Queere Politik im Zeitalter des neoliberalen Individualismus

von
Jonas Becker-Tietz
06/02
 

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(1) Die Idee der Queer Theorie und Queer Politics entstand Anfang der 90er Jahren in den USA vor dem Hintergrund der Re-Ideoligisierung von (Hetero-)Sexualität im Zusammenhang mit AIDS und des zunehmenden Identitätsdenkens. Queer umfasst in seiner Beschreibung alles was nicht monogam, heterosexuell ist und zeichnet sich dadurch als Begriff besonders durch die sonstige Nicht-Eingrenzung und somit Offenheit aus, die Theoriebewegung entwickelte sich aus den Erfahrungen des AIDS-Aktivismus, der nicht auf identitären Zuordnungen basierte. Queer Theorie ist dabei im besonderen ein Versuch eine neue Theorievielfalt zu schaffen, welche im Gegensatz zu früheren Theorieansätzen besonders von Seiten der Schwulen Szene, Frauen/Lesben Fragen aber auch Fragen des Transgender Bereichs oder der Bisexualität mit einbezieht und versucht die Problematik von Identität zum Gegenstand der Kritik an Normen und Zwängen von Heterosexualität zu machen. Von einigen werden queere und feministische Thesen vereint um eine Umfassende Kritik einer normalisierten heterosexuellen und geschlechterhierarchisch patriarchalen Gesellschaft zu entwerfen.

(2) Ich will in diesem Artikel der Frage nachgehen, wie sich die Lage von queeren Menschen innerhalb der letzten Jahre verändert hat, und diese Veränderung in den Kontext der neoliberalen Entwicklung vor allem aber des neoliberalen Individualismus betrachten. Mein Ziel ist es mit dieser Grundlage auf Strategiedebatten innerhalb der (Männerdominierten) homosexuellen Bewegung eingehen und als Gegenentwurf zu bürgerlichen Eingliederungsversuchen seitens des LSVD eine weitgehende und queere Normenkritik darstellen. Dadurch ergibt sich natürlich ein Schwerpunkt auf Unterdrückung von Homosexuellen, ich werde aber dennoch versuchen z.B. Transgender nicht auszusparen.

(3) Heutzutage hört mensch immer öfter von „selbsternannten Wortführern“ der Homosexuellenbewegung, dass die Gleichstellung von Lesben und Schwulen zumindest in Deutschland den Siegeszug angetreten hätte. Und tatsächlich bietet sich einem auf den ersten Blick ein Bild der Entspannung, Schwule und Lesben sind scheinbar aus der Nische der Marginalisierung und der Todgeschwiegenen herausgetreten und haben zumindest in Europa Einzug in Fernseh- Soaps, in die Werbung und vereinzelt sogar in die Politik gehalten. In Paris und Berlin regiert ein schwuler Bürgermeister, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt und die Homo-Ehe scheint ein weiteres Beispiel, dass Lesben und Schwule auf dem Weg der Gleichberechtigung sind. Selbst in Ländern in denen Religiöse und Konservative noch offen gegen die „Sünde Homosexualität“ wettern wie den USA, hat sich mit Ally McBeal eine Serien-Figur im Staatlichen Fernsehen als Lesbe geoutet. Auch wenn die Entwicklung in dieser Serie einen Homophoben Aufschrei ausgelöst hat und sie letztlich abgesetzt wurde (nicht im direkten Zusammenhang mit der konservativen Reaktion), scheint es doch als Fortschritt, dass eine Serien-Sympathie-Figur eine Lesbe sein kann.

(4) Komplett falsch ist diese Analyse meiner Meinung nach nicht. Eine (Männerdominierte) Homosexuellenbewegung seit den 70gern hat es zumindest geschafft Homosexualität zumindest Formal aus der Illegalität zu befreien und vielen Politikern einen Maulkorb der Toleranz aufzusetzen. Doch in der Realität sehen die Unterdrückungsmechanismen die Homosexuelle belasten anders aus. Die Diskriminierung von Nicht- Heterosexuellen in der Schule und in Betrieben, in der Familie oder in der Öffentlichkeit hält unvermindert an (Beispiele hierfür sind von vielen anderen Autoren erbracht worden und ohnehin den meisten queeren Menschen vertraut, deshalb will ich nicht näher, und in der Kürze undifferenziert, darauf eingehen).

