Rassismus und Kapitalismus.
Eine Annäherung

von der Taskforce Kapitalismus in der Antirassistischen Gruppe Leipzig
06/04

trend
onlinezeitung
Am 1.3.2002 findet im Tomorrow-Café (nur für Jugendliche) um 19:00 eine Veranstaltung der antirassistischen Gruppe Leipzig zum Thema Einwanderungsdebatte und Verwertungsrassismus statt. Wir stellen unsere Einschätzung zu den Bedingungen linksradikaler Politik und zu den aktuellen gesellschaftspolitischen Veränderungen vor. Wir werden insbesondere die Entwicklung in Politik und Gesellschaft in der BRD seit dem Antritt der Rot-Grünen Regierung, die Einwanderungsdebatte und den sogenannten "Leistungsrassismus" als Zusammentreffen des kapitalistischen Verwertungsprinzips mit der rassistischen Ideologie beleuchten. Welche Perspektiven und Ansatzpunkte ergeben sich daraus für eine radikale Linke?

Warum dieser Text?

Wir halten es als antirassistische Gruppe für unbedingt notwendig, eine Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Rassismus und Kapitalismus zu führen und zu untersuchen, ob und warum wir innerhalb des Politikfeldes Antirassismus eine antikapitalistische Politik machen können und wie ein derartiger antikapitalistischer Antirassismus aussehen kann.
Bei der Untersuchung entsprechender Theorien sind wir auf interessante Ansätze gestoßen, die sich aber meist nur aus einer Richtung dem Problem annähern und andere Aspekte außer Acht gelassen haben oder aus andere Gründen unsere Fragen und Zweifel nicht vollständig aus dem Weg räumen konnten. Viele Erklärungsversuche schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich vielmehr.

Wir sind also in der Diskussion – und stellen infrage, dass es eine eindeutige Antwort überhaupt geben kann. Daher und trotzdem finden wir es wichtig, weiter Politik zu machen und permanent Diskussionen weiterzuführen, Positionen zu erweitern und zu verändern. Wir wollen uns nicht lähmen lassen und auf die perfekte Theorie warten. Natürlich gehört es dazu, die eigene Praxis jederzeit am eigenen Diskussionsstand zu hinterfragen. Diskussionen mit und Kritik von anderen Gruppen sind uns wichtig. Wir gehen auch nicht kritiklos und unhinterfragt an Antirassismus heran, sondern stellen vieles infrage. Daher wollen wir Diskussionen in Leipzig und bundesweit führen.

Wir sind nicht nur antirassistisch, sondern aus einem linken Verständnis heraus auch antikapitalistisch. Wir bleiben nicht bei der Aufhebung der rassistischen Ideologie und dem Herrschaftsverhältnis stehen, sondern wollen auch die Basis derartiger Ideologien angreifen.
Unabhängig davon, ob Rassismus vorkapitalistisch oder erst durch den Kapitalismus entstanden ist (wobei für uns außer Frage steht, dass Rassismus durch Kapitalismus maßgeblich transformiert wurde), so ist doch die heutige Form entscheidend. Vorkapitalistische Formen von Rassismus unterscheiden sich von den modernen Formen und sollten begrifflich auch davon abgegrenzt werden.(1)

Außerdem ist für uns klar, dass Rassismus ein nachkapitalistisches Phänomen sein kann, da die Ideologie und Mechanismen so verselbständigt sind, dass sie weiterbestehen würden.
Rassismus hat sich im Lauf der Geschichte auch innerhalb der kapitalistischen Gesellschaften bis heute ständig modifiziert. Es ist durchaus sinnvoll, von verschiedenen Rassismen zu sprechen, wie Stuart Hall dies vorschlägt. Die rassistischen Grundfunktionen, die wir in den folgenden Abschnitten auch darlegen werden, bleiben jedoch gleich.

Der Ansatz Triple Oppression geht von einer Eigenständigkeit der drei Herrschaftsverhältnisse Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat aus. Stuart Hall räumt ein, dass Rassismus durch den Kapitalismus transformiert wird, aber dennoch nicht ursächlich darauf zurückgeführt werden kann. Michel Foucault kritisiert die moderne politische Rationalität und den Rassismus als eine darin angelegte Ideologie. Die Wertkritik leitet Rassismus als eine durch die Wertvergesellschaftung hervorgebrachte Ideologie der Biologisierung des Sozialen ab, wobei die Kritische Theorie sie um eine sozialpsychologische Herleitung ergänzt. Wallerstein beleuchtet das Spannungsverhältnis von kapitalistischem Universalismus und Ungleichheitsideologien wie Rassismus.

