1. Die Sache: Neue Maßstäbe im Umgang mit den Feinden Amerikas
Amerika, und zwar das offizielle, also der US-Staat und nicht irgendwelche
Einzeltäter mit Hang zu "unamerikanischen" Aktivitäten, Amerika hat im Zuge des
Krieges gegen die Taliban und während der Jagd auf El-Kaida eine neue Kategorie
von Menschen geschaffen, eine neue Sorte von "Vogelfreien" und Rechtlosen. Es
handelt sich um Personen, die weder als Kriminelle verurteilt wurden oder auf
ihren Prozeß warten, und die auch nicht als feindliche Soldaten dem Kriegsrecht
unterliegen, also unter die Genfer Konvention fallen. Leute, die den USA als
sogenannte "feindliche Kämpfer" in die Hände fallen, haben keinen rechtlichen
Status, sie gehören nicht zu den Menschen, die in den Genuß der berühmten
Menschenrechte gelangen, für die Amerika weltweit kämpft. Die Idee, die
einschlägigen KZs – das bekannteste ist auf Guantanamo – bequemlichkeitshalber
außerhalb der USA einzurichten, ist offen damit begründet worden, daß die
Rechtslage in den USA dem, was politisch zweckmäßig und militärisch opportun
ist, derzeit etwas hinterher hinkt, weswegen sich die staatlichen Stellen, die
diese Lager betreiben, einige juristische Querelen ersparen, indem sie sich auch
richtiggehend geografisch einen rechtsfreien Raum geschaffen haben.
Also von wegen, ein Rechtsstaat zeichne sich dadurch aus, daß er bei seinem
Umgang mit seinen Opfern durch Recht und Gesetz beschränkt sei: Erstens wird das
Recht ständig novelliert und neuen Erfordernissen angepaßt, gerade was die
Fahndung und Verwahrung von Terrorismus-Verdächtigen betrifft, und wo das nicht
oder noch nicht weit genug gediehen ist, da umgeht zweitens der amerikanische
Rechtsstaat ganz offiziell und selbstbewußt seine eigenen Normen. Auch die
sogenannte "Privatisierung" eines Teils des Anti-Terror-Krieges durch die
Benutzung von Söldnern, von privaten "Sicherheitsfirmen" durch den US-Staat und
seine Armee wird gern auf die juristischen Vorteile dieser Konstruktion
zurückgeführt. Nach den Feinheiten des Kriegsrechts sind deren Kriegsverbrechen
angeblich schon deswegen keine Kriegsverbrechen, weil sie nicht von regulären
Soldaten verbrochen werden, und von ihren militärischen Auftraggebern werden
diese Figuren natürlich auch nicht verfolgt.
Zu diesem neuen Umgang mit Untermenschen, die man – noch? – nicht so nennen
darf, wahrscheinlich weil das gegen deren Menschenwürde verstößt, gehören auch
neue Vorgaben für Verhöre: Methoden, die es schon länger gibt und die schon
länger auf den einschlägigen Militärschulen gelehrt werden, die auch immer schon
bei Kampf gegen die "Subversion" etwa in Lateinamerika zur Anwendung gelangt
sind, die werden jetzt in Afghanistan und im Irak in großem Stil und ziemlich
flächendeckend praktiziert. Es geht den USA im besetzten Afghanistan und im
besetzten Irak bekanntlich darum, eine sehr lebendige Szene aus
Freiheitskämpfern, Aufständischen und Widerständlern – aus US-Sicht: Terroristen
– auszurotten. Da braucht es adäquate Verhörmethoden für die
Informationsbeschaffung:
"Etwa 20 Verhörmethoden wurden laut ‘Washington Post’ im April 2003 für
El-Kaida-Gefangene auf dem US-Stützpunkt vor Kuba von ihm selber (Rumsfeld) und
dem Justizministerium abgesegnet. Inhaftierte sollten durch Kälte und Hitze,
laute Musik und grelles Licht mürbe gemacht werden. Auch Schlafentzug, Verlust
des Zeitgefühls, persönliche Entwürdigung gehören zur Leidensskala. Für einige
Methoden war die Genehmigung von Rumsfeld persönlich erforderlich." (Berliner
Kurier 10.5., alle Zitate aus den jeweiligen Internet-Ausgaben)
"Bei der Misshandlung von Gefangenen im Irak haben US-Soldaten nach
Informationen des Magazins ‘The New Yorker’ auf Grundlage einer geheimen
Anweisung gehandelt, die von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld persönlich
abgesegnet wurde. Im vergangenen Jahr habe Rumsfeld eine streng geheime Order
des für Nachrichtendienste zuständigen Unterstaatssekretärs Stephen Cambone zu
verschärften Verhörmethoden gebilligt ... Aktive und pensionierte
Geheimdienstoffiziere hätten die Anweisung zusammengefasst mit den Worten:
‘Schnappt euch die, die ihr braucht, und macht mit ihnen, was ihr wollt.’ ...
