An "einige Antifaschisten"
06/02
 

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Wie wir kurz vor dem 1. Mai vom Mehringhofbüro erfahren haben, habt Ihr Euren am 18. April auf Indymedia veröffentlichten Beitrag zu unserer Palästina-Veranstaltung auch ins Partisan.net gestellt. Da Ihr eine Stellungnahme des Mehringhofs zu unserer Veranstaltung verlangt, sind wir vom Mehringhofbüro gebeten worden, Euch zu antworten.
In der Nr. 4/02 veröffentlichten wir unter dem Titel Mehringhof - eine zionistenfreie Zone? Pathologisches aus Kreuzberg einen Bericht von einer Veranstaltung im Berlin-Kreuzberger Mehringhof, verfasst von "einige Antifaschisten" und von agw@gmx.li zugesandt.

Das Büro bat uns zudem, darauf hinzuweisen, dass der Mehringhof der Linken Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, damit diese sich artikulieren kann. Um das Projekt am Leben erhalten zu können, ist der Mehringhof darauf angewiesen, sich nicht in die innerlinken Konflikte hineinziehen zu lassen, also unabhängig bzw. strömungsübergreifend zu sein. Von daher können die Bedingungen für Gruppen, im Mehringhof Veranstaltungen durchzuführen, nicht allzu eingrenzend sein, und es müssen sogar Veranstaltungen möglich sein, hinter denen die Einzelnen im Mehringhof inhaltlich nicht hundertprozentig stehen. Hinzu kommt, dass die Menschen im Mehringhofbüro weder die Möglichkeit noch den Wunsch haben, eine Art Gesinnungspolizei aufzustellen, die jede Veranstaltung auf ihre Vereinbarkeit mit jeder anderen Gruppe in der Stadt überprüft.

Was aber sicher nicht erwünscht ist, sind Veranstaltungen, die ein faschistisches, rassistisches, sexistisches und sicherlich auch antisemitisches Weltbild transportieren. Da Ihr aber den Vorwurf erhebt, unsere Veranstaltung habe einen antisemitischen Grundtenor gehabt, liegt es nun an uns, darauf zu antworten. In dem Vorwort zu unserer allerersten Ausgabe (März 01) haben wir unser Selbstverständnis bestimmt, ein Forum bieten zu wollen, in dem auch kontrovers miteinander diskutiert werden soll. Hierbei wollten wir uns als Redaktion zumindest so weit zurückhalten, dass bei der Veröffentlichung von Fremdbeiträgen keinerlei Kommentierung unsererseits eine Tendenz sichtbar macht. Das Einzige, was neben einem Fremdbeitrag stehen soll, ist ein redaktioneller Hinweis, dass es sich hier um einen Fremdbeitrag handelt. Mehrere Fremdbeiträge auch kontroverser Positionen in einer Ausgabe wären jedoch vorstellbar ebenso wie in darauffolgenden Ausgaben, in denen auch eine Entgegnung unsererseits veröffentlicht werden kann. Dies soll der Diskussion innerhalb der radikalen Linken dienen. Deswegen hätten wir uns gefreut, wenn Ihr auf der Veranstaltung nicht nur mitgeschrieben, sondern Euch an der Diskussion beteiligt hättet. Dies wäre trotz einer Gruppe, die für die Sicherheit der Veranstaltung und der Räumlichkeiten zuständig war, möglich gewesen: Ihr habt es ja auch ohne Probleme in den Versammlungsraum geschafft. Angesichts einer Hysterie in der Berliner Linken zu diesem Thema ist es sicherlich nicht verwunderlich, dass wir vorsichtig sind und einen Schutz organisieren - denn wem würde es nützen, wenn nach einer Schlägerei zumindest Teile des Mehringhofs zerstört wären? Diese Gruppe hatte aber nicht die Funktion, unliebsame Meinungen zu unterdrücken, deswegen stand sie ja auch im Hof und nicht im Versammlungsraum.

Leider habt Ihr aber nicht mitdiskutiert, sondern lieber einen Text geschrieben, bei dem zuallererst Eure Sprache auffällt. Sei es der Begriff "Saalschutz", der normalerweise im Zusammenhang mit faschistischen Parteien benutzt wird und daher mehr als eine beleidigende Tendenz aufzeigt, der Verweis auf Mahler oder Eure Gleichsetzung mit der Barbarei eines Mengele ("Kopfvermessen"), Eure Sprache hinterlässt den Eindruck, dass Ihr schon weit vor Beginn der Veranstaltung voreingenommen gewesen seid. Die Negierung des Vertriebenenstatus des palästinensischen Genossen anhand seines Alters lässt zudem vermuten, dass Ihr kein Interesse habt, Euch in die Lage dieses Menschen zu versetzen. Das zeigt auch Euer Verweis, dass er weder seine Organisationszugehörigkeit noch seinen Namen nennen wollte. Ist es für Antifaschisten wirklich so schwer, zu begreifen, dass ein Flüchtling besonderen aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen unterworfen ist und jederzeit ausgewiesen werden kann, eventuell deswegen seinen Namen nicht nennt? Eigentlich müsstet Ihr auch wissen, dass Deutsch nicht die Muttersprache dieses Genossen ist. Wenn er sich dann in den Tempi verirrt, ist das sicherlich hinnehmbar. Aber warum müsst Ihr die falschen Tempi wiederholen, etwa damit ein anderes Bild entsteht?

