Es stinkt gewaltig – nach Sexismus!

von antifa-frauen@india.com
06/05

trend onlinezeitung
  • Anhand bestimmter Geschehnisse der letzten Zeit wurde wieder offensichtlich, wie wenig oder unzureichend sich Gruppen und Menschen innerhalb von linken Szenezusammenhängen mit dem Problem Sexismus auseinandersetzen. Sexistische Verhaltensmuster sind Tagesordnung.
  • Natürlich können wir nicht alle Facetten des Themas Sexismus beleuchten. Es soll eine Positionierung von Frauen der Berliner Antifa –Szene darstellen und einen Anstoß geben, sich intensiver mit dem Thema Sexismus und dessen Funktionsweisen zu beschäftigen.

Gleichberechtigung gibt es nicht.

Sexistische Sprüche, Grenzverletzungen und weiteres zeigen, dass der sexistisch patriarchale Alltag vorhanden ist und von einer individuellen sowie strukturellen Einschränkung von Frauen geprägt ist, trotz formeller Gleichberechtigung.
Struktureller Sexismus ist diskriminierend und in der geschlechtergetrennten Struktur der kapitalistischen Gesellschaft verwurzelt. Patriarchale Strukturen sind grundlegend für kapitalistische Produktionsverhältnisse, da Arbeit traditionell geschlechtsspezifisch getrennt verrichtet wird. Die so angepriesene Gleichheit vor dem Grundgesetz hebt weder die typischen Geschlechterrollen auf noch patriarchale Strukturen als solche.
Logisch, dass die Szene nicht außerhalb der Gesellschaft steht und Linke nur durch emanzipatorische Ansätze nicht automatisch zu besseren Menschen werden. Meistens fehlt auch hier das Bewusstsein für antisexistische Themen. Antisexistisches Selbstverständnis, als Standard, wird selten mit Inhalten gefüllt.

Das Thema Sexismus wird meistens nicht nur belächelt, sondern oftmals auch „vergessen” oder „verschoben”. Häufige Ursache dafür ist, dass mensch nicht weiß wie sich Sexismus äußert. Durch Sozialisation und gesellschaftliche Strukturen geprägt nehmen wir denn sexistischen Alltag als Normalität wahr.

Für Eine unreflektierte Normalität – für die Anderen zu ändernde Verhältnisse!

  • Frauen sind auch innerhalb von Szenezusammenhängen sexuellen Grenzverletzungen und Benachteiligungen ausgesetzt.

Ob sich sexistisches Verhalten in Gruppenzusammenhängen durch Redeverhalten, Aufgabenverteilung oder Informationshierarchien äußert – in ihrer politischen Arbeit sehen sich Frauen permanent mit der Aufgabe konfrontiert, gleichzeitig sexistischen Barrieren Widerstand zu leisten. Nicht die Schwere einzelner sexistischer Handlungen lässt Sexismus als ein solch schweres Unterdrückungsverhältnis wirken, sondern die Summe seiner Facetten. Grenzverletzungen auf Partys führen oftmals gerade bei jungen Frauen, die neu in der Szene sind, zu Irritationen und der Frage, ob das so normal ist, ob sie sich wehren dürfen oder ob sie sich sogar geehrt fühlen müssten.

Auch strukturell werden Frauen benachteiligt, wenn ihnen innerhalb von Gruppen Informationen vorenthalten werden, sie bei bestimmten Aktionen übergangen werden oder ihnen oftmals „typische Frauenjobs“ wie Tresenschichten zugeteilt werden, während die Männer den Schutz bei Veranstaltungen machen. Meistens liegt dieses Mackerverhalten in dem Irrglauben begründet, dass nur der „richtige Mann“ stark genug für die Auseinandersetzungen mit Nazis und Bullen ist. Belastend für Frauen ist männlich dominantes Redeverhalten auf Treffen oder Infoveranstaltungen, als würde es auf Bündnistreffen getreu nach dem Motto „Wer schreit, hat recht“ zugehen.
Das sind nur Kleinigkeiten eines sexistischen Alltags und diese belasten permanent.

Die Definitionsmacht der Frau

  • Bei der Definitionsmacht geht es Frau darum, definieren zu können, wann sie sich sexueller Gewalt ausgesetzt sieht.

