Die Ergebnisse des Referendums waren
bereits am Vortag seines
Stattfindens in der regimenahen Presse bekannt gegeben worden: 80
Prozent
Beteiligung, 95 Prozent Ja-Stimmen. Und so kam es denn auch,
zumindest wenn
man den amtlichen Angaben Stellen Glauben schenkt. Wovon Jacques
Chirac in
den letzten Wochen nur träumen konnte sein ägyptischer Amtskollege
schaffte es spielend: Eine hohe Zustimmungsrate bei einem
"maßgeschneiderten" Referendum, das er am 25. Mai dieses Jahres
abhalten
ließ, schien ihm sicher. Dabei ging es auch noch um ein nobles
Anliegen,
nämlich um einen "historischen Schritt" zur "Demokratisierung" des
Landes.
Soweit die offizielle Darstellung.
Die Wirklichkeit sah freilich anders
aus. Hohe Beteiligung? Auch wenn an
diesem Tag die öffentlichen Transportmittel ein wichtiges Problem
für die
Einwohner des Großraums Kairo, wie so vieler Metropolen der "Dritten
Welt"
für jene kostenlos ausfielen, die einen Stempel im Wählerausweis
vorweisen
konnten, nahmen nur wenige Ägypter an der Abstimmungsfarce teil.
Dies
berichten westliche Journalisten, etwa Claude Guibal für die Pariser
Libération, aus Kairo. Demokratisierung? Die Verfassungsänderung,
die per
"Volksabstimmung" abgesegnet werden sollte, erlaubt zukünftig
erstmals die
Abhaltung von Präsidentschaftswahlen mit mehr als einem Kandidaten.
Den
Testfall sollen die kommenden Präsidentenwahlen im September dieses
Jahres
darstellen. Aber der nunmehr erstmals vorgesehene "Pluralismus"
bleibt unter
engster Kontrolle: Nur solche Kandidaten können sich bewerben, die
entweder
einer offiziell anerkannten "legalen Oppositionspartei" angehören
damit
scheiden so gut wie alle Oppositionskräfte aus oder von mindestens
250
Abgeordneten des nationalen oder eines der regionalen Parlamente
unterstützt
werden. Ein Kunststück, wenn gut 90 Prozent der Mandate durch die
Regimepartei, die "Nationale Demokratische Partei", kontrolliert
werden. Im
Endeffekt läuft wohl alles darauf hinaus, dem tunesischen "Modell"
zu
folgen. Bei den dortigen Wahlen von 1999 und 2004 traten neben
Amtsinhaber
Zine ben Abidine Ben Ali auch jeweils ein oder zwei Sparringpartner
an.
Diese betonten eifrig, "nicht gegen, sondern mit Ben Ali zu
kandidieren" und
wurden nicht müde, die angeblichen großartigen Erfolge des
Präsidenten zu
loben und zu betonen.
Beobachter der ägyptischen Politik
vertreten einhellig die Ansicht, bei dem
Referendum handele es sich um das legitimatorische Feigenblatt eines
hinter
den Kulissen eifrig vorbereiteten Machtübergangs von Hosni Mubarak -
der
sich um sein fünftes Präsidentschaftsmandat bewirbt - auf den
Präsidentensohn Gamal Mubarak.
So steht es derzeit um den
"unaufhaltsamen Elan der Demokratisierung" in
einem jener Schlüsselländer, die US-Präsident George W. Bush in
seiner
letzten Rede zur Lage der Nation vom 2. Februar 2005 ausdrücklich
als
Testfelder einer außenpolitischen Initiative seiner
US-Administration
benannte. In seiner Rede führte Bush unter anderem aus: "Um Frieden
und
Stabilität im Greater Middle East zu befördern, werden die
Vereinigten
Staaten mit unseren Freunden in der Region zusammen arbeiten, um die
gemeinsame Bedrohung durch den Terror zu bekämpfen, während wir
einen
höheren Maßstab der Freiheit durchsetzen. Hoffnungsvolle Reformen
sind in
einem Bogen, der von Marokko über Jordanien bis Bahrain reicht,
bereits am
Greifen. Die Regierung Saudi-Arabiens kann ihre Führung in der
Region
beweisen, indem sie die Rolle ihres Volkes bei der Bestimmung seiner
Zukunft
vergrößert. Und die große und stolze Nation Ägyptens, die den Weg
zum
Frieden im Mittleren Osten zeigte, kann jetzt den Weg zur Demokratie
im
Mittleren Osten zeigen."
