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Lesben, Schwule
und andere Nebenwidersprüche


Heterosexismus in der Linken?

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Homosexualität ist heutzutage vielfach in den Medien präsent, der Bundestag und die Öffentlichkeit diskutieren über die sogenannte Homoehe. Dennoch ist den meisten Linken klar, dass damit ein Ende der Diskriminierung noch lange nicht abzusehen ist. Dass Lesben und Schwule jedoch auch in der linksradikalen Szene mit Homophobie(1) und Heterosexismus(2) konfrontiert sind, darüber wird sich nur ungern auseinander gesetzt.

In den 80er Jahren werden Sexismus, Heterosexismus und Homophobie in der Nürnberger linksradikalen Szene vermehrt zum Thema. Feministinnen erklären das Private als politisch und kämpfen gegen die Subsummierung des Patriarchats unter "Nebenwidersprüche". Slogans wie "Feminismus ist die Theorie, Lesbianismus die Praxis" führen schon mal dazu, dass eine gesamte Frauengruppe ihr Coming-out beschließt. Haben Lesben durch den Feminismus einen gewissen Rückhalt, so fehlt den schwulen Szenemännern dieser Kontext. Feministische Analysen kritisieren zwar den Heterosexismus als gesamtes System, doch in der gemischten Szene sind diese Auseinandersetzungen schon immer weniger verbreitet als unter FrauenLesben, so dass die Diskriminierung von Schwulen deutlich weniger problematisiert wird. Zur Zeit des Nürnberger Besetzerrates kommt es mehrfach zu homophoben Ausfälligkeiten. In den 90er Jahren schließlich gibt es bei den Nürnberger Autonomen keinen offenen Schwulen mehr. Lesben haben zwar einen besseren Rückhalt in den feministischen Szenezusammenhängen, sehen sich jedoch sofort mit dem Pauschalurteil "unpolitisch" konfrontiert, sobald sie sich als Lesbengruppe organisieren.

Politisch nicht ernst genommen und mit unsolidarischem Verhalten konfrontiert sehen sich Lesben, Schwule und Feministinnen häufig auch in der Antifa-Szene. Zur Kritik an Antifa-Macker-Verhalten ist schon zur Genüge geschrieben worden, beispielhaft sei hier jedoch auf die 1. Mai-Demonstration 1999 in Leipzig verwiesen. Zum Protest gegen den Nazi-Aufmarsch mobilisiert auch ein Bündnis von Lesben-, Schwulen- und Transsexuellengruppen. Im Laufe der Auseinandersetzungen mit der Polizei und längerer Debatten, wie es weitergehen soll, findet sich der Queer-Block plötzlich völlig allein wieder. Die meisten Antifas haben beschlossen, die Konfrontation mit den Nazis zu suchen (was ja noch nicht das Problem wäre) und lassen den weniger mobilen Queer-Block ohne Unterstützung zurück. Schlussendlich passiert nichts Schlimmeres, eine Auseinandersetzung über das unsolidarische Verhalten der restlichen Antifa-Demonstration findet jedoch auch nicht statt.

Der backlash gegenüber feministischer Theorie und Praxis kommt auch in der linksradikalen Szene deutlich zum Tragen. Hinzu kommen heftige Sexismus-Auseinandersetzungen in der Szene selbst, die für einige Frauenlesben den Rückzug von den Autonomen zur Konsequenz haben und Sexismus zum Tabuthema werden lassen. Statt sich mit den Fehlern in der Sexismusdebatte auseinander zu setzen, wird Feministinnen und insbesondere Lesben auch noch fehlendes politisches Engagement vorgeworfen. Schließlich schwappt - mit der üblichen zeitlichen Verzögerung - der Gender-Diskurs über den großen Teich und führt in der bundesdeutschen Linken zu deutlicher Verunsicherung. Zeitweise dominieren dann Interpretationen von Butlers Dekonstruktionsansatz,(3) die eine eigenständige Organisierung von FrauenLesben und Lesben und Schwulen für überflüssig erklären. Ein Teil der linksradikalen Männer versucht, aus Judith Butlers Kritik an biologistischen Ansätzen und Identitätspolitik den gesamten Feminismus und zugleich jegliche Notwendigkeit, ihr eigenes sexistisches Verhalten zu bearbeiten, ad acta zu legen.

