Rezension
Heimat im Exil - Exil in der Heimat

von Max Brym

06/04

trend
onlinezeitung
Der Assoziation A Verlag brachte ein Buch von Ernesto Kroch unter dem Titel, "Heimat im Exil- Exil in der Heimat" heraus. Die Autobiographie des 1917 in Breslau geborenen, jüdisch linken "Weltbürgers" Kroch ist ein gelungenes Werk. Ernesto Krochs Lebensgeschichte ist durch ein doppeltes Exil geprägt. Als deutsch jüdischer Kommunist wurde Kroch von den Nazis verfolgt, Kroch floh vor der Verfolgung 1938 nach Lateinamerika. Als 1973 in Uruguay eine Militärdiktatur die Macht übernimmt, ist Kroch Anfang der achtziger Jahre gezwungen, den umgekehrten Fluchtweg zu wählen und Asyl in Deutschland zu suchen. Seit 1985 lebt Ernesto Kroch wieder in Montevideo und ist als engagierter Linker weiterhin in sozialen Basisorganisationen und im Umfeld des Linksbündnisses Frente Ampolio aktiv.

Lebendige Geschichte

Ernesto Kroch war in seiner Jugend viel mit den "Kameraden" des Jugendbundes unterwegs. In der freien Natur, auf großer Fahrt, versuchte damals in Deutschland die Jugend aus dem Mief und der Enge der spießigen Verhältnisse herauszukommen. Es gab sozialistische, katholische, jüdische und nationalistische Verbände in der Wanderbewegung. So sehr sich die Vereine inhaltlich unterschieden, die einen suchten nach Gott, die anderen nach Blut und Boden und wieder andere nach Naturerlebnis und Solidarität, so sehr waren bestimmte Formen der Bewegung gleich. Der Rucksack, die Fahne, das Lagerfeuer, das Abenteuer. Gerne erinnert sich Ernesto Kroch an diese Zeit. Ernesto Kroch gehörte einer deutsch jüdischen Wandergruppe an. Ab dem Jahr 1932 konnte der jüdische "Jugendbund Kameradschaft" die politische Enthaltsamkeit nicht mehr aufrechterhalten. Ein Teil der Mitglieder näherte sich zionistischen Organisationen an, ein anderer Teil versuchte sich durch besondere "Deutschtümelei" durchzuschlagen und der dritte Teil orientierte sich an der sozialistisch-kommunistischen Arbeiterbewegung. Ernesto Kroch arbeitete in der FDJJ (Freie Deutsch Jüdische Jugend) mit. Die FDJJ war von Stadt zu Stadt unterschiedlich, entweder mit der SPD, der KPD, der SAP oder KPO verbunden. In Breslau war die KPO (Kommunistische Partei Opposition) die Organisation, die Ernesto und seine Freunde am meisten anzog. Die KPD-O wandte sich unter Führung des ehemaligen KPD Vorsitzenden Heinrich Brandler und August Thalheimers gegen den ultralinken Kurs der KPD ab 1928. Die KPD-O lehnte die Politik der SPD grundsätzlich ab, dennoch schlug sie zur Abwehr des Faschismus eine taktische Einheitsfront zwischen SPD und KPD vor. Letzteres lehnte sowohl die SPD, als auch die KPD Führung ab. Hinlänglich bekannt sind die historischen Folgen der nicht zustande gekommenen Einheitsfront zwischen KPD und SPD gegen den Nazifaschismus. In den Memoiren von Kroch wird dargelegt, dass die organisierte deutsche Arbeiterbewegung durchaus Chancen gehabt hätte, durch gemeinsame Aktionen den Faschismus zu besiegen. Ernesto Kroch war ab 1932 Lehrling in einem Metallbetrieb und erinnert sich genau daran, wie die Arbeiter 1933 auf ein Signal zum Kampf gegen Hitler warteten. Der ADGB warnte jedoch vor "Abenteuern" und betonte, "dass Hitler legal zur Macht gekommen sei". Noch im März 1933 erlitt in Gesamtdeutschland die NSBO anläßlich der Vertrauensleutewahlen, in den Betrieben eine vernichtende Niederlage. Ernesto Kroch legt klar, dass der Sieg des Faschismus in Deutschland, vor allem auf das Versagen der Führungen der Arbeiterbewegung zurückzuführen war. Auch der sinnvolle Aufruf zum Generalstreik durch die KPD vom 30. Januar 1933 konnte daran nichts mehr ändern. Die KPD hatte sich mit ihrer "Sozialfaschismus Theorie" und ihrer linkssektiererischen Gewerkschaftspolitik (RGO-Aufbau eigener Gewerkschaften) in den Betrieben isoliert Ernesto Kroch war bis Ende 1934 im illegalen antifaschistischen Widerstand für die KPO tätig. Dann wurde der Widerstandskämpfer Ernesto Kroch von den Nazis geschnappt, bis zum Jahr 1937 war Ernesto Kroch zuerst im Gefängnis und anschließend im KZ- Lichtenberg inhaftiert.

