Programmatische Grundlagen kommunistischer Organisierung
Thesen für das Vernetzungstreffen unabhängiger KommunistInnen in Frankfurt am 27./28. April 2002
06/02
 

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1.

Während weite Teile der Linken ihren Abschied vom Proletariat genommen haben, sehen wir uns als Angehörige revolutionärer Minderheiten innerhalb der vor einem langen Prozess der sozialen und politischen Neukonstituierung stehenden Arbeiterbewegung.
Klassenkämpfe sind der Motor der Geschichte und darauf beziehen wir uns. Unser Verhältnis zur ArbeiterInnenklasse ist dabei keine Frage von Projektionen und Hoffnungen von außen. Wir beziehen uns nicht auf das Proletariat weil wir von diesem eine abstrakte welthistorische Mission erwarten oder in seine Existenz ein Prinzip des Guten und Gerechten in der Geschichte hineininterpretieren, sondern weil wir ihm angehören. Das Proletariat ist für uns keine mythische Einheit, sondern der Standort von dem aus wir als Proletarisierte unsere Vereinzelung und unser Unterworfensein unter das Verwertungsinteresse von Kapital und Staat thematisieren.

2.

Kapitalistische Vergesellschaftung beruht darauf, dass ein großer Teil der Menschen dazu gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen um seine physische Existenz zu sichern. Indem sie dies tun, produzieren sie Mehrwert und halten die Kapitalakkumulation in Gang. LohnarbeiterInnen und KapitalistInnen treten sich auf dem Arbeitsmarkt als formal Gleiche, als Käufer und Verkäufer der Ware Arbeitskraft egegnüber. Dennoch beruht der Kapitalismus nicht auf einem freiwilligen Vertragsverhältnis zwischen sozial Gleichen. Der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse lässt uns als Lohnabhängigen in der Regel keine andere Wahl. Aus der Tretmühle der Lohnsklaverei können wir nicht einfach herausspringen, es sei denn als erwerbslose, ökonomisch für das Kapital überflüssige ArbeiterInnen, ebenso wie auch nicht aus den Zwängen der Klassengesellschaft im Ganzen, wie es uns die "aufgeklärte postmoderne Linke weiszumachen versucht. Daraus ziehen wir die Konsequenz, uns als Teil der ArbeiterInnenklasse zu organisieren, um für die revolutionäre Aufhebung der Klassenstruktur, der Lohnarbeit und Warenproduktion einzutreten. Unsere Perspektive ist nicht Verteilungspolitik, nicht die "Gleichmachung der Klassen" (Bakunin), sondern ihre Abschaffung. Ohne diese Voraussetzung ist für uns menschliche Emanzipation nicht denkbar.

3.

Der Kapitalismus befindet sich in einem tiefgreifenden Modernisierungsprozess. Niedergang alter, Aufstieg neuer Industrien, Umwälzung der kapitalistischen Arbeitsorganisation, Eindringen der kapitalistischen Verwertungslogik in alle bisher noch nicht von ihr erfassten Poren gesellschaftlichen Lebens, sind die Schlagwörter, mit denen dieser Prozess umschrieben werden kann. Unter dem Slogan der "Lean Production" wurden in den letzten Jahren die Produktionsstrukturen "verschlankt". An die Stelle der fordistischen Konzerne, die bestrebt waren, jeden Arbeitsgang zu zentralisieren, sind netzwerkförmige Produktionsketten entstanden, Betriebsteile ausgesondert worden, die als Zulieferer in die Gesamtstruktur eingefügt sind. Das Fließband wird teilweise durch Gruppenarbeit ersetzt, wobei ein Nebeneffekt ist, dass die Beschäftigten nicht nur effektiver und qualifizierter arbeiten, sondern auch selber aussortieren können, wer fliegt. In bestimmten Bereichen ist die Fabrik als zentralisierter Produktionsort ganz abgeschafft worden, was de facto heißt: ausgeweitet worden auf die Wohnzimmer und privaten PCs der Lohnabhängigen. Wir erleben eine Wiederauferstehung der, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten schien, längst ad acta gelegten Formen von Verlagsarbeit, Scheinselbständigkeit, in der Peripherie auch kleinen Sweat Shops. In diesem Prozess der Veränderungen der Arbeitsorganisation und der Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse ist das Proletariat zunächst politisch und ideologisch atomisiert, Klasse an sich im reinsten Sinne und jeder ins Konkurrenzverhältnis zum anderen gesetzt. Neue Formen der Kooperation der Lohnabhängigen, Kampfformen und Gegenmachtstrukturen werden sich erst im Laufe eines mehrere Jahrzehnte umfassenden Entwicklungsstadiums herausbilden. Ob und inwieweit die noch vorhandenen Restorganisationen der alten fordistisch geprägten Arbeiterbewegung in diesem hierbei eine Rolle spielen (DGB-Gewerkschaften etc.) ist noch unklar, eine Initialzündung für neue soziale Kämpfe zumindest wird von ihnen aber sicher nicht ausgehen.
Im Rahmen dieser buntscheckigen Produktionsstruktur heißt die Antwort von KommunistInnen schon lange nicht mehr: "In die Betriebe gehen". Produktion findet heute an allen möglichen Orten der Gesellschaft statt und kommunistische Organisierung kann entsprechend nicht fixiert sein auf starre zentralisierte Strukturen. Sie muß netzwerkförmig sein, in den gesellschaftlichen Bereichen, Stadteilen, Kommunikationszentren verankert sein, flexibel auf der Basis kleiner nichthierarchischer Einheiten sich entwickeln.