Ziel der Anweisung sei gewesen, ‘die Grenzen eines streng geheimen Plans, der
zunächst für (die Terrororganisation) El Kaida gedacht war, auf irakische
Gefangene auszuweiten’. Dieser Plan habe ‘zu körperlichem Druck und sexuellen
Demütigungen ermuntert’, um an Informationen über irakische Widerständler zu
kommen." (www.orf.at 15.5.)
Ähnlich die "Presse": "Sie sind kein Thema, weil man kaum etwas über sie
weiß. Die Rede ist von den Dutzenden Gefängnissen weltweit, die vom
amerikanischen Geheimdienst CIA geführt werden. In diesen Anstalten sind auch
die hochrangigen Führer der Terrorgruppe al-Qaida untergebracht. Jetzt werden
einige Details bekannt, wie man diese Menschen zum Reden zu bringen versucht.
Gefesselte Gefangene würden mit dem Kopf so lange unter Wasser gehalten, bis sie
glaubten, ertrinken zu müssen, berichtet die ‘New York Times’. Das sei eine von
zahlreichen Methoden, die auf einer geheimen Liste aufscheinen, die von der CIA
und dem Justizministerium erstellt worden sind. Die Verhörmethoden seien nach
den Terroranschlägen vom 11. September 2001 genehmigt worden und hätten in der
gesamten Regierung zu dem Denken geführt, dass man mehr Freiheiten habe, hart
mit inhaftierten potenziellen Terroristen umzugehen. ... Manche fliege man auch
in andere Länder aus, wo noch viel härtere Verhörmethoden gang und gäbe seien
oder man drohe ihnen an, sie dorthin zu bringen. Generell gingen die Methoden
auf Trainingstechniken zurück, mit denen Mitglieder amerikanischen
US-Sondereinheiten auf mögliche Folterungen bei Gefangennahmen vorbereitet
werden." (Presse 15.5.)
2. Der Skandal aus Sicht von George Bush: Privatvergnügen statt zweckmäßige
Quälerei!
Worin besteht angesichts dessen denn nun der aufgeflogene Skandal im engeren
Sinn? Nachdem die "Erzeugung von Streß" genannte Folter und Erniedrigung
ausdrücklich erlaubt und gefordert ist, um der guten Sache willen, was haben
sich die fotografierfreudigen SoldatInnen eigentlich zuschulden kommen lassen?