Der Begriff verdeutlicht, dass es sich dabei um einen Machtfaktor handelt. Die Definitionsmacht ist ein notwendiges Mittel, um gegen bestehende Unterdrückungsverhältnisse wirken zu können, es sollen Hierarchisierungen abgebaut werden. Wenn eine Frau sagt, sie sei vergewaltigt worden, muss dies anerkannt werden, ohne dass ein Fragekatalog mit der Forderung der Vorwurfsrechtfertigung erstellt wird, die Aussage der Frau hinterfragt oder die Vergewaltigung bagatellisiert wird.

Die Definitionsmacht anzuerkennen ist jedoch nicht ausreichend. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen über die Folgen muss der Wille der Frau stehen. Oftmals ist der Schritt eine Vergewaltigung öffentlich zu machen schon schwer genug. Sei es, dass sich die Betroffene schämt oder Angst hat nicht ernst genommen zu werden. Es muss deshalb akzeptiert werden, wenn sie den Fall weder zur Anzeige bringt, noch über einen bestimmten Personenkreis hinaus bekannt machen möchte. Das entlässt aber niemanden aus der Verantwortung, Sanktionen und Umgangsformen zu diskutieren und umzusetzen.

Ein Schritt wäre der Rausschmiss des Mannes aus allen Zusammenhängen und Aufenthaltsorten der Frau, damit diese den Täter nicht wieder zu Gesicht bekommen muss. Vergewaltigung ist antiemanzipatorisch und widerspricht jeglichen Grundsätzen linker Politik. Personen, die sich weiterhin mit dem Täter zeigen, ihn schützen oder vor der Isolation bewahren, ignorieren Vergewaltigungen oder stellen die Aussage der Frau und damit ihre Glaubwürdigkeit in Frage und sind dementsprechend zu behandeln. Anstelle von Täterschutz sollte das Umfeld des Täters auf diesen und dessen Einstellung einwirken und mit ihm reflektieren. Nichtverhalten und Solidarisierung mit dem Täter bedeutet Raum für eine öffentliche Akzeptanz von Vergewaltigungen zu schaffen. Ein Rausschmiss ist eine der wenigen Sanktionsmöglichkeiten, die linke Zusammenhänge besitzen. Auf die Umsetzung sollten sich Frauen verlassen können und jede linke Person, die sich von Vergewaltigern und Täterschützern gestört fühlt, sollte davon Gebrauch machen. Betroffene sollen ermutigt und nicht entmutigt werden den Täter zu outen. Debatten über den „Missbrauch der Definitionsmacht durch die Frau“ oder sogenannte „Unschuldsvermutungen“ stellen die Gewalterfahrungen von Frauen in Frage und stilisieren Täter zu opfern. Zudem fördert es patriarchale Hierarchien durch die Unmündigkeit, in die die Frau gedrängt wird. Nach Veröffentlichungen innerhalb der Szene sind es auch die Betroffenen, die sozial isoliert werden und mit negativen Konsequenzen zu rechnen haben. Niemand erzählt mal ebenso aus Spaß, vergewaltigt worden zu sein. Die Infragestellung der Definitionsmacht zeugt vielmehr von der Unfähigkeit nicht weniger Männer, Frauen als entscheidungsfähige Individuen zu sehen und von ihrer Angst, ihnen könnte die Macht genommen werden. Für alle, die es immer noch nicht verstanden haben – eine Vergewaltigung ist kein sexueller Akt, sondern sexualisierte Gewalt. Diese verletzt physisch und psychisch die Integrität der Frau.

Der konkrete Fall

  • Momentan gibt es innerhalb der Szene mehrere Fälle von Vergewaltigungen, doch nur einer davon wurde intern publik gemacht.

Leif ist ein Vergewaltiger! Er hat im vergangenen Jahr eine Frau vergewaltigt. Doch anstatt sich aus den Räumlichkeiten wie dem Torpedokäfer, dem Kurt–Lade Klub oder dem JUP zurückzuziehen, hatte er nichts Besseres zu tun, als mit seiner Version der Geschichte hausieren zu gehen, obwohl die Frau nicht wollte, dass die Vergewaltigung öffentlich gemacht wird. Sie wollte einfach nicht mehr die Fresse des Typen sehen, der sie vergewaltigt hat. Er dagegen besaß nicht nur die Frechheit zu leugnen – nein, er sieht sich als Opfer einer politisch motivierten Hetzkampagne. Zudem unterstellt er der Frau aus persönlich motivierten Rachemotiven gehandelt zu haben. An diesem Punkt klinkte sich dann stellvertretend der Freundinnenkreis der Betroffenen ein, da Leif den Vorfall sowieso schon an die Öffentlichkeit gezerrt hatte. Der Wille der von ihm vergewaltigten Frau, den Fall eben nicht breit zu treten, ist ihm scheißegal gewesen. Leif geht immer noch in Räumlichkeiten mit linksemanzipatorischem Anspruch ein und aus und Freunde feiern mit ihm auf linken Partys.

