Kommentare zum Zeitgeschehen
NRW - Die neue Partei der Arbeiter ist endlich gefunden

von Peter Trotzig
06/05

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Im Vollbesitz seiner Geisteskraft („Kinder statt Inder“, als hätten die Inder nicht auch Kinder!) hat sich Herr Rüttgers nach der gewonnen Landtagswahl vor Kamera und Mikrofon gestellt und alle Welt wissen lassen, dass nunmehr die CDU die Partei der Arbeiter sei.

Kann man ihm widersprechen? Schließlich gewann die CDU in NRW bei den ArbeiterInnen und bei den Lohnarbeitslosen über 14% hinzu und bei den Angestellten über 9 %. Die Lohnabhängigen wählten mehrheitlich schwarz. Da hat sich was getan, schon seit längerem!
Es gab mal Zeiten, da mussten Reaktionäre sich der sozialen Demagogie bedienen, um von ArbeiterInnen gewählt zu werden. Das haben sie heute nicht mehr nötig! Der erfolgreichen marktwirtschaftlichen Vernebelung der Gehirne sei Dank. Herr Rüttgers samt CDU wurden dafür gewählt, dass sie den Kälbern das Schlachtmesser zeigten. (Länger arbeiten für weniger Lohn, alle staatlichen Leistungen auf den Prüfstand mit angestrebten Kürzungen bis zu 20%, usw. usf.) Die Kälber sind von der unabänderlichen Notwendigkeit ihrer Schlachtung offenbar ganz und gar überzeugt und sie finden es gut, wenn man ihnen sagt, wie sie geschlachtet werden sollen, damit es „allen“ wieder gut geht.

Die neoliberale Offensive trägt ungeahnte Früchte. Als ihre geistigen Väter um von Hayek sie in den 40iger Jahren bereits planten, tönte die CDU in ihrem Ahlener Programm von 1947 noch:

„Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden.“
Es müsse eine „Neuordnung von Grund auf erfolgen“.
„Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben sein, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes...
Ziel aller Wirtschaft ist die Bedarfsdeckung des Volkes.“

Tatsächlich?

Für solche scheinbar antikapitalistischen Erkenntnisse wird heute niemand mehr gewählt. Das musste Herr Müntefering mit seiner famosen SPD ebenfalls erfahren. 7 Jahre lang die Sachzwänge der Globalisierung predigen, sich für keine soziale Schweinerei zu schade sein und dann, nachdem das drohende Debakel auch der Blindeste erahnen konnte, ein paar moralinsaure „antikapitalistische“ Sprüche loslassen, das funktioniert nicht. Die soziale Demagogie versagt ihren Dienst, weil sie nicht mehr gebraucht wird. Sie wird nicht mehr gebraucht, weil die Mehrheit der Lohnabhängigen über den Kapitalismus heute kaum anders denkt als etwa ein Herr Walter oder Herr Ackermann von der Deutschen Bank. So wie in Sachen Fussball in jeder Eckkneipe lauter Bundestrainer unterwegs sind, so sind in Sachen Gesellschaftsentwicklung lauter Chefökonomen unterwegs. Auf außerordentlich hohem Niveau tönt es gebetsmühlenartig:

„Wir brauchen mehr Wachstum. Wachstum schafft Arbeitslätze. Investitionen müssen sich wieder lohnen. Die Belastungen der Unternehmen müssen abgebaut werden. Der privaten Initiative muss mehr Raum gegeben werden. Das Anspruchsdenken bezüglich sozialstaatlicher Leistungen muss weg, der Sozialstaat „umgebaut“ werden usw.“

Alles nickt fleißig, ist begeistert über soviel Sachverstand, kauft Aktien (solange das Geld reicht) und verfolgt gespannt die Börsennachrichten. Für die Masse der Lohnabhängigen hat diese ganze Blödelei nur einen kleinen Haken. Die aus diesem ökonomischen Sachverstand abgeleiteten Maßnahmen treffen viele von ihnen hart, sorgen für zunehmende Armut und existenzielle soziale Unsicherheit. Und so empören sich alle, wenn es sie selbst betrifft und hoffen darauf, dass es sie nicht trifft. Trifft es sie nicht, dann fühlen sie sich auch nicht betroffen! Zu sozialem Widerstand kann diese Empörung nicht führen, solange sie in marktwirtschaftliche Vernunft eingebettet ist. So ist die Hoffnung auf den Erfolg des „individuellen Lebensentwurfs“ allemal stärker als die Erkenntnis des kollektiven Schicksals als Lohnabhängige.

Klassenbewusstsein? Nein danke. Wir träumen vom Lottogewinn und lassen uns die tollen privaten Perspektiven eines Systems, dessen Motor die Bereicherung ist, nicht madig machen. Jeder und jede darf vom individuellen Reichtum träumen! Die Perspektive radikaler gesellschaftlicher Veränderung zum Zweck der Herstellung allgemeiner sozialer Sicherheit als Basis für (im Durchschnitt erfolgreiche) individuelle Lebensentwürfe) reizt uns wenig. Womöglich können wir dann nicht mehr vom Lottogewinn träumen. Millionär sein ist doch toll!

Doch, in gewisser Weise ist Herr Rüttgers zum „Arbeiterführer“ geworden. Es wird noch dauern, bis der Neoliberlismus seinen Bankrott produziert hat, alle Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung neu aufgeworfen werden und sich die Erkenntnis breit macht, dass solche „Arbeiterführer“ eher dem Rattenfänger von Hameln gleichen!
 

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen. Dieser wurde am 4.6.2005 erstellt.