Triple Oppression

Dieser Ansatz wird allgemein wie folgt verstanden: die drei Herrschaftsverhältnisse Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat sind eigenständig und stehen wechselseitig zueinander in Beziehung. Daraus folgt, dass es entgegen der alten These vom Hauptwiderspruch Kapitalismus (mit dessen Abschaffung sich die vermeintlichen Nebenwidersprüche Rassismus und Kapitalismus quasi von selbst auflösen würden) weitere Herrschaftsverhältnisse gäbe, die außerhalb der kapitalistischen Logik funktionieren könnten.
Triple Oppression ist unscharf in der Analyse über die Wechselverhältnisse zwischen den Herrschaftsverhältnissen(2) und in der Bestimmung der eigenständigen Herrschaftsverhältnisse erweiterbar (er kann infolge dessen auch einfach zu Multiple Oppression erweitert werden, indem z.B. Antisemitismus, biopolitische Unterdrückung oder die Unterdrückung von Tieren durch den Menschen hinzugenommen werden können).
Am Rand sei noch angemerkt, dass der Vertreter dieses Ansatzes, Klaus Viehmann, dessen Aufsatz „Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus“ die Debatte um Triple Oppression losgestoßen hat, auch eine dem Haupt- und Nebenwiderspruchsdenken ähnliche Position vertritt: Rassismus und Patriarchat würden nur zum Zweck der Ausbeutung durch den Kapitalismus existieren und das Produkt von Konkurrenzdenken und Deklassierung bilden. Er fordert nur eine Auseinandersetzung mit den anderen Herrschaftsverhältnissen ein, um diese innerhalb der Linken nicht zu reproduzieren, geht aber nicht weiter auf die Wirkungsmächtigkeit von Ideologien ein. Beide Ideologien haben sich (unabhängig von der Frage ihrer Entstehung oder tiefgreifenden Veränderung durch den Kapitalismus) verselbständigt, so dass ihr Weiterbestehen nach Abschaffung und außerhalb des Kapitalismus möglich und wahrscheinlich ist, wenn an ihrer Überwindung nicht politisch gearbeitet wird. Jede Einordnung dieser Ideologien als „bloße Erscheinungen“ des Kapitals ist politisch fahrlässig.

Stuart Hall

Die Theorie Stuart Halls verfolgt einen ideologietheoretischen Ansatz. Sie wendet sich gegen die Reduktion des Rassismus auf ökonomische Ursachen, die ihn rein aus kapitalistischen Verhältnissen heraus erklärbar machen würden. Die rassistische Ideologie steht für Hall in Wechselwirkung mit politischen und ökonomischen Verhältnissen: die einzelnen Faktoren beeinflussen sich gegenseitig, wobei Hall hier in der Analyse und Gewichtung sehr vage bleibt.

Für Hall ist Rassismus in erster Linie ein ideologischer Diskurs. Da es keine Verankerung des Rassebegriffes in natürlichen und biologischen Eigenschaften geben kann, werden diese erst diskursiv produziert. Klassifikationssysteme, die sich zu allererst auf körperliche Erscheinungen beziehen, produzieren weitere Bedeutungen und Zuschreibungen. „In rassistischen Diskursen funktionieren körperliche Merkmale als Bedeutungsträger, als Zeichen innerhalb eines Diskurses der Differenz“.(3) Aufgrund der Verknüpfung dieser diskursiven Bedeutungsproduktion mit gesellschaftlichen Machtfragen spricht Hall schließlich von der „ideologischen Instanz“(4) des Rassismus, welche als Ausschließungspraxis auf zweierlei Weisen wirkt.

Hall erwähnt hier den Ausschluß bestimmter stigmatisierter Gruppen vom Zugang zu kulturellen, materiellen und symbolischen Ressourcen. Diese soziale Ungleichheit erfährt mit der rassistischen Ideologie eine Naturalisierung, d.h. Begründung mit dem Verweis auf natürliche Unterschiede.

Die zweite Ausschliessungspraxis manifestiert sich auf rein symbolischer Ebene als Ausschluss aus einer bestimmten Gemeinschaft, Nation, etc. Charakteristisch für diesen ideologischen Diskurs ist die Konstruktion binärer Gegensätze. Diese ermöglichen die Schaffung einer Identitätsgemeinschaft durch die Konstruktion der Differenz, der Differenz zu „den Anderen“. Mit dem Verweis auf die Psychoanalyse und die Konstruktion der sexuellen Differenz in den Arbeiten Lacans beschreibt er die Ambivalenz, die dieser Konstruktion innewohnt: einerseits soll dieses Andere ferngehalten werden aus Angst, dass das, was wir ausschliessen wollten, auch Teil unserer selbst ist, andererseits müssen wir es ständig heranziehen, um uns, als Gegensatz dazu, selbst verstehen und unsere Identifikation absichern zu können.

Hall weist dem Rassismus eine bestimmende Rolle im gegenwärtigen kapitalistischen Produktionsprozess zu, sieht ihn aber auch als vor- wie nachkapitalistisches Phänomen an. Es wird betont, dass der Rassismus über bestimmte allgemeine Züge hinaus Modifikationen und Transformationen durch den spezifischen historischen Kontext erhält, so also auch im Kapitalismus. Dieser gibt sich zwar einerseits gleichgültig gegenüber Rasse und Geschlecht der ProduzentInnen des Mehrwerts, macht sich aber andererseits diese Konstruktionen zu Nutze.

