Europaparlamentswahlen in Frankreich
Von rechts-liberal bis rechtsextrem: Kampagne zur Verteidigung des "christlichen Abendlands"
- aktualisierte Fassung -

von Bernhard Schmid

06/04

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Morosité (Griesgrämigkeit, Miesepetrigkeit) ist wohl der Schlüsselbegriff, um den französischen Wahlkampf zu den Europaparlamentswahlen vom Sonntag, 13. Juni zu charakterisieren. Das Desinteresse des Publikums war manifest - was auch damit zu tun hatte, dass die bürgerlichen Regierungsparteien anscheinend alles daran setzen, dass es anhält. Sie konnten sich kaum Erfolgschancen versprechen, nachdem sie bereits bei den Regionalparlamentswahlen im März dieses Jahres für ihre Abbruchpolitik in Sachen Sozial- und Rechtsstaat schwer abgestraft worden waren. Es war kaum davon auszugehen, dass die Stimmung derzeit grundsätzlich anders wäre, zumal die nächste regressive "Sozialreform" in den letzten 14 Tagen stückweise angekündigt worden ist. Dieses Mal soll die gesetzliche Krankenversicherung "reformiert" werden, dass es nur so raucht und trümmert.

Deswegen setzte die konservativ-liberale Rechte darauf, dass die Wahlenthaltung möglichst hoch ausfiele, damit ein für sie ungünstiges Wahlergebnis möglichst wenig repräsentativ aussehe. Es gingen denn auch nur rund 43 Prozent zur Wahl, und 57,26 Prozent enthielten sich der Stimme. Im Gegensatz zu den Regionalparlamentswahlen gingen kaum hochrangige Regierungspolitiker und Minister an den Start, und Premierminister Jean-Pierre Raffarin hielt sich bewusst weitgehend aus der Vorwahldebatte heraus. (Eine Zeitungskarikatur ließ ihn kürzlich sagen: "Jedes Mal, wenn ich rede, verlieren wir 50.000 Stimmen...") Und in den tagespolitischen Verlautbarungen der Regierenden ging es so gut wie gar nicht um den bevorstehenden Urnengang. Die konservative Regierungspartei UMP erhielt denn auch nur 16,64 Prozent. Und die christdemokratische UDF, die einen Minister stellt und sich darin gefällt, mal die Regierungs- und mal die halbe Oppositionspartei zu spielen, fuhr ihrerseits 11,95 Prozent der Stimmen ein.

Die Bürger ihrerseits interessieren sich nicht sonderlich für die Europäische Union, die ihnen eher als ein abstrakt-technokratisches Gebilde denn als etwas ihren Alltag Betreffendes erscheint - auch wenn viele der so genannten Reformen in Frankreich mit der EU-Politik begründet werden. Und wenn auf der politischen Rechten aller Schattierungen vom Thema "Europa" gesprochen wurde, dann vor allem, um Stimmung gegen einen zukünftigen EU-Beitritt der Türkei zu schüren. Die politische Debatte um die Zukunft der europäischen Wirtschaft und Politik schien sich fast völlig auf diese Frage zu reduzieren. In Wirklichkeit geht es vor allem darum, niedere Instinkte im Wahlkampf zu schüren.

Die Aussicht auf einen türkischen EU-Beitritt soll niedere Instinkte schüren Für Aufsehen hatte der konservative Ex-Premierminister und derzeitige Vorsitzende der Präsidentenpartei UMP, Alain Juppé, am 7. April gesorgt. An jenem Tag bestritt er im Namen der Regierungspartei, dass die Türkei eine "europäische Berufung" habe. Damit widersprach er nicht nur dem historischen Vorbild seiner Partei, dem General Charles de Gaulle, der sich bereits 1963 für die historische Perspektive eines Beitritts der Türkei zur damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft aussprach - sondern auch seinen eigenen Positionen als Außenminister, der Alain Juppé bis 1995 war. Nicht zuletzt hat auch der amtierende Präsident Jacques Chirac noch im März prinzipiell zugunsten der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Ankara Position bezogen. Noch an einem zweiten Punkt bezog Juppé wenig später Stellung gegen vorherige eigene Äußerungen, aber auch gegen die erklärte Position des Staatsoberhaupts: In einer plötzlichen Kehrtwende sprach Alain Juppé sich für eine Volksabstimmung über die künftige EU-Verfassung aus. Unwahrscheinlich ist, dass es sich dabei um eine demokratische Anwandlung handelt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die bürgerliche Regierungspartei finster entschlossen ist, um Sympathie im nationalistischen Sumpf und bei Rechtsaußen-Wählern zu buhlen.

