Vor 50 Jahren
Die Militarisierung der BRD
D
as Amt Blank wird in das Bundesministerium für Verteidigung umgewandelt.
 
06/05

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Am 7. Juni 1955 wurde das Amt Blank mit seinen 1366 Mitarbeitern in das Bundesministerium für Verteidigung umgewandelt. Bundesminister für Verteidigung wurde Theodor Blank. Er konzentrierte sich vorerst auf das unmittelbare Vorbereiten der Aufstellung von Streitkräften. Dementsprechend befaßte sich das Ministerium mit der Infrastruktur und dem Dislozieren der Verbände, der Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsmaterial sowie den militärischen Einsatzgrundsätzen. Ferner legte es Aufbau und Gliederung der Verbände, ihre Ausrüstung und Versorgung, die Führung und Ausbildung der Truppe sowie die Organisation einer Wehrverwaltung, zuständig für Personalersatz und Zuführung militärischer Hilfsgüter, fest. Außerdem koordinierte das Verteidigungsministerium die Tätigkeit aller an der Militarisierung beteiligten Organe und Institutionen der BRD. Im Mai 1955 war Herbert Blankenhorn als erster ständiger Vertreter der BRD in das Oberste Hauptquartier der NATO nach Paris entsandt worden. Er hatte als Berufsdiplomat bereits während des Faschismus im Auswärtigen Amt gearbeitet.

Zunächst überwogen im Verteidigungsministerium der BRD noch die zivilen Beamten. Dagegen wandten sich die Militärs um die Generalleutnante a.D. Adolf Heusinger und Hans Speidel. Sie ordneten sich dem Bundeskanzler bzw. dem Verteidigungsminister unter und betrachteten die Streitkräfte als Instrument der Politik. Das schloß im Verständnis Heusingers und Speidels aber das Recht der Generalität ein, der Regierung militärpolitische Vorstellungen zu unterbreiten und im militärischen Bereich freie Hand zu haben. Sie forderten auch eine klare Unterordnung der Teilstreitkräfte unter die Führung der Ge-samtstreitkräfte. Heusinger und Speidel strebten nach einer generalstabsmäßigen Führung der Truppe auf allen Ebenen und setzten sich für direkte und ungebrochene Befehlsstränge von oben nach unten ein.

Einen entsprechenden Vorstoß unternahmen sie am S.September 1955 in einem Brief an Adenauer. Sie wiesen eine über das Parlament hinausgehende zivile Kontrolle der militärischen Führung zurück. Außerdem verlangten sie eine Aufwertung des Militärs, vor allem der Generalität, in Staat und Gesellschaft. Geschehe dies nicht, könnten die für die neue Armee gebrauchten Offiziere nicht gewonnen werden. Ihre Position entsprach der seit den ersten Nach-kriegsjahren versuchten Rehabilitierung jener Kader, die sich an den Aggressionen Hitlerdeutschlands aktiv beteiligt hatten und sich jetzt als Stamm für die Streitkräfte der BRD anboten.

Unmittelbar nach der Schaffung des Verteidigungsministeriums hatte Blank am 27. Juni 1955 vor dem Bundestag eine Erklärung namens der Regierung abgegeben. Er erläuterte die künftige Wehrverfassung und den eingeleiteten Streitkräfteaufbau. Danach sollte sich die Bundeswehr, ausgehend von den Pariser Verträgen, aus Heer (370000 Mann), Luftwaffe (70000 Mann), Marine (20000 Mann), einer bodenständigen Verteidigung und einer militärischen Territorialorganisation (insgesamt 40000 Mann) zusammensetzen. Geplant waren zwölf Heeresdivisionen. Für die Luftwaffe hatte man 1326 Flugzeuge vorgesehen. Die Marine sollte aus leichten Seestreitkräften bestehen. Der bodenständigen Verteidigung oblag die Sicherung kriegswichtiger Objekte und

Gebiete in den rückwärtigen Räumen mit dem Schwerpunkt Luftverteidigung. Die Territorialtruppen sollten die Operationsfreiheit der NATO-unterstellten Feldverbände sichern. Außerdem waren ihnen Aufgaben im Rahmen der inneren Unterdrückungsfunktion, zum Vorbereiten des Territoriums der BRD als Teil des Kriegsschauplatzes sowie beim Standortdienst im Frieden zugedacht. Die sogenannte Verteidigungsverwaltung sollte nach den Ausführungen Blanks als gesonderter Teil der Militärorganisation für das Wehrersatz-, Be-schaffungs-, Bekleidungs-, Verpflegungs-, Lager-, Instandsetzungs-, Besol-dungs-, Haushaltswesen sowie für den Liegenschafts- und Unterkunftsdienst verantwortlich sein. Die Verteidigungsverwaltung knüpfte an das frühere deutsche Militärbeamtentum an. Sie übertrug viele militärische Aufgaben auf Zivilpersonal, so daß die im Zusammenhang mit den Pariser Verträgen vereinbarte Höchststärke der Bundeswehr von 500 000 Mann für die Kampftruppen genutzt werden konnte.

