Die Linke und der Charme des starken Staates
Notizen zu einer aktuellen Debatte

von Peter Nowak

06/04

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In Zeiten der Terrorangst spielen Menschenrechte oft keine Rolle. Um das zu wissen, brauchen wir wahrlich keine Folterbilder aus Guantanamo oder Abu Ghraib. Wir können in Deutschland bleiben. Das merken wir aktuell wieder bei der gegenwärtige Debatte um das neue Zuwanderungsgesetz, das nach den Willen von CDU/CSU und Bundesinnenminister Schily in erster Linie ein AusländerInnenverhinderungsgesetz werden soll.

Doch auch mancher gestandene Liberale und sogar Linke liebäugelt nun mit dem starken Staat. Da denunzierte der Publizist Henrik M. Broder, der sich bisher im Kampf gegen den Antisemitismus zweifellos publizistische Verdienste erworben hat, vor einigen Wochen in der Jüdischen Allgemeinen die Menschenrechtsorganisation Amnestie International in Amnesie International, weil deren Sprecher in der Tageszeitung (taz) vor der Einschränkung der Grundrechte im Zeichen der Terroristenhysterie warnte. Der AI-Sprecher erinnerte an einige Basis, die mal zu den Grundlagen jedes echtes Liberalen gehörte, z.B. die, das wesentlich mehr Menschen bei Verkehrsunfällen oder durch falsche Ernährung als durch Terroranschläge von welcher Seite auch immer  ums Leben kommen.

Niemand aber komme deswegen auf die Idee, das Autofahren oder den Verzehr cholesterinhaltiger Nahrung zu verbieten. Broder aber erklärt offen, dass er angesichts der Anschläge von Madrid und USA solche Sicherheitsgesetze benötige sehr wohl begrüße. Die Frage, die er in dem Artikel aber nicht stellt, müßte lauten, wieso Anschläge von welcher Seite auch immer, durch den Abbau von Freiheitsrechten verhindert werden sollen. "Freiheit stirbt mit Sicherheit", diese alte Parole der Linken und Liberalen aus dem Deutschen Herbst scheint völlig vergessen. Nachträglich werden die Positionen der damals bekämpften Law and Order-PoliikerInnen aller Parteien übernommen.   

Gerade die Verfolgung von Jüdinnen und Juden ging historisch gerade in Deutschland immer von denjenigen aus, die einen starken Staat propagieren. Auch diesen Zusammenhang vernachlässigt Broder völlig.

Die Jungle Word diskutiert...

Aber nicht nur Liberale - auch Linke - scheinen in Zeiten der Terroristenangst den Charme des starken Staates manchmal zu erliegen.  Vor einigen Wochen wurden in einer der größten Repressionswellen in der Türkei und verschiedenen europäischen Länder zahlreiche Linke und MenschenrechtlerInnen festgenommen. Unter Anderem sind Musiker der bekannten türkischen Band Yorum und ein bekannter Menschenrechtsanwalt, sowie linken JournalistInnen und Angehörige von Gefangenen unter den Festgenommenen.

Die türkischen Repressionsorgane triumphieren. Endlich habe sich auch Länder wie die Niederlande und Belgien den Terrorismusbegriff der Türkei übernommen. Mit Deutschland hatten die Machthaber am Bosporus sowieso  keine Probleme. Es hat schon immer innerhalb Europas die türkische Repressionspolitik in Europa am besten exekutiert. Das war beim Verbot der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) vor 20 Jahren  nicht anders als bei der Verfolgung der linken DHKP/C (Revolutionäre Volksbefreiungsfront/Partei). Das hatte zur Folge, dass AktivistInnen, die teilweise Jahrzehnte in türkischen Gefängnissen gefoltert worden waren, die große gesundheitliche Schäden davon getragen hatten, abermals vor deutschen Gerichten standen, in Hochsicherheitstrakten isoliert wurden. Das wäre doch ein wichtiges Thema für all diejenigen, die gegen die vielzitierten deutschen Verhältnisse agitieren. Doch nicht so in der Jungle World. Die linke Wochenzeitung überschrieb eine erste Nachricht über die europaweite Repression in der Ausgabe 16/2004 mit der Überschrift "Terrorunterstützer eingesperrt". Das Blatt übernahm damit eine Sprachregelung, die Linke und Liberale bei den konservativen Medien immer kritisiert haben. Sie nehmen die Vorwürfe der staatlichen Repressionsorgane als Wahrheit. Der einfachste liberale Grundsatz fällt da weg, dass Festgenommene als unschuldig zu gelten haben, solange sie nicht rechtskräftig verurteilt wurden. Doch nicht einmal das Wort ‚mutmaßlich' wurde zur Relativierung der Vorwürfe in dem linken Blatt eingefügt.