(5) Aus diesen beiden Zustandsbeschreibungen müsste mensch die Fatale Schlussfolgerung ziehen, dass die Medien und die Regierung, im Vergleich zum „Normalbürger“, eine progressive Rolle im Kampf gegen Homophobie einnehmen. Demgegenüber stehen jedoch Fälle wie die Zwangsversetzung eines Schwulen Offiziers der Bundeswehr ("Homosexualität begründet erhebliche Zweifel an der Eignung und schließt eine Verwendung in solchen Funktionen aus, die an Führung, Erziehung und Ausbildung von Soldaten gebunden ist"(Scharping)), die von der gleichen Regierung betrieben wird, die die Homo-Ehe einführen möchte. Ebenso wie die Nicht-Thematisierung von Repressionen gegen queere Menschen in den gleichen Sendern die in ihren Soaps Schwule und Lesbische Akteure auftreten lassen. Angebliche Liberalisierungen für alle Homosexuelle wie die Homo-Ehe scheinen beim genauerem hinsehen nicht als Fortschritt, da sie wichtige Verbesserungen wie z.B. ein Adoptionsrecht für Homosexuelle Paare von vorneherein ausklammern, anstatt eine Umfassende Gleichbehandlung aller Lebensformen zu verwirklichen, dienen sie vor allem einem kleinen Teil von Homosexuellen, denen, die sich unkritisch in die Bürgerliche Gesellschaft eingliedern wollen. Die Homo-Ehe drängt so Homosexuelle so zu einer Übernahme von Heterosexuellen Lebensnormen wie der Kleinfamilie und stellt sich letztlich ebenso dar wie die Forderrungen, Frauen in die Bundeswehr aufzunehmen.

(6) Dieser scheinbare Gegensatz von Verbesserungen und Ausgrenzungsmechanismen lässt sich nicht als Teilverbesserung abfeiern. Natürlich haben sich einige rechtliche Bedingungen für Homosexuelle verbessert, zumindest wird mensch nicht mehr Strafverfolgt, gleichzeitig hat die scheinbare Eingliederung von Homosexuellen in die „Legale Gesellschaft“ auch vielfältige Kontroll- und Manipulationsmöglichkeiten geschaffen. Und abgesehen davon, dass die Einbeziehung von Homosexuellen dort aufhört wo „reflektierte“ oder „andersartige“ homosexuelle Lebensweise anfängt, dort wo die künstlichen Gegensatzpaare Frau/Mann Hetero/Homo etc. in Frage gestellt werden, dort wo durch die Dynamik der Szene neue, noch unvermarktbare Kultur entsteht, oder dort wo alternative Zusammenlebensformen die Bürgerliche Monogamie und Zweier-Beziehungen in Frage stellen. Abgesehen davon, dass große Gruppen von Menschen wie Transgender von jeglichen Verbesserungen komplett ausgeschlossen sind, lässt sich die heutige Entwicklung nicht bloß auf eine progressive Reformierung zurückführen.

(7) Wir befinden uns in einem Jahrzehnt des Neoliberalismus und mit den Wirtschaftlichen folgen hat Neoliberale Individualisierungspolitik längst Einfluss auf den gesellschaftlichen Umgang mit Homosexuellen bekommen. Die Individualisierung hat zumindest in der „ersten Welt“ zu einer scheinbaren Verwischung von Klassen und (Rand-)Gruppen geführt. Nicht im Sinne einer Gleichstellung, sondern strikt nach dem Konzept von Verwertbarkeit innerhalb des Systems, nach dem Konzept der Vermarktung und der Konsumgesellschaft. Einzelne, individuelle Personen, wurden mit dieser Logik in das hierarchische System eingegliedert. Der Sohn eines Fabrikarbeiters kann - wenn auch nie gleichberechtigt mit dem Sohn eines Unternehmers - solange er sich komplett der Verwertungslogik hingibt in die hohen Etagen von Konzernen aufsteigen, die Tochter kann so sie der Norm „schön“ entspricht und genügend Zeit und möglichst auch Geld in körperliche Entstellung investiert als Model Kaiere machen. Esoterische und alternative Ideen werden von modernen Managern genutzt, um die Arbeitsfähigkeit ihrer Arbeiter zu optimieren usw. und so fort. Der Vorteil für die Mächtigen dieser Welt liegt auf der Hand, die Ökonomie muss nicht auf Grund von ideologischen Barrieren auf wichtige Möglichkeiten verzichten Profit zu maximieren, der Feldzug der Vermarktung aller Lebensbereiche kann sich ausweiten und nebenbei gibt man(n) sich ein Tolerantes Image. In der Realität werden alle Menschen in den doppelten Zwang gestellt einerseits, über verschiedenen Klassen stehenden Normen zu genügen und andererseits auf grund ihrer sozialen Lage/ ihrer Stellung im Produktionsprozess, „Normalerweise“ nicht die Möglichkeit zu haben, dies auch nur annährend zu erreichen.