Die genannte außenpolitische
Initiative, die in den letzten anderthalb
Jahren und vor allem in der Anfangsphase unmittelbar nach ihrer
Ausrufung
- viel Staub aufwirbelte, hört auf den Programmnamen Greater Middle
East. Es
handelt sich um ein umfassendes politisches Projekt, das mit
Eingriffen in
die Verhältnisse der gesamten geographischen Großregion von Marokko
bis
Pakistan einher gehen soll. In jüngster Zeit ist es zwar um die
offiziell
proklamierten Ziele eher still geworden, doch prägt das Grundmuster
des
Greater Middle East-Programms zweifellos weiterhin die Außenpolitik
der
westlichen Führungsmacht.
Vorgeschichte des Greater Middle
East-Projekts
Seit dem Spätherbst 2003 hat die
US-Administration sich ein offizielles Ziel
auf ihre Fahnen geschrieben: die Durchsetzung der Demokratie in
einem Bogen,
der von Marokko über Ägypten, die arabischen Golfländer und den Iran
bis
nach Pakistan reicht. Der Name Greater Middle East und die Auswahl
der
betroffenen Länder müssen dabei freilich vielen Einwohnern der
betroffenen
Region als eher willkürlich erscheinen. Denn in Marokko und Algerien
rechnet
man sich nicht gerade zum "Mittleren Osten" diesen Begriff benutzt
man
dort, wenn man von Saudi-Arabien oder Syrien spricht, während man
die eigene
Gegend als Nordafrika bezeichnet. Ferner bestehen doch, neben einer
gemeinsamen Problematik aus Sicht des Westens in Gestalt des
Islamismusproblems sowie der Frage des Zugangs zu wichtigen
Rohstoff-Lagerstätten, auch wesentliche Unterschiede zwischen
Ländern wie
Tunesien oder Türkei einerseits und Afghanistan oder dem Yemen
andererseits.
Alle diese Ländern zählen nach offizieller Lesart zum Greater Middle
East.
Den Grundstein für das Projekt legte
US-Präsident George W. Bush mit einer
Ansprache vom 6. November 2003 vor der Stiftung National Endowment
for
Democracy (wörtlich: "Erst-, Grundausstattung für Demokratie"), die
1983
unter Ronald Reagan als gemeinsamer Think-Tank von Vertretern beider
großer
US-Parteien gegründet worden und an jenem Tag am Sitz der Industrie-
und
Handelskammer der USA versammelt war.
Was ist die National
Endowment for Democracy?
Diese Organisation, abgekürzt NED,
diente damals, in den frühen achtziger
Jahren, als strategische Denkfabrik in einer aggressiven, expansiven
Phase
der US-Politik. Unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan
versuchte das
US-Establishment zu jener Zeit, das "Vietnam-Trauma" der Jahre nach
1975 zu
überwinden und zu einer offensiven Haltung auf der internationalen
Bühne
zurückzukehren. Die Sowjetunion sollte, durch politischen und an
manchen
Orten der Welt auch militärischen Druck (in Gestalt von
Stellvertreterkriegen), auf ihre Grenzen zurückgeworfen werden. Ihr
Einfluss
auf die, aus der Phase der Entkolonialisierung in Afrika und Asien
hervorgegangenen jungen Regime in der "Dritten Welt" sollte
zurückgedrängt
oder gebrochen werden.
Die Denkfabrik NED sollte also in
erster Linie dem Kampf gegen den
sowjetischen oder marxistischen Einfluss weltweit dienen. Einer
ihrer
Arbeitsschwerpunkt lag zu Anfang in der offensiven Bekämpfung des
"marxistischen Einflusses" in Mittelamerika, namentlich in Ländern
wie El
Salvador und natürlich im sandinistisch regierten Nicaragua. Dennoch
waren
die Ziele etwas weiter gesteckt. Denn um diese planetare
Auseinandersetzung
zu gewinnen, so hatten führende Köpfe des US-Establishments erkannt,
musste
man über einen positiven formulierten, Unterstützung erheischenden
und mit
scheinbar unangreifbaren "Wertvorstellungen" verbundenen Diskurs
verfügen.
Die rein antikommunistisch begründete Abwehr gegen das "Böse"
genügte dafür
nicht. Daher kümmerte NED sich auch schon früh um das Problem der
vorsichtigen Demokratisierung in autoritär geführten,
pro-westlichen
Staaten, die bis dahin als antikommunistische Bollwerke unterstützt
worden
waren.