4.

Unser Ziel ist dabei nicht: "die Macht zu übernehmen". KommunistInnen organisieren sich nicht um "Staat zu machen", sondern um diesen radikal infrage zu stellen, wie auch das Kapitalverhältnis an sich. Wenn heute von Kaderbildung gesprochen wird, dann kann es sich nur um die Assoziierung bewußter politisierter Menschen in Gruppen handeln, die keiner Leitung, sondern nur sich selbst verantwortlich sind, die in der Lage sind, sich mithilfe der technischen Infrastruktur, die heute zur Verfügung steht, mit anderen zu vernetzen. Diese Gruppen und die in ihnen organisierten GenossInnen können nur Katalysatoren von Klassenbewußtsein sein, die dort den Standpunkt der sozialen Revolution vertreten, wo sie leben, arbeiten, im Alltag verwurzelt sind. Ihre je verschiedenen Erfahrungen werden zusammengetragen in der revolutionären Gruppe, kollektiv verarbeitet und politisch reflektiert, als politische Position wieder zurückgetragen in den gesellschaftlichen Alltag. Kaderbildung heißt in diesem Sinne, dass GenossInnen durch das jeweilige Maß an Organisiertheit in die Lage versetzt werden, eigenständig zu denken und zu handeln, ohne auf irgendwelche Weisungen "von oben" zu starren, sich auf egalitärer Ebene mit GenossInnen zusammenzuschließen, den wissenschaftlichen Sozialismus mit dem elementaren Klassenbewußtsein zu verbinden und zur gärenden Hefe im Teig zu werden. Das heißt nicht, dass wir "bessere Menschen" sind oder alles besser wissen, sondern lediglich, dass wir als kleine Minderheit in der Klasse bestimmte theoretische Schlußfolgerungen aus unserer Situation gezogen haben, die uns befähigen, auf einer revolutionären Grundlage politisch zu arbeiten.

5.

Wir brauchen keine Chefs. Wir wissen selber, was für uns gut und vernünftig ist. Wir bekämpfen daher in der ArbeiterInnenbewegung jene Apparate und Bürokratien die vorgeben, stellvertretend für uns irgendwelche Verbesserungen erkämpfen zu wollen. Die Selbstorganisation der ArbeiterInnen ist Voraussetzung für die Vertiefung und Verbreiterung von Klassenbewußtsein. Um unsere eigenen Angelegenheiten müssen wir uns selber kümmern, das ist der Leitsatz für unsere Organisierungsversuche und das ist auch das Prinzip mit dem wir den diversen Parteiführungen, Gewerkschaftsbürokratien, wohlmeinenden Fürsprechern und gesellschaftlichen Institutionen gegenübertreten. Diese Haltung ist kein Ergebnis libertärer Laisser-faire-Mentalität sondern Konsequenz unserer Erfahrungen mit Organisationen, in denen regelmäßig unsere Kreativität und unsere alltäglichen Lebensäußerungen wie auch unsere politische Erfahrung von Führungen absorbiert und entwendet wurden, so dass wir uns zum Schluß immer in ritualisierten Fraktionskämpfen innerhalb sektenhafter Apparatstrukturen wiederfanden, bei denen Möchtegern-Lenins ihre Neurosen ausleben konnten. In solchen sinnlosen Kämpfen sind, gerade in den Phasen des Niedergangs der "alten" Linken, viele GenossInnen verheizt worden und Menschen die wir jetzt in einer Situation der dramatischen Marginalisierung für einen Neuanfang der revolutionären Linken brauchen würden, sind entmutigt, beschädigt und in die Vereinzelung getrieben worden. Kommunistische Organisierung heute braucht Grass roots, keine Showbühnen.

