Mein bester Feind im Kabinett:
Nach diesem Motto verfuhr Jacques
Chirac bei
seiner Regierungsumbildung am Dienstag. Diese folgte auf den
Rücktritt von
Premierminister Jean-Pierre Raffarin, der nach der schweren
Niederlage der
französischen Regierung - und des Präsidenten selbst - beim
Referendum vom
Sonntag notwendig geworden war. Aber auch aufgrund der Rekordwerte
an
Unpopularität, die Raffarin seit Monaten erreicht und immer wieder
selbst
übertroffen hat. (Zuletzt blieben ihm in den Umfragen noch 20
Prozent
Zustimmung, das dürften die Besserverdienenden und die unpolitischen
Regenbogenzeitschriften-Leser sein.) Dabei diente der ehemalige
Werbefachmann aus der westfranzösischen Provinz freilich nur als
Prügelknabe
für Chirac, der selbst im Amt zu bleiben gedenkt, obwohl in den
letzten
Tagen Rufe nach seinem Rücktritt lauter zu werden beginnen. Raffarin
bezahlt
den geballten Unmut für die regressiven "Reformen" der Renten und
der
Krankenversicherung, die Privatisierung etwa der
Energieversorgungsunternehmen und andere Einschnitte, die in seiner
Regierungszeit in den letzten drei Jahren realisiert wurden.
Die neoliberale Grundrichtung wird freilich beibehalten worden.
Dafür bürgt
die Ernennung eines der engsten Mitarbeiter Chiracs: Dominique de
Villepin,
der sieben Jahre lang sein Präsidialamt leitete, bevor er 2002
Außen-,
später Innenminister wurde. Aber auch weiterhin wird sie nicht die
offizielle Philosophie der Regierung darstellen, die ihr
heuchlerisches
Bekenntnis "zum französischen Sozialmodell" beibehält: Präsident
Chirac hat
in seiner Fernsehansprache vom Dienstag abend bekräftigt, angeblich
bestehende soziale Errungenschaften bewahren und verteidigen zu
wollen. In
den letzten drei Jahren wurden sie bevorzugt "bewahrt", indem man
sie "den
Gegebenheit der Zeit anpasst", das heißt demontiert. Als Priorität
der
künftigen Regierungsarbeit, in den verbleibenden 23 Monaten bis zur
nächsten
Präsidentenwahl, bezeichnete Chirac mehrfach "die
Beschäftigungspolitik".
Damit ist jedoch in erster Linie eine Erhöhung der Kontrolle von
Erwerbslosen bei ihrer Arbeitsplatzsuche im Visier, die zu einer
Senkung der
Arbeitslosenzahlen (derzeit gut 10 Prozent nach "bereinigten"
Statistiken)
beitragen soll.
Mein bester Feind im Kabinett
Im Hintergrund steht freilich ein Mann, dem diese Doppelbödigkeit
nicht
gefällt, sondern der ein offensives Bekenntnis zur Abschaffung
bestehender
Marktregulierungen und zum Schleifen von Arbeits- und
Sozialgesetzgebungen
einfordert. Nicolas Sarkozy - der alte und voraussichtlich neue
starke Mann
des Kabinetts - hatte während des Wahlkampfs vor der Abstimmung vom
Sonntag
offen ausgesprochen, dass die EU-Verfassung eine gute Gelegenheit
zum
brachialen "Umbau unseres Sozialmodells" darstelle. Denn es sei
"nicht mehr
das beste", da es im Gegensatz zum britischen Modell nicht genügend
Beschäftigungsmöglichkeiten schaffe. Deshalb müssten endlich noch
mehr
prekäre Arbeitsverhältnisse, noch mehr Flexibilität und Arbeitszwang
für die
Erwerbslosen her
Nicolas Sarkozy alias "Iznogoud"
"Ich-will-unbedingt-Kalif-am-Platze-des-Kalifen-werden" schien es
egal zu
sein, dass er damit den Ausgang des Referendums gefährdete. Denn
eine
schwere Niederlage Chiracs, so sein Kalkül, würde diesem eine
Bewerbung um
eine dritte Amtsperiode ab 2007 unmöglich machen. Also wäre endlich
der Weg
frei für den ehrgeizigen 50jährigen, der schon vor zwei Jahren seine
Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur offen verkündet hat.
Gleichzeitig wären mit diesem Diskurs die Grundlagen für eine rechte
Kampfkandidatur gelegt.
Weichenstellung
Offen blieb bis Anfang dieser Woche, ob Chirac dennoch Sarkozy
erneut in die
Regierung holen würde. Es wurde sogar über seine Ernennung zum
Premierminister spekuliert, die einen geschickten Schachzug des
alten
Fuchses Chirac dargestellt hätte. Denn in diesem Fall wäre Sarkozy
schon
jetzt unmittelbar in die politische Verantwortung für die sozialen
Konsequenzen der Regierungspolitik genommen worden. Bis zur
Präsidentschaftswahl in zwei Jahren wäre er bereits "belastet"
gewesen, ja
sogar als gefährlicher Herausforderer neutralisiert worden. Aber
dass
Sarkozy jetzt erneut den Posten des Innenministers bekleiden wird,
den er
bereits von 2002 bis 2004 innehatte, signalisiert eine andere
Weichenstellung: In diesem Amt kann Sarkozy politische Punkte
sammeln, denn
mit seinem Aktivismus in Sachen "Innere Sicherheit" kann der Mann
durchaus
auf Popularität hoffen. Auch in Teilen der sozialen Unterschichten,
da die
zerrütteten Lebensverhältnisse in den "sozialen Problemvierteln"
tatsächlich
für ein gewisses Unsicherheitsgefühl das allerdings großenteils
subjektiv
und von der realen Kriminalitätsentwicklung abgekoppelt ist
sorgen. Für
die Weichenstellungen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird
Sarkozy
dagegen nicht direkt verantwortlich gemacht werden.
Chirac scheint sich also dahingehend resigniert zu haben, seinen
wahrscheinlichen Nachfolger als Chef der bürgerlichen Rechten sich
aufbauen
zu lassen. Es sei denn, dass die beiden ehrgeizigen Herren Villepin
und
Sarkozy sich nun im Kabinett gegenseitig zerfleischen.
Ob Sarkozys derzeitige, in den Medien breit verhandelte
Eheprobleme seine
Frau und Beraterin ist vorige Woche mit einem Werbefachmann nach
Jordanien
durchgebrannt ihm eher schaden oder eher Sympathie (Stichwort
"Mitleidsfaktor") eintragen, wird sich erweisen müssen. Dagegen wird
man
darauf vertrauen dürfen bzw. müssen, dass Sarkozy sich auch
weiterhin als
"großer Kommunikator" (nicht Conducator, das war Ceaucescu) erweisen
wird,
der seine Person auf allen Kanälen in den Mittelpunkt rückt.
Die Kabinettsliste wird in der zweiten Wochenhälfte bekannt
gegeben werden.
Die genaue Zusammensetzung der Regierung dürfte man spätestens mit
der
ersten Sitzung des Ministerrats am Freitag vormittag kennen.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde uns
vom Autor am 1.6.2005 zur Verfügung gestellt. Er erscheint auch in
der WOZ und beim Labournet.
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