So unterstützte NED beispielsweise
bürgerlich-demokratische, etwa
christdemokratische, Kräfte in Chile. Dort hatte sich die
Militärdiktatur
unter Augusto Pinochet am 11. September 1973 mit maßgeblicher
Unterstützung
der USA letztere ist längst ein offenes Geheimnis an die Macht
geputscht. Um die von der Regierung der Unidad Popular unter
Salvador
Allende ausgehende "sozialistische Gefahr" zu bannen, war Pinochet
der
richtige Mann gewesen. Nur zog dessen Regime nunmehr, auf längere
Frist hin
betrachtet, zu viel Hass und ein zu negatives Image auf sich.
Deswegen war
es strategisch klug, auf ihre allmähliche Ablösung durch ein
bürgerliches
Regime zu setzen. Tatsächlich wurde in der zweiten Hälfte der
achtziger
Jahre ein Ablösungsprozess durch die Diktatur selbst, unter Druck
der USA
und anderer westlicher Staaten, in Gang gesetzt. (In Westdeutschland
wollte
ein Teil der CSU das nicht begreifen, der auch entgegen diesem
strategischen
Kurswechsel am befreundeten Folterer Pinochet festhalten wollte, so
der
damalige Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann. Hatten doch
Freunde des
CSU-Politikers, darunter die Professoren Lothar Bossle und Dieter
Blumenwitz, der Pinochet-Diktatur ihre 1980 verabschiedete
Verfassung
geschrieben.) Nach dem Ergebnis einer Volksabstimmung über seinen
Verbleib
an der Macht, im Frühjahr 1988, leitete Pinochet selbst den
allmählichen,
kontrollierten Übergang ein. Beim Regimewechsel wurde vor allem
darauf
geachtet, dass die "Errungenschaften" des neoliberalen
Wirtschaftsmodells,
das Pinochet dem Land in anderthalb Jahrzehnten aufgezwungen hatte,
nicht
angetastet würden. Man könne das ganze Vorgehen auch als "Fassenbereinigung"
bezeichnen.
In ähnlicher Form, und auch mit
Unterstützung der US-Denkfabrik NED, wurde
1986 auf den Philippinen eine Ablösung des bisherigen Diktators
Ferdinand
Marcos durch die gewählte Präsidention Corrazon "Corry" Aquino
eingeleitet.
Washington begrüßte diese Wachablösung, die namentlich durch von NED
verteilte Gelder unterstützt worden war. Die Regierung in Manila
wurde so
auf eine breitere soziale Basis gestellt, da Teile der
Mittelschichten
nunmehr neben der traditionellen Oligarchie mit regierten. Die
US-Militärbasen auf der Inselgruppe wurden nicht angetastet.
Nicht zuletzt aber eilte NED der
bedrohten und bedrängten Demokratie in
einem Land wie... Frankreich zu Hilfe. Dort hatte die Französische
kommunistische Partei von Juni 1981 bis Juni 1984 an einer
Regierungskoalition teilgenommen, bevor sie diese in völlig
lädiertem
Zustand verließ, da wesentliche Teile ihrer Basis sich in der
Zwischenzeit
enttäuscht abgewandt hatten. Ihre dreijährige Regierungsbeteiligung
unter
Präsident François Mitterrand hatte aber in Washington einige
Alarmglocken
lâuten lassen. Auch über das Ende der Präsenz von vier KP-Ministern
im
französischen Kabinett hinaus flossen deswegen erhbliche Geldmittel
der
National Endowment for Democrazy nach Frankreich. Die ursprünglich
einmal
linksradikale, damals aber bereits linksliberale Pariser
Tageszeitung
Libération enthüllte erstmals in ihrer Ausgabe vom 27. November
1985, wobei
sie zahlreiche Faksimile-Dokumente veröffentlichte, dass zu jenem
Zeitpunkt
jährlich 1,3 Millionen Dollar von NED an Empfänger in Frankreich
flossen.
Eine der solcherart finanziell unterstützten Organisationen war die
rechte
Studentengruppierung UNI (Union national inter-universitaire), die
1984/85
noch durch NED mit jährlich 575.000 Dollar aus US-Staatsmitteln
unterstützt
wurde. Die heute noch existente UNI ist ein vor allem
antikommunistisch
ausgerichteter Aktivistenverband, aus dem in den achtziger Jahre
sowohl
Politiker der neogaullistischen Partei RPR zumindest aus dem
zweiten Glied
als auch Kader des rechtsextremen Front National (FN) hervor
gingen.
Infolge der Libératon-Berichte stellte der US-amerikanische Think
Tank NED
jedoch seine finanazielle Unterstützung auf französischem Boden
schrittweise
ein.