Der Unterschied zwischen den berechtigten, zutiefst amerikanischen Aktivitäten
und den unberechtigten, unamerikanischen liegt im Zweck. Allein zum
Privatvergnügen Gefangene zu quälen, das geht zu weit. Was im Staatsinteresse
und um der heiligen Nation willen geboten ist und von extra ausgebildeten
Spezialisten durchgeführt gehört, das gilt als pervers, sobald es zur
persönlichen Genugtuung veranstaltet wird – aus Privatsadismus und womöglich
bloß, um diese Höhepunkte der eigenen patriotischen Pflichterfüllung auch noch
für die Digitalkamera festzuhalten. Das geht zu weit, und wer so etwas tut, wird
vom Präsidenten persönlich aus der Rasse der guten Amerikaner exkommuniziert und
der unamerikanischen Aktivitäten beschuldigt. Das, die Folter zur privaten
Belustigung, ist jedenfalls das einzige, was die US-Regierung bisher als
ungehörig akzeptiert. Die Beschuldigten sehen es umgekehrt und behaupten, auf
Anordnung gehandelt zu haben, und im Rahmen dessen, was das Pentagon an
Foltermethoden genehmigt und befohlen hat. Dabei ist der Unterschied zwischen
dem staatlich angeordneten, zweckgerichteten und dem privaten Sadismus an der
Tat gar nicht festzumachen: Es tut dem Zweck, die Inhaftierten fürs nächste
Verhör zu präparieren, sie deswegen zu quälen, zu demütigen und zu erniedrigen,
doch nicht den geringsten Abbruch, wenn sich die Folterknechte dabei auch noch
köstlich amüsieren.
3. Die unvermeidliche blöde Frage: Wie bringen "Menschen" so etwas
fertig?
Ja, es handelt sich um normale Menschen. Nachbarn und Freunde beschreiben die
Folterer übereinstimmend als ganz normale Autofahrer, Zeitungleser,
Steuerzahler, Frauenverprügler, Tierfreunde, Gefängniswärter, zukünftige Mütter,
hart arbeitende Väter etc. usw. Und es handelt sich gewiß nicht um ein
"Versagen" der "Führung", wie wohlmeinende Kommentatoren vermelden, wenn
Methoden, die vom Verteidigungsminister persönlich ausdrücklich verlangt und
deswegen genehmigt worden, exzessiv angewendet werden:
"Wo Autoritätspersonen und Vorgesetzte versagen, wo anordnende wie
ausführende Militärs nicht mehr fürchten müssen, auch im ‘Ausnahmezustand Krieg’
über ihre Handlungen rechenschaftspflichtig zu sein, können lachende junge
Frauen wie die 21-jährige Amerikanerin Lynndie England zu Folterknechten werden.
... Innere Führung, wie sie gerade Kampfsoldaten und Gefangenenspezialisten
brauchen, fehlt so oft völlig. Umso größer ist die Ver-Führung. Sie besteht im
notorisch guten Gewissen, das sich sicher darin wähnt, einen gerechten Kampf
gegen den Terror zu führen. Wenn George W. Bush jeden vor die Wahl stellt, für
oder gegen Amerika zu sein, ist die argumentative Voraussetzung dafür
geschaffen, dass sich der Blick für das Mindestmaß an Menschlichkeit und Anstand
auch Terroristen gegenüber trübt." (Rheinischer Merkur 13.5.)