6.

Wir lassen uns nicht von populistischen Losungen irgendeiner Art einlullen. Wir wollen nicht "Arbeitsplätze für alle" zur Verewigung des kapitalistischen Zwangs und im Zweifelsfall unter Entzug der Existenzmittel für jene die nicht arbeiten können oder wollen. Genausowenig lassen wir uns von jenen, die das "Ende der Arbeitsgesellschaft" herbeiphantasieren, in publizistische Kampagnen zur "Abschaffung der Arbeit" einspannen. Dabei finden wir Lohnarbeit durchaus nicht toll und wer sich ihr zeitweilig entziehen kann, mag das tun, aber mehr als eine individuelle Lösung kann das im Rahmen dieses Systems nicht sein.
Uns geht es um die Befreiung unserer Arbeit von der gesellschaftlichen Formbestimmtheit der Lohnarbeit. Wenn wir also von Arbeit reden, meinen wir eigentlich etwas anderes. Um mit Marx zu sprechen:
"Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für ihn brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur. Er entwickelt die in ihm schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit. (...) Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen vielleicht manchen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon ideell vorhanden war. Nicht daß er nur eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt, er verwirklicht im Natürlichen zugleich seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß."
In der kapitalistisch bestimmten Gesellschaft produzieren wir immer nur Waren und auch die Ergebnisse unserer kreativen Anstrengungen tragen die Warenform in sich eingeschrieben, sobald wir sie nicht für uns selbst behalten sondern zirkulieren lassen. Befreiung der Arbeit heißt daher für uns, Arbeit als gemeinschaftliche Produktion von Gebrauchswerten zur Bedürfnisbefriedigung zu denken und nicht von Waren, deren Nutzen durch marktförmige Zirkulation bestimmt wird.

7.

Zu den wirkmächtigsten Projektionen in der Geschichte des Kapitalismus gehört der Antisemitismus. Dieser hat in seiner eliminatorischen Zuspitzung eine besondere Kulmination im millionenfachen Judenmord des deutschen Faschismus erhalten. Er ist aber weder ein rein deutsches Phänomen, noch in der Weise zu bekämpfen, wie es "antideutsche" Gruppen mittlerweile tun und es dabei zu einer gewissen Hegemonie innerhalb der Restlinken in Deutschland gebracht haben (dabei billigen wir allerdings den Antideutschen durchaus das Verdienst zu, zu Anfang der neunziger Jahre mit ihren Provokationen manche Mythen der Linken und den dort, wie in der gesamten Gesellschaft real existierenden Antisemitismus produktiv angegriffen zu haben).
Eine gründliche Kritik des Antisemitismus untersucht ihn bis in die ihm zugrunde liegenden Produktionsverhältnisse hinein, denen er immer wieder erneut entspringt und denen er stets dient. Im Judenhass wird der gegen das personifizierte Kapital gerichtete Hass als Vorstellung vom "Geldmenschen" abgelenkt: diese verkürzte "Kritik" des Kapitalismus und "des Geldes", insbesondere als bloßer "Kasinokapitalismus", "parasitäres Spekulantentum" usw. ist durchaus aktuell und gefährlich. Besonders in der deutschen Linken gibt es verschiedene Erscheinungsformen eines solchen strukturellen Antisemitismus, etwa in Teilen der "Anti-Globalisierungs-Bewegung" und es ist auch durchaus kein Zufall wenn z.B. in der Vergangenheit in manchen, von westeuropäischen AktivistInnen der gegen "Globalisierung" kämpfenden Organisation "Peoples Global Action" verbreiteten, agitatorisch gemeinten, Karikaturen das Bild vom "Kapitalisten" den antisemitischen Stereotypen der "Stürmer"-Karikaturen verdächtig ähnelte. Beunruhigend ist auch, daß mit der Zuspitzung des "Nahost-Konfliktes" bestimmte traditionelle "antiimperialistische" Positionen in Teilen der Linken wieder Oberwasser zu haben scheinen, deren "Antizionismus" schon immer die Tendenz hatte, gelegentlich in offenen Antisemitismus umzukippen.

