Frankreich: Neue Regierung in "reformerischer" Kontinuität. Nicolas Sarkozy kehrt im Kampfanzug zurück an den Kabinettstisch

von Bernhard Schmid
06/05

trend
onlinezeitung

Mein bester Feind im Kabinett: Nach diesem Motto verfuhr Jacques Chirac bei seiner Regierungsumbildung am Dienstag. Diese folgte auf den Rücktritt von Premierminister Jean-Pierre Raffarin, der nach der schweren Niederlage der französischen Regierung - und des Präsidenten selbst - beim Referendum vom Sonntag notwendig geworden war. Aber auch aufgrund der Rekordwerte an Unpopularität, die Raffarin seit Monaten erreicht und immer wieder selbst übertroffen hat. (Zuletzt blieben ihm in den Umfragen noch 20 Prozent Zustimmung, das dürften die Besserverdienenden und die unpolitischen Regenbogenzeitschriften-Leser sein.) Dabei diente der ehemalige Werbefachmann aus der westfranzösischen Provinz freilich nur als Prügelknabe für Chirac, der selbst im Amt zu bleiben gedenkt, obwohl in den letzten Tagen Rufe nach seinem Rücktritt lauter zu werden beginnen. Raffarin bezahlt den geballten Unmut für die regressiven "Reformen" der Renten und der Krankenversicherung, die Privatisierung etwa der Energieversorgungsunternehmen und andere Einschnitte, die in seiner Regierungszeit in den letzten drei Jahren realisiert wurden.  

Die neoliberale Grundrichtung wird freilich beibehalten worden. Dafür bürgt die Ernennung eines der engsten Mitarbeiter Chiracs: Dominique de Villepin, der sieben Jahre lang sein Präsidialamt leitete, bevor er 2002 Außen-, später Innenminister wurde. Aber auch weiterhin wird sie nicht die offizielle Philosophie der Regierung darstellen, die ihr heuchlerisches Bekenntnis "zum französischen Sozialmodell" beibehält: Präsident Chirac hat in seiner Fernsehansprache vom Dienstag abend bekräftigt, angeblich bestehende soziale Errungenschaften bewahren und verteidigen zu wollen. In den letzten drei Jahren wurden sie bevorzugt "bewahrt", indem man sie "den Gegebenheit der Zeit anpasst", das heißt demontiert. Als Priorität der künftigen Regierungsarbeit, in den verbleibenden 23 Monaten bis zur nächsten Präsidentenwahl, bezeichnete Chirac mehrfach "die Beschäftigungspolitik". Damit ist jedoch in erster Linie eine Erhöhung der Kontrolle von Erwerbslosen bei ihrer Arbeitsplatzsuche im Visier, die zu einer Senkung der Arbeitslosenzahlen (derzeit gut 10 Prozent nach "bereinigten" Statistiken) beitragen soll.  

Mein bester Feind im Kabinett  

Im Hintergrund steht freilich ein Mann, dem diese Doppelbödigkeit nicht gefällt, sondern der ein offensives Bekenntnis zur Abschaffung bestehender Marktregulierungen und zum Schleifen von Arbeits- und Sozialgesetzgebungen einfordert. Nicolas Sarkozy - der alte und voraussichtlich neue starke Mann des Kabinetts - hatte während des Wahlkampfs vor der Abstimmung vom Sonntag offen ausgesprochen, dass die EU-Verfassung eine gute Gelegenheit zum brachialen "Umbau unseres Sozialmodells" darstelle. Denn es sei "nicht mehr das beste", da es im Gegensatz zum britischen Modell nicht genügend Beschäftigungsmöglichkeiten schaffe. Deshalb müssten endlich noch mehr prekäre Arbeitsverhältnisse, noch mehr Flexibilität und Arbeitszwang für die Erwerbslosen her  

Nicolas Sarkozy alias "Iznogoud" ­ "Ich-will-unbedingt-Kalif-am-Platze-des-Kalifen-werden" ­ schien es egal zu sein, dass er damit den Ausgang des Referendums gefährdete. Denn eine schwere Niederlage Chiracs, so sein Kalkül, würde diesem eine Bewerbung um eine dritte Amtsperiode ab 2007 unmöglich machen. Also wäre endlich der Weg frei für den ehrgeizigen 50jährigen, der schon vor zwei Jahren seine Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur offen verkündet hat. Gleichzeitig wären mit diesem Diskurs die Grundlagen für eine rechte Kampfkandidatur gelegt.  

Weichenstellung  

Offen blieb bis Anfang dieser Woche, ob Chirac dennoch Sarkozy erneut in die Regierung holen würde. Es wurde sogar über seine Ernennung zum Premierminister spekuliert, die einen geschickten Schachzug des alten Fuchses Chirac dargestellt hätte. Denn in diesem Fall wäre Sarkozy schon jetzt unmittelbar in die politische Verantwortung für die sozialen Konsequenzen der Regierungspolitik genommen worden. Bis zur Präsidentschaftswahl in zwei Jahren wäre er bereits "belastet" gewesen, ja sogar als gefährlicher Herausforderer neutralisiert worden. Aber dass Sarkozy jetzt erneut den Posten des Innenministers bekleiden wird, den er bereits von 2002 bis 2004 innehatte, signalisiert eine andere Weichenstellung: In diesem Amt kann Sarkozy politische Punkte sammeln, denn mit seinem Aktivismus in Sachen "Innere Sicherheit" kann der Mann durchaus auf Popularität hoffen. Auch in Teilen der sozialen Unterschichten, da die zerrütteten Lebensverhältnisse in den "sozialen Problemvierteln" tatsächlich für ein gewisses Unsicherheitsgefühl ­ das allerdings großenteils subjektiv und von der realen Kriminalitätsentwicklung abgekoppelt ist ­ sorgen. Für die Weichenstellungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird Sarkozy dagegen nicht direkt verantwortlich gemacht werden.  

Chirac scheint sich also dahingehend resigniert zu haben, seinen wahrscheinlichen Nachfolger als Chef der bürgerlichen Rechten sich aufbauen zu lassen. Es sei denn, dass die beiden ehrgeizigen Herren Villepin und Sarkozy sich nun im Kabinett gegenseitig zerfleischen.  

Ob Sarkozys derzeitige, in den Medien breit verhandelte Eheprobleme ­ seine Frau und Beraterin ist vorige Woche mit einem Werbefachmann nach Jordanien durchgebrannt ­ ihm eher schaden oder eher Sympathie (Stichwort "Mitleidsfaktor") eintragen, wird sich erweisen müssen. Dagegen wird man darauf vertrauen dürfen bzw. müssen, dass Sarkozy sich auch weiterhin als "großer Kommunikator" (nicht Conducator, das war Ceaucescu) erweisen wird, der seine Person auf allen Kanälen in den Mittelpunkt rückt.  

Die Kabinettsliste wird in der zweiten Wochenhälfte bekannt gegeben werden. Die genaue Zusammensetzung der Regierung dürfte man spätestens mit der ersten Sitzung des Ministerrats am Freitag vormittag kennen.  

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 1.6.2005 zur Verfügung gestellt. Er erscheint auch in der WOZ und beim Labournet.