Der eben zitierte Bericht hat schon mehr als nur eine Ahnung davon, warum
"Menschen" die Mentalität von KZ-Wärtern ausbilden; er dreht seine Einsicht aber
so hin, daß die Folterknechte einer Einbildung aufsitzen würden, wenn sie ein
"gutes Gewissen" entwickeln. Das ist aber keine Illusion und kein Blendwerk, und
das Benehmen der Folterknechte ist auch kein Verstoß gegen die Moral, sondern
eine Variante des moralischen Handelns. Es ist praktizierte Moral. Das liegt
daran, daß der letzte und äußerste, jedenfalls der entscheidende Bezugspunkt
jeder Moral und jedes Anstandes nicht ein abstrakter "Mensch" oder eine
gleichmacherische "Menschlichkeit" ist, und nicht einmal die heiligen
"Menschenrechte" sind, sondern die höchste Macht, die ein Patriot anerkennt:
seine Obrigkeit, die Führung seiner Nation. Moralisch, sittlich, anständig ist,
was der Nation nützt. Alles, egal was. Denn jede Nation, darin wieder sehr
gleichförmig, beansprucht für sich, "das Gute" zu vertreten, für "das Gute" zu
stehen und zu kämpfen. Und umgekehrt: Alles, was sich der Nation in den Weg
stellt, ist definitionsgemäß "das Böse". Als die Sowjetunion noch einen Teil der
Welt für ihren Sozialismus beanspruchte, hat sie die Welt also verbrecherisch
"geteilt" und war dementsprechend des "Reich des Bösen", natürlich nur für
Staaten, die auf die ganze Welt Anspruch erheben, für die aber gewiß. Im Kampf
gegen den Terrorismus hat der aktuelle US-Präsident gleich eine ganze "Achse des
Bösen" identifiziert, darunter auch den Irak. Diese Verdammung "trübt" nicht
"den Blick" seiner Anhänger und Befehlsempfänger, sondern schärft ihn; es
schärft ihn für die moralische Minderwertigkeit der Feinde. Patrioten handeln
aus der Sicherheit, in den Anhängern des Feindes oder auch in den diesbezüglich
nur Verdächtigen oder auch nur in den Bewohner einer Gegend, in der "das Gute"
auf Widerstand stößt, lauter Agenten des Bösen vor sich zu haben, also Leute,
die es verdienen, gequält, gedemütigt, erniedrigt, gefoltert und getötet zu
werden. Patriotische Moral, und zwar jede auf der Welt, funktioniert genau so
grobschlächtig, primitiv und ausschließend: "Bist du für oder gegen Amerika,
also für oder gegen das Gute." Das ist keine Entartung der Moral, so ist Moral
in Kriegs- und Notstandszeiten.
"Die US-Soldaten, die im Abu-Ghraib-Gefängnis bei Bagdad irakische Gefangene
misshandelten, waren aller Wahrscheinlichkeit nach keine pathologischen
Sadisten, sondern ganz normale Leute. Ihrer Meinung nach taten sie einfach die
Schmutzarbeit, die notwendig ist, um den Krieg zu gewinnen. Folterer glauben in
der Regel, dass sie den Willen ihrer Gesellschaft vollstrecken – und fühlen sich
verraten, wenn es nach Bekanntwerden ihrer Grausamkeiten zu einem öffentlichen
Aufschrei kommt. ‘Menschen, die andere foltern, befinden sich nach eigener
Einschätzung moralisch im Recht. Sie sehen die eigene Nation als bedroht an und
verstehen sich als die vorderste Verteidigungslinie, der ihre Landsleute Dank
schulden’, sagt John Conroy, Autor des Buchs ‘Unspeakable Acts, Ordinary
People’. Was in Abu Ghraib geschah, geht nicht nur nach Conroys Analyse auf
einem Wandel der amerikanischen Prioritäten nach dem 11. September zurück: Der
Sieg über den Terrorismus wird nun als höheres Ziel angesehen als die
Verteidigung der Menschenrechte. Seit den Anschlägen von New York und Washington
sind zahlreiche Amerikaner der Überzeugung, dass der Kampf gegen den Terror eine
neue Art Krieg ist, der mit neuartigen Methoden ausgefochten werden muss, und zu
diesen gehören auch Zwangsmaßnahmen. Immer wieder hat es in den vergangenen
Jahrzehnten und Jahrhunderten Rechtfertigungen für Folter gegeben, basierend auf
Pragmatismus, auf militärhistorischer Erfahrung oder auf Theorien des gerechten
Kriegs." (Berliner Morgenpost 13.5.)