Die damals, in der letzten Phase des
Kalten Krieges unter Ronald Reagan, als
weltweite « Demokratisierungsoffensive » ettikettierte
Vorgehensweise für
die weltweite Durchsetzung von US-Interessen wurde zu Beginn dieses
Jahrzehnts inhaltlich wieder aufgenommen. Jetzt soll es darum gehen,
die
Demokratiedefizite im Nahen und Mittleren Osten wo tatsächlich
zahlreiche
autoritäre, diktatorische und monarchische Regime existieren zu
beheben.
Im Hintergrund steht natürlich unter anderem das
politisch-strategische
Wettrennen um die größten Vorräte an energetischen Ressourcen auf
diesem
Planeten.
Worum geht es also in dem
Greater Middle East-Plan?
Im Kern drehte George W. Bushs Rede
vom November 2003 vor dem NED sich um
das Vorhaben, durch eine von außen kommende Initiative die
Einführung der
Demokratie in den "islamischen" Ländern durchzusetzen. Im eklatanten
Widerspruch zu diesem offiziell gesteckten Ziel stand freilich das
auch
damals gleichzeitig ausgesprochene Lob für eine Reihe autokratisch
regierter
Länder wie etwa mehrere Golfmonarchien, darunter Saudi-Arabien, und
das
marokkanische Königreich für ihre angeblichen Fortschritt in dieser
Richtung.
Konkreter gefasst wurde das Projekt
durch ein Arbeitspapier, das durch die
in London erscheinende, liberale arabischsprachige Tageszeitung
Al-Hayat
(Das Leben) am 13. Februar 2004 publiziert wurde. Bereits ein paar
Tage
zuvor war das Mittelost-Programm estmals auf internationaler Ebene
offiziell
debattiert worden, nämlich bei der NATO-Sicherheitskonferenz in
München, wo
die US-Vertreter um Zustimmung der europäischen Regierungen für ihr
Konzept
warben. Dort sprach vor allem der republikanische US-Senator Richard
Lugar
zum Thema. Dass die NATO die erste transnationale Instanz ist, bei
der über
das Projekt diskutiert wurde, ist keineswegs Zufall: Den US-Plänen
zum
künftigen Greater Middle East soll das nordatlantische
Militärbündnis dort
eine wesentliche Rolle bei der "Stabilisierung" des Großraums
übernehmen.
Derzeit allerdings liegt die Planung dafür bei der NATO auf Eis,
weil beim
letzten Gipfel der Militärorganisation, Ende Juni 2004 in Istanbul,
die
Widersprüche zwischen den westlichen Großmächten in diesem
Zusammenhang
aufbrachen. Die US-Administration wollte der NATO gern eine eher
symbolische denn reale Rolle im besetzten oder "befreiten" Irak
zukommen
lassen: Die Nordatlantische Allianz sollte eine Funktion bei der
Ausbildung
irakischer Militärs und Polizisten übernehmen. Da dafür jedoch
bereits
detaillierte Programme der US-Armee im nationalen Alleingang
erarbeitet
wurden, deren Umsetzung begonnen hat, vermuteten vor allem Deutsche
und
Franzosen, in Wirklichkeit gehe es weniger um wirkliche Vollmachten
für die
NATO-Verbündeten denn um ein bloßes Hineinziehen in die politische
Verantwortung für das Schicksal des Irak. Deswegen opponierte vor
allem der
französische Präsident Jacques Chirac der sich im Nachhinein durch
Kanzler
Schröder etwas im Stich gelassen fühlte - in Istanbul explizit gegen
die
Übernahme einer solchen Rolle durch die NATO im Irak. Daraufhin
wurde das
Programm im Juli zwar dennoch angeleiert, aber auf eine sehr
symbolische
Präsenz der NATO heruntergekocht. Da der Irak generell als
Präzendenzfall
für die angebliche "Demokratisierung" der Region dienen soll, ist
die
Beteiligung der Nordatlantischen Organisation an den Plänen nunmehr
fragwürdig geworden; vieles wird wohl eher nationalen Alleingängen
überlassen bleiben.
Ferner sind in dem Greater Middle
East-Projekt institutionelle Reformen,
wirtschaftspolitische Richtlinien - im Sinne einer Verstärkung
"marktwirtschaftlicher Orientierungen", bitte schön! - und
sicherheits- bzw.
militärpolitische Vorgaben auf das Engste miteinander verknüpft.