Desweiteren konstatiert er eine entscheidende Beeinflussung rassistischer Diskurse durch ideologische Prozesse des Kapitalismus. In vereinfachter Form setzt er den Klassen- und den Rassenbegriff zueinander in Beziehung, indem er den Rassismus als ein Terrain darstellt, auf dem sich die „Gruppen, die von den Reichtümern unserer Wohlstandsgesellschaft ausgeschlossen sind, die aber gleichwohl zur Nation gehören, sich mit ihr identifizieren wollen, im Rassismus eine authentische Form der Identitätsgewinnung und des Selbstbewusstseins finden können“.(5) Da sie von der Wohlstandsgesellschaft ausgeschlossen sind, muss sich die Identitätsgewinnung also durch die Form eines Ausschlussmechanismus vollziehen, in der Abgrenzung zu Menschengruppen, welche man als minderwertig stigmatisiert. Bewusst vollzieht Hall hierbei eine Abgrenzung vom Begriff des „falschen Bewusstseins“, wie wir ihn in Theorien mit ökonomistischen Erklärungsansatz finden können: „falsches Bewusstsein“ als Projektion unterdrückter Bedürfnisse und des uneingelösten Glücksversprechens des Kapitalismus auf andere Personengruppen.
Er begründet seine Ablehnung des Begriffs des falschen sozialen Bewusstseins mit dem Einwand, dass „Rassismus eine authentische Form sein kann, in der untergeordnete soziale Gruppen ihre Unterordnung leben und erfahren“.(6) Dennoch sieht er Rassismus nicht nur als ein Phänomen sozial Deklassierter an.

Diese Theorie Stuart Halls stellt zwar vor, wie der ideologische Diskurs Rassismus funktioniert, beantwortet aber die Frage nach seinen Bedingungen nicht. Es wird auf die Eigendynamik ideologischer Prozesse hingewiesen, dabei aber übersehen, dass Ideologien zu ihrer Reproduktion einer breiten Akzeptanz bedürfen, die schliesslich im Individuum selber, aber auch in gesellschaftlichen Prozessen, die dieses Individuum prägen zu suchen ist. Eine genauere Analyse, welche Wechselwirkungen hier der ideologische Diskurs mit gesellschaftlichen und politischen Bedingungen eingeht, liefert er nur insofern, dass die Unzufriedenheit einer untergeordneten Klasse auf rassisch Stigmatisierte projiziert wird.

Michel Foucault

Auch wenn Foucault nicht explizit eine Rassismustheorie formuliert hat, taucht diese Thematik immer wieder in seinen Gesellschaftsanalysen auf. Objekt seiner Kritik ist hierbei nicht das Phänomen Rassismus an sich, es wird vielmehr nur eingebettet in eine umfassende Kritik moderner politischer Rationalität. Rassismus ist in der von ihm beschriebenen Gesellschaftskonstitution notwendigerweise angelegt.

Grundlage für die in der heutigen Gesellschaft greifenden Machtmechanismen ist nach Foucault die Biologisierung und Medizinisierung des Sozialen. Während bis ins 18. Jahrhundert hinein Macht als offensichtlich repressiv, wirksam durch Strafandrohung und eng verknüpft mit der Rolle eines Souveräns ihren Ausdruck fand, sind die Machtmechanismen der modernen Gesellschaft äusserst subtil. Kann die Machtform in der vorkapitalistischen Gesellschaft als eine destruktive, eine „Macht, sterben zu machen“(7) beschrieben werden, verkehren sich diese Eigenschaften mit fortschrittlicher Entwicklung der Produktivkräfte und (Human-)wissenschaften in ihr Gegenteil. Es entsteht ein produktives, positives Machtprinzip, welches auf eine Verbesserung und die Kontrolle des körperlichen Lebens des Menschen zielt. Die Bedrohung des Individuums resultiert folglich nicht mehr aus der direkten Konfrontation mit Strafe, sondern aus den Normen der Gesundheit und Nützlichkeit, denen jede/r unterworfen wird. Herrschaftsprozesse erfolgen durch disziplinierende Institutionen wie Schule oder Armee, besonders aber durch Gefängnis, Klinik oder Psychiatrie, da der Mensch hier auf Effektivität getrimmt wird. Eine herausragende Rolle im Prozess der Disziplinierung weist Foucault der Sexualität und ihrer Diskursivierung zu, wobei er dies als Ausdruck einer generellen Biologisierung sieht. Auf nationaler und globaler Ebene funktioniert die Disziplinierung über den demographischen Diskurs.

An diesem Punkt zeigt sich nach Foucault die Parallele zum Rassismus, denn es sind eben genau diese angeblichen körperlichen, biologischen Merkmale und die daraus resultierende Effizienz, die dem Rassismus als hierarchisches Klassifikationssystem dienen und in der Verwertungslogik des Kapitalismus aufgegriffen werden. Rassistische Ideen fügen sich somit nahtlos in die übliche Politik moderner rationaler Gesellschaften ein.

Wie der bevölkerungspolitische Diskurs in einem ursächlichen Verhältnis zum Kapitalismus steht und sich notwendigerweise rassistische Ausgrenzung daraus ergeben muss, legt Alex Demirovic („Vom Vorurteil zum Neorassismus“, in: Die freundliche Zivilgesellschaft, Berlin 1992) dar. Im kapitalistischen Produktionsprozess bildet sich demnach eine „organische Produktionsstruktur“ heraus, in die allerdings nicht alle Bevölkerungsgruppen integriert werden können. Diese aus der kapitalistischen Verwertungslogik heraus bezeichneten „überzähligen Bevölkerungsteile, (...), die mit ihrer blossen Anwesenheit ein eingeschliffenes Arrangement zwischen Herrschenden und Beherrschten herausfordern“, werden ausgegrenzt. Von diesem Mechanismus sind keineswegs nur ausländische Bevölkerungsgruppen betroffen, sondern genauso Arbeitslose, oder Menschen, die Niedriglohnsektoren abgedrängt werden. Bei Nichtdeutschen kommt er allerdings in verschärfter Form zum Tragen: sie sind per völkischer Definition nicht gleichwertiger Teil der „organischen Produktionsstruktur“ und flexibel ausgrenzbar, wenn es einen niedrigen Bedarf an Arbeitskräften gibt (siehe auch Wallerstein).

