Sonderthema
Neuwahlen & "Links"bündnis

Widerstand gegen Sozialkahlschlag in den Bundestag!
Zur Frage der gemeinsamen Kandidatur von WASG und PDS
Stellungnahme der SAV-Bundesleitung vom 2. Juni 2005
06/05

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Wahldesaster für die SPD in NRW, Ankündigung von Neuwahlen für den Herbst diesen Jahres durch Kanzler Schröder, Austritt Lafontaines aus der SPD und seine Ankündigung auf einer gemeinsamen Liste von WASG und PDS für die Bundestagswahlen kandidieren zu wollen - innerhalb von 48 Stunden haben sich die politischen Verhältnisse in diesem Land dramatisch verändert. Eine seit vielen Jahren unbekannte Politisierung hat die Gesellschaft erfasst: „Letzte Woche sprachen meine Kollegen in der Pause noch über Fußball, diese Woche sprechen sie über Politik“, so die Aussage eines Berliner Gebäudereinigers.

Millionen haben nach den NRW-Wahlen die neugegründete Partei „Arbeit und soziale Gerechtigkeit - die Wahlalternative (WASG)“ wahrgenommen. Diese hatte 181.000 Stimmen (2,2 Prozent) und damit einen Achtungserfolg erzielt und ist zu einem politischen Faktor geworden. Viele schauen nun gespannt auf die Verhandlungen zwischen WASG- und PDS-Führung. Der Gedanke einer einheitlichen linken Kandidatur gegen die Parteien des Neoliberalismus übt eine große Anziehungskraft auf viele ArbeiterInnen und Jugendliche, vor allem aber auf eine Schicht von AktivistInnen in sozialen Bewegungen und Gewerkschaften aus. Die Zersplitterung der Linken galt vielen als ein Haupthindernis für einen effektiven Widerstand gegen die Angriffe von Regierung und Kapital. Es kann nicht verwundern, dass diverse Aufrufe von linken Intellektuellen, GewerkschafterInnen und anderen im Umlauf sind, die WASG und PDS auffordern, eine gemeinsame Kandidatur für die Bundestagswahlen durchzuführen.

Auf der anderen Seite gibt es auch Skepsis gegenüber der PDS, die ihre stalinistische Vergangenheit niemals wirklich kritisch aufgearbeitet hat und in zwei ostdeutschen Landesregierungen Sozialabbau und Privatisierungen mitbetreibt. Es gibt auch Skepsis gegenüber Oskar Lafontaine, der als ehemaliger SPD-Vorsitzender den Weg zur Schröder-SPD mitgeebnet hat und als saarländischer Ministerpräsident zum Beispiel 1988 für Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverlust, flexiblere Arbeitszeiten und längere Maschinenlaufzeiten eingetreten ist. Und es gibt Skepsis gegenüber politischen Parteien im allgemeinen, vor allem wenn sie den Eindruck erwecken, es gehe ihnen nur um Parlamentsposten.

Bei aller Skepsis in Teilen der arbeitenden Bevölkerung und vor allem der Jugend, überwiegt aber sicherlich die Hoffnung auf eine einheitliche und geschlossene Alternative zu SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP. Oskar Lafontaines Bekanntheitsgrad führt dazu, dass die Debatte in einer breiten Öffentlichkeit geführt wird und dass breitere Schichten der Bevölkerung die Zuversicht gewinnen, dass eine ernsthafte Kraft bei den Bundestagswahlen antreten könnte. Die Meinungsumfragen, nach denen bis zu 22 Prozent sich vorstellen können, eine von Lafontaine in den Wahlkampf geführte Linkspartei zu wählen, unterstreichen dies. Mit seiner deutlichen Ablehnung der Agenda 2010 und von Hartz IV, der Opposition zur EU-Verfassung und zu der Beteiligung der Bundeswehr an den Kriegen gegen Jugoslawien und Afghanistan und mit Aussagen wie „die Kapitalisten bestimmen die Politik“, gibt er der Unzufriedenheit und Wut breiter Massen einen Ausdruck. Es gibt keine zweite Person mit einem vergleichbaren Bekanntheitsgrad, die der bundesdeutschen Linken zugerechnet wird, die eine ähnliche Rolle spielen könnte. Dabei sind Lafontaines politische Konzepte - staatliche Eingriffe in die Ökonomie zur Nachfragesteigerung ohne die Profitlogik des Kapitalismus in Frage zu stellen - sicher nicht geeignet, einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise aufzuzeigen.