Tatsächlich haben auch die Rechtskonservativen und Rechtsextremen schon früh das Wahlkampfthema "Hilfe, die Türken wollen in die EU" für sich entdeckt. Jean-Marie Le Pen erwähnte das Thema auch in seiner Rede zum alljährlichen Aufmarsch seiner Partei, des Front National, am 1. Mai dieses Jahres. Und ein bedeutender Teil der Wahlkampfmaterialien des FN behandelte ebenfalls dieses Thema. So lautete der Titel des letzten FN-Flugblatts, das in den Tagen vor der Wahl verteilt wurde bzw. im Internet abrufbar war: "Am 13. Juni, sagt/sagen Sie NEIN zum Eintritt der Türkei in die EU".

10 Prozent für die extreme Rechte

Dennoch konnte Le Pen dieses Mal nicht der alleinige Hauptnutznießer dieser Kampagne sein: Allzu sehr waren seine Parteigänger und -kader seit mehreren Wochen damit beschäftigt, sich vor laufenden Kameras bis auf's Messer zu bekämpfen. (Siehe vorige Ausgabe der AN) Landesweit erhielt der Front National 9,81 Prozent der Stimmen. Zu ihnen sind noch mikroskopische 0,31 Prozent für den MNR (Wahlkampf-Slogan: "Europa Ja, Türkei Nein") von Bruno Mégret, sein ehemaliges Spaltprodukt, hinzuzählen. Das ist kein glänzendes Ergebnis, verglichen mit den Ergebnissen der jüngsten Regionalparlamentswahlen. Doch da der FN in die vorangegangenen Europaparlamentswahlen im Juni 1999 kurz nach seiner Parteispaltung (in Anhänger von Le Pen einerseits, von Bruno Mégret einerseits) zog, hatte er damals das schlechteste Ergebnis seiner gesamten Geschichte erhalten. 1999 stimmten nur 5,69 Prozent der Teilnehmer an den Europaparlamentswahlen für den FN, weitere 3,28 für das Spaltprodukt unter Mégret (was zusammen 8,97 Prozent ergab, und den tiefsten Stand der rechtsextremen Wählerschaft in den letzten anderthalb Jahrzehnten markierte). Gegenüber damals konnte der FN noch fast jedes zu erwartende Wahlergebnis als Steigerung und als (mäßigen) Erfolg verkaufen; besser als 1999 würde sein Resultat sowieso ausfallen.

Insofern hat er den Schaden begrenzen können. Im Europaparlament wird die Le Pen-Partei, die dort jetzt 7 Sitze innehat (gegenüber 5 seit 1999) daran arbeiten, eine gemeinsame Fraktion mit anderen europäischen Rechtsextremen zu bilden. Vor allem mit dem belgischen Vlaams Blok, der unionsweit zu den großen Gewinnern dieser EU-Wahlen gehört, aber besonders auch mit osteuropäischen Gesinnungsgenossen, sofern möglich. Da auch die griechische rechtsextreme Laos-Partei die Fünf-Prozent-Hürde überwinden konnte und ein Mandat im EP erhielt, findet sich hier ein weiterer Ansprechpartner.

