Marxistische Arbeiterschulung
Kursus Politische Ökonomie
06/04

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I. Kapital und Mehrwert

In seiner Bewegung tritt das Kapital als Geld auf. Ohne Geld zu haben, kann sich der Kapitalist keine Produktionsmittel verschaffen und keine Arbeiter einstellen. Nicht jedes Geld ist Kapital, — z. B. wenn der Arbeiter Lebensmittel kauft, ist sein Geld, das er dazu verwendet, kein Kapital für ihn. Dagegen wird dieses Geld sofort zu Kapital, wenn es in die Hände des Kapitalisten kommt, bei dem der Arbeiter seine Lebensmittel kaufte. Das Geld wird zu Kapital, wenn es angewendet wird, um eine größere Geldsumme zu erhalten, um Profit zu bekommen. Nicht jedes Geld ist also Kapital, aber jedes Kapital muß in seiner Bewegung, in seinem Kreislauf als Geld auftreten. Wir müssen also zunächst untersuchen, wie sich das Geld in Kapital verwandelt, wie es die wunderbare Eigenschaft besitzt, sich in eine größere Geldsumme zu verwandeln, ohne das Gesetz des Warenaustausches, das Wertgesetz zu verletzen.

1. Die Verwandlung von Geld in Kapital

„Der einfache Warenbesitzer verkauft, um zu kaufen; er verkauft, was er nicht braucht, und kauft mit dem erhandelten Gelde das, was er braucht. Der angehende Kapitalist kauft von vornherein das, was er nicht selbst braucht; er kauft, um zu verkaufen, und zwar teurer zu verkaufen, um den ursprünglich in das Kaufgeschäft geworfenen Geldwert zurückzuerhalten, vermehrt durch einen Zuwachs an Geld, und diesen Zuwachs nennt Marx Mehrwert.

Woher stammt dieser Mehrwert? Er kann weder daher stammen, daß der Käufer die Waren unter dem Wert kaufte, noch daher, daß der Verkäufer sie über dem Wert verkaufte. Denn in beiden Fällen gleichen sich die Gewinne und Verluste jedes einzelnen gegenseitig aus, da jeder abwechselnd Käufer und Verkäufer ist. Es kann auch nicht aus Prellerei stammen, denn die Prellerei kann zwar den einen auf Kosten des anderen bereichern, nicht aber die von beiden besessene Gesamtsumme, also auch nicht die Summe der zirkulierenden Werte überhaupt vermehren. ,Die Gesamtheit der Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst übervorteilen.'

Und doch finden wir, daß die Gesamtheit der Kapitalistenklasse jedes Landes sich fortwährend vor unsern Augen bereichert, indem sie teurer verkauft, als sie eingekauft hatte, indem sie sich Mehrwert aneignet. Wir sind also so weit wie am Anfang: Woher stammt dieser Mehrwert? Diese Frage gilt es zu lösen, und zwar auf rein ökonomischem Wege, unter Ausschluß aller Prellerei, aller Einmischung irgendwelcher Gewalt — die Frage: Wie ist es möglich, fortwährend teurer zu verkaufen, als man eingekauft hat, selbst unter der Voraussetzung, daß fortwährend gleiche Werte ausgetauscht werden gegen gleiche Werte?" (Engels, „Anti-Dühring", S. 215 f.)

In der Warenzirkulation, d. h. im Kauf und Verkauf der Ware kann also der Mehrwert nicht entstehen. Der Wert des Geldes und der Wert der Ware können nicht von sich aus wachsen, denn wir wissen, daß die einzige Quelle des Wertes die Arbeit ist. Die Ware besitzt Wert und Gebrauchswert. Wenn aber der Wert der Ware keine Quelle des Wertes sein kann, d. h. keinen neuen Wert schaffen kann, kann es nicht vielleicht eine Ware geben, deren Gebrauchswert, d. h. deren Verbrauch, Wertquelle sein kann? Es gibt eine solche Ware, das ist die Arbeitskraft.

„Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermögen verstehen wir den Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, so oft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert." („Kapital", Bd. I, Volksausgabe, S. 123; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 128.)

„Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er anderseits andere Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen." („Kapital", Bd. I; Volksausgabe, Bd. I, S. 125; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 129.)

Wie die menschliche Arbeitskraft in eine Ware verwandelt worden ist, wissen wir schon — dies geschah (und geschieht) durch die Enteignung des unmittelbaren Produzenten. Wir haben nun die Eigenschaften der Arbeitskraft als Ware zu betrachten. Wie jede andere Waren muß auch diese eigenartige Ware Wert und Gebrauchswert haben. Sehen wir zunächst, worin der Wert der Arbeitskraft als Ware besteht.

Die Arbeitskraft des Menschen ist nicht der Mensch selbst, sie ist die Eigenschaft des Menschen, sein Arbeitsvermögen, oder, wie Marx sagt, „die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums". Diese Anlage hat als Voraussetzung die Existenz des Individuums selbst. Wenn wir also vom Wert der Arbeitskraft sprechen, sprechen wir also nicht vom Werte des Menschen, sondern eben vom Werte dieser seiner Anlage, der Arbeitskraft.

„Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses besonderen Artikels notwen­dige Arbeitszeit. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eigenen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft verwirklicht sich jedoch nur durch ihre Aeußerung, betätigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Betätigung, die Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn usw. verausgabt, das wieder ersetzt werden muß. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine vermehrte Ein­nahme. Wenn der Eigentümer der Arbeitskraft heute gearbeitet hat, muß er denselben Prozeß morgen unter denselben Bedingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebensmittel muß also hinreichen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszu­stand zu erhalten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind verschieden, je nach den klimatischen und ändern natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Anderseits ist der Umfang sogenannter notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andern auch wesentlich davon ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse der freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den ändern Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnittsumkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.

Die Eigentümer der Arbeitskraft sind sterblich. Soll man trotzdem solche Eigen­tümer immer wieder auf dem Markt vorfinden, wie es durch die immer wieder erneute Verwandlung von Geld in Kapital erheischt wird, so müssen die Verkäufer der Arbeitskraft sich verewigen, ,wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung'. Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeits­kräfte müssen nun allermindestens durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte be­ständig ersetzt werden. Die .Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, das heißt der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Rasse eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkte verewigt.

Um die allgemein menschliche Natur so zu gestalten, daß sie Geschick und Fertig­keit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und eigenartige Arbeits­kraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von Warenäquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten verschieden. Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhnliche Arbeitskraft, gehen also ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werte." („Kapital", Volksausgabe, Bd. I, S. 126 ff.; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 131 ff.)
 

Der Wert der Ware Arbeitskraft wird also bestimmt durch den Wert der zu ihrer Wiederherstellung notwendigen Lebensmittel. Die gesellschaftlich-notwendige Arbeitszeit für die Produktion dieser Lebensmittel bestimmt also den Wert der Arbeitskraft. Betrachten wir nun, worin der Gebrauchswert der Arbeitskraft besteht. Der Gebrauchswert einer Ware ist ihre Nützlichkeit. Die Nützlichkeit der Arbeitskraft, des Arbeitsvermögens kann in nichts anderem bestehen, als in der Arbeit selbst, in der Produktion von Waren. Die Arbeitskraft wird verbraucht, indem der Arbeiter arbeitet, d. h. dadurch, daß sie in Bewegung gesetzt wird. Die Arbeit macht also den Gebrauchswert der Arbeitskraft aus. Die Arbeit ist aber Quelle von Wert, deshalb ist die Arbeitskraft diejenige Ware, deren Verbrauch, oder deren Gebrauchswert Wertquelle ist. Mit dem Kauf der Arbeitskraft verwandelt also der Kapitalist sein Geld in Kapital, er kauft eine Ware, deren Verbrauch ihm mehr Wert abwirft. Das geschieht nicht im Zirkulations-, sondern im Arbeitsprozeß.