Die Erklärung Blanks verdeutlichte, daß die Leitideen der Himmeroder Denkschrift von 1950 nunmehr umgesetzt werden sollten. Als wichtigste Teilstreitkraft war das Heer vorgesehen. Das traditionelle Landkriegsdenken des imperialistischen deutschen Generalstabs wurde den veränderten Nachkriegsbedingungen angepaßt. Dies entsprach auch den Vorgaben der NATO, die der Oberste Befehlshaber Europa, USA-General Alfred M. Gruenther, am 15. März 1955 öffentlich dargelegt hatte. Danach sollten die Kampfhandlungen zu Lande nach einem strategischen Kernwaffenschlag gegen Ziele in sozialistischen Ländern sofort auf gegnerisches Territorium vorgetragen werden. Gruenther betonte, daß diese Planung in erster Linie von der Stoßkraft der Heeresverbände der BRD ausging. Die Aufstellungsprinzipien der Bundeswehr standen also im Einklang mit dem «Schwert-Schild-Konzept» des Paktes, auf das sich der NATO-Rat schon im Dezember 1954 prinzipiell geeinigt hatte.

Am 26. Juli 1955 traten zwei wichtige Wehrgesetze in Kraft. Sie betrafen die Auffüllung der Bundeswehr mit Personal.

Das Gesetz über den Personalgutachterausschuß der Streitkräfte regelte die Modalitäten eines Gremiums, das über die Eignung von Offiziersbewerbern vom Oberst aufwärts zu befinden hatte. Mit dem Gesetz wurde der Anschein erweckt, als würden die Kandidaten für Spitzenpositionen in den Streitkräften vor dem Hintergrund ihrer Vergangenheit streng auf ihre demokratische Legitimation und persönliche Integrität hin überprüft. Dem wurden allerdings schon dadurch Grenzen gezogen, daß ein erheblicher Teil der anfänglich 38 Mitglieder des Personalgutachterausschusses ehemalige Stabsoffiziere bzw. Generale der Wehrmacht waren oder eine Karriere als hohe Staatsbeamte des faschistischen Regimes hinter sich hatten.

Hauptaufgabe des Ausschusses war es, militärisch versierte Kräfte auszuwählen, die die Gewähr für politische Zuverlässigkeit boten. Zahlreiche hohe Militärs der Wehrmacht gelangten so zur Bundeswehr. Das wirkte prägend auf den reaktionären Charakter der Streitkräfte. Im Interesse des Staates wies der Ausschuß dabei Bewerber zurück, deren mangelnde politische Anpassungsfähigkeit oder deren Kriegsverbrechen das Ansehen der Streitkräfte diskreditieren konnten. So befürwortete der Personalgutachterausschuß bis Ende 1957 -in den beiden Jahren seiner Hauptaktivitäten - 500 (davon 14 mit Einschränkungen) von 600 eingegangenen Anträgen. 53 Bewerbungen lehnte er ab, und 47 wurden vor der Entscheidung zurückgezogen.

Bevor das Gremium am 31. August 1955 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat, waren bereits wichtige Entscheidungen getroffen worden. Die ehemaligen Generalleutnante Heusinger und Speidel, die die Remilitarisierung militärisch geleitet hatten, waren für die höchsten Dienststellungen in der Bundeswehr vorgesehen. Die Einsetzung des stellvertretenden Leiters der Abteilung Streitkräfte im Verteidigungsministerium sowie der sieben Unterabteilungsleiter - alle in der früheren Wehrmacht Oberstleutnant, Oberst oder Generalmajor - erfolgte vor Beginn der Tätigkeit des Ausschusses. Allerdings  bestätigte er dann zwei von ihnen nicht. Der Personalgutachterausschuß wurde am 18. Juli 1967 aufgelöst.

Seit dem 26. Juli 1955 galt auch das Gesetz über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften. Bis zum 31.März 1956 wurden auf seiner Grundlage 6000 Mann als Stammpersonal eingestellt. Sie verstärkten u.a. das Verteidigungsministerium bzw. gingen in NATO-Stäbe oder zur Ausbildung ins Ausland. Die ersten sieben Offiziere wurden zum NATO-Hauptquartier Europa und die ersten vier Offiziere zum Oberkommando Zentraleuropa entsandt. Zunächst sechs Luftwaffenoffiziere wurden in die USA bzw. nach Großbritannien zu einer Ausbildung als Strahlflugzeugführer geschickt. Die meisten Freiwilligen besuchten Lehrgänge in der BRD, um den geforderten Ausbildungsvorlauf zu erhalten. Der Hauptteil von ihnen sollte den militärischen Aufbau in der BRD an der Basis leiten. Ein anderer Teil war für die Übernahme von Rüstungsgütern besonders aus den USA zuständig.