Rechte Alternative zwischen Konservativen und Rechtsextremisten

Punkte mit dem Thema "Die Türken kommen" konnten aber daneben auch die "Souveränisten" (les souverainistes) sammeln: Das sind nationalkonservative ehemalige EU-Gegner, die an der kleinbürgerlichen und mittelständischen Basis des bürgerlichen Regierungslagers noch über beträchtliche Sympathien verfügen. Bei den letzten Europawahlen 1999 waren sie zur stärksten Kraft auf der Rechten avanciert und hatten mit 13 Prozent die "offiziellen" Konservativen (bei 12,8 Prozent) überholt. Danach allerdings war es relativ still um sie geworden, zumal ihre beiden Anführer sich heftig zerstritten hatten: der rechtskatholische Graf Philippe de Villiers, sowie der Altgaullist und frühere Innenminister Charles Pasqua. Dieses Mal stand von vornherein fest, dass Philippe de Villiers den größeren Teil dieses Stimmenpotenzials einsammeln würde, denn Pasqua steht politisch kurz vor dem Ende. Er ist in mehrere Strafverfahren verstrickt, bei denen es u.a. um seine wichtige Rolle bei illegalen Waffenlieferungen in afrikanische Bürgerkriege geht; ihm wird (unter andere von seinem ehemaligen Compagonen Philippe de Villiers...) öffentlich nachgesagt, er kandidiere vor allem deswegen, um sich eine parlamentarische Immunität zu sichern. Zusammen wurden den "Souveränisten" derzeit 8 bis 9 Prozent der Stimmen vorausgesagt, davon der Löwenanteil für de Villiers. Die Wahlergebnisse sind konform zu den Vorhersagen: Die "Souveränisten" erhielten insgesamt 8,3 Prozent der Stimmen. Davon entfielen 6,6 Prozent auf den "Mouvement pour la France" (Bewegung für Frankreich) des rechtskatholischen Grafen de Villiers, und 1,6 Prozent wurden für den möglicherweise alsbaldigen Polit-Rentner Charles Pasqua abgegeben. Für Pasqua wäre es jetzt wohl Zeit, auf¹s Altenteil zu gehen, mit 77 Jahren...

Im künftigen Europaparlament stellt die de Villiers-Liste künftig 3 Sitze; im bisherigen EP hatten die französischen "Souveränisten" allerdings 13 Mandate inne. Dort saß Charles Pasqua bisher mit den italienischen Postfaschisten der Alleanza Nazionale unter Ginafranco Fini und der irischen Regierungspartei Fianna Fail in einer Fraktion, der Pasqua vorsaß. Die Villiers-Anhänger dürften sich künftig vor allem mit der britischen UKIP (Unabhängigkeitspartei des United Kingdom) zusammentun; die britischen Rechtspopulisten zählen zu den größten Gewinnern dieser EP-Wahl. De Villiers kommt aus einer weit rechts stehenden Tradition, jener der ultrakatholischen Gegner der bürgerlichen Revolution von 1789; die damalige Konterrevolution hatte ihre Hochburg in der westfranzösischen Vendée, jener Gegend, deren Bezirkspräsident der Graf de Villiers heute ist. Diese historische politische Strömung unterstützte auch das Vichy-Regime; das Wappen der Ultrakatholiken, das unter der Vichy-Herrschaft offiziell verwendet worden war, wurde durch de Villiers in den Neunziger Jahren alsKennzeichen des Vendée-Bezirks übernommen. In "seinem" Département, der Vendée, erhielt Philippe de Villiers (der selbst die Liste seiner Partei im EP-Wahlkreis Westfrankreich anführte, zu dem auch dieser Bezirk zählt) stolze 38 Prozent der Stimmen. Jedoch ist Philippe de Villiers im Gegensatz zu Jean-Marie Le Pen kein ausgewiesener Antisemit und Weltverschwörungs-Theoretiker; er ist "einfach" ein katholischer, nationaler Reaktionär, der aber nie mit dem bürgerlichen Lager ernsthaft gebrochen hat. Nach eigenen Behauptungen de Villiers' im Wahlkampf hat er auch die indirekte Unterstützung ders Chefs der Regierungspartei UMP, Alain Juppé, und von Premierminister Jean-Pierre Raffarin für seine Eigenkandidatur. Letztere hätten zu ihm gesagt, dass die politische Rechte plural sein müsse, um erfolgreich zu sein, und dafür einen pro-europäischen Flügel (mit der christdemokratischen UDF), eine Mittelkraft (mit der konservativen Regierungspartei UMP) sowie einen EU-skeptischen, nationalkonservativen Flügel (mit den sog. "Souveränisten") benötige. Bei den Regionalparlamentswahlen im März 2004 waren die Villiers-Anhänger mit der Regierungspartei UMP verbündet gewesen. Dennoch konnte Philippe de Villiers wohl auch die Stimmen mancher rechtsextremer Wähler an sich ziehen - aufgrund seiner Positionen zur Homo-Ehe.