„Alle zu diesem Prozeß nötigen Dinge, wie Rohmaterial usw., kauft der Geldbesitzer auf dem Warenmarkt und zahlt sie zum vollen Preis. Der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft ist zugleich der Produktionsprozeß von Ware und von Mehrwert. Die Konsumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion jeder ändern Ware, vollzieht sich außerhalb des Marktes oder der Zirkulationssphäre. Diese geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und aller Augen zugängliche Sphäre verlassen wir daher, zusammen mit dem Besitzer des Geldes und dem Besitzer der Arbeitskraft, um beiden nachzufolgen in die verborgene Stätte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht: Der Eintritt ist nur den hier Beschäftigten gestattet. Hier wird sich zeigen, nicht nur wie das Kapital produziert, sondern auch wie man es selbst produziert, das Kapital. Das Geheimnis der Plusmacherei (der Gewinnung von mehr Geld) muß sich endlich enthüllen." („Kapital", Volksausgabe, Bd. I, S. 131; Kröners Ausgabe, S. 136.)

2. Die Produktion des Mehrwerts

Der Arbeiter verkauft dem Kapitalisten seine Arbeitskraft und erhält ihren Wert, eine gewisse Geldsumme, die den Wert seiner Lebensmittel darstellt. Damit hört aber der Gebrauchswert der Arbeitskraft auf, dem Arbeiter zu gehören. Dieser Gebrauchswert gehört nun dem Kapitalisten. Der Kapitalist verbraucht die Arbeitskraft, nützt ihren Gebrauchswert aus, indem er den Arbeiter arbeiten läßt, indem er aus ihm, dem Kapitalisten, gehörenden Rohstoffen und mit ihm gehörenden Maschinen Waren produzieren läßt. Das von dem Arbeiter hergestellte Produkt gehört auch nicht dem Arbeiter, sondern dem Kapitalisten, der dieses Produkt auf dem Markte zu seinem Werte verkauft. Der Kapitalist hat sein Geld in eine bestimmte Menge Waren von gleichem Wert verwandelt (Arbeitskraft, Maschinen, Rohstoffe) und am Ende des Produktionsprozesses hat er wieder eine Menge Waren (aber schon anderer Waren), die er in Geld (aber mehr Geld) verwandelt, wobei er diese Waren zu ihrem Wert verkauft. Die Wertveränderung, das Wachstum des vorgeschossenen Wertes geht vor sich im Produktionsprozeß. Um zu verstehen, wie das geschieht, müssen wir also untersuchen, wie sich der Wert der hergestellten Waren bildet.

Wir wissen, daß der Wert jeder Ware bestimmt ist durch das Quantum der in ihrem Gebrauchswert materialisierten* Arbeit, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Dies gilt auch für das Produkt, das sich unserm Kapitalisten als Resultat des Arbeitsprozesses ergab. Es ist also zunächst die in diesem Produkt vergegenständlichte Arbeit zu berechnen. Es sei zum Beispiel Garn. Zur Herstellung des Garnes war zuerst sein Rohmaterial nötig, zum Beispiel 10 Pfund Baumwolle. Was der Wert der Baumwolle, ist nicht erst zu untersuchen, denn der Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem Wert, zum Beispiel zu 10 Schil­ling gekauft. In dem Preise der Baumwolle ist die zu ihrer Produktion erheischte Arbeit schon als allgemein gesellschaftliche Arbeit dargestellt. Wir wollen ferner annehmen, daß die in der Verarbeitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle ändern aufgewandten Arbeitsmittel repräsentiert, einen Wert von 2 Schilling besitzt. Ist eine Goldmasse von 12 Schilling das Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen, so folgt zunächst, daß im Garn zwei Arbeitstage vergegen­ständlicht sind."
(„Kapital", Bd. I, S. 142; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 148.)