Um den Aufbau der Bundeswehr zu rechtfertigen, war Anfang Juni 1955 die Schrift «Vom künftigen deutschen Soldaten, Gedanken und Planungen der Dienststelle Blank» herausgegeben worden. In deren Mittelpunkt stand das bis dahin schon relativ geschlossene System der Inneren Führung. Die Verfasser erläuterten den Platz der Streitkräfte in der Gesellschaft der BRD und legten die Leitsätze für die politische Ausrichtung der Truppe sowie für den Umgang mit den Unterstellten dar. Die postulierte Identifikation der künftigen Armee mit der gesellschaftlichen Ordnung in der BRD und den politischen Zielen der damals regierenden Kreise bedeutete auch die politische Ausrichtung der Bundeswehr auf den Revanchismus. In dem Buch wurden Befehlsausführung sowie «pünktlicher» und «vollständiger» Gehorsam als unverzichtbar für die Streitkräfte hervorgehoben. Die Grenzen gegenüber dem Mißbrauch dieses Prinzips, vor allem in bezug auf einen Aggressionskrieg, wurden jedoch nicht klar definiert. Inhaltlich wurde darauf orientiert, Übernommenes zu überprüfen und auch neue Wege zu beschreiten. Das bedeutete: einerseits kein grundlegender Bruch mit den reaktionären Vorbildern aus der deutschen Militärgeschichte, auch nicht mit der faschistischen Wehrmacht, andererseits aber Anpassung an die gewandelten politischen und militärischen Gegebenheiten der Nachkriegszeit.

Die Ausführungen zu «Tradition und geschichtlichem Erbe» knüpften ausdrücklich an den «Grenadier im Heer Friedrich des Großen, den Soldaten der kaiserlichen Epoche, den Feldgrauen des ersten Weltkrieges und an den Landser im zweiten Weltkrieg» an. Wenn «kritischer Abstand» angemahnt wurde, dann nur, um einen allzu unvermittelten Bezug zu den Eroberungen bzw. Aggressionen, denen diese Leitbilder gedient hatten, zu vermeiden. Denn ein derartiger Bezug hätte dem Anspruch der Bundeswehr, eine Verteidigungsarmee

zu sein, widersprochen. Deshalb wurde nach geeigneten Inhalten. Formen und Methoden gesucht, um die Soldaten eng an die Interessen der l tauschenden m der BRD und den daraus resultierenden Auftrag der Streitkräfte zu binden. Dabei sollte sich die politisch-ideologische Einwirkung vor allem über die « Staatsbürgerliche Bildung» sowie über die erzieherisch-disziplinarische Einflußnahme» auf der Basis «zeitgemäßer Vorstellungen von Menschenführung» vollziehen. Gelordert wurde die Vermittlung geeignet erscheinender politischer Sachverhalte zum Erzeugen eines systemkonformen Wehrbewußtseins. Dazu sollte die «zeitgemäße Menschenführung», in die der Kommiß nicht paßte, dadurch beitragen, daß sie ein Bild vom «Staatsbürger in Uniform» hervorrief.

•Die Grundaussage zur geistigen Beeinflussung, dies zeigte die Schrift, war die Jahrhundertlüge von der Bedrohung aus dem Osten. Die «Verteidigung der Gemeinschaft der freien \\ eil» wurde /ur Verpflichtung des Soldaten erklärt, eine Formulierung, die auch den NATO-Bezug erkennen ließ. Am K). Juli 1955 leitete Verteidigungsminister Blank daraus die Daseinsberechtigung der Bundeswehr ab. als er öffentlich behauptete, ihre Aufstellung werde den «Mangel beheben», «von sowjetischen Panzern überrollt zu werden»'. Die Bedrohungslüge war eng verbunden mit der "Totalitarismus"doktrin, der demagogischen Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus. Sie diente dazu, die Ablehnung des Faschismus unmittelbar für das Feindbild eines «totalitaristischen Kommunismus» zu nutzen.

Die Propaganda des Staates und der bürgerlichen Massenmedien wirkte dahingehend, daß die allermeisten Menschen in der BRD den Charakter der entstehenden Streitkräfte nicht erkannten. Begünstigt wurde dies dadurch, daß im Alltagsbewußtsein eines sehr erheblichen Teils der Bevölkerung Antikommunismus, Antisowjetismus und falsche Vorstellungen über den Charakter des Staates dominierten.

 

Editorische Anmerkungen

Der Text erschien in: Militärgeschichte der BRD - Abriss, 1949 bis zur Gegenwart: 1989, Leipzig: Militärverlag der DDR, S. 96ff

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