Ein anderer Blick auf den "8. Mai"
Kapitulation, Befreiung vom Faschismus,
Zerfall der Anti-Hitler-Koalition: Der 8. Mai 1945
06/05

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In den öffentlichen Reden, Stellungnahmen und Artikeln, die anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes unter das Volk gebracht werden, werden die Zusammenhänge nicht erhellt, sondern vernebelt. Dies leider nicht nur auf der politischen Rechten und bei den parlamentarischen Parteien der »Mitte«, sondern auch auf der Linken.

Die bedingungslose Kapitulation besiegelte den Zusammenbruch des deutschen Faschismus und das Aus der von den Nazis geplanten »neuen europäischen Ordnung«. Für die Völker, die dieser barbarischen »Ordnung« unterworfen waren, war der 8. Mai ebenso ein Tag der Befreiung wie für Hunderttausende so genannter Fremdarbeiter, für noch am Leben gebliebenen Häftlinge der Konzentrationslager, für Widerstandskämpfer in den besetzten Ländern wie auch für überlebende Kader der Arbeiterbewegung in Deutschland selbst.

Die Hoffnungen auf eine antifaschistische, den Frieden sichernde Ordnung in Europa, die mit diesem Tag verbunden waren, wurden rasch enttäuscht. Dieser Aspekt aber kommt in den meisten aktuellen Stellungnahmen zu kurz. Der 8. Mai 1945 markiert nicht nur die militärische Niederlage des deutschen Imperialismus und den Zusammenbruch des faschistischen Regimes, er ist zugleich die Geburtsstunde einer neuen weltpolitischen Kräfteverteilung – sie fand erst 45 Jahre später, 1989/90 ihr Ende.

Der 8. Mai lässt sich nicht allein bewerten als Zusammenbruch und Beseitigung des deutschen Faschismus; er markiert zugleich den Beginn einer neuen Phase der Weltpolitik, in unter den zeitweiligen Verbündeten der »Anti-Hitler-Koalition« die schon immer vorhandenen Gegensätze erneut sichtbar wurden. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs dominiert der Gegensatz zwischen Kapitalismus und Sozialismus die Weltpolitik: Es herrscht der »Kalte Krieg«.

Die herrschende Klasse in Deutschland musste sich nach dem Krieg den Westmächten unterordnen, die als Retter der deutschen Bourgeoisie und Hüter der kapitalistischen Ordnung einmarschierten. Es war die Tatsache, dass sich ein sozialistisches Lager herausbildete, das dem Imperialismus als Ganzem und auch dem deutschen Kapital Grenzen setzte. Die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« benennt diesen Zusammenhang: »Die Konkurrenz des real existierenden Sozialismus, der trotz seiner abschreckenden Erscheinungsform eine erhebliche Anziehungskraft auf Teile der Gesellschaft des Westens ausübte, begünstigte eine Wirtschaftspolitik, die den Arbeitnehmern einen höheren Anteil am Bruttosozialprodukt sicherte, als der Markt ihnen gewährt hätte.« (28.4.05)

Diese, für die arbeitende Bevölkerung Westdeutschlands günstige Schönwetterperiode endete 1990; die Zugeständnisse, die das Kapital aufgrund der Existenz des sozialistischen Lagers machen musste, werden seit rund 15 Jahren nach und nach zurückgenommen, der Sozialstaat wird abgebaut, mit der Einführung von Hartz IV eine neue Art von Zwangsarbeit eingeführt.

Die Westmächte hatten nach 1945 das Bestreben, einer Ausdehnung des Sozialismus Schranken zu setzen und die durch den Zweiten Weltkrieg verlorenen gegangenen Gebiete erneut in das imperialistische Lager einzugliedern.