Der palästinensische Genosse schilderte die Chronologie dieses Konflikts und sagte zu den 60er-Jahren: "Die PLO vereinigt alle Strömungen des Volkes." Auf heute bezogen wäre dieser Ausspruch natürlich Blödsinn, Sinn erhält er nur in seinem historischen Kontext. Oder Euer Hinweis, die AIK hätte mit Nazis demonstriert: Ohne genauere Angaben ist dieser Hinweis nicht tauglich, ernsthaft in Erwägung gezogen zu werden, und hinterlässt den Eindruck der Diffamierung, damit das von Euch vorgehaltene Bild einer antisemitischen Veranstaltung entsteht. Was uns jedoch schon wütend macht, ist Eure Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus, die in Eurem in eine Frage gekleideten Vorwurf, der Mehringhof sei eine "zionistenfreie Zone" und ließe daher "antisemitische Veranstaltungen" zu, sichtbar wird. Mit dieser Gleichsetzung schneidet Ihr nicht nur eine notwendige Debatte innerhalb der Linken hier ab, Ihr gebt damit auch große Teile der israelischen Gesellschaft zum Abschuss frei. In Eurer Logik sind dann israelische Linke aus dem Alternative Information Center; von Indymedia Israel; jüdische Geistliche beispielsweise von Neturei Karta oder Satmar, die selbst in Israel leben; palästinensische Juden oder jüdische Linke, die beispielsweise in Kanada eine Jüdische PLO gegründet haben - sie alle sind nach Eurer Logik mit allen Mitteln zu bekämpfen, die der Kampf gegen Antisemiten gestattet.

Es passt dann auch, wenn Ihr nur Teile zitiert und diese schon fehlerhaften Zitate ohne ihren Zusammenhang bringt. Der palästinensische Genosse sprach von der Gründung Israels als einem "historischen Fehler" und bezog dies auf die Grundannahme "ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land", ein Mythos, der von der israelischen Linken nach Jahrzehnten seiner Existenz nun zerrissen wurde. Heute ist in der israelischen Gesellschaft mit wenigen Ausnahmen anerkannt, dass diese Grundannahme falsch war ebenso wie die Darstellung des heroischen Kampfes für die Unabhängigkeit Israels einiger weniger, zudem schlecht bewaffneter Kämpfer. Auch bei Eurer Darstellung über die sowjetischen Juden wurden Teile ausgelassen, die jedoch für eine Beurteilung wichtig sind. Der Genosse zeigte auf, dass diese jüdische Emigration ihren Ursprung nicht im Holocaust hat, somit also die Rechtfertigung, ein sicheres Land zu brauchen, hier wegfalle. Sie sind ausgewandert nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und fügten sich in die verschiedenen Siedlergemeinschaften ein, wohlwissend, dass damit die Situation für die palästinensische Bevölkerung weiter verschärft wird. Dass hier eine Logik existiert, deren Ende die vielen Toten dieses Konflikts markieren, sollte allen ersichtlich sein, egal welcher Seite sich zugeordnet wird.

Kommen wir nun zu den sog. Selbstmordattentätern: Der palästinensische Genosse leitete diesen Komplex mit der Frage ein, wieso jemand überhaupt dazu kommt, so weit zu gehen, sich selbst umzubringen. Was ist das Motiv für diese extreme Tat? Er versuchte damit darzustellen, dass die Gegenüberstellung "Selbstmordattentate - ja oder nein" eine Verkürzung darstellt, die auch nicht hilfreich ist, das Problem zu lösen. Er fügte hinzu, dass auch ein Mensch, der in eine Kaserne rennt und dort schießt, ein Selbstmordattentäter ist. Das heißt, dass schon das Bild vom Kinder zerfetzenden Attentäter falsch ist. Aber nicht nur das Bild vom Täter ist falsch, auch das der Opfer ist vielschichtiger. Ein Pilot einer F 16 oder eines Apache-Hubschraubers, der Bomben auf ein Wohngebiet wirft, trifft ebenso Kinder: Das ist das Bild des Krieges, Unschuldige sterben auf allen Seiten. Übrigens erklärte der Genosse, dass die Argumentation für Selbstmordattentate z.B. auch auf Cafés von Seiten des Dschihad und der Hamas geführt wird und nicht von der palästinensischen Linken. Diese könne sich aber nicht von diesen Aktionen distanzieren, sie wäre sonst isoliert, weil die Bevölkerung dermaßen verzweifelt sei, dass sie auch solche Aktionen gutheiße. Die Linke aber führt andere Aktionen durch, Aktionen, die die Politik oder das Militär direkt angreifen. Auch erwähnte er, dass über diese Vielzahl anderer Aktionen die Presse nur selten berichtet, weil sie eben nicht spektakulär genug sind, u.a. weil es oft zu keinen Toten kommt.