(8) Die neoliberale Individualisierung führte in einigen Ländern auch mit sich, dass Schwule und Lesben Einzug in die Werbung halten, aber eben nur solange mensch daraus Profit schlagen kann und nur ein bestimmter Typ Schwuler, ein bestimmter Typ Lesbe. Mit diesen zur Stereotypen hochsterilisierten Individuen wird einerseits Toleranz vorgetäuscht und andererseits werden Randgruppen in neue Normierungen gepresst, um sie besser unter Kontrolle zu halten und Widerstand zu brechen. Das diese Profitlogik und Normierungslogik nicht zu Emanzipation führt, haben schon ähnliche Entwicklungen in früheren Zeiten des Kapitalismus gezeigt. Gleichzeitig möchte ich radikalen Queer Theorien widersprechen, die diese Entwicklungen einseitig als Rückschritt verstehen, eben diese Analyse von Neoliberalismus finde ich verkürzt, da sie nicht berücksichtigt, das trotz aller Gefahren und Nachteile, die die Verwertungslogik mit sich bringt, der Individualismus auch Freiräume für Einzelne schafft, die für diese von Vorteil sind. So ist die Homo-Ehe sicherlich kein Vorschritt für die Homosexuellen an sich und erst recht nicht für deren Bewegung, dennoch mag es für einige eine Erleichterung bringen und ist deshalb auch nicht strikt abzulehnen. Deutlicher wird dies aber bei anderen Entwicklungen wie der Medienpräsentz von Lesben und Schwulen. Diese Entwicklung führt als Nebenprodukt mit sich, dass Jugendliche, als Zielgruppe von Soaps, mit Homosexualität Konfrontiert werden und so Toleranz und Respektierung von Homosexuellen in der heutigen Jugend zunimmt. Es ist auch zu bemerken, dass die heutige Jugend im Gegensatz zu der 80‘er Generation wieder Ideen der Selbstbewussten Frau aufnimmt, meiner Meinung nach ein Produkt der unfreien Freiräume des Individualismus. Ein Schwuler der bei seinem Coming out in der Schule von den beschriebenen Folgen der Individualisierung profitieren kann, muss nicht automatisch dadurch in das kapitalistische Verwertungsdenken fallen.

(9) Im Zuge der neoliberalen Umstrukturierung ist auch eine Neuformierung von Gender-Rollen zu bemerken. Es gibt neue Rollen-Vorbilder die wesentlich differenzierter daher kommen, so gibt es gleichzeitig ein neues Hoch der Macho-Kultur, wie sich auch akzeptierte Rollen des sensiblen, „weiblichen“ Mannes ausbreiten. Die Individualisierung spült einiges nach oben, was durchaus angenehmer zu ertragen sein kann, ohne jedoch jemals in irgend einer Form dabei die Geschlechternormierung anzuzweifeln, somit auch ohne Verbesserungen für Transgender.