Wahlkampf gegen Türken in der EU und gegen die Homo-Ehe

Charles Pasqua wendet sich in einem Interview mit der rechten, nationalliberalen Monatszeitung "La Une" (Juni 2004) gegen einen türkischen EU-Beitritt, da die Union "auf das griechisch-römische und das jüdisch-christliche europäische Erbe" aufbauen solle. Leider vergisst er dabei zu erwähnen, dass die heutige Türkei eine wichtige Rolle in der griechischen und römischen, antiken Welt spielte und später (unter dem Namen Byzanz) sogar zur führenden Metropole dieses Raums wurde - während London, Berlin und Warschau in der damaligen Welt unbekannt waren. In einem, schwach besuchten, Wahlkampfmeeting am Abend des 7. Juni in Paris erklärte Pasqua seie Ablehung unterdessen aggressiver: "Die Türkei hat nichts in Europa verloren!" Ferner erklärt Pasqua in "La Une", der früher die EU-Integration ablehnte, jetzt gelte es die Union gegen das Ansinnen auf einen türkischen Beitritt zu verteidigen; nunmehr sei sie verteidigenswert, da in der EU nach der Osterweiterung die Nationalstaaten eine größere Rolle spielen würden und die Pläne, aus ihr einen Bundesstaat zu machen, im Europa der 25 irrealistisch geworden seien.

Philippe De Villiers seinerseits machte vor allem Wahlkampf gegen die Türkei in der EU, für die Bewahrung der "christlichen Fundamente Europas", aber auch für eine "Beschleunigung der Reformen" in Frankreich und dafür, dass die "gewerkschaftliche Diktatur" im angeblich "sozialistischen" Frankreich gebrochen werde. Ein weiteres Thema lieferte ihm die erste Homosexuellen-Ehe, die (im Prinzip entgegen geltendem Gesetz) am Samstag, 5. Juni von dem medienbewussten grünen Politiker Noël Mamère, ein ehemaliger Fernsehsprecher und Bürgermeister eines Vororts von Bordeaux, zelebriert wurde. Mamère vermählte in "seinem" Rathaus von Bègles das erste männlich-männliche Ehepaar, Stéphane und Bertrand, wofür ihm die Regierung Rechtsfolgen angedroht hat. Zu einer Gegendemonstration von Ultrakatholiken und Moralhütern reiste de Villiers persönlich an.

Deswegen wurde de Villiers auch von Rechtsextremen applaudiert, die wegen der innerparteilichen Streitigkeiten und der Marginalisierung alter Kader durch Jean-Marie Le Pen aufgebracht sind. Noch weiter gegen Le Pen aufgebracht hat sie dessen Positionierung zur Homosexuellen-Ehe: Le Pen hatte bei einer Veranstaltung in Lyon am 2. Juni eher beiläufig und launisch bemerkt, man solle "keine Staatsaffäre" aus der Angelegenheit machen, und wenn die beiden Schwulen von Bordeaux heiraten wollten, dann sollten sie das eben tun; immerhin beweise dies, dass die Institution der Ehe neues Prestige gewinne. Das war mehr oder minder ironisch gemeint, denn Le Pen fügte hinzu, wenn "wenigstens die Homosexuellen Kinder machen würden, dann wäre endlich dem französischen Geburtenschwund beizukommen". (In der Vergangenheit hatte Le Pen auch homophobe Ressentiments bedient, so hatte er Mitte der 80er Jahre von einer "sozialen und moralischen Perversion" gesprochen, und 1988 die Internierung von AIDS-Kranken gefordert.)

Nach heftigen Protesten des Chefideologen des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels, Bernard Antony, hat Jean-Marie Le Pen seine Äußerungen, die in "Le Monde" vom 4. Juni wiedergegeben waren, allerdings 24 Stunden später auf der ganzen Linie dementiert. Aus Sicht der Moralhüter war aber das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Nunmehr entdeckte auch der ultrakatholische Teil der neofaschistischen Partei seine Sympathien für de Villiers. In der rechtsextremen Tageszeitung "Présent", die von diesem Parteiflügel herausgegeben wird (und zu deren Boykott jüngst Le Pen, im Zuge des innerparteilichen Streits, aufgefordert hatte), durfte am 5. Juni Philippe de Villiers schreiben. Er empörte sich darin u.a. über Le Pens non-chalante Äußerungen zur Homo-Ehe. Und am 9. Juni druckte das Blatt dann auch ein Interview mit Philippe de Villiers an. Am selben Tag machte auch die rechtsextremen Wochenzeitung "Minute" ihre Titelseite mit der Überschrift "Le Pen ­ de Villiers, das Duell" auf; im Blattinneren finden sich auf zwei nebeneinander liegenden Seiten Interviews mit beiden Politikern, die jeweils begründen, warum die Stimmabgabe für die je eigene Liste "effektiver" sei.  Insofern dürfte es einen, zahlenmäßig begrenzten, Stimmentransfer von den Neofaschisten zu den Nationalkonservativen gegeben haben.