Was heißt, die Folterer "befinden sich nach eigener Einschätzung moralisch im
Recht"? Das ist doch keine individuelle Fehleinschätzung – die für ihr Recht
zuständige höchste Instanz, ihr Staat bzw. dessen gewählte Repräsentanten haben
ihnen Recht gegeben, sie haben die Nation auf einen nationalen Notstand und auf
eine neue Art Krieg eingeschworen. Wenn die Folterer glauben, daß sie "den
Willen ihrer Gesellschaft vollstrecken", dann haben sie dafür jedenfalls nicht
wenige Anhaltspunkte, hauptsächlich die Auskünfte ihrer demokratisch gewählten
Machthaber – jedenfalls solange sie beim Foltern ein ernstes Gesicht machen und
glaubwürdig rüberbringen, es mache ihnen keinen Spaß.
"In den USA flammt die Debatte über die Folter neu auf ... Doch selbst bei
Verfechtern von Zwangsmaßnahmen herrscht Einigkeit darüber, dass die
Voraussetzungen für Folter in Abu Ghraib fehlten, da die dortigen Gefangenen
keine Terroristen waren." (Berliner Morgenpost 13.5.)
"Selbst" bei den Anhängern der Folter in der amerikanischen Gesellschaft, die
sich inzwischen offen als solche bekennen, und zumindest deren Willen die
Folterer dann also vollstrecken, herrscht Einigkeit, daß es in Abu Ghraib die
Falschen erwischt hat – woanders also die Richtigen. Das allerdings mit der
wackeligen Begründung, die Inhaftierten wären keine Terroristen – also
Untermenschen –, die jede Tortur verdienen. Ein schwaches Argument – denn das,
ob es sich um Terroristen handelt, versuchten die Folterer doch herauszufinden
...
4. Die "Selbstreinigungskraft" der Demokratie: Mittels der öffentlichen
Diskussion werden neue Folter-Standards nicht abgeschafft ...
Wie andere Reformprozesse auch, so ist dieser Fortschritt von Gewalt, Moral
und Recht nicht unumstritten. Das neue Gefangenen- und Verdächtigenmanagement
hat sich noch nicht vollständig im Moralhaushalt der USA etabliert. Es gibt,
auch und gerade in den USA, etliche Leute, die nicht oder noch nicht auf Linie
sind, oder die das gar nicht sein wollen. Immerhin hat die Nation bis gestern
ihr Dasein als moralische Supermacht gern mit dem Banner der Menschenrechte vor
sich her getragen; Artikel 5 der UN-Menschenrechtskonvention lautet: "Niemand
darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
oder Strafe unterworfen werden." Andere Amis nehmen die Ideologie von der
"Befreiung des irakischen Volkes" idealistisch und zweifeln daran, daß die
Folterungen nur zum Besten der Iraker sind. Andere halten sie für
kontraproduktiv beim Versuch, einen stabilen befreundeten Irak als Handlanger
der USA zu installieren. Andere sind schlicht angewidert. Es gibt Differenzen
zwischen den Staatsabteilungen, es herrscht mitten im demokratischen Rechtsstaat
eine gewisse Rechtsunsicherheit:
"Geheimdienstmitarbeiter verteidigten in der Zeitung die Anwendung der harten
Verhörmethoden. Damit habe man bereits wichtige Informationen bekommen, die zur
Festnahme von Terroristen geführt oder geholfen hätten, Anschläge zu verhindern.
Dennoch distanzieren sich manche Regierungsstellen von der groben Praxis:
Mitarbeiter des FBI seien angewiesen, den Raum zu verlassen, wenn die CIA
hochrangige al-Qaida Mitglieder verhört. Selbst dem Geheimdienst gehen offenbar
manche Praktiken zu weit. So ist laut ‘New York Times’ ein Mitarbeiter
diszipliniert worden, weil er einen Gefangenen während einer Befragung mit einer
Waffe bedroht hatte. In der CIA herrscht nach dem Skandal um die Misshandlungen
im irakischen Gefängnis Abu Ghraib die Angst, dass es auch eine Untersuchung der
Methoden in den diversen Gefängnissen des Geheimdienstes geben könnte.