In eine neue Welt

Im Jahr 1937 gelangte Ernesto Kroch über die Tschechoslowakei nach Jugoslawien. Dort versuchten ihn zionistische Organisationen für ein Leben in Palästina zu gewinnen. Darauf ließ sich Ernesto Kroch im Gegensatz zu seinem Bruder und seiner Schwester nicht ein. Ernesto Kroch mußte im Jahr 1938 Jugoslawien aufgrund des Druckes der dortigen Behörden verlassen. Als noch sehr junger Mensch, landete Kroch im selben Jahr in Uruguay. Kroch fand sich schnell mit dem Leben auf dem neuen Kontinent zurecht. Ihn faszinierte die Leichtigkeit des Seins in Montevideo, die völlig anders geartete Mentalität der Arbeiter. Von Vorteil war dabei seine Jugend, die bekanntlich mit Neugier und Antrieb verbunden ist. Die älteren Emigranten hingegen hingen mehr am alten Kontinent, ihren Verlusten und der deprimierenden Lebensbilanz. Kroch arbeitete bald wieder in einem Metallbetrieb, organisierte sich in der Gewerkschaft und traf die Emigranten in "Antifaschistischen Komitees". Mitglied der Kommunistischen Partei wurde Kroch nicht, deren damaligen Führer Gomez nennt er einen "Miniaturstalin" und auch gegenüber den gegebenen Verhältnissen in der Sowjetunion hatte Kroch seine Vorbehalte.

Uruguay

Uruguay galt lange Zeit als die Schweiz Lateinamerikas. Ein typisches Einwanderungsland mit einem breiten Mittelstand ermöglichte lange Zeit den "Luxus" der bürgerlichen Demokratie. Dennoch entwickelte sich das Land ökonomisch sehr einseitig. Wenige Agrarprodukte und Rohstoffe wurden exportiert. Industrielle Fertigprodukte hingegen importiert. Das Land geriet zunehmend in Abhängigkeit von den entwickelten kapitalistischen Metropolen, vermittelt durch die Preisschere zwischen Rohstoffpreisen und den Preisen für industrielle Fertigprodukte. Das Land sitzt seit den sechziger Jahren in der Schuldenfalle des IWF. Das ist verbunden mit sattsam bekannten Privatisierungen und fortgesetzter Abwertung des Geldes. Die Zeche dafür zahlten hauptsächlich die Arbeiter, aber auch Teile des Mittelstandes wurden ab den sechziger Jahren in den Ruin getrieben. Aus der Intelligenz entwickelten sich in den sechziger Jahren die Tupamaros, die mittels bewaffneter Aktionen die Verhältnisse ändern wollten. Kroch weißt darauf hin, dass dies im wesentlichen kleinbürgerlich verzweifelte Aktionen waren, die Scheitern mußten. Die Arbeiter und Volksbewegung in Uruguay entwickelte hingegen vielfältige Aktionen des sozialen und politischen Widerstandes. In den Volks-Komitees organisierten die Menschen Aktionen gegen Wohnungsnot und Mietpreiserhöhungen. Mehr Wohnraum und Lohnausgleich wurden in den sechziger Jahren in Uruguay teils erfolgreich erkämpft. An all den Aktionen war Ernesto Kroch als führendes Mitglied der Metallarbeitergewerkschaft und bestimmter Stadtteil-Komitees beteiligt. Im Jahr 1973 gab es in Uruguay einen Militärputsch, detailliert beschreibt Kroch die Hintergründe des Putsches und die Verwicklung der USA in die Angelegenheit. Kroch beschreibt die Militärjunta zwischen 1973 und 1983 als improvisierte Brutalität. Improvisiert aufgrund der Schlampigkeit der Behörden (der CIA versuchte den Terror zu systematisieren) und der fehlenden Unterstützung in der Bevölkerung. Viele konnten vor einer Verhaftung gewarnt werden, die Solidarität der Arbeiter wurde nicht gebrochen.

