der das Streben nach Bereicherung ein dominierendes, allseits akzeptiertes Grundmotiv ist!

Das „natürliche“ Pendant zum Privateigentum ist nicht der Sozialstaat, nicht die „Freiheit“. Beides muss gegen das Privateigentum erkämpft werden, was nur unter ausnahmsweise günstigen Bedingungen halbwegs gelingen kann. Das Privateigentum hat nur ein Interesse an ökonomischer Freiheit, was auch die Freiheit der Verwertung von Information (daher Meinungsfreiheit!) einschließt. Entfaltet das kapitalistische Privateigentum die ihm eigene Dynamik der sozialen Polarisierung zwischen arm und reich, dann wird das begleitet vom Ausbau staatlicher Repression.

Die Repression erscheint als die Lösung der durch das Privateigentum erzeugten sozialen Misere ... auch in der Schule! Wer da mittut, soll nicht von „pädagogischer Verantwortung“ faseln!

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.