Mitarbeiter seien besorgt, dass sie wegen ihrer harten Verhörmethoden Probleme
bekommen könnten, heißt es." (Die Presse 14.05.)
Falls die politische Rückendeckung abhanden kommt, soweit kennen sich auch
Geheimdienstler in der Politik aus, werden sie womöglich ihrem Vaterland als
Sündenböcke dienen dürfen. Die Meinungen in der Nation sind geteilt, der
Pluralismus der Positionen blüht in Politik und Öffentlichkeit, zwischen
ehrlicher Abscheu und offener Billigung der Folterpraxis tobt der demokratische
Diskurs. Einige sind sicher, daß es auf jeden Fall die Richtigen erwischt:
"Schon vor einigen Tagen hatte der republikanische Senator James Inhofe mit
scharfen Worten die öffentliche Aufregung über die Misshandlungen verurteilt:
‘Sie (die Gefangenen, Anm.) sind nicht wegen Verkehrsvergehen dort. Sie sind
Mörder, Terroristen, Aufständische.’ Er sei angewidert von all den
‘Gutmenschen’, die ein derartiges Theater rund um die Vorfälle in Abu Ghraib
machten." (Die Presse 14.05.)
Es wäre zutiefst verfehlt, den Senator zu fragen, woher er denn ganz ohne
Prüfung des Einzelfalles und ohne ordentliches, rechtsstaaatliches Verfahren und
Gerichtsurteil weiß, daß es sich um "Mörder, Terroristen, Aufständische"
handelt. Die Typen werden von amerikanischen Truppen gefangengehalten, das ist
der gültige, unanfechtbare Schuldbeweis. Auch die Frage, seit wann denn im
demokratischen Rechtsstaat "Mörder, Terroristen und Aufständische" gefoltert
werden dürfen – angeblich soll sich die Demokratie ja durch den prinzipiellen
Verzicht auf solche Praktiken so wohltuend von anderen Staatsformen
unterscheiden –, auch diese Frage wäre verfehlt: Der Senator ist gerade dabei,
die öffentliche Moral neu zu justieren, sie an den neuen Umgang der USA mit
Untermenschen anzupassen. Obwohl solche aufrechten Amerikaner also Flagge
zeigen, werden einige bisher genehmigte Verhörmethoden schließlich vom Pentagon
untersagt:
"Nach Bekanntwerden der Misshandlungen irakischer Gefangener hat das
Verteidigungsministerium in Washington nach US-Medienberichten besonders
umstrittene Verhörmethoden untersagt. Dazu gehörten Schlafentzug, die
Einschränkung von Sinneswahrnehmungen und das zwangsweise Verharren in
schmerzhaften Köperhaltungen, berichtete der US-Sender CNN ... Wie US-Medien
unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Vertreter des
US-Verteidigungsministeriums berichteten, gelte das Verbot der umstrittenen
Verhörtaktiken ausschließlich für den Irak. Grundsätzlich seien solche
Befragungsmethoden nach Genehmigung durch den kommandierenden General erlaubt.
Allerdings habe es im Irak keinen Antrag auf Genehmigung solcher Verhörmethoden
gegeben, hieß es." (www.orf.at 15.5.)
Das Verteidigungsministerium legt beim teilweisen Rückzug großen Wert darauf,
nicht der Humanitätsduselei beschuldigt werden zu können: Aber auch beim Foltern
gehört der Dienstweg eingehalten, Antrag stellen und so – nur deswegen, weil die
erforderliche Genehmigung nicht eingeholt wurde, werden diese grundsätzlich
erlaubten "Befragungsmethoden" sistiert, will Rumsfeld betonen. Seine Aussagen
bzw. die seines Vize Wolfowitz vor verschiedenen Senatsausschüssen –
"US-Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz hat eingeräumt, dass vom Militär
gebilligte Verhörmethoden im Irak gegen die Genfer Kriegsgefangenen-Konvention
verstoßen haben dürften. ... US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte
einem anderen Senatsausschuss am Mittwoch gesagt, Rechtsberater des
Verteidigungsministeriums hätten die Verhörmethoden der US-Armee gebilligt."
