Deutschland, Frankreich und Großbritannien:
Abschiebung(sversuche) von Islamisten - ein Mittel gegen reaktionäres Denken?

von Bernhard Schmid

06/04

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"Radikale Vorbeter aller Länder, vereinigt Euch ­ in Euren Herkunftsländern..." Lautet so die neue Parole in den führenden EU-Ländern? In den letzten Tagen und Wochen sorgten Versuche, einzelne Islamisten über die Landesgrenze zu schaffen, sowohl in Deutschland als auch in Frankreich und Großbritannien für Schlagzeilen und zeitweilige Aufregung. Bei näherer Betrachtung liegen die Fälle allerdings recht unterschiedlich.

Der "Fall" des Lyoner Vorbeters Abdelkader Bouziane

Schon am 21. April in Richtung Algier abgeschoben worden war der bisher in der Lyoner Vorstadt Vénissieux tätige Vorbeter Abdelkader Bouziane. Am vorletzten Samstag war er aber zurück in Frankreich, denn das zuständige Verwaltungsgericht hatte seine Abschiebung für illegal erklärt. Einer größeren Öffentlichkeit wurde sein Name erst im Zusammenhang mit dieser Affäre bekannt.

Voraus ging folgendes: Anfang April veröffentlichte das Stadtmagazin "Lyon Mag", das für seinen Sensationsjournalismus und seine zweifelhaften Enthüllungen bekannt ist, ein Interview mit dem Imam. Darin soll er sich, so die Darstellung der Revue, für die Steinigung fremd gehender Ehefrauen ausgesprochen haben. Eine andere Darstellung lautet so: Bouziane habe das französische Wort für Steinigung (lapidation) nicht verstanden, daraufhin habe die Interviewerin es ihm dergestalt erklärt, dass man dabei seine untreue Ehefrau prügele. Welche Version die richtige ist, soll jetzt eine gerichtliche Auswertung der Tonbänder klären. Fest steht, dass Bouziane sich daraufhin darüber ausließ, was dazu im Koran steht ­ letzterer schreibt in diesem Falle Schläge vor, die Steinigung steht dagegen im Alten Testament der Bibel. An mehreren Stellen in dem Interview setzte Bouziane aber hinzu, in Frankreich hätten Moslems das französische Gesetz zu respektieren.

Das Interview blieb zwei Wochen lang unbeachtet, dann wurde die Polizei bei der Redaktion von "Lyon Mag" vorstellig. Man vermute, dass Bouziane im Kontakt mit Terroristen stehe, gaben die Beamten an, die sich an den Unterlagen zu dem Interview interessiert zeigten. Kurz darauf saß Bouziane im Flugzeug nach Algier. Vier Tage zuvor war bereits ein Vorbeter aus Brest abgeschoben worde. Offenkundig wollte Innenminister Dominique de Villepin einen Medieneffekt produzieren, der zuvor auch angekündigt hatte, künftig in solchen Fällen systematisch die Presse informiert zu halten. Doch die rechtliche Grundlage war den Gerichten zu dürftig, denn die Behörde beriefen sich auf anonyme Polizeiunterlagen (so genannten "notes blanches", wie sie bei den Renseignements généraux ­ der politischen Polizei ­ üblich sind und die keine Unterschrift tragen), in denen allerdings nur Gemeinplätze stehen.

Für Aufregung in einem Teil der Presse sorgte auch, dass der Vorbeter Kinder mit mehreren Frauen hat, die an verschiedenen Orten in Lyon wohnen. Das ist so ungewöhnlich nicht...; die Besonderheit ist, dass Bouziane meint, nach Religionsvorschriften mit zweien von ihnen rechtmäßig verheiratet zu sein. Das aber war in Vénissieux seit 15 Jahren bekannt, und die zweite "Heirat" datiert von 1978, dürfte also nicht mehr besondere Aufregung hervorrufen.
Anscheinend war Bouziane dabei aber ein ziemlicher Hallodri, da er anlässlich seiner Festnahme bei einer anderen, dritten Frau angetroffen wurde, in deren Wohnung sich auch seine persönlichen Sachen befanden. Mit einem spröden Charisma ausgestattet, das auf wenig gebildete Gläubige aus extrem traditionalistischen Schichten einen gewissen Eindruck gemacht haben mag, konnte er seinen Lebenswandel durch (angebliche) koranische Vorschriften theologisch rechtfertigen.

Die sozialdemokratische Pariser Tageszeitung Libération zeichnet von Bouziane eher das Bild eines harmlosen Spinners, der in einer vom Koran geprägten Scheinwelt lebt, denn eines Aktivisten (Ausgabe vom 10. Mai 04: "Cet imam qui voulait juste vivre comme au VIIe siècle"). Mehrere sunnitisch-islamische Gemeinden, für die Bouziane davor tätig war, haben ihn wegen erwiesener Unfähigkeit entlassen. Dem Zeitungsbericht zufolge bereitete auch die Gemeinde in Vénissieux seine Kündigung vor. Bouziane ist mutmaßlich ein Autodiktat in theologischen Dingen, der sich selbst zum Vorbeter ausgerufen hat. Das ist im sunnitischen Islam, wo es keinen Klerus als eigene soziale Schicht, sondern nur einen Laienklerus gibt, nicht sonderlich ungewöhnlich. Studierte Köpfe werden den Trotteln, denen ein Leben wie im Mittelalter vorschwebt, allerdings vielerorts vorgezogen.