1990 gelang ihnen der Durchbruch. Der Übernahme der DDR durch die BRD folgten nicht nur die beschriebenen weit reichenden innenpolitischen Veränderungen; sie läutete auch eine neue außenpolitische Etappe ein. Es war ausgerechnet eine rot-grüne Regierungskoalition, die 1999 durch die Teilnahme am militärischen Überfall auf Jugoslawien ein »Nachkriegstabu« brach. Heute, 60 Jahre nach Kriegsende, ist Deutschland wieder kriegsfähig: Bundeswehrtruppen kontrollieren den Norden Afghanistans, Bundeswehrschiffe patroullieren die Meerenge am Horn von Afrika, Bundeswehrtruppen sind Teil der internationalen Kosovo-Besatzungstruppe, Deutschland bildet in den Vereinigten Arabischen Emiraten irakische Polizisten für das von den USA eingesetzte Vasallenregime im Irak aus. Die deutsche Politik schickt sich an, das Alteisen »neue Ordnung« in Osteuropa in eine neue Form zu gießen: die EU-Osterweiterung. Außenminister Fischer bekannte sich jetzt vor dem Visa-Ausschuss des Bundestages offen dazu, dass das Ziel seiner Außenpolitik darin liege, nach der erfolgreichen Westwendung der Ukraine nun dasselbe in Weißrussland anzustreben, damit deutsche Investitionen in diese Länder fließen können.

Weder lässt sich der so genannte Sozialstaat wieder herstellen – die Zeit der »blühenden« Konjunktur mit ihren sozialen Zugeständnissen ist vorbei – noch kann es ein Zurück zu der Periode geben, wo der BRD außenpolitische und militärische Zurückhaltung auferlegt war. Die herrschende Klasse wird, den materiellen Interessen und den Triebkräften ihrer Gesellschaftsordnung folgend, die neuen Möglichkeiten nutzen. Kein sozialistisches Lager, sondern nur die Arbeiterklasse des eigenen Landes – im Bündnis mit den unterdrückten Klassen der anderen Länder – kann sie in Zukunft daran hindern.

Der Zerfall der Anti-Hitler-Koalition

Wenn politische Gruppierungen der Linken den 8. Mai nun als »Tag der Befreiung« werten, übersehen sie die grundsätzliche historische Weichenstellung des Kriegsendes. Weshalb wurden schon kurz nach Beendigung des Völkermordens aus Feinden Verbündete, welche Klasseninteressen bestimmten die Politik der Besatzungsmächte und wie sah die Besatzungspolitik in den Westzonen aus? Auf diese Fragen wollen wir im Folgenden kurz eingehen.

Die alliierten Truppen eroberten Deutschland nicht aus moralischen, demokratischen oder antifaschistischen Motiven. Hinter den öffentlich vorgetragenen Begründungen verbargen sich ganz handfeste materielle Interessen und politische Zielsetzungen. 1945 wurde der Grundstein für die kapitalistische Nachkriegsordnung in Mittel- und Westeuropa gelegt. Wer die Veränderungen seit 1990 begreifen will, muss nüchtern die Ausgangsbedingungen, die Nachkriegsordnung, zur Kenntnis nehmen, um Schlussfolgerungen für die eigene Politik heute zu ziehen. Allein als Appell an das Gewissen der Menschen, als moralisches Vermächtnis wird der Antifaschismus keine politische Wirksamkeit entfalten können.

Die Sowjetunion war während des Krieges auf die Unterstützung durch die westlichen Alliierten angewiesen. Die Abmachungen auf den Konferenzen der Anti-Hitler-Koalition von Teheran 1944 und Jalta 1945 bildeten von daher einen Kompromiss zwischen den so unterschiedlichen (sozialistischen und imperialistischen) Verbündeten, hinter denen sich die gegensätzlichen Interessen für die Gestaltung eines zukünftigen Deutschlands verbargen. In den Abmachungen wurde die bedingungslose Kapitulation, die These der Kollektivschuld sowie die Einflusssphären festgeschrieben – ein Beweis, wie stark die Gegensätze in der Anti-Hitler-Koalition schon während des Krieges waren. Die Abmachungen von Teheran und Jalta sowie das Potsdamer Abkommen (August 1945) bildeten einen Klassenkompromiss auf internationaler Ebene. Die SU verzichtete darauf, den Krieg mit revolutionären und sozialistischen Zielsetzungen zu führen, die Westmächte mussten die Ausweitung der sowjetischen Einfußsphäre hinnehmen. Schon früh, noch vor Beendigung des Krieges, analysierten Brandler und Thalheimer, dass diese Abmachungen auf die Dauer keinen Bestand haben können und sagten die Konfrontation zwischen beiden Lagern voraus.