(10) Nichtsdestotrotz hat die Individualisierungsideologie fatale Folgen auf politisches Bewusstsein und verschiedensten Bewegungen. Sie spaltet die Menschen leichter voneinander und führt zu getrennten, entsolidarisierten Prozessen. Wichtig ist mir jedoch lediglich die Erkenntnis, dass die positiven und die negativen Entwicklungen nicht von einender losgelöst ablaufen, sondern zwei Auswirkungen einer Entwicklung sind, die im dialektischen, in sich selbst vereinten Widerspruch zueinander stehen, die Ausprägung dieser Entwicklung ist, je nachdem wie stark konservative/ modernisierende Kräfte gerade sind unterschiedlich. Will heißen, dass auch konservative und religiös beeinflusste Regierungen/ Personen Neoliberal sein können und dennoch queere Menschen am liebsten hinter Gittern sehen.

(11) Nichtsdestotrotz bleibt für die homosexuelle Bewegung entscheidend, dass die angebliche Liberalisierung ein Irrweg ist, den mensch sich nicht auf die Fahnen schreiben sollte. Das ist natürlich einfach gesagt, die Realität ist jedoch, dass mensch schon froh sein kann, wenn bei einer der zur Exotenschau verkommenen CSD-Paraden überhaupt irgendein Inhalt Transportiert wird. Doch gerade angesichts des konservativen Role-Backs, dass es in der Zukunft geben könnte, einhergehend mit einer zunehmenden Rechtsentwicklung in Europa, ist eine Queere Bewegung, die mit politischen Inhalten, die über Exoten-Toleranz-Bestrebungen hinausgehen an die Öffentlichkeit tritt und politisch Kampffähig ist absolut notwendig. Dabei müssen die strategischen Möglichkeiten vor Ort ausgelotet werden, in welcher Form mensch Einfluss auf die Bewegung haben kann, oder mit dem Aufbau einer alternativen Bewegung beginnen muss. Es gibt Beispiele, wo eine politische Ausrichtung wie „Queer gegen Rechts“ zumindest zum Teil, zu einer Politisierung führen konnte. Auch der World-Proud-March, der letztes Jahr in Italien durch Angriffe von Rechts aufgrund des Heiligen Jahres wieder einen Demo- Charakter angenommen hat, lässt auf die weltweite Bewegung hoffen. Überall dort wo frontale Angriffe auf Homosexuelle stattfinden, wird die Bewegung lebendiger und integriert mehr und mehr Frauen/Lesben zusammenhänge, aber auch Randgruppen wie Transgender Menschen. Die Bewegung weitet sich weltweit aus und in immer mehr Ländern finden Gay-Pride Demos statt.

(12) Die Bewegung in Deutschland lahmt an ihrer bürgerlichen Führung dem LSVD, dieser hat die Homo-Ehe als einzige politische Forderung an die Front gestellt und wirbt dafür mit Plakaten, die Schwule Paare als die bessere Familie darstellen. Diese Forderung muss auch inhaltlich geknackt und als Front-Forderung abgelöst werden. Dies kann unabhängig von der regionalen Situation nur dann geschehen, wenn es gelingt, wieder größere Strukturen zu schaffen, die die radikale und normenkritischen queeren Gruppen und Szene-Strukturen umfasst, die auf einer Queer-Politischen und offenen Grundlage zusammenarbeiten und eine weitergehende Kritik in die queere/ homosexuelle Bewegung, an die Öffentlichkeit und in andere soziale Bewegungen tragen. Eine wichtige Anregung hierfür kann die Antiglobalisierungsbewegung sein, hier ist es zumindest zum Teil gelungen mit den Pink und Silver Blocks queere Identität und Theorie in die Bewegung zu importieren. Dennoch, ein Hauptgrund, warum die homosexuelle Bewegung nicht politischer ist, ist die Nichtbehandlung queerer Fragestellungen durch linke Strukturen. Besonders der Transgenderbereich wird komplett ignoriert. Strikte Zwei-Geschlechter Trennung in Frau/Mann als Gegensatzpaar dominiert auch die Linke und bestimmt alle Bereiche unseres Denkens. Die meisten Gruppen setzten sich aber nicht einmal ein bisschen mit queeren Themen auseinander, geschweige denn betreiben queere Politik. Dieses Verhalten an sich ist schon homophob, da durch die Nichteinbeziehung queerer Fragen die Heteronormativen Verhältnisse bestätigt und gestärkt werden, so tragen die meisten linken Strukturen selbst zur Unterdrückung von queeren Menschen bei. Demgegenüber müssen Gruppen die sich in queeren Zusammenhängen einbringen wollen politische Strategien entwerfen, wie Homophobie, Geschlechter und Gendernormen bekämpft werden können.