Die Grenzen von bevölkerungspolitischen Massnahmen zu rigideren Definitionen von dem, was aufgrund ökonomischer Definition ausgegrenzt werden soll, ist fliessend. Und letztere bedient sich schnell einer völkischen „Das-Boot-ist-voll“-Rhetorik, auch wenn diese unter dem neorassistischen Gerede von der Differenz und ihrer Berechtigung zur Abgrenzung kaschiert wird.

Wertkritik

Martin D. hat in „Die halbe Wahrheit ist die ganze Unwahrheit“ im letzten Cee Ieh (# 84) den Wertkritik-Ansatz und den Zusammenhang von Rassismus und der kapitalistischen Vergesellschaftung dargelegt. Im folgenden wollen wir vor allem auf die These von Rassismus als Ideologie der Biologisierung des Sozialen eingehen und eine allgemeine Kritik formulieren.

Herleitungsskizze: Ausgangspunkt ist die kapitalistische Gesellschaft als eine warentauschende und wertvergesellschaftete. Herrschaft im Kapitalismus ist subjektlos und durch den Menschen in der grundlegenden ökonomischen Entwicklung nicht beeinflußbar. Als bürgerliches Subjekt versucht er, sich von seiner Natur abzulösen und ist gespalten in den Bourgeois, die Privatperson, die um ihr eigenes Wohl bemüht ist, und in den Citoyen, den Staatsbürger, der um das Allgemeinwohl bemüht ist. Diese Widersprüchlichkeiten und die unverständliche Herrschaft versucht er sich mithilfe von Ideologien zu erklären und erträglich zu machen. Dieselben Ideologien erhalten dadurch unmittelbar eine herrschaftsstabilisierende Wirkung. Mithilfe der Ideologie der Biologisierung des Sozialen werden Eigen- und Fremdgruppen mit unveränderlichen biologischen Eigenschaften konstruiert. Jene Eigenschaften sollen das soziale Verhalten und die soziale Ungleichheit bestimmen. Rassismus als bürgerliche Ideologie projiziert alles Natürliche auf die vermeintlich „Fremdrassigen“ und verfolgt diese dann „in panischer Angst“.

Ein Verständnis von modernen Rassismus ohne die Einbeziehung von Kapitalismus kann es zwar geben, ist aber völlig verkürzt und damit falsch. Wichtig finden wir die Frage nach der Berechtigung antirassistischer Politik, wenn Rassismus nur als Produkt von Kapitalismus definiert wird. Und da stimmen wir vorbehaltlos allen Linken zu, die Kapitalismus abschaffen wollen und das als Ziel ihrer Politik definieren, und haben sogar dasselbe Ziel. Aber Rassismus, Sexismus, Antisemitismus haben sich dann nicht wie von Geisterhand erledigt, und gegen diese Ideologien haben wir auch was – und bis zum großen Showdown würden wir gern schon was dagegen tun.

Den in einer fetischistischen Gesellschaft lebenden Menschen keine Beeinflussung grundlegender ökonomischer Entwicklungen zuzugestehen, gräbt eigener Politik das Wasser ab – wie könnten wir Kapitalismus abschaffen, wenn die kapitalistische Gesellschaft uns das gar nicht ermöglicht? Es gibt die Entscheidungsfreiheit, Strukturen zu reproduzieren oder nicht. Und die Leute, die Macht und Privilegien innehaben, können für das, was sie tun, verantwortlich gemacht werden, ohne dass Herrschaft dadurch bereits personalisiert und verkürzt begriffen wird.

Zur Frage von Rassismus als Folge der Wertvergesellschaftung fügt Peter Schmitt-Egner noch einen Aspekt hinzu: In der Zirkulationssphäre sind alle Menschen formal gleich. Es gibt aber die entscheidende Einschränkung, dass „als Subjekt [...] in der wertfetischistischen Sichtweise nur anerkannt [wird], wer als Tauschender auftritt.“(8) Jeder Mensch kann potentiell wenigstens seine Arbeitskraft verkaufen. Die Menschen, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft unter dem dafür üblichen Tauschwert zu verkaufen, treten nicht mehr als Tauschende „von gleich zu gleich“ auf und werden daher als „minderwertig“ begriffen. Aus der Ungleichheit in der Zirkulation folgt die formale Ungleichheit. Am historischen Beispiel des Kolonialismus wird die Bedeutung dieses Gedankens für die Entstehung von Rassismus verständlich: In den Metropolen wurde der Mehrwert durch erhöhte Produktivität gesteigert, während er in den Kolonien durch Senkung der Kosten für Arbeitskraft erhöht wurde. Die Ware Arbeitskraft wurde also permanent unter ihren Wert gesenkt, sie war „minderwertig“ im Wortsinn. Die kolonialen ArbeiterInnen stellten keine gleichwertigen TauschpartnerInnen mehr dar und waren innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Logik nicht mehr Subjekte, die ihren Tauschwert selbst bestimmen konnten.