Trotzdem wäre es ein Fehler, dem Aufruf von Lafontaine zu folgen und eine gemeinsame Kandidatur oder gar eine gemeinsame „neue Linkspartei“ mit der PDS zu bilden. Selbst wenn die Überlegung, dass eine solche gemeinsame Kandidatur bessere Chancen für einen Einzug in den Bundestag hat, richtig sein sollte, wäre es ein Fehler. Warum?
Eine einheitliche Kandidatur oder Partei wäre nur dann ein Fortschritt, wenn sie den Widerstand der abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen gegen die Angriffe von Regierung und Kapital stärken würde, wenn sie also die Einheit der Arbeiterklasse voran bringen würde. Eine starke Fraktion im Bundestag darf nicht das Endziel der WASG sein, sondern nur Mittel zur Unterstützung von sozialen Bewegungen, Arbeitskämpfe und Protesten.
Im Newsletter vom 31.5.2005 wurde, sieben Tage nach Beginn der öffentlichen Debatte, endlich auch die WASG-Mitgliedschaft durch den Bundesvorstand über den Stand der Dinge informiert. Darin heißt es: „Die WASG schlägt vor, eine gemeinsame Wahlpartei zu gründen, deren Statut eine doppelte Mitgliedschaft - zeitlich begrenzt - gestattet. Es geht darum, einen Antritt zur Bundestagswahl zu bekommen, damit die Wählerinnen und Wähler auf ihrem Wahlzettel eine Formation finden, die ohne wenn und aber Nein sagt, zum Sozialabbau und der Zerstörung sozialer Rechte.“
Die in diesem Satz aufgestellte Bedingung ist richtig: die WASG darf nur mit solchen Kräften bei Wahlen zusammen arbeiten, die sich ohne Wenn und Aber gegen Sozialkürzungen, Lohnkürzungen, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierungen aussprechen. Genau dies tut die PDS nicht.
Als Teil der Regierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern beteiligt sie sich an der Umsetzung neoliberaler Politik - durch Arbeitsplatzvernichtung und Lohnabbau im öffentlichen Dienst, die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen, Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Personennahverkehr, Kürzung des Blindengeldes etc. Sie betreibt keine Politik der Unterstützung und Stärkung der Gewerkschaften, sondern gerade der Berliner SPD-/PDS-Senat spielte eine Vorreiterrolle bei der Unterhöhlung des Flächentarifvertrags. Folglich müssen die ArbeitnehmerInnen Berlins gegen die PDS-Führung kämpfen. Zum Beispiel die 13.000 MitarbeiterInnen der Berliner Verkehrsbetriebe , die am 24. Mai 2005 gestreikt haben, um eine Privatisierung ihres Betriebes zu verhindern. Die Mindestvoraussetzung für eine gemeinsame Kandidatur mit der PDS müsste ein Politikwechsel derselben sein, der sich in einem Austritt aus den kapitalistischen Koalitionsregierungen mit der SPD in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dokumentieren müsste.

Es ist notwendig über den Tag der Bundestagswahl hinaus zu denken. Unabhängig davon, ob die WASG, die PDS oder eine neue Linkspartei im Bundestag vertreten sein werden: die nächste - wahrscheinlich CDU/CSU-geführte - Bundesregierung wird sehr schnell weitere „Reformen“ angehen: Kopfpauschale im Gesundheitswesen, Abschaffung des Kündigungsschutzes, Mehrwertsteuererhöhung, Einschränkung der Mitbestimmung und des Streikrechts, Rentenkürzungen und vieles mehr stehen auf der Wunschliste der Kapitalisten. Dagegen muss der Widerstand organisiert werden. Nach Möglichkeit auch im Bundestag, aber vor allem außerhalb des Parlaments in den Betrieben und auf den Straßen. Eine neue Arbeiterpartei kann eine wichtige Rolle dabei spielen, diesen Widerstand zu stärken - indem sie verschiedene Kämpfe verbindet und ihnen eine politische Perspektive gibt. Zum Beispiel Kämpfe von Automobilarbeitern gegen Entlassungen mit Kämpfen von Erwerbslosen gegen Hartz IV und Kämpfen von Berliner Landesbeschäftigten gegen die Politik des SPD/PDS-Senats. Dies wird mit einer Bundestagsfraktion, die zum (großen) Teil aus PDS-Abgeordneten besteht kaum möglich sein. Eine Partei, die sich aber nur auf die parlamentarische Tätigkeit beschränkt (wie es die PDS macht) und zudem noch bei Sozialkürzungen mitmacht, ist als Interessenvertreterin für die Arbeiterklasse nicht zu gebrauchen. Man stelle sich nur vor: nach den Bundestagswahlen reicht es nicht für eine CDU/CSU-FDP-Mehrheit und eine Große Koalition droht. Wer garantiert uns, dass die PDS-Abgeordneten dann nicht auf das vermeintlich „kleinere Übel“ setzen und SPD und Grünen eine Koalition oder Tolerierung einer Minderheitsregierung anbieten? Es garantiert uns zwar auch niemand, dass die WASG-Führungskräfte dazu nicht bereit wären, aber bei der WASG wäre dies ein klarer Bruch mit den Beschlüssen der Partei, bei der PDS wäre es nur konsequente Fortsetzung ihrer Politik der letzten Jahre.