Dass Israel ein extrem militarisierter Staat ist, sollte eigentlich von keiner Seite angezweifelt werden. Dies geht schon allein aus der Tatsache hervor, dass der Kriegszustand höchst offiziell seit über einem halben Jahrhundert anhält. Auch dass Israel sich auf eine geplante Besiedelung stützt, sollte eigentlich von allen Seiten anerkannt werden. Aber was bedeutet das? Es bedeutet, dass fast die gesamte Gesellschaft militarisiert wird, dass also die meisten zu Bewaffneten in diesem Konflikt werden. Israel hat z.B. als einer der ersten Staaten Frauen zum Militärdienst zugelassen. Zum Militär gehören in Israel jedoch auch 16-Jährige, die ähnlich wie in der DDR eine paramilitärische Ausbildung absolvieren. Der Genosse berichtete von einem Angriff im Gazastreifen, bei dem einige uniformierte 16-Jährige gestorben waren. Euer diesbezügliches Zitat "16-jährige Juden sind keine Kinder" unterschlägt nicht nur diesen Zusammenhang, auch hier verdreht Ihr wieder das Gesagte, denn der Genosse sprach von "16-Jährigen in Israel".
Wir sparen es uns an dieser Stelle, weiter auf Eure entstellten Zitate einzugehen, einiges haben wir ja schon angesprochen, und eine genaue Darstellung der Veranstaltung werden wir sowieso in unserer nächsten Ausgabe veröffentlichen. Ein Punkt, den Ihr vollkommen unerwähnt lasst, wollen wir hier aber noch nennen. In Eurer Darstellung der Veranstaltung habt Ihr unterschlagen, dass selbst der Wiener Genosse vorschlug, eine Zwei-Staaten-Lösung anzustreben, mithin kann es also nicht um die Zerschlagung Israels gehen. Uns würde schon interessieren, warum dieser Punkt bei Euch gänzlich unerwähnt bleibt. Zu guter Letzt hoffen wir aber, dass Ihr einer Debatte doch nicht abgeneigt seid und Euch bereit erklärt, an einer notwendigen Diskussion über diesen Konflikt teilzunehmen. Unsere Zeitschrift soll dafür ein Forum sein. Wir bieten Euch deshalb an, dass Ihr für unsere nächste Ausgabe Eure Position zu diesem Konflikt darstellt, eine Veröffentlichung ohne Kommentierung unsererseits können wir Euch zusichern. Neben Eurem eventuellen Beitrag wird es auf jeden Fall auch einen Beitrag von Jelena Bonner geben, der eher Eurer Position entspricht, und den ein oder anderen Leserbrief auf die Beiträge aus Wien. Da jedoch die Diskussionskultur innerhalb der radikalen Linken nicht so weit entwickelt ist, dass Fremdbeiträge nicht als Position unserer Redaktion begriffen werden, insoweit sie nicht über einen distanzierenden Kommentar verfügen, sind wir gezwungen, nun schon für die nächste Ausgabe auch unsere Position zu diesem Konflikt darzustellen. Wir werden dabei aber nicht auf Euren möglichen Text eingehen, sondern unsere Kritik gerade auch an den Wiener Genossinnen und Genossen präsentieren.

In diesem Sinne hoffen wir auf eine konstruktive Diskussion.

Redaktion der Zeitschrift Initial

Editorische Anmerkungen:

Der Text wurde uns am 3.6. 2002 v zur Veröffentlichung weitergeleitet. Dazu gab es das folgende Begleitschreiben:

Von: "Tina Modotti" < zeitung_initial@hotmail.com >
An: news@partisan.net

Betreff: Offener Brief an "einige Antifaschisten"


Hallo Leute von Partisan.net,

wir bitten Euch, eine Entgegnung von uns zu einem Text von "einigen
Antifaschisten" zu veröffentlichen, der bei Euch am 17.04.2002 in Eurer  Online-Zeitung abgedruckt wurde. Da uns in diesem Text der Vorwurf gemacht  wird, eine antisemitische Veranstaltung im Mehringhof durchgeführt zu haben,  möchten wir die Gelegenheit haben, auf die Vorwürfe antworten zu können. 

Falls Ihr noch Fragen habt, könnt Ihr Euch an unsere E-Mail-Adresse
zeitung_initial@hotmail.com wenden.

Unsere Entgegnung findet Ihr in der Anlage.
Danke im Voraus

Redaktion Initial

Zum besseren Verständnis dieses öffentlichen Diskussionsangebots haben wir am Textkopf einen Kasten eingefügt.