Editorial
Auf der Höhe der Zeit

von Rebecca Epstein 

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In der letzten Ausgabe unseres politisch-theoretischen Magazins wurde die Gründung einer "Gesellschaft für kritische Sozial- und Subjektwissenschaft" angekündigt und die dazugehörige Gründungserklärung veröffentlicht. Die Mai-Redaktion versprach außerdem, dass sie ihre Kritik an diesem Projekt alsbald zu formulieren gedenke. Dabei ist es bis heute geblieben - eine nette Hinterlassenschaft an die Juni-Redaktion!

Um ehrlich zu sein, ein gesteigertes Interesse sich mit dieser Erklärung kritisch würdigend auseinander zu setzen besteht meinerseits nicht. 

Wer einmal seinen Blick über die linke bzw. linksradikale Politlandschaft in diesem Land schweifen lässt, kann unschwer übersehen, dass es (minus solcher, die sich auf den Marxismus-Lenismus beziehen), bei allen zum guten politischen Ton respektive Selbstverständnis gehört, "Theorie auf der Höhe der Zeit" erarbeiten und formulieren zu wollen. In der Tat handelt es sich dabei zumeist um wenig Vorwärtsweisendes, denn der Blick schweift zurück und findet in der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ein weites Feld, sich - mehr oder minder gegen andere Projekte abgrenzend - zu positionieren, um im Steinbruch der Geschichte eine Linie zu finden, die man in der linken Diskurslandschaft heute zu rekonstruieren anpreist.

Von dieser minderen Qualität ist auch besagter Entwurf. Hinter den Worthülse "kritische Sozial- und Subjektwissenschaft" verbirgt sich die sogenannte Kritische Psychologie des verblichenen Herrn Holzkamp, abgemolken bei Leontjew & Genossen, kombiniert mit der kulturhistorischen Kastration des Antonio Gramsci, vorgenommen in den 80er Jahren von Sabine Kebir und Epigonen. Das ganze schwillt sich auf zu einem Programm, das ganz offensichtlich ein Diskursangebot an die letzten Mohikaner des politischen Marxismus an deutschen Unis und in PDS-nahen und grünen Stiftungen sein will.

Damit man dort Gehör findet, variiert man ein wenig das spätestens seit der II. Internationale gängige Kapitalismusbild vom selbigen im Niedergang, sorgsam illustriert mit seinen schlimmsten Erscheinungen wie "Kinderarbeit, Mädchen- und Frauenhandel, sexuelle Sklaverei und perversen Formen der Schuldknechtschaft". Uns Humanisten ekelt es schier!

Ja - und wenn es ums Finanzkapital geht, darf auch ein Schuss Anti-Amerikanismus nicht fehlen. Sogar die godesbergerisierende PDS bekommt mit der Stalinismuskeule eins übergezogen.. Doch geschieht dies weniger aus prinzipiellen Erwägungen, sondern eher um den Stallgeruch der eigenen theoretisch-politischen Herkunft zu vertreiben.

Kurzum: wer mag da "nein" sagen, wenn solch gestandenen Theoretiker weder Kosten noch Mühen scheuen, uns "eine vorwärtsweisende Perspektive im Interesse der Rekonstruktion einer gesamtgesellschaftskritischen Theorie auf der Höhe der Zeit" zu weisen? Ich schätze nicht wenige; denn, was soll man mit solch geschwollenem Gesülze anfangen, außer den großen Theoriebluff abzuziehen?


Das kritische Subjekt vorwärts weisend
 auf der Höhe der Zeit

Schade eigentlich. Am Ende des Entwurfes heißt es nämlich: "Zentrale Zielsetzung der Gesellschaft sollen die Rekonstruktion und Reaktualisierung gesamtgesellschaftskritischen Denkens im Interesse des Abbaus und der schließlichen Überwindung zwischenmenschlicher Ausbeutungs-, Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse sein. Dabei sind sich die Mitglieder der Gesellschaft durchaus bewußt, daß sie diese große Aufgabe nicht alleine zu bewältigen vermögen." Eine "Zielsetzung", die es wert gewesen wäre, zu unterstützen, gerade auch durch uns trendies.

Doch der alte Wein, der in jenem neuen Schlauch serviert wurde, hat dies nachhaltig verhindert. So jedenfalls wurde es uns von der Gründungsveranstaltung berichtet. Weniger dass dort von den "Hintergrund"-Leuten um Hartmut Krauss ein Essiggebräu kredenzt wurde, war das Problem, sondern dass die dringend notwendige Erweiterung der Weinkarte, sprich die im Gründungspapier geforderte theoretische Offenheit, von diesen nicht zugelassen wurde.

Wer bereits etwas länger in solchen Spektren verkehrt, erinnert sich anlässlich dessen noch allzu genau daran (*), wie unter dem Etikett "undogmatisch" & "offen" Ende der 70er Jahre an der FU Berlin die Holzkamp-Kritiker abgeschmiert wurden - einschließlich Prüfungsdurchfall. Das war angesichts der damaligen Berufsverbotepolitik auch auf der "Höhe der Zeit".

(*) Wer - so wie ich - jünger ist und/oder das Glück hatte, in diesen Spektren nicht verkehren zu müssen, der findet diesbezügliche Infos in dem Buch "Der Aufbruch - Beiträge zur Kritik der Kritischen Psychologie", 1977 Westberlin. Hrg v. der Holzkamp-Kritik-AG am Psychologischen Institut der FU Berlin