Woher kommen die nazistischen Wahlerfolge?
Einige Notizen und Gedanken zu den Europawahlen und Kommunalwahlen am 13. Juni 04


von Max Brym

06/04

trend
onlinezeitung
Mit 21,5% hat die SPD ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1945 in Deutschland eingefahren. Das Institut Allensbach bescheinigt der SPD einen „Identitätsverlust, der zum Machtverlust führen wird“. Insgesamt verlor die SPD gegenüber den letzten Europawahlen 2,8 Millionen Wähler. In den neuen Bundesländern rangiert die SPD klar hinter der PDS. Ihr schlechtestes Wahlergebnis erzielte die SPD in Sachsen mit 11,9%. Zum Teil sind die Ergebnisse der SPD anläßlich der Kommunalwahlen in einigen Bundesländern noch katastrophaler. Die klassische Klientel der SPD, die Arbeiter und Arbeitslosen straften die SPD am deutlichsten ab. Die Masse der ehemaligen SPD-Wähler verweigert sich dem Wahlgang, eine Hinwendung zu anderen Parteien findet nur partiell statt. Auch die CDU/CSU verlor gegenüber 1999 rund eine Million Wähler. Leitartikler und Kommentatoren sprechen in den Medien von einer um sich greifenden Politikverdrossenheit. Diese Diagnose ist falsch und oberflächlich. In Wahrheit handelt es sich um eine Parteiverdrossenheit, nach einer Studie des „Allensbach Institutes“ empfinden 73% der Menschen in Deutschland „die gegebene Wirtschafts- und Sozialpolitik als sozial ungerecht“. Unter dieser ziemlich richtigen Einschätzung leidet besonders die SPD, aber auch die Union. Die Grünen hingegen können ihre Anhängerschaft aus der Intelligenz und dem neuen Mittelstand mobilisieren. Von der Rentenkürzung, der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe dem finanziellen Abenteuer eines Arztbesuches, ist die Klientel der Grünen nur partiell betroffen. Ähnliches gilt für die FDP mit ihrer soziologischen Basis. Diesen Leuten reicht der Katalog sozialer Grausamkeiten noch nicht. Die PDS hingegen konnte Gewinne verbuchen, schaffte locker den Sprung in das Europaparlament und ließ die SPD bei den Landtagswahlen in Thüringen mit 26 zu 14,5% weit hinter sich. Die Ankündigung der PDS, soziale Politik zu machen, zahlte sich aus. Allerdings nicht in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern, in diesen beiden Bundesländern gibt es eine SPD-PDS Koalition und demzufolge eine Politik, die den sozial Schwachen schadet. In den genannten Bundesländern verlor die PDS zusammen mit der SPD an Stimmen, allerdings die PDS nicht so dramatisch wie der große Koalitionspartner.

Schröder - „Weiter so“

Schröder erklärte nach den Wahlen: „Ich kann und werde keine andere Politik betreiben“. Der SPD-Chef Müntefering nannte die Sache mit den fehlenden SPD Wählern ein „Mentalitätsproblem“. Damit vollzog Müntefering eine Wende, hieß es einst die SPD hätte ein Vermittlungsproblem, so ist es jetzt ein „Mentalitätsproblem“. Damit wird der Wähler endgültig zum begriffsstutzigen Wesen erklärt. Solange von einem Vermittlungsproblem gesprochen wurde, sagte man nur, „ihr begreift uns noch nicht ganz richtig, aber das werden wir schon hinkriegen“, wenn es ein „Mentalitätsproblem“ ist, „dann kann mit euch nichts mehr gemacht werden“. Schröder ließ sich am Dienstag, den 15. Juni von BDI-Chef Rogowski ermuntern, „an seinem Kurs festzuhalten“. Klar dem BDI-Boß paßt der gelockerte Kündigungsschutz, der neue Billiglohnsektor und die Tatsache, dass sich nur Deutschland und Österreich (entwickelte Industriestaaten) den Luxus erlauben, keine Vermögenssteuer zu erheben. Die Herrschaften verstehen sich, wobei Herrn Rogowski das Schicksal der SPD egal ist, es geht um Kapitalverwertung. Die Regierung wie die Opposition haben den Anspruch Arbeitslosigkeit zu beseitigen aufgegeben, die neue Religion ist, „es geht nicht anders“ oder „wir führen einen Überlebenskampf in einer globalisierten Welt“, dabei gilt es für Deutschland „den Platz an der Sonne“ zu gewinnen. Dazu ist der Gürtel enger zu schnallen und es wird nationale Hingabe eingefordert. Allerdings hat eine nationale Standortagitation das Problem, kalt, ökonomistisch und technokratisch zu erscheinen. Der Propaganda fehlt das Pathos, sie gibt dem Gemüt nichts, dem „Standortlogiker“ fehlt das Fleisch, um das chauvinistische Knochengerüst attraktiv erscheinen zu lassen. In diese Lücke stößt der parteipolitisch organisierte Nazismus in Gestalt der Republikaner und der NPD.