Als alleinige Herleitung für die Entstehung von Rassismus reicht dieser Gedanke keinesfalls aus, aber beleuchtet einen wichtigen Aspekt.

Kritische Theorie

Die Funktion von Ideologien als Verschleierung sozialer Gegensätze und damit Stabilisierung von Herrschaftsverhältnissen wurde ja bereits in der wertkritischen Anayse des Rassismus aufgezeigt. An diesem Punkt setzt auch die Kritische Theorie mit ihren „Studien zum autoritären Charakter“ an. Sie nimmt die sozialpsychologische Disposition des Menschen als Nährboden für Ideologien in den Blick.

Ausgangspunkt für die breit angelegte empirische Untersuchung war der deutsche Vernichtungsantisemitismus während der NS-Zeit und die Frage nach seiner möglichen Wiederholbarkeit.

Während sich Adorno und Horkheimer im Kapitel „Elemente des Antisemitismus“ in der „Dialektik der Aufklärung“ mit dem Antisemitismus im Rahmen einer umfassenden Kritik der Aufklärung befassen, wird er in den sozialpsychologischen „Studien zum autoritären Charakter“ als Teil eines komplexen Einstellungssyndroms analysiert.

Ohne hier eine Gleichsetzung von Antisemitismus und Rassismus vollziehen zu wollen, denken wir, dass die Studien der Kritischen Theorie auch ein Schlaglicht auf das Phänomen Rassismus werfen. Denn er kann, wie auch schon von Martin erläutert, als eine Ideologie gesehen werden, die das Soziale naturalisiert und somit ein falsches Bewusstsein von den gesellschaftlichen Verhältnissen produziert. In einer Art materialistischen Erweiterung der Freudschen Tiefenpsychologie wird die Modifikation der Triebe durch die sozio-ökonomischen Bedingungen beschrieben, welche sich in der Charakterstruktur des Menschen (im Spätkapitalismus ein autoritärer Charakter) niederschlägt. Der Charakter wird hier als „Reaktionspotential“ vorgestellt, welches in unserem physisch oder verbalen Verhalten manifest werden kann, jedoch nicht notwendigerweise muss. Letzteres ist abhängig von der jeweiligen Rahmensituation.

Faktoren wie Stereotypie, Glaube an eine mystische Bestimmung des eigenen Schicksals, die Projektion unbewusster Triebimpulse auf die Aussenwelt oder die Neigung zu autoritärer Aggression sind u. a. massgeblich für eine Charakterstruktur, die anfällig für faschistische Ideologien ist. Genauso können sie aber auch als Erklärungsmuster für die rassistische Ideologie gelten.

Bei der Entstehung der autoritären Charakterstruktur spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Zu nennen wäre erstens der Wandel in der Familienstruktur des Spätkapitalismus durch den Autoritätsverlust des „pater familias“, konkret ausgelöst durch sich verschärfende soziale Bedingungen in der Weimarer Republik und die damit einhergehende Vernachlässigung seiner Versorgerfunktion. Steht die Auseinandersetzung mit der väterlichen Autorität noch für eine rationale Vermittlung gesellschaftlicher Anforderungen und die Möglichkeit eine autonome Ich-Struktur zu entwickeln, wird diese später durch eine irrationale Anpassung an unmittelbare gesellschaftliche Zwänge und Autorität ersetzt.(9)
Zusätzlich sind die Herausbildung von Antisemitismus, Vorurteilen und Stereotypen laut Adorno und Horkheimer in der Produktionsform der spätkapitalistischen Gesellschaft und der damit einhergehenden Verdinglichung menschlicher Verhältnisse direkt angelegt. War zunächst die Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft verknüpft mit dem Ideal der Bildung, wurde letztere mit der Weiterentwicklung des Kapitalismus zu einer mit Schemata und Stereotypen arbeitenden Halbbildung degradiert. „In der Welt der Serienproduktion ersetzt deren Schema, Stereotypie, die kategoriale Arbeit. das Urteil beruht nicht mehr auf dem wirklichen Vollzug der Synthesis, sondern auf blinder Subsumtion. (...) In der spätindustriellen Gesellschaft wird auf den urteilslosen Vollzug des Urteils regrediert.“(10)

Ein weiteres wichtiges Moment ist die Biologisierung und Naturalisierung von Menschengruppen, die nichts anderes zeigt als die Ambivalenz des bürgerlichen Charakters. Nämlich einerseits seine Umwelt zu beherrschen und das Leben nach rationalen Prinzipien zu ordnen, andererseits aber sich beherrscht zu fühlen. Die erlebte Entfremdung von der Natur äussert sich schliesslich im Hass auf diejenigen, welchen diese Naturverbundenheit noch zugeschrieben wird. „Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht zugelassen werden und ihm doch eigen sind, werden dem Opfer zugeschrieben: dem prospektiven Opfer.“(11)