8.

Eine unserer Aufgaben ist es, in den sozialen Kämpfen gegenüber den Einzelinteressen, der Konkurrenz der ArbeiterInnen untereinander und den Spaltungen innerhalb der Klasse, das Gesamtinteresse der Lohnarbeiterklasse zu vertreten. Wir wehren uns gegen die Ausspielung der "deutschen" gegen die "ausländischen" ArbeiterInnen, gegen chauvinistische Regungen die ständischen Bewußtseinsformen bei Angestellten und FacharbeiterInnen entspringen. Nur im gemeinsamen Kampf und unter Überwindung der Konkurrenz lassen sich die Lebenswelten und Bewußtseinsformen von KaufhauskassiererInnen und SoftwareentwicklerInnen, Scheinselbständigen, BilligdienstleisterInnen und StahlarbeiterInnen, Call-Center-Beschäftigten, Bankangestellten und illegalen ArbeitsmigrantInnen gegen die kapitalistische Profitlogik zusammenführen.

9.

Bestandteil unseres Politikverständnisses muß auch eine Kritik am traditionellen Blick der "weißen" männlichen Arbeiterbewegung auf Frauen und "nichtweiße" Bevölkerungen sein. Klassenherrschaft, Rassismus und Sexismus sind strukturell ineinander verschränkte Unterdrückungsverhältnisse, die nur durch einen umfassenden widerständigen Ansatz von organisierter revolutionärer Praxis aufzuheben sind. Die Geminsamkeit dieser Unterdrückungsverhältnisse ist die ökonomische Basis, auf der sie beruhen und die Formen gesellschaftlicher Arbeitsteilung die sie hervorbringen. Die Emanzipation der ArbeiterInnenklasse und der Aufbau einer kommunistischen Geselschaft sind unablösbar vom Kampf gegen rassistische und sexistische Unterdrückung. Dabei gilt für uns: wie wir die Autonomie der "ArbeiterInnenbewegung" verteidigen, unterstützen wir jeden revolutionären Ansatz von Selbstorganisation, sowohl von Frauen, als auch von MigrantInnen. Allerdings und gerade deshalb glauben wir nicht daran, daß die Überwindung patriarchaler Strukturen und rassistischer Projektionen nur eine Frage des guten Willens ist. Dieser mag hilfreich sein, Voraussetzung jedoch ist, dass die unterdrückten Teile der Gesellschaft ihre Unterdrückung organisiert thematisieren und ihre Interessen eigenständig vertreten.

10.

Die rassistische Spaltung der Gesellschaft in "deutsche" und "ausländische", "weiße" und "nichtweiße" ArbeiterInnen spiegelt die Konkurrenz als elementares Gesetz des Kapitalismus und den imperialistischen Charakter der globalen gesellschaftlichen Beziehungen wider. Die Ausplünderung eines großen Teils der Weltbevölkerung durch die Staaten und multinational organisierten Konzerne der imperialistischen Zentren ermöglicht die Privilegierung eines Teils der multi-ethnisch zusammengesetzten (eigentlich ethnisierten) ArbeiterInnenklasse der Zentren als "weiß" und die Diskriminierung eines anderen Teils als weitgehend rechtlos weil "nichtweiß". Erfolgrerich kann diese rassistische Spaltung sein, weil sie auf realen ökonomischen Ungleichmäßigkeiten, Privilegien und metropolitanen Partizipationsmöglichkeiten der Lohnabhängigen basiert. Zur Strategie von KommunistInnen gehört demgegenüber das entschiedene Herausarbeiten der gemeinsam geteilten Ausbeutung und Unterdrückung durch den kapitalistischen Verwertungsprozess und das zur-Geltung-bringen der gemeinsamen Interesse des globalen Proletariats. Das bedeutet jedoch nicht ein Wegdiskutieren rassistischer Unterdrückung, indem sie unter dem gemeinsamen Mantel der Proletarität unsichtbar gemacht wird. Die Selbstorganisation von MigrantInnen im Klassenkampf kann ein notwendiges Stadium sein, um letztlich gemeinsam mit den anderen Teilen des Proletariats an sozialen Kämpfen teilnehmen zu können.