Nazistische Wahlerfolge

Die schon längst totgesagten Republikaner verbesserten ihr Europawahlergebnis von 1,7 auf 1,9%. Auf den ersten Blick erscheint das nicht dramatisch zu sein. Diese Einschätzung muß sofort korrigiert werden, wenn das Kommunalwahlergebnis der Republikaner in Chemnitz betrachtet wird, dort erreichten die „Republikaner“ 10,3%. Der organisierte Nazismus und Rechtspopullismus hat regionale Zentren, in ihrer alten Hochburg Rosenheim kamen die Republikaner wieder auf über 5%. Generell muß festgehalten werden, die faschistischen Gruppierungen legten überall zu und erzielten anläßlich der Kommunalwahlen teils erschreckend hohe Ergebnisse. Die NPD bekam zu den Europawahlen in Deutschland mehr als 200.000 Stimmen. In Prozenten ausgedrückt sind das 0,9% und ein Zugewinn von hunderttausend Stimmen. Besonders stark ist die NPD bei den Kommunalwahlen in Sachsen geworden. Mit über 4,1% ist das sogenannte „Nationale Bündnis“ in Dresden mit drei Abgeordneten in den Stadtrat gekommen. In der „Sächsischen Schweiz“ erzielte die NPD Ergebnisse, die sich nur mit den Ergebnissen der NSDAP Ende der zwanziger Jahren vergleichen lassen. In der Gemeinde Königstein erhielt die NPD 21,1%, in Sebnitz 13,2% und der absolute Spitzenwert wurde in dem Nest Reinharsdsdorf-Schönau mit 25,2% erreicht. Die PDS erreichte in Reinhardsdorf-Schönau 20% und die SPD trat gar nicht erst zu den Kommunalwahlen in dem Ort an. Für den sächsischen Verfassungsschutz sind die Erfolge der Faschisten „nicht überraschend“. Der Verfassungsschutz ließ verlauten: „Vor allem in ihrer Hochburg der Sächsischen Schweiz“, seien Rechtsextremisten in der Mitte der Gesellschaft integriert“. Der Verfassungsschutz weiß wovon er spricht, ließ er doch durch seine Rolle in der NPD, den Verbotsprozeß gegen diese Partei platzen. In teilen Sachsens scheint die Strategie der NPD der „National Befreiten Zonen“ aufgegangen zu sein. In einem Papier des jetzt in München lebenden Wolfgang Bendel (geschrieben Anfang der neunziger Jahre) wurde diese Strategie entwickelt. Bendel schlug eine lokale Konzentration der Nazigruppen vor, in Anlehnung oder Umdrehung von Gramsci, wollte er eine kulturellen Hegemonie der Nazis erreichen. Diese Hegemonie wurde in vielen Teilen Ostdeutschlands Realität, Ausländer werden gejagt, geschlagen und wenn möglich umgebracht. Natürlich sind jüdische Friedhöfe ein besonderes Anschlagsziel der „kulturellen Hegemonisten“. Die Existenz solcher Gebiete wird der bundesdeutschen Öffentlichkeit seit Jahren vorenthalten, statt dessen wirbt die „Sächsische Schweiz“ mit ihren touristischen Möglichkeiten. Es wäre allerdings ein Trugschluß, die Erfolge der NPD auf Ostdeutschland zu beschränken, in der saarländischen Stadt Völklingen bekam die NPD bei den Kommunalwahlen 10% der Stimmen.