Je mehr sich der Krieg dem Ende zuneigte, desto stärker traten die gegensätzlichen Interessen bei der Neuordnung Europas zu Tage. Innerhalb kurzer Zeit wurden aus Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition wieder Todfeinde, das Land des gemeinsamen Feindes zum militärischen Aufmarschgebiet zwischen West- und Ostblock. Kapitalismus und Sozialismus standen sich hier unmittelbar gegenüber. Der Sowjetunion – noch überwiegend ein Agrarland und wesentliche Teile des Landes durch den Krieg zerstört – fiel als Ergebnis des Krieges die Rolle einer weltpolitischen Großmacht zu.

»Jetzt in den Endkämpfen gegen Hitler nutzt die Sowjetunion die Bindung der militärischen Kräfte Englands und Amerikas aus, um sich im Balkan, Ungarn, Österreich festzusetzen. Aber es ist lächerlich zu glauben, der englische und amerikanische Imperialismus findet sich mit dem Vorschieben der russischen Einflusssphäre ab durch die Erklärung der offiziellen Vertreter der Sowjetunion, das bürgerliche Eigentum und die bürgerliche Demokratie nicht anzutasten. Für den Imperialismus bedeutet Schutz dem bürgerlichen Eigentum und der bürgerlichen Demokratie ihr Recht, diese Gebiete zu ihren Märkten und Profitquellen zu machen. Die Hinderung an diesen heiligen Rechten ist für sie Hochverrat. Die Fortsetzung des Krieges gegen Japan und die Friedensbedürfnisse der Massen in Amerika und England machen einen sofortigen Krieg gegen die Sowjetunion unwahrscheinlich. Aber mit der Rede Churchills ist der Kampf um und in den russischen Einflusssphären erklärt – begonnen hat er schon früher, in Griechenland, Italien usw.« (Brief von Heinrich Brandler, 15.5.1945)

Die Interessen der SU und die Nachkriegsordnung in Osteuropa: Grundlagen des Sozialismus werden geschaffen

Die Rote Armee folgte keinen moralischen oder ideellen Zielen, sie wollte weder die Revolution noch den Sozialismus weltweit exportieren, wie uns die Propaganda der »Kalten Krieger« im Westen weismachen wollte. Der Griff nach Mitteleuropa, so ihre Behauptung, sei der Versuch Moskaus, seine Weltherrschaft aufzubauen. Die SU hatte den Zweiten Weltkrieg nicht unter revolutionären Losungen, sondern unter der Parole vom »großen vaterländischen Krieg« geführt. Sie diente der Mobilisierung aller Kräfte unter den Völkern der Sowjetunion zur Verteidigung des Landes mit einem Ziel: Nie wieder sollten fremde Truppen einen Krieg nach Russland tragen können. Das war die Schlussfolgerung aus den leidvollen Erfahrungen von Bürgerkrieg und Intervention in den Jahren nach der Revolution (von 1917 bis 1921) und aus dem Zweiten Weltkrieg, der ihr durch die Deutsche Invasion 1941 aufgezwungen wurde.

Kern der außenpolitischen Absichten in Moskau nach 1945 war, durch einen Gürtel blockfreier und neutraler Staaten (wie Österreich und Finnland), sozusagen einen Schutzgürtel um die Sowjetunion zu legen. Bis in die 50er Jahre gab es entsprechende diplomatische Initiativen für einen Friedensvertrag mit Deutschland, aus dem sie sich dann zurückgezogen hätte. Die ungeheuren Zerstörungen und Verluste hatten die Sowjetunion derart geschwächt, dass die Führung der KPdSU, aber auch die große Masse der Bevölkerung einer erneuten militärischen Konfrontation – diesmal mit den Westmächten – unter allen Umständen aus dem Wege gehen wollten.