In der folgenden Rassismus-Debatte, die in den letzten Jahren in der Linksradikalen relativ breit geführt wurde, zeigt sich dann überdeutlich, dass das Patriarchat von vielen Szeneleuten nur noch als Nebenwiderspruch gehandelt wird. Zeitweise können sich FrauenLesben nicht des Eindrucks erwehren, dass Rassimus und Sexismus/ Heterosexismus gegeneinander ausgespielt werden.

Hier soll nicht in Abrede gestellt werden, dass oft in der Lesbenbewegung in der Rassismus-Auseinandersetzung unter umgekehrten Vorzeichen eine ähnliche Ein-Punkt-Politik vertreten und eben Rassismus im Verhältnis zu Sexismus/ Heterosexismus als Nebenwiderspruch behandelt wird. Doch hier folgt die Kritik als "reformistische Identitätspolitik" auf dem Fuße, während zu kurz gegriffene linksradikale Politik der gemischten Szene an revolutionärer Kraft nichts einzubüßen scheint, wenn sie die Komplexität von Herrschaftsstrukturen in Theorie und Praxis ignoriert.

"Die Vorstellung von zwei Frauen, das geht ja noch - aber bei Männern wird es dann richtig schwierig!" - diese Aussage eines Mannes, geäußert in einer Rassismus-Debatte, löst keine größeren Auseinandersetzungen aus. Zum Ausdruck kommt hier Homophobie, ein Nicht-Ernstnehmen von Lesben und eine spezielle Diskriminierung von Schwulen. Zum Problem gemacht werden jedoch nicht die Aussage und das Denken, das sie beinhaltet, sondern diejenigen Lesben, die Protest anmelden. Ihnen wird rassistisches Verhalten vorgeworfen, weil sie einfordern, dass sowohl über Rassismus als auch Heterosexismus diskutiert werden muss. Als exemplarisch kann gelten, dass der deutsche "Genosse" mit seiner Aussage vordergründig charakterisieren will, wie Flüchtlinge denken, damit jedoch seine eigenen Vorbehalte zum Ausdruck bringt.

Zu Beginn der antirassistischen Unterstützungsarbeit haben gerade Linksradikale Flüchtlinge gerne per se zum "revolutionären Subjekt" erhoben. Abgesehen davon, dass hier eine Funktionalisierung für den eigenen politischen Ansatz stattfindet, werden auftretende Widersprüche und Probleme vielfach gedeckelt. So manche Autonome rechtfertigen sexistische und heterosexistische Sprüche dann schon mal mit "andere Kultur" und "das kommt von der Religion". Damit wird den GenossInnen in den Rücken gefallen, die ebenfalls aus jener "Kultur" kommen, jedoch ganz andere Konzepte verfolgen. Jegliche Solidarität entzogen wird dabei eben auch den lesbischen und schwulen GenossInnen. Wenn die Weigerung eines Mannes, dasselbe Geschirr wie ein Schwuler zu benutzen, nicht problematisiert wird, weil er Flüchtling ist, dann wird der "Kampf gegen jede Form der Unterdrückung" aufgegeben. Oder negativer interpretiert: Unter antirassistischen Vorzeichen wird Homophobie toleriert und Heterosexismus an den Tag gelegt. Zudem zeigt sich hier eine verkürzte Vorstellung von Rassismus. So spielt bei der Notwendigkeit zur Flucht, insbesondere für Frauen, Lesben und Schwule, oft die Konfrontation mit gesellschaftlichen Normen, sexueller Gewalt und Homophobie eine wichtige Rolle.