Das es kein Ausrutscher war, zeigte sich eine Woche später. Da holte Ivo Bozic in einem Artikel unter der Überschrift "Jihad als Bewegung" zum großen Rundumschlag aus. Die Unterüberschrift lautet: "Jüngst wurden Unterstützer des irakischen Terrors verhaftet. Spekulationen über Verbindungen zwischen linken Antiimperialisten, der ETA und Al-Quaida machen die Runde". Hier wird also nicht nur wieder einmal eine Beschuldigung zur Tatsache erklärt. Eine angebliche Kooperation zwischen ETA und Al Quaida hat selbst die Aznar-Regierung nach den Anschlägen von Madrid nicht behauptet.

Genau so polemisch ist die Formulierung von den "Unterstützern des irakischen Terrors". Gemeint hat Ivo Bozic damit die Unterstützer der Kampagne "10 Euro für den irakischen Widerstand". Politische Kritik an dieser Kampagne ist nicht nur legitim sondern auch notwendig. Bozic hat das in der Vergangenheit schon ausführlich getan. Doch muss sich auch harte politische Kritik von jeder Befürwortung von politische Repression abgrenzen. Genau diese Trennschärfe lässt Bozic in dem Beitrag vermissen. So schreibt er über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen einen Aktivisten des Heidelberger Friedensforums, der sich öffentlich zur Spende für den irakischen Widerstand bekannte: "Die Heidelberger Staatsanwaltschaft mühte sich offenbar nicht mit aufwendigen Ermittlungen, sondern surfte auf der Website des Heidelberger Friedensforums".

Weiter unten heißt es dann im Text: "Sollte die europäische Offensive gegen die Irakische Patriotische Allianz der DHKP/C und der italienischen AIK auch in Deutschland und Österreich Fuß fassen, müssten sich über 274 Menschen ernsthafte Sorgen machen, die sich öffentlich zu ihrer 10-Euro-Spende bekannt haben". Jeder Liberale und Linke müsste sich dann Sorgen um den Zustand der Menschenrechte machen und gegen die staatliche Repression aktiv werden, auch wenn ihm die politischen Ansichten der Verfolgten so überhaupt nicht passen. 

Aber Bozic Prämisse ist schon im Ansatz falsch. Die Repressionswelle erfolgte nicht wegen der Unterstützung eines irakischen Widerstands sondern ist ein koordinierter und lange geplanter Schlag gegen die DHKP/C, gegen die Angehörigenorganisation Tayad und weitere linke Organisationen. Die Irakpolitik spielt dabei überhaupt keine Rolle, wohl aber Aktivitäten gegen Isolationsfolter, gegen die soziale Verelendung und die militaristische Außenpolitik der Türkei. Vor dem Natogipfel in der Türkei Ende Juni 2004 will die türkische Regierung die Opposition ausschalten. Allerdings ist Bozics Irrtum in dieser Frage nachvollziehbar. In Italien wurden bei  der Repressionswelle auch einige AktivistInnen der Antiimperialistischen Koordination (AIK) festgenommen, die die '10-Euro-Kampagne' wesentlich initiierte. Allerdings waren die Festnahmegründe auch hier nicht die Iraksolidarität  sondern Unterstützung der DHKP/C. Diese Personen wurden im Gegensatz zu  den türkischen Linken mittlerweile auch wieder frei gelassen. Während von der türkischen Linken bisher wenig Pressearbeit gemacht wurde, hat die AIK in mehreren Presseerklärungen den Zusammenhang zu der 10-Euro-Kampagne auch selbst hergestellt. Damit wurde sicher nicht nur Bozic der falsche Eindruck erweckt, diese Kampagne ist Gegenstand der Repression.         

Die DHKP/C hat sich in ihrem Kampf in der Türkei immer von islamistischen Gruppen abgegrenzt und sich ganz eindeutig als Teil der säkularen nichtkemalistischen Linken  verstanden und die einheimischen Islamisten als Teil der staatlichen Konterrevolution bekämpft. Wenn sie überhaupt religiöse Bezüge hat, dann stammen sie aus dem liberalen alevitischen Milieu der Türkei, dass von den Islamisten, Faschisten und Konservativen immer besonderer Repression ausgesetzt war und ist.

In einem Beitrag auf der Jungle-World-Disko-Seite eine Woche später wird Bozics Anliegen dann verständlicher. Es geht ihn um eine Debatte über die Frage, mit welchen Widerstand Linke heute noch solidarisch sein können. Können sich islamistische Selbstmordattentäter auf den gleichen Widerstandsbegriff berufen, wie einst die Guerillagruppen, die in der Tradition von Che Guevara standen. Diese Debatte ist längst überfällig und erfreulich. Doch sie sollte so formuliert sich, dass sich auch nicht die klammheimlichste Freude für staatliche Repression herauslesen lässt. Nun muss man Ivo Bozic zu Gute halten, dass er immer gegen den starken Staat aufgetreten und Law and Order Politiker aufgetreten ist. Er will bestimmt nicht zu einer Kriminalisierung und zum Einschreiten der Polizei aufrufen, auch wenn seine Formulierungen, dass nicht so eindeutig ausschließen. Die weiteren Disko-Beiträge der Jungle World zu diesem Thema haben teilweise auch den Unterschied zwischen radikaler Kritik an bestimmten Teilen der Linken und einer mehr oder weniger offenen Befürwortung von staatlicher Repression dankenswerterweise deutlicher heraus gestellt. 