„Es handelt sich also nun um den "Wertteil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle zusetzt... "Während des Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit beständig aus der Form der Unruhe in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenständlich­keit um. Am Ende einer Stunde ist die Spinnbewegung in einem gewissen Quantum Garn dargestellt, also ein bestimmtes Quantum Arbeit, eine Arbeitsstunde, in der Baumwolle vergegenständlicht. "Wir sagen Arbeitsstunde, das heißt die Verausgabung der Arbeitskraft des Spinners während einer Stunde, denn die Spinnarbeit gilt hier nur, soweit sie Verausgabung von Arbeitskraft, nicht soweit sie die spezifische Arbeit des Spinnens ist... Das Rohmaterial gilt hier nur als Aufsauger eines bestimmten Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung verwandelt es sich in der Tat in Garn, weil die Arbeitskraft in der Form der Spinnerei verausgabt und ihm zugesetzt wurde. Aber das Produkt, das Garn, ist jetzt nur noch Gradmesser der von der Baumwolle einge­saugten Arbeit. "Wird in einer Stunde 1 2/3 Pfund Baumwolle versponnen oder in 1 2/3 Pfund Garn verwandelt, so zeigen 10 Pfund Garn sechs eingesaugte Arbeits­stunden an. Bestimmte und erfahrungsmäßig festgestellte Quanta Produkt stellen jetzt nichts dar als bestimmte Quanta Arbeit, bestimmte Masse festgeronnener Arbeits­zeit. Sie sind nur noch Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden, einem Tag gesellschaftlicher Arbeit...

Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, daß ihr Tageswert gleich sei 3 Schilling, und in den letzteren sechs Arbeitsstunden verkörpert sind, dies Arbeitsquantum also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der täglichen Lebensmittel des Arbeiters zu produzieren. Verwandelt unser Spinner nun während einer Arbeitsstunde 1 2/3 Pfund Baumwolle in 1 2/3 Pfund Garn, so in sechs Stunden 10 Pfund Baumwolle in 10 Pfund Garn. "Während der Dauer des Spinnprozesses saugt die Baumwolle also sechs Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 Schilling dar. Der Baumwolle wird also durch das Spinnen selbst ein Wert von 3 Schilling zugesetzt. Sehen wir uns nun den Gesamtwert des Produkts, der 10 Pfund Garn, an. In ihnen sind 2 1/2 Arbeitstage vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, 1/2 Tag Arbeit eingesaugt während des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von 15 Schilling dar. Der dem "Wert der 10 Pfund Garn entsprechende Preis beträgt also 15 Schilling, der Preis eines Pfund Garn l Schilling 6 Pence.

Unser Kapitalist stutzt. Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorge­schossenen Kapitals. Der vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital verwandelt. Der Preis der 10 Pfund Garn ist 15 Schilling und 15 Schilling wurden verausgabt auf dem Waren­markt für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe ist, die Faktoren des Arbeitsprozesses: 10 Schilling für Baumwolle, 2 Schilling für die verzehrte Spindelmasse und 3 Schilling für Arbeitskraft. Der aufgeschwollene Wert des Garns hilft nichts, denn sein Wert ist nur die Summe der früher auf Baumwolle, Spindel und Arbeitskraft verteilten Werte, und aus seiner solchen bloßen Addition vorhan­dener Werte kann nun und nimmermehr ein Mehrwert entspringen. Diese Werte sind jetzt alle auf ein Ding konzentriert, aber so waren sie in der Geldsumme von 15 Schilling, bevor diese sich durch drei Warenkäufe zersplitterte."
(„Kapital", Volksausgabe, Bd. I, S. 14411.; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 150 ff.)

„Sehen wir näher zu. Der Tageswert der Arbeitskraft betrug 3 Schilling, weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag vergegenständlicht ist, das heißt, weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nötigen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten. Aber die vergangene Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Veraus­gabung, sind zwei ganz verschiedene Größen. Die erstere bestimmt ihren Tausch­wert, die andere bildet ihren Gebrauchswert. Daß ein halber Arbeitstag nötig, um ihn während 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre Verwertung im Arbeitsprozeß sind also zwei verschiedene Größen. Diese Wertdifferenz hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Ihre nützliche Eigenschaft, Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine unerläßliche Bedingung, weil Arbeit in nützlicher Form verausgabt werden muß, um Wert zu bilden. Was aber entschied, war der besondere Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert, als sie selbst hat. Dies ist der besondere Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfährt dabei den ewigen Gesetzen des Warenaustausches gemäß. In der Tat, der Verkäufer der Arbeitskraft, wie der Verkäufer jeder ändern Ware, realisiert* ihren Tauschwert und veräußert ihren Gebrauchswert. Er kann den einen nicht erhalten, ohne den anderen wegzugeben. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehört ebensowenig ihrem Verkäufer, wie der Ge­brauchswert des verkauften Oels dem Oelhändler. Der Geldbesitzer hat den Tages­wert der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehört daher ihr Gebrauch während des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, daß die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tages schafft, doppelt so groß ist als ihr eigener Tageswert, ist ein besonderes Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.