Universalismus vs. Ideologien der Ungleichheit

Etienne Balibar und Immanuel Wallerstein erklären, warum das Gleichheitsversprechen des Kapitalismus Ungleichheitsideologien wie Rassismus braucht. Immanuel Wallerstein(12) geht von einer Spannung zwischen der Ideologie des Universalismus und den Ungleichheitsideologien Rassismus und Sexismus im Kapitalismus aus. Zum einen ist der Universalismus das Ergebnis einer älteren geistigen Tradition. Diese beginnt mit dem Glauben an einen Gott innerhalb der monotheistischen Religionen und der Vorstellung einer einheitlichen „Menschengattung“.(13) In der Aufklärung wurde diese Tradition weitergeführt, indem moralische Gleichheit und Menschenrechte aus der Natur des Menschen selbst abgeleitet wurden.(14)Zum anderen ist der Universalismus eine der kapitalistischen Weltwirtschaft besonders angemessene Ideologie und sogar zwingend erforderlich zur endlosen Akkumulation von Kapital. Jene benötigt als Grundlage der kapitalistischen Weltwirtschaft den freien Strom aller Waren in Form von Gütern, Kapital und Arbeitskraft auf den Weltmarkt. Alles, was diesen Strom hemmen könnte, muss beseitigt werden. Ein solches Hindernis ist vor allem eine Wertbestimmung einer Ware zu anderen Kriterien als dem Marktwert, wodurch diese weniger oder gar nicht vermarktbar wird. Daher widersprechen alle Partikularitäten (z.B. Religionen) grundsätzlich der Funktionsweise des kapitalistischen Systems.

Einher mit dem Universalismus geht die Bildung der „Leistungsgesellschaft“ zur effizienten Arbeitsteilung in der Weltwirtschaft und zur politischen Stabilität. Soziale Unterschiede sollen nun nicht mehr aus dem Willen Gottes oder aus Tradition resultieren und berechtigt sein, sondern wegen unterschiedlicher Effektivität und Leistung. Eine auf Leistung basierende Gesellschaft ist politisch instabil. Vorher konnten vererbte Vorrechte und feudale Ordnung den Glauben an eine ewige Ordnung und sichere Überzeugungen bieten. Privilegien aus Leistung heraus bieten mehr „Sprengstoff“, da die Gesellschaft als ungerecht erlebt wird angesichts der scheinbaren Unterbewertung der eigenen Leistung und der permanenten Angst, den Anforderungen in der Arbeitswelt nicht mehr gewachsen zu sein.
An dieser Stelle kommt Rassismus als eine Ideologie der Ungleichheit ins Spiel. Wallerstein setzt dessen Beginn erst mit dem Beginn des Kapitalismus und als von ihm hervorgebracht. Vorherige ähnliche Ausschlußideologien faßt er mit dem Begriff „Xenophobie“ (Fremdenangst). Diese hätte den Ausschluß des Fremden aus einer Gemeinschaft zum Ziel gehabt. Dabei ging aber die Arbeitskraft und der potentielle Mehrwert, den diese Person schöpfen könnte, verloren. In einer Gesellschaft, die auf endloser Kapitalakkumulation beruht, ist dies ein wirklicher Verlust.

Rassismus hingegen ermöglicht die Nutzung jeder erreichbaren Arbeitskraft, die Senkung der Produktionskosten (indem die Kosten der Arbeitskraft gesenkt werden können) und die Minimierung politischer Störungen. Diese Funktionen können umgesetzt werden über die „Ethnisierung“ der Arbeiterschaft, also über ein System von hierarchisch abgestuften Vergütungen, die mit einer angeblich unterschiedlichen Arbeitsleistung wegen der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe begründet werden. Dieses System ist flexibel in der genauen Definition der Grenzen jener ethnischen Konstruktionen und daher leistungsfähig, indem jederzeit die Anzahl der niedrigbezahltesten Menschen vergrößert oder verkleinert werden kann. Gerade wegen seines Anti-Universalismus ist Rassismus also für den Kapitalismus hilfreich: er schafft für die reale Ungleichheit eine Legitimation, die nicht auf Leistung beruht. So wird es z.B. möglich, die Lohnzahlungen in einem Maß abzusenken, wie es innerhalb der Leistungslogik durch mangelnde Leistung nicht zu rechtfertigen wäre.
Das Herrschaftsverhältnis Kapitalismus legitimiert sich also über gegensätzliche Ideologien: auf der einen Seite Universalismus und Leistungsgesellschaft, auf der anderen Rassismus und Sexismus. Diese befinden sich in einem dynamischen Gleichgewicht, in dem wechselnd die eine oder andere Seite überbetont wird und das sich ständig neu herstellen muß.
Wie Kapitalismus in seiner Entstehungsphase vorgefundene Unterschiede und Ideologien instrumentalisiert und adaptiert, zeigt Wulf D. Hund am Beispiel der Gruppe „Zigeuner“.(15) Die Ausbildung der kapitalistischen Produktionsweise schuf einen Bedarf an disziplinierten Arbeitskräften. Der neue bürgerliche Arbeitsethos, der gewaltsam durchgesetzt werden mußte, entstand: Arbeit gilt ab jetzt als ehrenhaft und jeder Mensch, der nicht arbeiten kann oder will, als verderblich für die Gesellschaft. Ein Mittel zur Durchsetzung war die Schaffung ökonomischen und juristischen Zwanges: Durch die Umstrukturierung auf dem Land wurden viele Menschen erst landlos und zu Vagabunden gemacht und dann mithilfe von Gesetzen gegen Landstreicherei inhaftiert. Angesichts solcher Aussichten waren viele bereit, ihre Arbeitskraft „freiwillig“ zu verkaufen. Ein anderes Mittel war das abschreckende Vorbild der „Zigeuner“, die als nichtseßhaft, nicht in abhängiger Arbeit lebend, kriminell und unmoralisch stigmatisiert waren. Ihr Fremdsein resultierte weniger aus ihrer „ethnischen Fremdheit“, sondern aus ihrer Verweigerung an die Anforderungen, die an die unteren Klassen in der Neuzeit erhoben werden. Sie galten als „mutwillige Vagabunden“: Jeder Mensch, der so leben wollte wie sie, konnte sich ihnen anschließen. Scheinbar stellten sie also eine greifbare Alternative zum neuen Lebensbild dar und waren desto gefährlicher. Auch wenn anfänglich nicht biologisch oder mit einem Begriff der „Zigeuner-Rasse“ argumentiert wurde, fanden sich schon die wesentlichen Merkmale einer rassistischen Argumentation.
Bereits vorhandene Vorurteile werden mit neuen ideologischen Vorzeichen versehen. Mit dem wissenschaftlichen Rassebegriff der Aufklärung wird eine Hierarchie von „Rassen“ konstruiert, die mit dem Arbeitsethos verknüpft wird. Arbeit als Motor der Fortentwicklung und Lösung aus dem „rohen Naturzustand“ und der „natürlichen Faulheit“ soll unterschiedlich auf die „Rassen“ verteilt sein.(16) Die rassistische Ethik des Kapitalismus schuf die Alternative, entweder den Arbeitsethos und abhängige Arbeit anzunehmen oder unterdrückt zu werden (bis zum Untergang).