(Standard 15.5.)
– muß man ohnehin so interpretieren, daß die Genfer Konvention für Amerika
nicht die höchste Instanz in Sachen Gefangenenbehandlung ist, wo doch echte
Ami-Juristen im Verteidigungsministerium die Folterungen abgezeichnet haben, und
die Gegner der USA nicht als Kriegsgefangene betrachtet werden. Rumsfeld besteht
in seiner Aussage jedenfalls darauf, daß Amerika auch beim Foltern im Recht ist,
weil es das gültige Recht setzt, analog zum Anspruch der USA an den Rest der
Welt, den bisher völkerrechtlich verpönten Angriffskrieg aus Gründen der
Prävention auch ohne UN-Mandat als neues Recht der USA anzuerkennen.
... sondern in der Öffentlichkeit durchgesetzt!
Die dumme und derzeit bis zum Erbrechen strapazierte Phrase von der
"Selbstreinigungskraft der Demokratie" will ja in etwa suggerieren, daß in der
Demokratie mit ihrer Öffentlichkeit eine solche Schweinerei, sobald sie einmal
aufgeflogen ist, schleunigst abgestellt wird. Anhand der aktuellen Folteraffäre
ist wieder einmal anderes zu beobachten. Die Folter wird nicht geächtet, sondern
nach dem Muster – "zwei Schritte vor, ein halber zurück" – in ein besser
abgestimmtes Mittel des Militärs übergeführt, samt Anpassung der öffentlichen
Moral. Im folgenden eine Expertise aus der Berliner Morgenpost vom 13.5. unter
dem Titel "In den USA flammt die Debatte über die Folter neu auf", die
wesentlich realistischer ist als die naive Vorstellung, mit dem Bekanntwerden
der Folterungen seien diese fast schon wieder abgestellt:
"Harvard-Professor Alan Dershowitz glaubt, dass die USA Folter unter
verschiedenen Bedingungen einsetzten und dies auch künftig tun werden. Nach
seiner Ansicht würde eine öffentliche Debatte dafür sorgen, dass die Spitzen von
Militär und Politik darüber entscheiden müssten, wann Zwangsmaßnahmen angemessen
sind, nicht einfache Soldaten. ‘Wenn jemand mich bitten würde, ein Statut zu
skizzieren, wäre mein Vorschlag folgender: Versuch die Gefangenen zuerst zu
kaufen, dann wende Drohungen an, dann Wahrheitsserum, und schließlich als letzte
Zuflucht füge ihnen starke Schmerzen zu: zum Beispiel mit einer sterilisierten
Nadel, die unter einen Fingernagel gebohrt wird’, sagt er, ‘für Letzteres sollte
freilich ein Gerichtsbeschluss erforderlich sein.’ Dershowitz hebt darauf ab,
dass der Richter sich weigern könnte, den Beschluss zu unterzeichnen. Damit sei
eine Kontrollinstanz eingeführt, die es derzeit nicht gibt." (Berliner
Morgenpost 13.5.)
Also: Auch Folterknechte haben Anspruch auf Rechtssicherheit, meint der
Harvard-Professor. Die Folter gehört aus der gegenwärtigen Grauzone
herausgeholt, mit Regelungen und Zuständigkeiten, als rechtsstaatlich geregeltes
Instrument – eben die offizielle Wiedereinführung der Folter in den politisch
korrekten Umgang mit Untermenschen.
Redaktion Gegenargumente aus Wien
Editorische Anmerkungen:
Der Artikel
wurde uns am 28.5.2004 zur weiteren Veröffentlichung angeboten.