Bericht vom Mittelmeersozialforum
Tausende demonstrieren für "Ein Mittelmeer ohne Krieg und Neoliberalismus!"

von Beatrice Montini, L'Unità
06/05

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«Nein zum Krieg, nein zu den Besetzungen», «Wir wollen unser Meer, ein Mittelmeer ohne Neoliberalismus. Solidarität der Völker»: das waren waren die wichtigsten Parolen in diesem bunten Demonstrationszug der Rhythmen, der das Ende dreier Tage von Seminaren beim ersten Mittelmeersozialforum bildete.

Es waren etwa 5000 Demonstranten (was mehr oder weniger auch der Teilnehmerzahl aller Meetings entsprach), die sich auf einen Rundgang von mehreren Kilometern, beginnend und endend an der Plaza Espagna, machten. Dort war auch der Sitz der "FIRA", in dessen Gebäude die Debatten stattfanden. Die Demonstration war auch die einzige Gelegenheit, bei der sich die Delegierten aus dem Mittelmeerraum mit einem Barcelona konfrontierten und trafen, das auf dieses Treffen völlig indifferent reagierte. Das war eines der Merkmale, welches Widersprüche und Grenzen dieses Meetings zeigten. Es war aber nicht das einzige.

Montagmorgen, wenn das Mittelmeersozialforum seine Pforten schließt, wird es in Sevilla für weitere zwei Tage "Debatten und Mobilisierung" gegen die Politik der Europäischen Gemeinschaft zum Thema Migration geben. Die Veranstaltung wird von Migreuop organisiert. Es handelt sich hierbei um ein Netzwerk von Organisationen, die schon viele Jahre an vorderster Stelle für die Verteidigung der Migrantenrechte auf dem alten Kontinent eintreten. Die Tatsache, dass die Konferenz in Sevilla anschließend und weitab vom Sozialforum in Barcelona abgehalten wird, (wo sich die Thematik gerade um die Festung Mittelmeerraum drehte, dessen Militarisierung, dessen Bemühungen ein "Meer der Rechte" zu werden) ist ein weiteres Merkmal, das den Finger gegen das Treffen in Katalonien richtet.
Dass das Sozialforum Mittelmeerraum (welches am Sonntag mit der Versammlung der sozialen Bewegungen schloss) zur Herausforderung würde, beim ersten Versuch, kulturell wie politisch unterschiedliche Netzwerke und Bewegungen zusammenzuführen, war angesichts seiner sehr langen Vorbereitung (drei Jahre der Konferenzen und internationalen Treffen) klar gewesen. Jetzt sind die unlösbaren Knoten augenscheinlich geworden. Beispielhaft für alle war in dieser Hinsicht das überfüllte Seminar zur Saharawi, das mehrere Male unterbrochen werden musste wegen der Konfrontation zwischen der Fronte Polisario und den marokkanischen Delegierten. Andererseits bedeutet aber das Austragen von Differenzen und Widersprüchen ein belebendes Element in diesem Forum. Es waren gerade die Delegierten der Saharawi (in großer Zahl anwesend), welche die Atmosphäre in der FIRA mit ihren permanenten Demonstrationen und Kundgebungen aufgeheizt haben. "Hier in Barcelona haben wir ein Mittelmeer gesehen, das lebendig war", kommentierte Gianfranco Benzi von der Gewerkschaft Cgil. Znd weiter: "Dies war ein Forum pur der kulturellen, methodologischen und politischen Klüfte. Es hat einen sehr wichtigen Prozess eingeleitet, der Palästinenser und Israeli sowie Türken und Kurden zusammenführte und es hat bewiesen, dass das Mittelmeer keine tote Realität ist."