Linke und feministische Kritik am Umgang mit dem "Fall Bouziane"

In einem Kommentar, den "Libération" vom 21. Mai 04 publizierte ("Violences sexistes, un scandale persistant"), kritisierten die französischen Feministinnen Maud Gelly, Suzy Rojtman und Maya Surduts "eine Vereinnahmung des ernsten Themas ’Gewalt gegen FrauenŒ durch die Regierungspolitik", die ansonsten nicht sonderlich an ihm interessiert oder darüber besorgt sei.

Sie erinnern daran, dass in Frankreich pro Monat sechs Frauen durch eheliche Gewalt sterben und 48.000 Frauen pro Jahr vergewaltigt werden ­ was größtenteils nicht auf Imame zurückgeht. Jacques Chirac hatte in den präsidentiellen Gnadenakt, der nach jeder Präsidentenwahl erlassen wird, beim letzten Mal im Jahr 2002 ausdrücklich auch eheliche Gewalttäter aufgenommen. Und der konservative Justizminister Dominique Perben beklagte
sich jüngst über den 80prozentigen Frauenanteil an der französischen Richterschule, aufgrund dessen etwa in Vergewaltigungsprozessen eine zu subjektive Rechtsprechung drohe.

Die Autorinnen meinen, dass man das Problem sexistischer Gewalt nicht aus der französischen Gesellschaft auslagern solle und könne. Und fügen hinzu: "So reaktionär und frauenfeindlich er auch ist ­ Herr Bouziane hat das Anrecht auf einen Prozess, wenn er Äußerungen von sich gibt, die dem Gesetz widersprechen." Einen Prozess in Frankreich soll er jetzt auch erhalten; er beginnt am Donnerstag dieser Woche (3. Juni).

Kaplan in Köln, Abu Hamza in London

Andere Hintergründe haben die Fälle von Metin Kaplan in Köln, der in den Neunziger Jahren zur Ermordung eines Rivalen aufgerufen haben soll, und vor allem des am 27. Mai in London verhafteten Predigers Abu Hamza Al-Masri (Abu Hamza der Ägypter). Letzterem kann tatsächlich mit Fug und Recht nachgesagt werden, seit Jahren zu Terrorgruppen im buchstäblichen Sinne Kontakt zu unterhalten. So schrieb er seit 1996 offen in dem, von London aus publizierten, Bulletin "El-Ansar" (ungefähr: Die Parteigänger, Die Partisanen) der algerischen "Bewaffneten islamischen Gruppen" GIA, deren massenmörderisches Treiben in ihrem Land hinreichend bekannt ist. Jetzt hat die US-Justiz seine Auslieferung beantragt. Dass aber die vergangenen guten Kontakte der US-Dienste zu dem früheren Afghanistankämpfer vor diesem ­ von rechtsstaatlichen Prinzipien (um höflich zu bleiben) nur mäßig faszinierten ­ Justizsystem zur Sprache kommen würden, ist kaum zu erwarten.

Noch aber kann Abu Hamza Rechtswege gegen seine Auslieferung ausschöpfen. So auch Metin Kaplan, dem gerichtlich ein zweimonatiger Abschiebungsschutz gewährt wurde. Zuvor hatte er sich einem Abschiebeversuch durch kurzzeitiges Untertauchen in der Nachbarschaft entzogen. Die CDU/CSU tobt bereits und fordert offen die "Internierung" (CSU-Innenpolitiker Wolfgang Zeitlmann) potenzieller Abschiebekandidaten.

Aber auch für ihn gilt: Wer sich ernsthaft etwas zuschulden kommen lässt - reaktionäre Dummheit allein ist nicht strafbar -, der kann auch im Lande seines Wirkens vor Gericht gestellt werden. Das Gefängnis macht die Menschen selten besser, ist aber manchmal leider unumgänglich, wo es um Mord und reaktionären Terror geht. Abschiebung dagegen ist immer eine schlechte Lösung: Sie ist grundsätzlich diskriminierend, da sie keinem deutschen oder französischen Schwerstverbrecher widerfahren kann. Sie hält eine inhumane
Maschinerie des "Ausländerrechts" am Laufen, die darüber zu entscheiden beansprucht, wer "bei uns" leben darf und wer nicht. Und, vor allem: Warum sollte man den Menschen in Algerien oder der Türkei (die mehrheitlich überhaupt nicht denken wie die Bouzianes und Kaplans, und genügend Ärger mit Ihresgleichen haben!) solche Zeitgenossen zumuten, die dort vielleicht mehr Schaden anrichten könnten als hierzulande?

Editorische Anmerkungen:

 Bernhard Schmid lebt und arbeitet als Journalist und Jurist in Paris. Von ihm erscheint im Frühsommer 2004 im Unrast Verlag (Münster) das Buch: "Algerien ­ Frontstaat im globalen Krieg? Neoliberalismus, soziale Bewegungen und islamistische Ideologie in einem nordafrikanischen Land."

Der Autor schickte uns seinen Artikel in der vorliegenden Fassung am 29.05.2004 mit der Bitte um Veröffentlichung. Eine deutlich gekürzte Fassung erschien in "Jungle World" vom 2. Juni 04.