Exil in der Heimat

Dennoch mußte Ernesto Kroch zu Beginn der achtziger Jahre aus dem Land flüchten. Er ging als politischer Flüchtling nach Deutschland. Diese Entscheidung viel Ernesto Kroch aus zwei Gründen nicht schwer: 1. Er hatte sich immer eine tiefe Liebe zu Deutschland, dem Land seiner Jugend bewahrt. 2. Stets unterschied Kroch zwischen den Nazis und dem deutschen Widerstand. Ihm war bewußt, dass es auch in den dreißiger und vierziger Jahren nicht nur Naziverbrecher ( die seine Eltern töteten) in Deutschland gegeben hat. Daneben gab es den kommunistischen und sozialdemokratischen Widerstand, aber auch die Weiße Rose, die Bekennende Kirche und den Kreis um Graf Stauffenberg. Kroch hält nichts von der Kollektivschuldthese, im Gegenteil, er ist der Meinung, dass diese These den wirklichen Nazis am meisten hilft, "denn wenn alle gleichermaßen Schuld sind, ist am Ende keiner mehr Schuld". Bis 1985 lebte Ernesto Kroch in Deutschland, die Solidaritätsarbeit für politische Gefangene in Uruguay war ihm dabei ein besonderes Anliegen. Im Jahr 1985 kehrte Ernesto Kroch nach Uruguay zurück.

Ein schreibender Arbeiter

Das Buch von Ernesto Kroch ist eine politische Zeitreise über zwei Kontinente hinweg und eine Reise in das Innenleben der klassischen Arbeiterbewegung. Ernesto Kroch ist ein gebildeter jüdischer Autodiktat. Neben den politischen Erfahrungen des Autors, erfährt der Leser viel über privates, dass sehr politisch sein kann. Selbstkritisch beschreibt der Autor das Scheitern seiner ersten Ehe aufgrund seiner zeitraubenden politischen Aktivität. Eine Erfahrung die öfter bestätigt werden kann. Der Autor akzeptiert und unterstützt das Existenzrecht Israels. Allerdings meint er, nach einigen Besuchen bei Verwandten in Israel festgestellt zu haben: "Weite Teile der Gesellschaft sind nationalistisch, viele in Israel können sich nicht mit dem Elend anderer identifizieren". Ernesto Kroch ist den Idealen seiner Jugend treu geblieben, er hält den Untergang dessen, was sich sozialistisch nannte, nicht für das Ende der Geschichte. Kroch ist davon überzeugt, dass sich die Menschheit bei Strafe des eigenen Unterganges, den Kapitalismus auf Dauer nicht leisten können wird.
 

Editorische Anmerkungen:

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 31.5.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.