Hinzu kommt, dass die Flüchtlinge hier zu Lande mit westeuropäischen Politikansätzen
konfrontiert sind und sich oft in linksradikalen Zusammenhängen nicht wieder finden können. Das gilt auch für die Auffassungen von Feminismus und von Homosexualität. Hier herrscht zum einen in der Lesbenszene und feministischen Bewegung nach wie vor unzureichendes Interesse an Auseinandersetzungen vor. Zum anderen kommt es aber auch immer wieder zu großen Missverständnissen. So ist eine Frau aus dem Iran überzeugt, Lesben seien Frauen, die sich zu Männern umoperieren lassen. Zu dieser Ansicht ist sie gelangt, weil sie das erste Mal von Lesben im Kontext eines Asylverfahren gehört hat, in dem eine Transsexuelle anerkannt wurde. Derartige Missverständnisse, mit denen Lesben im Kontext von antirassistischer Politik konfrontiert sind, lassen sich keinesfalls verallgemeinern, umreißen jedoch Schwierigkeiten, mit denen umzugehen ist. Das allerdings wird von den GenossInnen oft ganz selbstverständlich als Aufgabe "der Betroffenen" angesehen, d.h. dafür sind eben Lesben und Schwule zuständig.

Flüchtlinge sind ebenso feministisch, homosexuell, konservativ, religiös, politisch, atheistisch und sexistisch wie andere Leute auch. Damit muss antirassistische Politik einen Umgang finden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Auseinandersetzung mit Homophobie beispielsweise für Flüchtlinge, die gerade aus einem Land kommen, in dem auf Homosexualität die Todesstrafe steht, anders darstellt, als für Eingeborene. Auch wir haben leider keine Patentlösungen. Klar ist jedoch, dass die Auseinandersetzungen geführt werden müssen. Und zwar vor allem darüber, inwieweit GenossInnen deutscher Herkunft eigenes heterosexistisches Verhalten mit politischen Erklärungen rechtfertigen. Eine linksradikale Szene ist weder glaubwürdig noch linksradikal, wenn sie nicht gleichermaßen gegen Rassismus, Sexismus, Zwangsheterosexualität und alle anderen Herrschaftsstrukturen kämpft. Nehmen wir die Herausforderung an?!!

Die Annanymas

Anmerkungen:
(1) Homophobie meint Angst, Abneigung und Ekel gegenüber Lesben und Schwulen.
(2) Heterosexismus bzw. Zwangsheterosexualität sind die Strukturen, die das patriarchale System durchziehen und sicher stellen sollen. Betroffen sind davon Lesben und Schwule, oft aber auch die Frauen, die sich nicht entsprechend den Normen verhalten und die männliche Dominanz in Frage stellen. Feministinnen werden häufig zum Zwecke der Diffamierung und Disziplinierung als Lesben bezeichnet, wenn sie frauenbezogen argumentieren und leben.
"Der Sexismus hat die 'Weiblichkeit' und 'Männlichkeit' geschaffen, die wir heute kennen; denn unsere Geschlechtsidentität entsteht durch psychosoziale Konditionierung. Zwangsheterosexualität bezieht sich auf die Ideologie und soziale Praxis, welche die entsprechend konditionierten Männer und Frauen zu Paaren zusammenführt und sie im Glauben lässt, dies sei ihre freie Entscheidung." (Mariana Valverde: Sex, Macht und Lust; S. 89f).
(3) Der Dekonstruktionsansatz, dessen bekannteste Vertreterin Judith Butler ist, geht davon aus, dass Geschlecht nicht naturhaft gegeben, sondern ein Konstrukt ist, das gesellschaftlich immer wieder aufs Neue reproduziert wird. Die als natürlich gesetzte Zwangsheterosexualität könnte ohne die Unterscheidung in weibliche und männliche Geschlechtsidentität nicht existieren. In den Worten Butlers: "Es gibt keine originäre oder primäre Geschlechtsidentität, sondern die Geschlechtsidentität ist eine Imitation, zu der es kein Original gibt." Gleichzeitig wendet sich Butler gegen die Wendung des Dekonstruktionsansatzes gegen den Feminismus: "Offenbar ist es wichtig, von Anfang an eine starke Unterscheidung zu treffen zwischen Inanspruchnahme von Geschlecht als dem Grund oder der Fundierung einer politischen Bewegung und der Inanspruchnahme von Geschlecht als Begriff ohne den der Feminismus nicht auskommt. Ich meine, der Feminismus braucht die Kategorie 'Frauen' (...)".