Unter der
Überschrift "Wirtschaftliche Chancen" wird angekündigt, es solle in
den
betreffenden Ländern zu einer "wirtschaftlichen(n) Transformation
ähnlich
jener, welche die ex-kommunistischen Länder des östlichen Europa
unternommen
haben" kommen. Die Armen und Lohnabhängigen könnten darin freilich
eher eine
Drohung denn ein Versprechen erblicken...
Als besonders vorbildhaft werden die
Bestrebungen zur Herausbildung
regionaler Freihandelszonen, wie die im November 1995 auf einem
Gipfel in
Barcelona lancierte "euro-mediterrane Partnerschaft", bezeichnet.
Diese soll
bis im Jahr 2010 zum radikalen Abbau von Zollschranken im
Warenverkehr
zwischen der EU und Ländern wie Marokko oder Tunesien führen. Das
aber wird
dafür sorgen, dass ein Großteil der noch vorhandenen (Klein-)Industrie
in
diesen Ländern durch die wirtschaftlich weitaus stärkere Konkurrenz
aus dem
Norden plattgewalzt werden wird. Folgerichtig werden diese Ländern
sich auf
wirtschaftliche "Nischen" zu spezialisieren haben, wie dies in
Tunesien
bereits mit der Tourismus- und Dienstleistungsindustrie für Urlauber
aus den
Wohlstandsländern sowie mit Zulieferbetrieben für die europäische
Autoindustrie der Fall ist. Auch werden sich wohl einige Betriebe
aus dem
tertiären Sektor ansiedeln. So arbeiten bereits heute 600.000
Personen in
Marokko und Tunesien und weitere 400.000 im übrigen
französischsprachigen
Afrika in Call Centers französischer Unternehmen; auch Algerien will
sich
nunmehr als Standort bewerben. Neben der Europäischen Union wollen
nunmehr
die USA, die vor einigen Monaten durch ein Freihandelsabkommen mit
Marokko
den Anfang machten, sich "binnen 10 Jahren" um eine umfassende
regionale
Freihandelszone bemühen.
Neben der NATO wird in dem Programm
auch namentlich der
Welthandelsorganisation WTO explizit eine wichtige Rolle zugedacht.
Das
erklärte etwa der US-Experte Russel Mead vom Council of Foreign
Relations
bei einem Auftritt in Algier am 13. April 2004, der in der örtlichen
Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung stattfand. Auf die
Nachfrage
algerischer Journalisten, warum seine Regierung Marokko einen
privilegierten
Platz einräume, antwortete Mead: "Weil Marokko in seinen Beziehungen
mit der
Welthandelsorganisation WTO fortgeschritten ist." Alle Ländern der
Region
sollen der internationalen Wirtschaftsorganisation beitreten und
sich damit
auch ihrem Investitionsschutz-Regime unterwerfen. Algeriens Beitritt
zur WTO
wird nach siebenjährigen Beitrittsverhandlungen, in denen Algerien
eine
Fülle von Maßnahmen zur wirtschaftlichen "Liberalisierung"
akzeptieren
musste vor dem nächsten Gipfel der Organisation, im Dezember 2005
in
Hong-Kong, erwartet. Seit wenigen Wochen ist nunmehr sogar von einem
Beitritt des Iran, der bislang abseits stand, zur WTO die Rede.
Algerien war anfänglich "der" gute
Schüler in der Greater Middle East-Klasse
der US-Adminstration. Denn die algerische Regierung war, neben jener
der
Golfmonarchie Qatar, zunächst das einzige arabische Regime, das sich
explizit positiv auf die offiziell zu dem Programm gehörende
Demokratisierungsabsicht bezog. Ein Haken ist dabei nur, dass
Algerien
gleichzeitig mitnichten einen Demokratisierungsprozess, sondern im
Gegenteil
eine neue autoritäre Wende durchläuft. Doch es stört nicht, wenn der
algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika, der auf Einladung Bushs
hin
als einziger arabischer und afrikanischer Staatschef am vollen
zweitägigen
Programm des G8-Gipfels im Juni 2004 in Sea Island (Georgia/USA)
teilnehmen
durfte, dann zu Hause ein paar krumme Dinge anstellt. Etwa ihm
unangenehm
aufgefallene Journalisten unter fadenscheinigen Vorwürfen in¹s
Gefängnis
steckt, und sei es der Chefredakteur einer der größten
Tageszeitungen wie
Mohammed Benchicou von Le Matin, der im Juni zu zwei Jahren Haft
verdonnert
wurde; seit Ende Juli 2004 kann die postkommunistische Tageszeitung
gar
nicht mehr erscheinen. Denn seit seiner Wiederwahl im April zeigt
Bouteflika
sich wild entschlossen, die bis dahin in Algerien gegenüber allen
anderen
arabischen und afrikanischen Ländern (mit Ausnahme Südafrikas)
einmalige
Pressefreiheit nunmehr abzuschaffen.