Nachdem eine Email des Freundinnenkreises gezwungener Maßen darüber informierte, dass Leif ein Vergewaltiger ist, hat sein Umfeld als Antwort eine Email in den Raum gestellt. Unter dem Pseudonym „Freundeskreis (FK) allstars“ erstellten sie einen dreisten Fragenkatalog. Sie nahmen den konkreten Fall sogleich zum Anlass, sich grundsätzlich gegen die Definitionsmacht zu wenden und gegen das Recht der Frau durch ihre FreundInnen Sanktionen gegen den Täter einzufordern. Das zeugt nur von der paranoiden Angst des männlichen Sexisten, dass jede x –beliebige Frau aus lauter Spaß an der Freude mit dem Finger auf ihn zeigend „Vergewaltiger“ zu ihm sagen könnte.

  • Emanzipatorische Ansätze werden nicht ernst genommen und Dinge wie die Definitionsmacht der Frau oder die Auseinandersetzung mit Sexismus stellen anscheinend weder den Orientierungsrahmen dar noch sind sie maßgeblich für diese Menschen.

Zusammenhänge, die Stellungnahmen vom Umfeld und Sanktionen für den Täter einfordern, wird unterstellt aus politischen oder persönlichen Motiven gegen den Täter zu handeln. Durch Positionen, dass es sich bei dem Vorfall um eine „politisch motivierte Intrige“ handelt, soll der Täter zum Opfer gemacht werden. Die Vergewaltigung wird durch Umdeutung, dass es sich dabei um persönliche und politische Streitigkeiten, zu einem Bagatellfall relativiert. Das Thema Vergewaltigung wird negiert und umgangen, die Aussage der Frau als Teil einer Verschwörung gesehen. Das ist indiskutabel und erbärmlich. Die Tat ist als Vergewaltigung benannt worden und die Forderung nach Darstellung des Vorfalls kann nur darin bestehen ganz konkrete Angaben zu bekommen. In dem Schreiben der „FK allstars“ war zu lesen „...wir wollen die ganze story...“, einer ihrer Vertreter äußerte zudem „...wenn nicht die widerlichen Details...“.

Die Aussage der Frau soll ihrer Ansicht nach hinterfragt, diskutiert und eingeschätzt werden – schlicht und einfach bedeutet das, die Glaubwürdigkeit der Frau in den Dreck zu ziehen.

  • Täter haben nicht das Recht zu definieren!!!
  • Es stinkt uns. Es ist an der Zeit zu handeln.

Lippenbekenntnisse reichen nicht mehr und die Definitionsmacht muss endlich umgesetzt werden. Gruppen müssen sich mit Sexismus beschäftigen, im besonderen die, die es noch nicht getan haben.

Es geht nicht, dass sich die Diskussionen immer von einem Vergewaltigungsfall zum nächsten hangeln.

Es muss eine ständige Selbstreflexion und die dauerhafte Diskussion bzw. Befassung mit dem Thema Sexismus erfolgen!

Sexisten entgegentreten! Sexistischen Verhaltensweisen bekämpfen!


Dies ist Teil einer Diskussion, die geführt werden muss.
Kontakt: antifa-frauen@india.com  

  • Unterzeichnerinnen: Die Frauen der Antifa Friedrichshain (AFH), des Antifa Bündnis Marzahn-Hellersdorf (ABM), der Antikapitalistischen Aktion Berlin (AKAB), der Gruppe Q, der red action Königs Wusterhausen, der Antifa Aktion Lichtenberg (AAl), des Antifaschistischen Aufstandes Köpenicks (AAK), der Treptower Antifa Gruppe (TAG), der Jugendantifa Friedrichshain (JAF), einige Frauen der desperadas Berlin sowie weitere unabhängige Antifaschistinnen

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns von Frauen aus Antifa-Zusammenhängen am 25.5.2005 mit der Bitte um Veröffentlichung zugesandt.