Das Zigeuner-Stereotyp erfüllte dabei die Funktionen, die Höherwertigkeit der unterdrückenden Gruppe zu legitimieren und gleichzeitig als Drohbild zu verdeutlichen, was bei Nichtannahme der neuen Werte und bei Scheitern an den Anforderungen der Klassengesellschaft geschehen kann.

Diese historische Herleitung belegt, wie mithilfe rassistischer Ideologie die neuen Werte in der Anfangszeit des Kapitalismus durchgesetzt wurden. Der Arbeitsethos hat sich durchgesetzt und wird nur von Randgruppen hinterfragt. Also verbleiben die entsprechenden Stereotype („Zigeuner“, „fauler Neger“) als „normales“ Vorurteil der allgemeinen Abgrenzung, in dem sich die entgegengesetzten Eigenschaften des eigenen Bildes tummeln. Trotz derartiger Wandlungen im Einzelnen dienen heute immer noch rassistische Stereotype zur Konstruktion der eigenen Gruppe und zur Durchsetzung der eigenen Werte.

Aktuelle Modifizierung des Rassismus in der Leistungsgesellschaft

Aktuelles Beispiel für die Modifizierung von Rassismus bilden die durch die Einwanderungsdebatte politisch forcierten Veränderungen im öffentlichen Diskurs weg von „gefährlichen und das Sozialsystem ausnützenden Ausländern“ hin zu „nützlichen Fachkräften“, denen sogar die deutsche Staatsbürgerschaft und damit die offizielle Zugehörigkeit zum deutschen Volk gewährt werden kann. Das bislang nahezu unhinterfragte völkische Prinzip wird hier durchbrochen, und die plötzliche Notwendigkeit dazu müßte erst durch einen neuen politischen und gesellschaftlichen Diskurs langfristig in der Bevölkerung durchgesetzt werden.

Dennoch rechtfertigt diese Entwicklung keine Euphorie. Potentiell gilt das Verwertungsprinzip zwar sowohl für Menschen innerhalb eines Nationalstaates als auch für „Außenstehende“. Alle diejenigen sind im kapitalistischen Sinn nicht mehr „brauchbar“, die sich nicht verwerten können oder wollen.

Dennoch werden im Kapitalismus auch weiterhin Differenzierungen mithilfe der Konstruktionen Geschlecht, Nation und Rasse zur Rechtfertigung des Konkurrenzprinzips benötigt. Das kapitalistische Glücksversprechen und die formale Gleichheit widerspricht offensichtlich der realen Ungleichheit im kapitalistischen System, die sich nicht aus unterschiedlicher Leistung erklären läßt. Ideologien wie Rassismus und Sexismus liefern Erklärungen und Rechtfertigungen für diese Realität (Menschen anderer „Rassen“ oder „Kulturgruppen“ wären „fauler und schlechter“, Frauen seien „schwächer“ usw.) und verschleiern die tatsächlichen Ursachen, die dem kapitalistischen System immanent sind.(17)