Doch der militärische Aufmarsch der Westalliierten in Mitteleuropa, die alle diplomatischen Initiativen zurückwiesen und Westdeutschland fest ins NATO-Lager einbinden wollten, ließ ihr keine andere Möglichkeit, als ihre Herrschaft und ihren Einfluss in den eroberten osteuropäischen Ländern zu festigen und auszubauen. Die Erfahrungen mit der europäischen Arbeiterbewegung, vor allem der Niederlage der deutschen Arbeiterklasse vor dem Faschismus, ließ die KPdSU nicht auf die revolutionäre Hilfe der westeuropäischen Arbeiterklassen setzen. Die Sicherung der Sowjetunion sollte nun der Roten Armee zufallen: In den eroberten osteuropäischen Staaten mussten gesellschaftliche Veränderungen eingeleitet werden, die garantierten, dass von diesem Boden zukünftig keine Gefahr für die SU mehr ausgehen würde. Ohne die Enteignung der besitzenden Klassen war diese Gefahr aber nicht zu bannen.

Außer in Jugoslawien, wo die inneren Kräfte infolge der Partisanenkämpfe unter Führung Titos so stark waren, dass sie eine Außenbestimmung zurückweisen konnten, wurde der Weg der gesellschaftlichen Umwandlung durch die Siegermacht Sowjetunion bestimmt. Wer herrscht, bestimmt auch die Methoden: Also wurden die russischen Methoden des sozialistischen Aufbaus in den neuen Einflussbereich exportiert.

Ökonomische Grundlagen für eine sozialistische Gesellschaft wurden gelegt. Die Länder wurden industrialisiert, ein Bildungs- und Sozialwesen wurde aufgebaut. Da die sozialistische Gesellschaftsordnung von den Arbeiterklassen dieser Länder nicht erkämpft worden war, wurde das Proletariat hier auch nicht Subjekt, Herr im eigenen Hause. Dementsprechend fehlte ihm auch die Kraft, die gesellschaftlichen Errungenschaften gegen die Expansion des kapitalistischen Westens nach 1989 zu verteidigen. Der Export der russischen Methoden hat eine dauerhafte Sicherung der sozialistischen Grundlagen in der Sowjetunion nicht erreicht. Die geografische Sicherheitszone schützte nicht vor dem Rüstungswettlauf. Von den Arbeiterklassen der industriell hoch entwickelten Länder erhielt die Sowjetunion, die sich erst seit der Planwirtschaft Ende der 20er Jahre zu einem Industrieland entwickelt hatte, keine ausreichende politische und materielle Unterstützung.

Die außenpolitischen Losungen der Sowjetunion nach 1945 von der »antifaschistisch demokratischen Neuordnung « und dem »Schutz des Eigentums« haben zwar zur Verwirrung unter der arbeitenden Bevölkerung beigetragen, konnten aber die Westalliierten nicht täuschen. Den kommunistischen Parteien im Westen dienten diese Losungen als Begründung, um sich an bürgerlichen Regierungen zu beteiligen (in Frankreich, Italien usw.) In Westdeutschland ließen sie sich zunächst in die von den Westalliierten eingesetzte Verwaltung einbinden.

Die Zusammenarbeit der Westalliierten mit dem faschistischem Staatsapparat und der Verwaltung

Die westlichen Alliierten marschierten mit den genau entgegen gesetzten Absichten wie die Rote Armee in Deutschland ein. Sie wollten nicht nur einen imperialistischen Konkurrenten ausschalten, der ihnen mit seinem Expansionsdrang einen mörderischen Krieg aufgezwungen hatte. Im Verlauf und zu Ende des Krieges gewannen zwei weitere Ziele immer größere Bedeutung.

Es galt erstens eine Erweiterung der sowjetischen Einflusssphäre zu bekämpfen. Erst nachdem die Rote Armee vor Polen stand, folgte die alliierte Invasion in der Normandie; die sowjetischen Truppen sollten unter keinen Umständen allein in Deutschland einmarschieren. Das hätte unabsehbare Folgen nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa gehabt. Das Ansehen der Roten Armee als Befreierin vom Faschismus unter den europäischen Völkern wäre noch weiter gestiegen. Und wie hätte man sie – trotz der Abmachungen von Teheran – aus Deutschland wieder hinausdrängen können?