Woher kommt der Erfolg der Nazis?

Dieses Thema kann hier nur angerissen werden. Prinzipiell profitiert der Nazismus von drei Phänomenen. 1. Die gegebene Politik predigt den „Wirtschaftsliberalismus“. Prinzipien, „wie jeder ist sich selbst der nächste“ oder „der stärkere frißt den Schwächeren“, werden direkt aus der Ökonomie in den Bereich der Ideologie übertragen. Daran knüpft der Nazismus an, er muß das Ganze nur weiter treiben und rassistisch verabsolutieren. 2. Immer mehr Leuten geht es in Deutschland wirtschaftlich schlechter, es findet eine reale Umverteilung von Unten nach Oben statt. Dies ermöglicht den Nazis offene Ohren in Puncto sozialer Demagogie zu finden. Selbstverständlich ist für den Nazi der „Ausländer“ der „Schmarotzer“ und besonders der „Jude“ verantwortlich für die Verwerfungen des kapitalistischen Weltmarktes. Hier kann der Nazismus auf verbreitete „Verschwörungstheorien“ setzen und verkürzte „Kapitalismuskritiken“ benützen. Die Nazis geben sich als soziale Opposition aus, dies ermöglicht u.a. die Regierungspolitik. 3. In Deutschland gibt es einen weitverbreiteten rassistischen Grundkonsens. Die Union führt offen rassistische Kampagnen durch (früher Doppelpaß, heute z.B. EU Beitritt der Türkei, „islamische Gefahr“ usw.), während Innenminister Schilly Abschiebemaßnahmen gegen Asylbewerber und Flüchtlinge von Monat zu Monat intensiviert. Den Nazis kommt dieses Klima entgegen, sie geben sich in Sachen Rassismus als Original und nicht als Kopie aus. Seit Jahren sagt jede seriöse Untersuchung, dass zwischen 15 und 20% der Bundesbürger ein relativ geschlossenes antisemitisches Weltbild haben. Dieses Potential zu erschließen, fällt bekanntlich in Zeiten der Krise den Nazis leichter, als zu anderen Zeiten.

Ausblick

In Dresden fand am Abend, an dem der nazistische Wahlerfolg bekannt wurde, eine skurrile „Antifa-Demonstration“ statt. „Bomber Harris und die Flut, dass tut den Deutschen gut“, war eine der Hauptparolen der Demonstranten. Mit solch menschenverachtenden und nationalistischen Parolen wird den Nazis geholfen. Denn in Dresden haben 4,1% der Wähler die Nazis gewählt und nicht die ganze Stadt. Wenn jedem Dresdner „Bomber Harris“ an den Hals gewünscht wird, dann ist der Aufbau einer antifaschistischen Struktur in Dresden unmöglich. Zudem wird der Nazismus verharmlost, denn wenn alle Nazis sind und „Die Flut“ verdienen, dann ist der tatsächliche Nazi gar nichts mehr besonderes. Solcher Irrsinn gehört entschieden zurückgewiesen. Notwendig ist es, den Nazis überall offensiv entgegenzutreten. Es gilt ein Klima zu schaffen, in dem der Kampf gegen den Sozialabbau entwickelt wird. Die historische Erfahrung lehrt, dass eine starke und entschiedene Arbeiterbewegung ein Wall gegen Faschisten sein kann. Durch soziale Kämpfe können Menschen mobilisiert werden und Menschen unterschiedlicher Nationalität aufgrund ihrer gleichen Interessenslage zusammenfinden.

Quellen SZ.15.6.04 FAZ 16.6.04 FR. 16.6.04 BZ. 16.6.04
 

Editorische Anmerkungen:

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 16.06.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.