11.

Einer der Mythen, die in der Linken nie zu sterben scheinen, ist die Vorstellung vom "Volk" als handelnder Einheit. Während die "Antideutschen" in ihren Traktaten immer nur gegen "Deutschland" und "die Deutschen" sein wollen und meist nicht genauer erläutern wen sie denn dabei eigentlich meinen und seit neuestem einen, dem des deutschen Faschismus ähnelnden eliminatorischen Antisemitismus bei "den Palästinensern" ausgemacht haben wollen, werden in anderen Teilen der "radikalen" Linken die angestaubten Ideologien nationaler Befreiung "unterdrückter Völker" als Teil des Kampfes gegen den Imperialismus weiter gepflegt. Es ist erstaunlich, welch weitreichende Erfahrungen mit den Kämpfen "antiimperialistischer Befreiungsbewegungen" manche Linke schon gemacht haben, ohne wenigstens dies eine gelernt zu haben: "Völker" als solche kämpfen nicht, sondern immer nur bestimmte Gruppen deren stärkstes Motiv in der Regel ein soziales Interesse ist. Und "Volk" ist keine Kategorie sozialer Befreiung, sondern eine, die immer dann verwendet wird, wenn bestimmten Gruppen daran gelegen ist, widerstreitende Klasseninteressen zu verdecken und in ihrem eigenen Sinne zu bündeln. Die Geschichte all dieser "Befreiungsbewegungen" (Irland, Kurdistan, Baskenland, Palästina etc.) zeigt, dass immer im entscheidenden Moment jene Bewegungsteile, die ein bürgerlich-nationalistisches Konzept verfolgen, die "linken" oder "sozialistischen" Minderheiten, die eventuell tatsächlich weiter gehende Ziele haben mochten als die Errichtung eines eigenen Staates als Machtinstrument einer je nationalen Bourgeoisie, entmachtet und teilweise liquidiert wurden und die herrschende Ideologie in diesen Bewegungen in aller Regel eine reaktionäre, alles andere als emanzipatorische ist. KommunistInnen solidarisieren sich nicht mit "Völkern" sondern immer nur mit Menschen und ihren Kämpfen gegen Ausbeutung und Unterdrückung. Im Gegenteil: wir haben offenzulegen, welche sozialen Interessen sich dahinter verbergen, wenn jemand von "Volk" spricht und im Namen eines solchen die Menschen dazu auffordert zu demonstrieren oder zu den Waffen zu greifen um für ihn die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

12.

Das Gesamtinteresse der Kapitalistenklasse vertritt der Staat. Er sorgt für die Erhaltung der Reproduktionsfähigkeit des kapitalistischen Systems, wenn es sein muß, auch gegen die destruktiven und potentiell selbstzerstörerischen Einzelinteressen von Kapitalfraktionen und Einzelkapitalen. Er sichert durch seinen Repressionsapparat die Herrschaft der Kapitalistenklasse militärisch und polizeilich und wirkt als Zwangsinstrument zur Disziplinierung und Kontrolle der ihm unterworfenen Menschen. Mittels seiner ideologischen Apparate (Schule, Familie, Medien, Kirchen, bürgerliche Parteien...) sichert er die Verinnerlichung der herrschenden Normen und Werte die die bürgerliche Gesellschaft stabilisieren und ihr ihre Zwangsvorstellungen bescheren.
Da der bürgerliche Staat nicht einfach nur ein von oben der Gesellschaft übergestülpter Machtapparat ist, sondern eine in alle Einzelbereiche unseres Lebens hineinwirkende Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, kann er es sich durchaus leisten, immanente Opposition und Kritik an den Verhältnissen in seine Instanzen zu integrieren, zu befrieden und von Waffen gegen ihn in Instrumente seiner Perfektionierung zu verwandeln. Diese Fähigkeit macht seine Effizienz bei der Schaffung von Konsens und der Zersetzung von Gegenbewegungen aus. In regelmäßig wiederkehrenden krisenhaften Modernisierungsprozessen kann der bürgerliche Staat diese Fähigkeit jedoch auch zeitweilig verlieren. Wenn die "unten" nicht mehr wollen und die "oben" nicht mehr können, kann es auch zu revolutionären Situationen kommen.
Im Augenblick sind wir von einer solchen meilenweit entfernt. Der Staat jedoch löst sich auch nicht selber auf und kapituliert vor den angeblich so mächtigen Global Players, Finanzmärkten und Kapitalströmen wie manche "Globalisierungsgegner" meinen. Im Gegenteil: Er transformiert sich und internationalisiert seine Organe, schafft übernationale Instanzen (Europol etc.). Ohne Staatlichkeit, als pure unregulierte Anarchie des Marktes oder gar reine "Diktatur der Konzerne" kann ein kapitalistisches System nicht funktionieren.
Unser Grundsatz im Verhältnis zum bürgerlichen Staat ist: Keinen Mann, keine Frau, keinen Cent, keinen Tropfen Blut diesem Staat. Wir glauben nicht, dass ein "neuer Gesellschaftsvertrag" (Gregor Gysi) oder ein europäischer Sozialstaat den Kapitalismus bändigt. Die jeweilige Verfasstheit eines bürgerlichen Staates richtet sich auch danach, welches die für das Kapital effizienteste und am wenigsten Reibungsverluste produzierende Form von Staatlichkeit ist.
Dieser Staatsapparat muß zerschlagen und ersetzt werden durch die proletarische Selbstorganisation durch Räte in Produktionsstätten, Stadtteilen und Institutionen.