Das zweite Ziel war die Verhinderung sozialer Umwälzungen und Revolutionen in den Staaten Mittel- und Westeuropas. Große Teile der besitzenden Klassen der im Zweiten Weltkrieg eroberten Länder hatten durch ihre Kollaboration mit Hitlers neuer europäischer Ordnung jeglichen moralischen und politischen Kredit in der Masse der Bevölkerung verspielt. Die Gefahr lag also nahe, dass ihnen ein für alle mal ihre Privilegien, der Besitz von Ländereien und Fabriken und somit ihr bestimmender politischer Einfluss genommen würde. Die Kriegs- und Besatzungspolitik der Westalliierten sollte das verhindern. Deshalb wurde beispielsweise das faschistische Spanien nicht angetastet und Franco bald in den erlauchten Kreis der Verteidiger von »westlichen Werten und Demokratie« aufgenommen. Noch vor dem 8. Mai 1945 schlugen die britischen Besatzungstruppen soziale Unruhen und bewaffnete Aufstände gegen die alte Ordnung und das Königshaus in Griechenland nieder. Dort, wie auch beispielsweise in Italien, wurden die antifaschistischen Widerstandsgruppen von den einrückenden Truppen der Westalliierten entwaffnet.

Auch in Deutschland war die Besatzungspolitik darauf ausgerichtet, grundlegende soziale Veränderungen – wie sie nach dem Ersten Weltkrieg nach der Novemberrevolution auf der Tagesordnung gestanden hatten – zu verhindern. Nach der Niederlage des Hitlerregimes drohte mit einem Zusammenbruch des politischen Überbaus, des faschistischen Staatsapparates, auch dem gesellschaftlichen Fundament, der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, Gefahr. Die Forderungen nach Sozialisierung des Finanz-, Schwer- und Rüstungskapitals fand unter großen Teilen vor allem der arbeitenden Bevölkerung ein breites Echo. Und wer, wenn nicht die überlebenden Kader der alten Arbeiterbewegung hätten in der unmittelbaren Nachkriegssituation das Erbe des bankrott gegangenen Regimes antreten können? Dieser Gefahr galt es entgegenzutreten. Dem diente die Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation, die zugleich die vollständige Besetzung Deutschlands vorsah.

In einem so großen, hoch industrialisierten Land aber lässt sich die staatliche Ordnung nicht allein mit fremden Besatzungstruppen aufrechterhalten. Schon während des Nürnberger Prozesses, nachdem die alliierte »Entnazifizierung « gerade begonnen hatte, bediente man sich schon fleißig der Hüter der alten Ordnung, während Antifaschisten, revolutionäre Sozialisten und Kommunisten verfolgt wurden. Große Teile der alten »Verwaltungsbeamten« und der »Experten« wurde in ihren Ämtern belassen – auch Lehrer, Ärzte, Professoren und Juristen, sowie die Polizei. Sie konnten nach Gründung der BRD auch in zahlreichen politischen Ämtern – »demokratisch geläutert« – wieder ihren Einflussausüben. Das war keinesfalls Ergebnis von einer nicht konsequent genug durchgeführten Entnazifizierung, von falscher Rücksichtnahme oder der besonderen Verschlagenheit und Tarnung alter Nazis. Die Zusammenarbeit der Besatzungsbehörden mit der alten, faschistischen Verwaltung diente der Sicherung von Ruhe und Ordnung, war notwendig zur Sicherung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse. Nicht nur das alte, faschistische Verwaltungspersonal wurde übernommen, auch die Grundlage, die zum Faschismus geführt hatte, die kapitalistische Wirtschaftsordnung, blieb in den Westzonen erhalten.

Die Weimarer Demokratie war ja nicht vom Faschismus in offener Auseinandersetzung geschlagen worden, den Nazis war die Macht wie eine reife Frucht in den Schoß gefallen. Die bürgerliche Demokratie und ihre Träger hatten sich zersetzt und selbst aufgegeben, nachdem die kapitalistische Wirtschaft in eine tiefe Krise geraten war. Die bürgerlichen Demokraten waren zu den Nazis übergelaufen oder hatten kapituliert, einschließlich der Sozialdemokratie und der ADGB-Führung. Die Nazis hatten die wirtschaftliche Grundordnung für das Bürgertum gerettet und weitergeführt. Deshalb wurden zahlreiche Repräsentanten der Nazi-Diktatur und ihre Verwaltung nach dem Krieg auch wieder gebraucht. Sie sahen in den Westalliierten zu Recht das neue antikommunistische Bollwerk, dem sie sich jetzt zur Verfügung stellten. »Der Gauleiter von Hamburg, Kaufmann, konnte im Lager Vorträge halten, die gegen die SU, für die Westmächte Propaganda machten. Der Kommandant des KZ Lager[s] Stutthof, Hoppe, war nach wenigen Wochen in Neuengamme bereits Lagerpolizist geworden.« (Josef Bergmann, 1946 über die Zustände im britischen Gefangenenlager, dem ehemaligen KZ Neuengamme, siehe Artikel S. 6)