Unser Kapitalist hat den Kasus, der ihn lachen macht, vorgesehen. Der Arbeiter findet daher in der Werkstätte die nötigen Produktionsmittel nicht nur für einen sechsstündigen, sondern für einen zwölfstündigen Arbeitsprozeß. Saugten 10 Pfund Baumwolle sechs Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in 10 Pfund Garn, so werden 20 Pfund Baumwolle 12 Arbeitsstunden einsangen und in 20 Pfund Garn verwandelt. Betrachten wir das Produkt des verlängerten Arbeitsprozesses. In den 20 Pfund Garn sind jetzt fünf Arbeitstage vergegenständlicht, vier in der verzehrten Baumwoll- und Spindelmasse, einer von der Baumwolle eingesaugt während des Spinnprozesses. Der Goldausdruck von fünf Arbeitstagen ist aber 30 Schilling oder l Pfund Sterling und 10 Schilling. Dies also der Preis der 20 Pfund Garn. Das Pfund Garn kostet nach wie vor l Schilling 6 Pence. Aber die Wertsumme der in den Prozeß geworfenen Waren betrug 27 Schilling. Der Wert des Garns beträgt 30 Schilling. Der Wert des Produkts ist um 1/9 gewachsen über den zu seiner Produktion vorgeschossenen Wert. So haben sich 27 Schilling in 30 Schilling ver­wandelt. Sie haben einen Mehrwert von 3 Schilling gesetzt. Das Kunststück ist endlich gelungen, Geld ist in Kapital verwandelt.

Alle Bedingungen des Problems sind gelöst und die Gesetze des Warenaustausches in keiner Weise verletzt. Aequivalent wurde gegen Aequivalent ausgetauscht. Der Kapitalist zahlte als Käufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er tat dann, was jeder andere Käufer von Waren tut. Er konsumierte ihren Gebrauchswert. Der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft, der zugleich Produktionsprozeß der Ware, ergab ein Produkt von 20 Pfund Garn mit einem Wert von 30 Schilling. Der Kapitalist kehrt nun zum Markt zurück und verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das Pfund Garn zu l Schilling 6 Pence, keinen Deut über oder unter seinem Wert. Und doch zieht er 3 Schilling mehr aus der Zirkulation heraus, als er ursprünglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Ver­lauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den Verwertungsprozeß ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt. Und so ist alles aufs beste bestellt in der besten aller möglichen Welten."
(„Kapital", Bd. I, S. 148 f.; Kröners Ausgabe, Bd. I, S. 155 ff.)

Aus der Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses ergibt sich folgende Definition des Mehrwerts: der Mehrwert ist der Wert, den der Lohnarbeiter über den Wert seiner Arbeitskraft hinaus erzeugt. Oder: der Mehrwert ist die Differenz zwischen dem von dem Lohnarbeiter während des Arbeitstages erzeugten Wert und dem Werte seiner Arbeitskraft.

Wir sehen also, wie Marx die Verwandlung von Geld in Kapital und die Bildung des Mehrwerts nicht als Verletzung, sondern als Weiterentwicklung des Wertes erklärt. Selbstverständlich behauptet damit Marx keineswegs, daß die Arbeitskraft immer nach ihrem Werte verkauft wird. Im nächsten Thema werden wir zeigen, daß nach den durch Marx entdeckten Gesetzen die Arbeitskraft zumeist unter ihrem Werte verkauft wird. Was Marx in seiner Werttheorie beweist, ist, daß auch bei äquivalentem Austausche — also dann, wenn die Arbeitskraft nach ihrem vollen Wert bezahlt wird — die Kapitalisten Mehrwert erzielen.