Doch darum geht es nicht, so wenig
wie um die Frage, wie demokratisch es
wirklich in einem Land zugeht. Entscheidend ist, ob der politische
Führungsanspruch, der mittels des Greater Middle East-Projekts
formuliert
wird, anerkannt und ein positiver Bezug auf US-amerikanisch oder
allgemein
"westliche" Interessen formuliert wird. In Wirklichkeit geht es vor
allem
darum, eine "Bereinigung" der Fassaden jener Regimes, die diesen
Prozess
positiv akzeptieren, vorzunehmen: Ihnen wird eine erfolgreiche
"Demokratisierung" bescheinigt, während dieses Etikett den sich
feindlich
verhaltenden Regime verweigert wird.
Im Hochsommer 2004 wurde das ganze
Vorhaben zunächst umbenannt, nachdem
europäische Regierungschefs und Vertreter der US-Administration sich
auf dem
G8-Gipfel von Sea Island einen Streit um Etiketten geliefert hatten.
Vor
allem Frankreichs Präsident Jacques Chirac versuchte sich damals zum
Wortführer der arabischen Staatschefs aufzuschwingen, die sich durch
"den
Missionarismus in Sachen Demokratie" der USA bedroht fühlten. In
Wirklichkeit sind deren Interessen freilich auch bei Bush gut
aufgehoben,
soweit sie nur das Spiel mitspielen, wie dessen Lob für die
autokratischen
Machthaber in Marokko, Ägypten und sogar Saudi-Arabien deutlich
macht. In
der Folgezeit wurde das Projekt offiziell in Middle East Partnership
Initiative (MEPI) umbenannt, auch wenn Bush bei seiner
programmatischen Rede
vom 2. Februar 2005 weiterhin die alte Bezeichnung benutzte.
Im Herbst 2004 eröffnete das
MEPI-Programm ein regionales Verbindungsbüro in
Tunis. Die tunesische Hauptstadt erscheint als Sitz einer
Demokratisierungsinitiative wirklich bestens geeignet: Am 24.
Oktober 2004
wurde dessen Staatschef Zine el-Abidine Ben Ali ein ehemaliger
General und
Polizeioffizier, der dereinst in US-Militärschulen ausgebildet wurde
- zum
vierten Mal "gewählt", und zwar mit (offiziellen) 94,5 Prozent der
Stimmen.
Wer möchte, kann darin einen wichtigen demokratischen Fortschritt
erblicken.
Denn bei den drei voran gegangen Wahlen (von 1989, 1994 und 1999)
hatte Ben
Ali jedes Mal über 99 Prozent der offiziellen Stimmenanteile auf
sich
vereinigt. Die Demokratisierung kommt mit Volldampf voran!
Einige "Modellfälle"
Doch seit Februar dieses Jahres und
der Mobilisierung auf den Straßen des
Libanon, die auf den Mord am ehemaligen libanesischen
Premierminister Rafik
Hariri vom 14. Februar dieses Jahres folgte, üben sich einige
westliche
Medien in Euphorie. Nicht nur in US-amerikanischen Medien war einige
Wochen
lang von einem "Schwung der Demokratisierung" die Rede, der mit der
so
genannten "Revolution" in der Ukraine vom November/Dezember 2004
verglichen
wurde. Einige Autoren führten die angeblich stattfindende
demokratische
Revolution unmittelbar auf den Druck, den die USA mittels der
Greater Middle
East-Initiative ausübten, zurück und wünschten dementsprechend eine
weiterhin offensive Außenpolitik der US-Administration gegenüber der
Region.
Beispielsweise schreibt Georg
Baltissen im März dieses Jahres in der taz:
"Nach der samtenen in Prag, der orangenen in Kiew nun die baumstarke
und
bibelträchtige Zedernrevolution in Beirut. Die Demokratie ist auf
dem
Vormarsch, selbst im despotisch regierten Orient. Dass sie von
US-Gnaden
ist, mildert die Freude darüber nicht." Die "Kampagne", so behauptet
der
Verfasser des taz-Kommentars, stamme "direkt aus dem
US-Außenministerium".
Die angebliche Zedernrevolution bilde ein "erfreuliches
Nebenprodukt" einer,
so endet der Kommentar, "eben nicht wirkungslosen US-Politik in der
Region."