Verfolgungen in den Westzonen

Nahm man die antinationalsozialistische Propaganda der Westmächte für bare Münze, so hatten »Freund und Feind« in den westlichen Besatzungszonen mit der Niederlage Hitler-Deutschlands überraschend gewechselt. Den beiden bekanntesten Vertretern der KPD-O, Brandler und Thalheimer, wurde in den Nachkriegsjahren die Wiedereinreise aus Kuba in ihr Heimatland verwehrt. Während Brandler auch ohne alliierte Erlaubnis versuchte über London einzureisen, starb August Thalheimer 1948 auf Kuba. Jupp Bergmann, der aus schwedischem Asyl nach Lübeck zurückkehrte, hinterließ uns einen Bericht über seine Inhaftierung im KZ Neuengamme durch die britische Militärverwaltung. Wir drucken ihn im Anschluss an diesen Artikel ab. Mitglieder der alten KPD-O – sie gründeten 1948 die Gruppe Arbeiterpolitik – sahen nach 1945 in politisch von allen Besatzungsbehörden unabhängigen Organisationen der Arbeiterklasse eine entscheidende Voraussetzung für einen Wiederaufstieg der geschlagenen Arbeiterbewegung. Sie nahmen aber in dem weltpolitischen Konflikt zwischen den Blöcken bei aller Kritik an deren Methoden eindeutig für die Sowjetunion Stellung.

»Im Übrigen in Bezug auf das praktische Verhalten ist unsere Stellung klar genug festgelegt, so dass niemand in Zweifel darüber sein kann. Wir sind in vielem kritisch gegenüber dem, was die Russen machen, aber niemand, der unsere bisherigen Sachen gelesen hat, kann im Zweifel darüber sein, dass wir in dem Konflikt zwischen Angelsachsen auf der einen, den »Russen« auf der anderen Seite, uns auf die letztere Seite stellen, weil die erstere auf die Verteidigung des Kapitalismus hinausläuft, die andere auf deren Beseitigung. […] Darüber hinaus aber sind wir dafür, dass die deutsche und westeuropäische Arbeiterklasse nicht Anhängsel der SU sein soll, sondern […] eine selbständige revolutionäre Kraft, mit dem Nachdruck auf beide unterstrichenen Wörter. ‚Selbständigkeit', nur um imperialistische und reformistische Politik zu machen, ist keinen Pfifferling wert.« (August Thalheimer, Brief an Fritz Wiest, 20.5.1946)

Hier standen sie im scharfen Gegensatz zur Haltung der KPD, die an das Weiterbestehen der Anti-Hitler-Koalition glaubte. »Neulich hielt einer der Führer der deutschen Kommunisten in der britischen Zone, Senator Dettmann aus Hamburg, eine merkwürdige Rede: ›Die Kommunistische Partei‹, führte er aus, ›erhebt heute keine sozialistischen Forderungen, weil es keine wirkliche sozialistische Volksbewegung gibt. Im Einklang mit den Beschlüssen von Jalta, Theheran und Potsdam muß innerhalb der bestehenden kapitalistischen Ordnung eine demokratische Politik betrieben werden.‹ Das ist das erste Mal, dass wir davon hören, dass Teheran, Jalta und Potsdam irgendjemand dazu verpflichtet haben, für die Erhaltung ›der bestehenden kapitalistischen Ordnung‹ zu arbeiten.« (Isaac Deutscher, The Observer, 9. Dezember 1946)

Aber nicht nur Kommunisten, die eine Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten ablehnten, auch Mitglieder und Anhänger der KPD waren in unmittelbarer Nachkriegszeit Verfolgungen und Inhaftierungen ausgesetzt. Und zwar zu einer Zeit, als sich die vier Alliierten offiziell noch zur Anti-Hitler-Koalition bekannten und KPD-Vertreter auch in den westlichen Besatzungszonen Ministersessel bekleideten.