Was ist mit der Forderung "Kein Appeasement..." gemeint?

Doch es gibt Fraktionen in der Linken, die schon eher dem Charme des starken Staates erliegen könnten. Auch deshalb ist eine genaue Wortwahl so wichtig. Da wird in bestimmten Aufrufen aus dem neo-antideutschen Spektrum häufig die Parole "Kein Appeasement gegenüber der Barbarei!" zu lesen, so beispielsweise im Aufruf  der Autonomen Antifa Nordost (AANO) zu den von ihr initiieren Aktivitäten zum D-Day (http://www.linkeseite.de/index1791.htm ).

Wie aus dem Text hervorgeht, soll mit der Parole die Zusammenarbeit der deutschen Außenpolitik mit Gruppen aus dem islamistischen Umfeld im Nahen Ost angeprangert werden. Doch die Parole "Kein Appeasement.." meint eben nicht einfach die Forderung nach Einstellung der Zusammenarbeit mit bestimmten Gruppen. Die Anti-Apartheid-GegnerInnen haben in den 80er Jahren nie gefordert "Kein Appeasement mit Südafrika" sondern eben keine Zusammenarbeit oder Kollaboration. Denn das Gegenteil von Appeasement ist eben nicht die Nichtzusammenarbeit sondern die aktive Bekämpfung. Das wird auch aus dem historischen Kontext des Appeasement-Begriffs deutlich.

Damit wurde die Haltung der westlichen Bourgeoisien in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gegenüber dem Hitlerregime kritisiert. Höhepunkt dieser Appeasement-Politik war das Münchner Abkommen, mit dem Hitlerdeutschland mit Unterstützung von Frankreich und Großbritannien die souveräne Republik Tschechoslowakei zerschlugen. Das Gegenteil war natürlich richtigerweise nicht ein Raushalten aus dem Konflikt sondern eine eindeutige Positionierung auf Seiten der HiltergegnerInnen. Konkret wäre es z.B. um einen militärischen Beistandspakt mit der  vom Hitlerregime und seinen fünften Kolonnen, den deutschen Minderheiten, bedrohten tschechischen Republik gegangen.

Was heißt also die Wiederaufnahme dieser Parole in den neo-antideutschen Kreisen?

Eigentlich nur die Forderung an den Staat, sich nicht nur jeder Zusammenarbeit mit den islamistischen Gruppen zu enthalten, sondern diese zu bekämpfen und sich eindeutig auf der Seite ihrer GegnerInnen zu positionieren. Das würde eigentlich auch konsequenterweise eine Beteiligung an der von der USA angeführten Kriegskoalition ebenso einschließen wie eine Verfolgung von MigrantInnengruppen mit islamistischen Hintergrund in Deutschland.  Da die meisten der neo-antideutschen Gruppen Israel in einer bedrohten Lage wie die tschechische Republik Ende der 30er Jahre sehen, wäre dieser Ansatz für sie auch konsequent. Im AANO-Aufruf ist diese Forderung indirekt auch zu finden:  

 "Wenn heute eine postnationalsozialistische, islamistische Bewegung das Projekt der globalen Judenvernichtung wieder aufnimmt, dann heißt die deutsche Reaktion darauf Appeasement und Denunziation derjenigen als Kriegstreiber, die die Bedingungen der Möglichkeit einer umfassenden Emanzipation gegen die Barbarei verteidigen". Letztere sind nach der Lesart der AufruferInnen die  USA und ihre UnterstützerInnen hier.  Damit brechen sie allerdings mit der ursprünglichen antideutschen Politik, die kurz und knapp zusammengefaßt hieß: "Deutschland halt's Maul". Deutschland sollte daran gehindert werden, irgendwo auf der Welt machtpolitisch wieder  mitzuspielen. Die Parole  "Deutschland halt`s Maul kann so als die gemeinsame Grundlage der Altantideutschen verstanden werden.  Die Parole "Kein Appeasement" spiegelt so auch die Wandlungen im antideutschen Sektor, hin von einer radikalen Negation der Verhältnisse hin zu einer Politik des realpolitischen Mitmachens. Da ist dann der Schulterschluss bis zur Springerpresse nicht mehr weit, wie er zwar bisher nicht von der AANO aber von der Bahamas-Gruppe in den letzten Monaten offensiv  vertreten wird. Dort ist dann allerdings auch nur noch die Verteidigung Israels und nicht der Kampf gegen den Antisemitismus der gemeinsame Nenner. Dass mensch in Deutschland ein glühender Antisemit und ein ebenso glühender Israel-Verteidiger sein konnte, wußte die damalige Konket-Publizistin Ulrike Meinhof schon  in den 60er Jahren. Die Bahamas und es ist befürchten, manche weiteren neo-antideutschen Gruppen hingegen wollen davon nichts mehr wissen.      

Editorische Anmerkungen:

Der Autor stellte uns diesen Artikel am 31.5.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Peter Nowak schreibt für verschiedene linke Zeitungen.