Dass die Springerpresse zum gleichen Zeitpunkt in ein ähnliches Horn
bläst,
verwundert nicht. Ebenso wenig die zeitgleiche Euphorie über die
unaufhaltsamen demokratischen Revolutionen auf der Homepage (www.wadinet.de)
des Wadi e.v. unter Thomas von der Osten-Sacken und Thomas Uwer:
Nach
eigenen Angaben (ebenda) erhält dieser Verein für seine Projekte in
der
Region Geld von US AID, einer entwicklungspolitischen Agentur des
US-Außenministeriums. Wie so oft entpuppt sich diese
"Nichtregierungsorganisation" als Handlanger einer Regierung,
wenngleich
nicht der "eigenen", sondern eher der US-Administration.
Doch wie steht es nun wirklich um die
Fortschritte bei der Demokratisierung
der Region, die von diesen und anderen Stimmen vor allem zu Beginn
dieses
Frühjahrs laut bekundet wurden?
Dabei gilt es zunächst, zwischen den
Einzelbeispielen der verschiedenen
betroffenen Länder zu unterscheiden. Im Falle des Libanon existierte
tatsächlich, während einiger Wochen, eine gesellschaftliche
Massenbewegung
gegen die syrische Vorherrschaft. Ihren Ursprung hat sie jedoch
nicht in der
US-Außenpolitik und ihren seit zwei Jahren proklamierten Zielen,
sondern in
den seit mehreren Jahren aufbrechenden Widersprüchen vor Ort. Syrien
okkupierte den Libanon als "Schutzmacht" seit dem Abkommen von Taef
(in
Saudi-Arabien) von 1989, das seinerzeit unter US-amerikanischer und
saudischer Schirmherrschaft abgeschlossen wurde. Darin wurde
Damaskus mit
Billigung der US-Administration diese Rolle zugesprochen. Dagegen
regten
sich periodisch immer wieder Widerstände, vor allem seitens der
christlichen
Community des seit Jahrzehnten konfessionell aufgeteilten Libanon.
Sicherlich fühlten deren Vertreter aufgrund einer im September 2004
verabschiedeten Resolution des UN-Sicherheitsrats, die einen
syrischen
Rückzug fordert, mehr und mehr Oberwasser. Die Resolution wurde auf
Druck
der USA und Frankreichs hin verabschiedet, die durch die
libanesischen
Christen als befreundete Vormächte betrachtet werden vor allem
Frankreich,
das in der Zeit zwischen den Weltkrieg ein Völkerbunds-Mandat über
den
Libanon inne hatte. Der Mord an Rafik Hariri, dessen genaue
Hintergründe
nach wie vor nicht aufgeklärt sind, hatte insofern nur eine
Katalysatorenwirkung.
Vor allem aber hat die Mobilisierung
keinen Demokratisierungsimpuls
ausgelöst, insbesondere weil die konfessionelle Proporz-Aufteilung
der
libanesischen Politik nicht überwunden wurde. Zwar gingen die
Christen und
die Sunniten, aus deren Community der ermordete Hariri stammte,
anfänglich
gemeinsam auf die Straße während die große schiitische
Bevölkerungsgruppe
ihrerseits zu Gegendemonstrationen, gegen einen syrischen Rückzug,
aufgerufen war. Durch die Bewegung gegen die syrische Vorherrschaft
wurden
aber gleichzeitig die alten Warlords aus den Jahren des
libanesischen
Bürgerkriegs wieder nach oben gespült, wie die christliche Rechte
und den
Drusen-Anführer Walid Dschumblatt an dessen Händen außergewöhnlich
viel
libanesisches Blut klebt, der aber im Februar und März 2005 quer
durch alle
französischen Zeitungen als "der Führer der demokratischen
Opposition"
durchgereicht wurde. Gleichzeitig nahmen die Proteste teilweise
einen wild
chauvinistischen Charakter an, und hunderttausende syrische Arbeiter
verließen den Libanon fluchtartig aus Angst vor den pogromartigen
Übergriffen, die begonnen hatten. Am Ende des bewegten Frühjahrs
blieb von
der ursprünglichen Bewegung fast nur noch die christliche Rechte
übrig. Bei
den, am 29. Mai begonnen und in Etappen durchgeführten,
Parlamentswahlen
galt auch weiterhin das konfessionelle Proprozsystem.