Rassismus wird daher nicht verschwinden, sondern es findet nur ein flexibler Umgang damit statt. Nationalstaaten und die darauf basierende Einteilung der Menschen in Nationen und Völker bleiben die Grundlage für die kapitalistische Ordnung und garantieren das Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise, deren Voraussetzungen der freie Waren- und Kapitaltransfer und die freie Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind, innerhalb des Staatsterritoriums. Also wird sich schon aus diesem Grund Rassismus und völkischer Nationalismus nicht einfach in Luft auflösen. Daraus folgt aber auch, dass es keine Ausschließlichkeit ökonomischer Ursachen gibt, sondern andere Ideologien miteinwirken.
Ein Beispiel für den Widerspruch zwischen ökonomischen und nationalstaatlichen Interessen im Zusammenspiel mit rassistischer Ideologie ist der Umschwung im gesellschaftspolitischen Diskurs nach dem 11. September: Rassistische Bilder und Mechanismen dominierten sofort die Debatte, trotz aller gegenläufigen Töne in der vorherigen Diskussion um Zuwanderung. Und sofort konnten gesellschaftliche Verschärfungen, die sich zunächst vor allem gegen „Nichtdeutsche“ als rassistisch stigmatisierte Randgruppe richten, im Antiterrorgesetz-Paket durchgesetzt werden. Sowohl in der Politik als auch in der Ökonomie besteht ein instrumentelles Verhältnis zu Rassismus. Infolge gesellschaftlicher Diskurse kann dieser zwar „aufgeweicht“ werden, aber sich auch jederzeit wieder festigen, sobald sich die politischen Umstände ändern. Mit dieser Einschätzung muß auch der politische Wille hinterfragt werden, ob Zuwanderung ermöglicht werden soll. Die Absicht der PolitikerInnen, die dies fordern, ist durchaus ernst gemeint, nur folgt daraus noch lange nicht die Abschaffung des jahrhundertelang bestehenden Rassismus. Die Spezifik des deutschen Nationalismus und des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts ist die Koppelung an das völkische Prinzip und die „deutsche Blutsabstammung“. Ein Zuwanderungsgesetz würde tatsächlich einen Bruch mit diesem Prinzip darstellen. Rassismus wird damit nicht in Frage gestellt, denn wichtigstes Prinzip dieses Gesetzes wird die Auswahl nach „Nutzen für Deutschland“ sein, den Nichtdeutsche erst mal nachweisen müßten, und die Abweisung jeder anderen Form der Migration.

Fußnoten:

(1) Obwohl wir den Begriff „Xenophobie“ bzw. Fremdenangst dafür nicht geeignet finden, weil er eine quasi natürliche Fremdenangst impliziert, wie z.B. der Rassismustheoretiker Albert Memmi behauptet.
(2) Klaus Viehmann beschreibt die Wechselbeziehung als ein Netz mit Knoten.
(3) Stuart Hall, Rassismus als ideologischer Diskurs, Vortrag gehalten am 17.5. in Hamburg, in: Nora Räthzel, Theorien über Rassismus, Hamburg 2000
(4) ebd.
(5) ebd. S.11
(6) ebd. 
(7) Stephan Grigat, „Rassismuskritik und Wertvergesellschaftung“
(8) berechtigterweise entzündete sich an dieser Herleitung Kritik (vgl. Jessica Benjamin, Die Antinomien des patriarchalischen Denkens: Kritische Theorie und Psychoanalyse, 1982), da diese die patriarchalische Autorität als positiven Referenzpunkt für eine autonome Persönlichkeitsstruktur sah
(9) Th.Adorno/M. Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, FaM 1988, S. 211
(10) ebd., S. 196
(11) Immanuel Wallerstein: Ideologische Spannungsverhältnisse im Kapitalismus: Universalismus vs. Sexismus und Rassismus, in: E. Balibar, I. Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg 1998
(12) Diese Vorstellung ist natürlich nicht widerspruchsfrei: soziale Unterschiede werden als von Gott gewollt und gegeben erklärt. Dennoch gilt der Grundansatz, dass vor Gott alle Menschen gleich seien, sobald sie sich zu ihm bekennen.
(13) Anfänglich ohne Frauen und Nichtweiße einzubeziehen, später wurde diese Auslassung aber auch explizit überwunden.
(14) Wulf D. Hund: Das Zigeuner-Gen. Rassistische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: Rassismus. Die soziale Konstruktion natürlicher Ungleichheit, Münster 1999
(15) Immanuel Kant
(16) Eine detaillierte Untersuchung liefert I. Wallerstein: „Universalismus vs. Ideologien der Ungleichheit“
(17) Für MigrantInnen macht es durchaus einen Unterschied, ob sie in einer Zivilgesellschaft leben und sie in der Debatte um das Zuwanderungsgesetz als „nützlicher Ausländer“ gesellschaftlich wahrgenommen werden oder ob im öffentlichen Diskurs Stereotype wie „Asylbetrüger“, „krimineller Ausländer“, potentieller Terrorist dominieren (mitsamt der damit legitimierten „Maßnahmen“ im juristischen, politischen und gesellschaftlichen Bereich).

Editorische Anmerkungen:

Der Text diente zur Mobilisierung für eine Veranstaltung für Jugendliche bis 21 im Tomorrow-café, B12, Braustr. 20 am 01.03.2002, 19:00, er wurde veröffentlicht in: CEE IEH 85/02. Wir spiegelten ihn von:
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/antira-leipzig/archiv/a10.htm