»Berlin ist jetzt Zeuge eines bedeutsamen politischen Prozesses geworden – einige Zeitungen nennen ihn den ersten politischen Prozess seit Ende des Dritten Reiches. Angeklagt waren zwei führende Berliner Kommunisten, Jurr und Kammermeier. Beide haben jahrelang unter der Verfolgung der Nazis gelitten – Jurr verbrachte die ganze Zeit des Nazi-Regimes in Konzentrationslagern und Zuchthäusern. Die amerikanische Militärregierung beschuldigte sie beide der Einmischung in Obliegenheiten der Militärregierung, weil sie Mitglieder ihrer Partei aufgefordert hatten, sie über alle Geschehnisse in der deutschen Zivilverwaltung ihre Stadtbezirks auf dem Laufenden zu halten. Beide wurden zu fünf Jahren Haft verurteilt.« (Isaac Deutscher, The Observer, 7. April 1946)

Interessant auch die Schilderung der Verhältnisse in Kamen. Die Bergleute beispielsweise bekamen schon bald nach Kriegsende den Charakter der westalliierten Besatzung zu spüren. Unter der Überschrift »Schweigende Ruhr« berichtet Isaac Deutscher für »Nowa Polska« im Januar 1946: »[...] Ein wenig anders spricht Heinrich D. über diese Dinge, ein Betriebsrat der Bergwerksbelegschaft, der auf unseren Wunsch im Arbeitszimmer des Direktors erscheint. Er ist Sozialdemokrat – vor dem Hitler-Umsturz war er Führer des sozialdemokratischen Reichsbanners in einem Ort bei Kamen. [...] Die Welt weiß nicht, sagt er, und wird es niemals erfahren, durch welche Hölle wir gegangen sind. Die Ruhr war immer rot und blieb rot während dieser schrecklichen Jahre. Eingekreist von Spionen und Hitler-Spitzeln konnten wir gegen das Regime nichts ausrichten. Hier in diesem Bergwerk konnte ich selbst in den letzten Jahren keine Arbeit bekommen. Und der Vorstand des Bergwerks hatte ein Konzentrationslager unter seiner Führung, in dem stets auch mindestens fünfzig deutsche Bergarbeiter aus der eigenen Belegschaft saßen, meistens Kommunisten. Das Konzentrationslager war gleichsam eine Abteilung des Unternehmens. [...] Aber das schlimmste ist, dass der Bergarbeiter sieht, dass sich hier nichts geändert hat. Die Menschen kehren aus der Kriegsgefangenschaft zurück und melden sich bei der Arbeitskammer zwecks Arbeit. Aber wer regiert heute in der Arbeitskammer, zum Beispiel in Kamen? Die gleichen Leute, die bis vor kurzem bestimmt hatten, wer in das Konzentrationslager des Bergwerks einzuliefern sei. Von ihnen hängt es ab, welche Arbeit der Kumpel jetzt bekommt. Sogar der Chef der Polizei in Kamen ist derselbe geblieben. [...] Ich habe immer die Sendungen des BBC gehört. Man versprach uns die Säuberung Deutschlands von der braunen Pest. Aber es kam alles anders. Die Hitler-Anhänger sind geblieben, und der einfache Bergmann wird behandelt, als ob gerade er ein Hitler-Faschist gewesen wäre. [...]«

Da der Gegensatz zur Sowjetunion für die Westalliierten nach 1945 der entscheidende war, retteten sie die deutsche Bourgeoisie, die sich willig unter ihre Herrschaft begab und ihren Wiederaufstieg vorbereitete. Zwar hatten die Armeen der Anti-Hitler-Koalition die Geißel des Faschismus besiegt, das Joch des Kapitalismus blieb der Arbeiterklasse in den Westzonen aber erhalten – zunächst in Form einer rund 40-jährigen relativen Aufstiegsperiode.

Editorische Anmerkungen

Der Text entstammt der Zeitschrift Arbeiterpolitik (Arpo Nummer 4, 2005) und ist eine Spiegelung von dort.