(13) Es ist besonders in der Revolutionären Linken endlich der Irrglaube zu brechen, Unterdrückung von queeren Menschen, oder sonst eine Unterdrückung die auf von der Gesellschaft getragenen Normen basiert, würde sich automatisch und ohne eine offensiven streit innerhalb der Arbeiterschaft und innerhalb des heutigen Systems, nach einer sozialen Revolution ergeben oder verbessern. Es ist wichtig, bei Wechselwirkungen zwischen Normierungen, Interessen von Kapitalisten und der Sozialisation des „kleinen Menschens“ genau zu trennen und zu differenzieren. Simple Denkmodelle, wie „die Herrschende Klasse benutzt die Unterdrückung von ... als Spaltungsmechanismus gegen die Arbeiterschaft“ verkennen die Ausmaße der systemerhaltenden, aber auch teilweise lenkenden Eigenschaften von bestimmten Normen im Kapitalismus. Es bleibt dabei trotzdem wichtig, das Interesse von Großkonzernen z.B. an unbezahlten Hausfrauen zu erkennen, dennoch reicht dies nicht aus um eine Gegenstrategie für zukünftige Zeiten zu entwickeln, sondern es ist vor allem entscheidend, die Normierungen zu erkennen und ihren Wirkungsweisen schon jetzt etwas entgegen zu stellen, was wiederum eine umfassende queere Gesellschaftskritik voraussetzt

(14) Entscheidend für eine queere Gesellschaftskritik ist dabei der Begriff der Heteronormativität, Er bezeichnet die vorherrschende Norm, dass z.B. jeder Mensch den wir kennen lernen erst einmal heterosexuell ist bis er uns das Gegenteil erzählt, also Heterosexualität als Normenzustand begriffen wird. Er bezieht sich aber nicht nur auf sexuelle Fragen sondern weißt darauf hin, dass Heterosexuelle Normierung, die damit verbundene Hierarchisierung von Geschlechtern und die Rollen-Schemata unser gesamtes gesellschaftliches, politisches und vor allem auch ökonomisches Leben bestimmt. Aufgrund der heteronormativen Zustände in dieser Gesellschaft ist es nötig und wichtig das queere Menschen sich outen müssen und nicht einfach als Menschen mit unbestimmten vorlieben Leben können. Heteronormativität dring aber zum Bespiel auch in viele homosexuelle Beziehungen ein, in denen einer den weiblichen und der andere den männlichen Part übernimmt.

(15) Die heteronormativen Zustände stehen also in engem Zusammenhang zur strikten Zwei- Geschlechter Trennung in Frau/ Mann als Gegensatzpaar. Die Gesellschaft basiert dabei in allen Teilen ihrer Organisation auf einer Hierarchisierung dieser Geschlechter und ihrer Beziehung zueinander, der sogenannte Geschlechterkampf verdeutlicht diese Auffassung. Die Frau/ Mann Aufteilung und die damit eng Verbundene Hierarchisierung müssen Kritisiert werden, um eine Theorie zu schaffen, die Transgender Menschen und alle die sich selbst als außerhalb der Geschlechterzuordnung definieren, mit einbezieht. Das heißt auch sich aus einem gesellschaftlich toleriertem Meinungsspektrum zu verabschieden und nicht mehr ausschließlich historische Gegebenheiten zu hinterfragen, sondern vor allem die Infragestellung dieser Geschlechter in der heutigen Zeit zu betrachten.

(16) Die Trennung und die inhaltliche Normierung von zwei Geschlechtern ist zwar keinesfalls Gott gegeben, es gibt z.B. einige Stämme von Uhreinwohnern in Afrika und Amerika die mehr als nur zwei Geschlechter kannten und es gibt Fälle bei denen sich Menschen in diesen Stämmen selbst für den Wechsel eines Geschlechte entschieden und auch so Akzeptiert wurden, trotzdem hat sich nach Auffassung vieler Historiker schon recht früh eine bestimmte Arbeitsteilung der Geschlechter ergeben, die wir in unserer heutigen Zeit jedoch hinterfragen müssen.