13.

Wenn uns die Herrschenden und diverse bellizistische Linke dazu bringen wollen, Kriege zu unterstützen, die angeblich im Namen von Menschenrechten oder bürgerlicher Aufklärung gegen vormoderne und fundamentalistische Regimes geführt werden, dann müssen wir feststellen, daß diese Bewegungen und Regimes dem Projekt der kapitalistischen Moderne nicht abstrakt als etwas ihr fremdes gegenüberzustellen sind, sondern Reflexe der Gewaltförmigkeit kapitalistischer Vergesellschaft im internationalen Maßstab sind. Wenn uns dann auch noch vermeintliche radikale Linke einreden wollen, die Unterstützung eines imperialistischen Krieges schaffe erst die Voraussetzung für die "soziale Revolution" (was immer sie darunter auch verstehen mögen), dann können wir nur sagen: mit uns nicht!
Wenn sich andere auf ihrem Weg von der Fundamentalopposition gegen dieses System (oder auch nur "gegen Deutschland") zu den Fleischtöpfen akademischer Reputation in den Fallstricken bürgerlicher Staatsvernunft verheddern, offenbaren sie damit nur, dass sie hinter der radikalen Attitüde den alten Mief schon die ganze Strecke lang mitgeschleppt haben.

14.

Wir sind keine PazifistInnen. Kapitalismus ist ein System, das auf Gewalt beruht. Bereits die frühe bürgerliche Aufklärung kannte als Kehrseite ihres Emanzipationsversprechens die Aussonderung der Besitzlosen und für sie Minderwertigen, den Rassismus, die Disziplinierung von Menschen zu der ihr eigenen Form von Rationalität. Militanter Widerstand gegen dieses System gegen ist für uns meistens gerechtfertigt und mitunter notwendig. Aber wir ziehen nicht in den Krieg, weder für "Demokratie" und "Zivilisation" noch für "unterdrückte Völker" und "autochtone Gemeinschaften". Die einzige Position die wir, vor die Wahl gestellt, beziehen, ist die derjenigen, die schon immer für irgendwelche Fahnen, Ideen und herrschende Klassen ihren Kopf hinhalten und die Zeche zahlen mußten und der einzige Kampf den wir unterstützen, ist der internationale Kampf der Proletarisierten gegen jede Art von Unterdrückung und Ausbeutung.

L.G.
 

Editorische Anmerkungen:

Der Text stammt  aus dem Zirkularbrief Nr. 7, Juni 2002, hrg. v. Sozialistische Studienvereinigung, Mühlgasse 13, 60486 Frankfurt a.M.
sozialistische.studien@gmx.net
http://sozialistische-studienvereinigung.frankfurt.org

Der Zirkularbrief wurde uns zur Verbreitung am 11. Juni 2002 zugeschickt.
Er ist im Netz als Pdf-File unter
http://sozialistische-studienvereinigung.frankfurt.org/archiv/zirk0206.pdf
zu beziehen.