Der Gedanke, eine gemeinsame Kandidatur sei nötig, um die Faschisten von NPD und DVU zu stoppen ist nachvollziehbar, aber sehr kurzsichtig. Erstens haben die erfolgreichen Demonstrationen gegen verschiedene Nazi-Aufmärsche in Leipzig, Berlin und anderswo die Faschisten in eine Krise gestürzt, die sich auch im schlechten Wahlergebnis in NRW ausdrückte. Zweitens werden die Faschisten massiv davon profitieren, wenn eine neue linke Partei aufgrund der pro-kapitalistischen Politik der PDS scheitert und sich, wie in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern schon geschehen, als verlogen und arbeiterfeindlich entpuppt.

Die WASG kann selbstbewusst und offensiv in den Bundestagswahlkampf ziehen. Unter widrigen Bedingungen hat sie in NRW mit 181.000 Stimmen einen hervorragenden Achtungserfolg erzielt. Ihr Bekanntheitsgrad hat sich innerhalb einer Woche vervielfacht. Millionen überlegen im September WASG zu wählen. Der Wahlkampf sollte dazu genutzt werden, die WASG als kämpferische Partei für ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose, RentnerInnen und Jugendliche aufzubauen. Dies ist möglich durch einen engagierten Wahlkampf, in dem die Mitglieder und UnterstützerInnen die programmatischen Alternativen verbreiten. Vor allem aber ist es wichtig, dass die WASG beweist, dass sie praktisch an der Seite der von Entlassungen und Sozialabbau betroffenen Menschen steht - durch praktische Solidaritätsarbeit für kämpfende Belegschaften wie bei Bosch-Siemens-Hausgeräte in Berlin oder Alstom Power in Mannheim und durch Teilnahme an den sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel den Protesten der Studierenden gegen die Einführung von Studiengebühren.
Auf dieser Grundlage kann die Einheit mit den AktivistInnen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen geschaffen werden und es kann an SPD- und PDS-Mitglieder und -WählerInnen appelliert werden, gemeinsam eine wirkliche Alternative aufzubauen.
Wenn Lafontaine für die WASG kandidiert, ist ein Einzug in den Bundestag sehr wahrscheinlich. Tut er dies nicht, ist ein Einzug in den Bundestag trotzdem möglich. Aber auch Lafontaine sollte von der WASG-Basis kritisch betrachtet werden und einer Kandidatur Lafontaines sollte nur zugestimmt werden, wenn er sich verpflichtet, ebenfalls ohne Wenn und Aber jegliche Form von Sozialkürzungen, Arbeitsplatzvernichtung, Lohnkürzungen und Privatisierungen abzulehnen und eine Koalition mit bzw. Tolerierung von SPD und Grünen ausschließt.

Wir rufen die Mitglieder der WASG auf, ein Wahlbündnis bzw. die Bildung einer neuen Partei mit der PDS abzulehnen. Vor allem aber muss es in der WASG eine breite und demokratische Debatte auf allen Ebenen und eine demokratische Entscheidung der Mitglieder geben. Der Bundesvorstand hat angekündigt, eine Urabstimmung der Mitglieder vorzubereiten und "falls erforderlich" einen Parteitag einzuberufen. Es kann wohl kaum eine Situation geben, die einen Parteitag erforderlicher macht als diese Situation. Eine Urabstimmung, die eine komplexe politische Situation auf eine mit "Ja" oder "Nein" zu beantwortende Frage (die auch noch alleine vom Bundesvorstand formuliert würde) beschränkt, wäre wahrscheinlich nur pseudo-demokratisch. Breite Debatte und Beschlussfassung auf einem schnellstmöglich einzuberufenden Sonderparteitag und - wenn dieser das für sinnvoll erachtet - eine Urabstimmung nach dem Parteitag sollten die Vorgehensweise sein. Dafür müssen sich die WASG-Aktiven an der Basis einsetzen.

 

Editorische Anmerkungen

Der Text  ist eine Spiegelung von
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