Es bedarf auch keines besonderen Beweises, daß Marx mit seiner Voraussetzung des Verkaufes der Arbeitskraft nach ihrem Werte die kapitalistische Ausbeutung und den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie nicht nur nicht verschleiert, sondern umgekehrt in ihrer ganzen Nacktheit enthüllt. Denn die Bildung des Mehrwerts gerade auf der Grund­lage des Wertgesetzes, die Ausbeutung des Lohnarbeiters auch dann, wenn er seine Arbeitskraft zu ihrem vollen Werte verkauft — das alles setzt den Arbeiter in eine Ausnahmestellung im Vergleich zu allen anderen Warenverkäufern: sogar dann, wenn er seine Ware — die Arbeitskraft — zum vollen Wert verkauft, bleibt er im Nachteil, während der Kapitalist aus dem Verkauf der vom Arbeiter produzierten Ware zu ihrem vollen Wert noch Profit zieht. Es ist also nicht die Verletzung des Wertgesetzes, sondern das Wertgesetz selbst, das sich gegen die Arbeiterklasse richtet. Deshalb macht sich Engels über Herrn Dührings Heilrezept lustig.

„Die kapitalistische Produktionsform abschaffen wollen durch Herstellung des ´wahren Werts', heißt daher den Katholizismus abschaffen wollen durch die Herstellung des »wahren» Papstes, oder eine Gesellschaft, in der die Produzenten endlich einmal ihr Produkt beherrschen, herstellen durch konsequente Durchführung einer ökonomischen Kategorie, die der umfassendste Ausdruck der Knechtung der Produzenten durch ihr eignes Produkt ist."  („Anti-Dühring", S. 336.)

Marx hat das Geheimnis der kapitalistischen Produktionsweise, der kapitalistischen Ausbeutung dadurch entdecken können, daß er den Unterschied gezogen hat zwischen der Arbeitskraft und der Arbeit. Die Arbeitskraft ist nur die Fähigkeit, zu arbeiten, man kann Arbeitskraft haben, arbeitsfähig sein und nicht arbeiten, nicht die Arbeitskraft in Bewegung setzen. Die Arbeit ist die in Bewegung gesetzte Arbeitskraft. Der Arbeiter verkauft nicht seine Arbeit, sondern seine Arbeitskraft. Die Unterscheidung von Arbeitskraft und Arbeit, von Wert der Arbeitskraft und Gebrauchswert der Arbeitskraft (die Arbeit selbst) bildet den Kernpunkt der Marxschen Wert- und Mehrwerttheorie. Und nicht zufällig haben alle Gegner des Proletariats gesucht, diesen Satz Marxens zu widerlegen und das Gegenteil zu beweisen,— daß nicht die Arbeitskraft, sondern die Arbeit selbst Ware sei, daß nur sie verkauft und voll bezahlt werde. Da dieser Punkt von entscheidender Bedeutung ist, müssen wir uns eingehender mit der Kritik der bürgerlichen Auffassungen über den „Wert der Arbeit" beschäftigen.

Kontrollfragen:

1. Welches sind die historischen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise?
2. Wie vollzog sich der Uebergang von einfacher Warenproduktion zum Kapitalismus?
3. Warum ist es notwendig, die Analyse der kapitalistischen Produktionsweise auf Grundlage der Werttheorie durchzuführen?
4. Worum kann der Mehrwert nicht aus der Zirkulation stammen?
5. Wie verwandelt sich Geld in Kapital?
6. Wie wird der Wert der Arbeitskraft bestimmt? Worin besteht der Gebrauchswert der Arbeitskraft? Was ist der Unterschied zwischen Arbeitskraft und Arbeit?
7. Was ist Mehrwert?

Editorische Anmerkungen:

1930 erschienen im 14tägigen Abstand die Hefte der Marxistischen Arbeiterschulung, die insbesondere den kleineren Gruppen und Einzelnen, die nicht eine der MARXISTISCHEN ARBEITERSCHULEN besuchen konnten, zur Selbstschulung dienen sollten.

Herausgegeben wurden die Hefte von Hermann Duncker, Alfons Goldschmidt und K.A. Wittvogel. Sie erschienen im Verlag für Literatur und Politik, Berlin, Wien 1930.

Der OCR-gescannte Text stammt aus dem 2. Heft, S. 38-45 und wurde dem Reprint des Politladens Erlangen in seiner 4. Auflage 1971 entnommen.