(17) Vor allem aber die heutige Existenz von Transgender-Lebensweisen beweisen, sofern mensch sie nicht als biologischen Fehler ansieht, dass eine rein biologische Unterschiedlichkeit, zwischen geborenen Frauen und geborenen Männern nicht zu einem spezifischen Verhaltensmuster oder bestimmten Rollen führt. Das heißt in der letztlichen Konsequenz also, dass wenn wir als Frau geboren werden, wir deswegen nicht als Frau leben. Nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Forschung lässt sich meiner Meinung nach nicht genau bestimmen, welche Faktoren genau dazu führen wie sich ein Charakter entwickelt. Fest steht für mich, dass wir den marxistischen Satz „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ auch weitgehend auf die Geschlechterzuordnung, im Sinne einer Inhaltlichen also einer auf das Verhalten bezogenen Zuordnung beziehen kann. Das heißt also, dass sich aus einer wie auch immer gebildeten Schnittmenge aus Erfahrungen die wir während unseres Lebens machen unsere Persönlichkeit bildet. Diese Unbewiesene Auffassung steht in direktem Gegensatz von der Auffassung vieler Biologen und Genforscher, die das Verhalten eines Menschen vor allem durch die genetische Vorbestimmung gebildet sehen. Doch betrachten wir heutige Lebensweisen hinken viele dieser radikalbiologischen Argumente, zum Beispiel das Argument, dass Transgender Menschen jeweils mehr weibliche oder mehr männliche Hormone im Körper hätten ist nur ein Versuch von Wissenschaftlern ihre wissenschaftliche Normierung und zweifelhaften biologischen Zuordnungen aufrecht zu erhalten. Es mag durchaus Fälle geben, auf die diese Analysen zutreffen, aber es gibt ebenso viele Transgender Menschen, bei denen keine andere Hormonverteilung nachweisbar ist, was wiederum dazu führt, dass weder deren Veranlagung noch sonst irgendwelche angeborenen Grundlagen zu deren Persönlichkeit geführt haben.

(18) Diese Analyse führt mich aller Gegenargumente zum Trotz zu der Annahme, dass die heutige Einteilung von Geschlecht und nicht nur die mit ihr verbundenen Gendernormen nicht einer „natürlichen“ Persönlichkeit der Menschen entsprechen und daher gesellschaftlich konstruiert sind. Auf Basis dieser Feststellung gilt es sich zu überlegen, wie menschliches Leben in einer Zukünftigen Gesellschaft, weitgehend frei von Normierungen zu Leben ist und wie es zu Leben sein soll. Ich hoffen, dass letztlich freiere Entfaltungsmöglichkeiten von Geist und eine Verringerung der normierenden Außeneinflüsse, verbunden mit einer nicht hierarchischen und auf Vermarktung ausgerichteten Gesellschaftsordnung, dazu führen können, dass es zu einer Veruneindeutigung von Geschlechtern kommt, also einer Verwischung und Vermischung von geschlechtlichen Barrieren und damit einer freieren Entwicklung über Gender- Barrieren und Einteilungen in Geschlechtergruppen hinaus. Diese auf Verhaltensmuster bezogene Behauptung trifft auch auf sexuelle Ausrichtungen wie Heterosexualität/Homosexualität zu. Eine Veruneindeutigung von Geschlechtern, auch auf das Äußere bezogen, würde auch eine genauere Festlegung auf das gleiche oder das andere Geschlecht erschweren. Der einzige Unterscheidungspunkt, wären nur noch biologischen Äußerlichkeiten die aber durch eine abrücken von der Erotik durch Geschlechtsabgrenzung, wie sie heute gesehen wird, an Bedeutung verlieren würden. Somit wären die Gegensatzpaare Frau/Mann, wie auch Homo/Hetero, Grundvoraussetzungen für irgend geartete Unterdrückung aufgrund von Geschlecht oder Sexualität verwischt und letztlich aufgelöst.
 

Editorische Anmerkungen:

Der Text erschien in dem Projekt Open Theory und kann dort in der Version 1, vom 18.05.2002  kommentiert werden. Er ist eine Spiegelung von http://www.opentheory.org/queertheory/text.phtml