Und die Linke?

Man möge sich darüber streiten, inwiefern man den französischen Sozialdemokraten (die natürlich auch "notwendige Reformen" akzeptieren wollen usw. usf.) noch das Etikett "links" anhängt. Auf jeden Fall sind sie derzeit in Frankreich die wichtigsten Wahlsieger: Gegenüber der derzeitigen Regierung, die den sozialen Abbruch mit dem Bulldozer durchführt, erscheinen sie im Moment einfach als deutlich "kleineres Übel". Ob das anhalten würde, falls sie wieder an die Regierung kämen (wie in den Jahren 1997 bis 2002, an deren Ende sie ihrerseits durch die WählerInnen abgestraft wurden) sei dahingestellt. Mit 28,89 Prozent der Stimmen verbesserten die französischen "Sozialisten" ihr Ergebnis der vorigen Europaparlamentswahl um sieben Prozent.

Die französische KP erhielt dieses Mal 5,24 Prozent der Stimmen (1999 waren es noch 6,78 Prozent). Damit verliert sie mehrere Sitzen und erhält noch 2; im vorherigen EP waren es 6 Mandate. Nicht mehr im Europaparlament vertreten sein wird die französische radikale Linke, die bisher 5 Abgeordnete stellte, mit der Bündnisliste der trotzkistisch-undogmatischen LCR (Ligue communiste révolutionnaire) und der eher traditionalistischen LO (Arbeiterkampf). Die radikale Linke erhält dieses Mal 3,3 Prozent, gegenüber 5,2 Prozent im Juni 1999. Damit wurde sie mutmaßlich auch Opfer der Wahlrechts-Änderung durch die konservative Regierung Raffarin im März 2003, welche die größeren Parteien begünstigt, und der seit den Regionalparlamentswahlen vom März 03 anhaltenden, rosafarbenen Welle zugunsten des "kleineren Übels" auf der Linken.

Im Wahlkampf sprach die KP sich "für Europa, aber nicht dieses" aus. Sie machte vor allem gegen das Projekt einer EU-Verfassung Kampagne, da dieses die bestehende antisoziale Politik unionsweit festschreiben will ­ KP-Chefin Marie-George Buffet spricht von einer "neoliberalen Zwangsjacke". LO und LCR ihrerseits sprachen sich "für ein Europa ohne Grenzen zwischen den Bevölkerungen", statt freiem Kapitalfluss, aus. Sie forderten u.a. die Niederlassungsfreiheit für Einwanderer in allen Unionsländern und "soziale und demokratische Konvergenzkriterien, statt wirtschaftlicher Konvergenzdaten", die - im Falle ernsthafter Reformen, namentlich einer Anerkennung des armenischen Genozids durch Ankara - auch eine Integration der Türkei ermöglichen könnten. Da LO und LCR vermutlich in mehreren der 8 Wahlkreise knapp an der Drei-Prozent-Grenze, ab deren Überschreiten Parteien einen Anspruch auf Wahlkampfkosten-Rückerstattung haben, vorbeigeschlittert sind, dürfte ihr Wahlergebnis auch finanziell schmerzhaft ausfallen.

Editorische Anmerkungen:

 Bernhard Schmid lebt und arbeitet als Journalist und Jurist in Paris. Von ihm erscheint im Frühsommer 2004 im Unrast Verlag (Münster) das Buch: "Algerien ­ Frontstaat im globalen Krieg? Neoliberalismus, soziale Bewegungen und islamistische Ideologie in einem nordafrikanischen Land."

Der Autor schickte uns seinen Artikel in der aktualisierten  Fassung am 08.06.2004 mit der Bitte um Veröffentlichung. Eine deutlich gekürzte Fassung erschien in "Jungle World" vom 14. Juni 04.