Anders liegen die Fälle Ägyptens und
auch Saudi-Arabiens, die beide in Bushs
Rede vom 2. Februar 2005 als Testfälle einer Demokratisierung
beschrieben
wurden. In beiden Fällen handelt es sich ausschließlich um
politische
Reformen, die von aus US-Sicht befreundeten Regimes "von oben"
eingeführt werden.
Im Falle Saudi-Arabiens geht es um
die erstmalige Einführung einer
Stimmmöglichkeit für die Untertanen des wahhabitischen Königreichs.
Wenn man
aber die genaueren Modalitäten kennt, wird offenkundig, dass die
konkrete
Reform herzlich wenig mit Demokratie zu tun hat: Durch die -
ausschließlich
männlichen - Untertanen gewählt werden können lediglich die Hälfte
der
Mitglieder von kommunalen Gremien, deren anderen Hälfte durch das
Königshaus
ernannt wird. Die solcherart gebildeten kommunalen Räte haben im
Wesentlichen nur beratende Funktionen in einem eng umrissenen
Rahmen. Die
kommunalen "Wahlen" fanden Ende Februar im östlichen Landesteil und
Mitte
April an der Westküste um Dschiddah statt. Gewählt wurden fast
ausschließlich "moderate Islamisten". Ohnehin können säkulare,
selbst
bürgerliche Kräfte sich in Saudi-Arabien nur unter größeren
Schwierigkeiten
betätigen. Und die Gewählten die den Muslimbrüdern nahe stehen
dürften
in vielerlei Hinsicht wohl wirklich eher gemäßigtere Ansichten haben
als die
wahhabitischen Tugendwächter, die über das Königreich wachen.
Auch in Ägypten handelt es sich, wie
oben dargestellt, um eine vorwiegend
kosmetische "Demokratisierungsreform". Dagegen hat sich seit Anfang
des
Jahres erstmals eine breitere Oppositionsbewegung unter dem
Bündnisnamen
Kefaya (Es reicht!) herausgebildet, die gegen eine neue Amtszeit von
Präsident Mubarak und einen Machtübergang auf seinen Sohn eintritt.
Bei
einer Demonstration der Oppositionsallianz am 25. Mai, am Tag der
Abstimmungsfarce, kam es zu heftigen Gewalttaten von
Mubarak-Anhängern. Die
Jubelägypter schlugen unter den Augen einer passiv bleibenden
Polizei mit
ihren Präsidenten-Schildern auf Oppositionsmitglieder ein,
begrapschten
Demonstrantinnen und belästigten sie sexuell und prügelten die
Kundgebung
auseinander. Seitdem steigt die Empörung in dem Land an, die jedoch
eher
ohnmächtigem Zorn gleicht.
An die Demokratisierungsrhetorik der
USA glaubt niemand in Ägypten, zumal
das im Lande selbst zutiefst unbeliebte Mubarak-Regime weitgehend
von
materieller Unterstützung durch die USA abhängt: Nach dem Staat
Israel ist
das Mubarak-Regime derzeit der zweitgrößte Nettoempfänger
US-amerikanischer
Auslands"hilfe". Im Endeffekt drohen verbale Bekenntnisse aus den
USA zur
Demokratie und zur Freiheit der Opposition für letztere sogar
negative
Auswirkungen zu haben. So berichtet Le Monde vom 27. April über den
liberalen Oppositionellen Aymar Nour von der Partei Ghad (Morgen),
der Ende
Januar vorübergehend aus politischen Gründen inhaftiert worden war:
"Aymar
Nour (...) ist in Ungnade gefallen, seitdem US-Außenministerin
Condoleeza
Rice sich öffentlich ’besorgtŒ um sein Schicksal äußerte. Seitdem
findet man
außerhalb seiner traditionellen Hochburg, des (Kairoer) Stadtteils
Bab
al-Scharia, kaum einen Ägypter, auch innerhalb des
Oppositionsbündnisses
Kefaya, der ihn nicht verdächtigen würde, ein ’Agent der AmerikanerŒ
zu
sein".
Unter diesen Umständen muss die
Vorstellung, die Machtpolitik der USA könnte
von oben und von außen die Demokratie in der Region auch nur den
kleinsten Schritt nach vorne bringen, absurd erscheinen. Nur eine
Lockerung
des imperialistischen Schraubstocks auf wirtschaftlicher Ebene
(Schuldenlast, IWF-Auflagen, Privatisierungen), verbunden mit klarer
Nichteinmischung auf politischem Gebiet, könnte den zahlreichen
gesellschaftlichen Basiskräften ein wenig Luft zum Atmen lassen.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde uns vom Autor am
5.6.2005 zur Verfügung gestellt.
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