Zur Offensive übergehen

Was nun zur Diskussion gestellt wird ist ausgerechnet die "Formel" des Forums: "die Sozialforen sind weitaus wichtiger als man denkt, weil sie zur Bildung des politischen Bewusstseins beitragen, dass zum dominanten Neoliberalismus eine Alternative besteht", sagt der ägyptische Ökonom Samir Amin, "doch diese Orte hätten keinen Sinn, wenn sie nicht von den täglichen lokalen Kämpfen begleitet würden." In Barcelona wie auch in Porto Alegre lautet die Tageslosung also "zur Offensive übergehen!" und zu diesem Thema wurde auch ad hoc ein Seminar veranstaltet. "Die Foren können nicht nur der Ort sein, wo Organisationen und soziale Bewegungen sich treffen und austauschen", unterstrich in der Debatte Christophe Aguiton, Basisgewerkschafter und Verantwortlicher für internationale Beziehungen bei Attac Italien, "sondern ein Ort, an dem Kampagnen und praktiscjhe Aktionen des Kampfes entwickelt werden." Amit Sengupta (Mitorganisator des Weltsozialforums in Mumbai) hob die Wichtigkeit der indischen Erfahrungen hervor, da dort in Mumbai sich die Notwendigkeit stark machte, das Forum in einen Prozess zu transformieren, der die ganze Zivilgesellschaft inner- und außerhalb der Seminarräume erfasst.

Diesbezüglich waren die Grenzen des Forum Mittelmeerraum offensichtlich gesetzt. Vielleicht auch deshalb, weil die Delegierten drei Tage lang innerhalb der Mauern der FIRA eingeschlossen blieben und nur selten den Kontakt mit der Stadt suchten. Das war ein taktischer Fehler, der teils mit der Demonstration wieder gut gemacht wurde, die den dritten Tag der Arbeiten abschloss. Jedoch hat sie nicht einmal (und nicht zufällig), eine andere Demonstration gekreuzt, die gleichzeitig durch die Straßen der katalanischen Stadt zog (von der Anzahl weitaus größer, wenigstens 10000 Teilnehmer). Diese andere galt der Verteidigung der Homosexuellenehe, die im spanischen Parlament verabschiedet wurde, doch von der spanischen Bischofskonferenz und den konservativsten Komponenten in der Zivilgesellschaft scharf angegriffen wurde.

Alternative Energie und Pressefreiheit

Kehren wir vom Behälter zum Inhalt zurück, unter den in Barcelona vorgeschlagenen Kampagnen (sie wurde von der Versammlung der sozialen Bewegungen übernommen und "kalenderreif gemacht" wie es auch auf dem letzten Forum in Porto Alegre geschah) ist die zum Weltenergievertrag. Die Kampagne wurde von Legambiente, Punto Rosso. Lilliput, Arci, Banca Etica zusammen mit anderen englischen und französischen Organisationen entwickelt. "Wie das Wasser ist auch die Energie als gesellschaftliches Gut zu betrachten", erklärt Ciro Pesacane vom Umweltforum, "deshalb haben wir ein Netzwerk gegründet, das sich den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen (Kohle und Öl) zum Ziel gesetzt hat, und auf die erneuerbaren Energien setzt, weil man nur so dem Krieg entflieht."

Unter den interessantesten Seminaren am dritten Tag des Forums (zusätzlich zu denen über die Bedingungen der Frauen in Palästina und die Bedingungen des Saharawi Volkes) drehte sich die Debatte um die Pressefreiheit im Mittelmeerraum. Kurz über die Situation des unabhängigen Journalismus in einigen Ländern im Süden, wovon die nicht zufällige Abwesenheit einiger Gäste in der Debatte zeugt: die des Algeriers Youcef Rezzoug, den das Visum versagt wurde und die der Journalistin Sihem Benzedrine, die in den letzten Monaten einer heftigen Diffamierungskampagne ausgesetzt war und gezwungen wurde, sich anch Deutschland zu flüchten. "Es gibt zwei Waffen mit denen die tunesische Regierung unbequeme Journalisten zum Schweigen bringt", sagt Francesco Fiasco Amisnet, "mit Kampagnen der Diffamierung und mit Hilfe der Gerichte. Jeder, der in Tunesien ein Internetcafé besucht, hat ein Identitätsformular auszufüllen, das den Behörden erlaubt, die Websurfer aufzulisten und zu kontrollieren. Kürzlich wurden drei Jugendliche zwischen 18 und 20 Jahren zu dreizehn Jahren Haft verurteilt, weil sie terroristisch eingestufte Internetseiten besuchten."
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in der L'Unità am 19.6.2005. Wir spiegelten die Übersetzung von http://www.melle.at/