Quelle: KOMMUNISTISCHE STREITPUNKTE Nr. 5 

Ansgar Knolle-Grothusen
Warenproduktion und Markt in einer sozialistischen Gesellschaft?

Kritische Anmerkungen zum Beitrag von Juri Pletnikow in der UZ vom 20.11.98

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1997 und 1998 fand in der DKP eine recht lebhafte Debatte um einen programmatischen Text statt, der unter dem Namen „Sozialismusvorstellungen der DKP“ zur Positionsbestimmung dieser Partei beitragen sollte. In dieser Debatte waren Vollrat Neumann und ich die Hauptexponenten der Position, daß eine sozialistische Gesellschaft keine warenproduzierende Gesellschaft sein könne. Auf dem Parteitag im Mai 1998 wurden die „Sozialismusvorstellungen“ „als Diskussionsgrundlage“ für die weitere Auseinandersetzung verabschiedet, weiterhin wurden abweichende Positionen wie die unsere in einem Anhang aufgenommen.

Damit war die Debatte jedoch erstmal zu Ende.

Im November 1998 erschien dann in der UZ, der Wochenzeitung der DKP, ein Beitrag von einem Professor Pletnikow aus Moskau unter der Überschrift „Warenproduktion und Markt im Sozialismus“, den Vollrat Neumann und ich als neuen Frontalangriff auf die von uns vertretene Position empfanden. Wir haben uns beide an eine Entgegnung gemacht. Der Beitrag von Vollrat wurde leicht gekürzt in der UZ vom 22.Januar 1999 abgedruckt, meinen eigenen Beitrag mußte ich im Frühjahr 99 unvollendet auf Eis legen und konnte ihn erst jetzt abschließen.

Inzwischen ist der Artikel von Pletnikow längst der Vergessenheit anheimgefallen.

Unsere Reaktionen veröffentlichen wir dennoch, denn die hier entwickeltn Gedanken halten wir auch über den konkreten Anlaß hinaus vür wichtig.

Ansgar Knolle-Grothusen, Anfang Mai 2000

 

I

Pletnikow beginnt mit der richtigen Aussage, daß Warenproduktion und Markt untrennbar zusammengehören und schreibt dann weiter:

„Die Warenproduktion ist viele tausend Jahre vor dem Kapitalismus entstanden. Der Kapitalismus wurde nur zum Höhepunkt ihrer Entwicklung.“1

Schon hier in den ersten Sätzen wird der enge Zusammenhang zwischen Warenproduktion und Kapitalismus, den Marx herausgearbeitet hat, verwässert. Tatsächlich ist die einfache Waren­produktion der kapitalistischen sowohl logisch als auch historisch vorangegangen, aber der springende Punkt ist, daß die einfache Warenproduktion nie eine die Gesellschaftsformation bestimmende Produktionsweise war, in allen vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen war die Warenproduktion eine Randerscheinung, ebenso wie übrigens die Lohnarbeit. Erst auf einem bestimmten Entwicklungsniveau der Produktivkraft der Arbeit konnte die Warenproduktion als kapitalistische Warenproduktion zu der die Gesellschaft ökonomisch bestimmenden Form werden. Engels spricht von der kapitalistischen Produktion als der höchsten Form der Warenproduktion, Marx nennt sie sogar die absolute Form der Warenproduktion.

Pletnikow behauptet nun:

„In abgewandelter Form wird die Warenproduktion, und folglich der Markt, vom Sozialismus2 übernommen.“

Wie begründet Pletnikow diese Behauptung? Als erstes stellt er richtig fest, daß er sich hier nicht mehr auf die theoretischen Ausarbeitungen von Marx, Engels oder Lenin stützen kann. Er zitiert die eindeutigen Aussagen von Engels im „Anti-Dühring“, von Lenin in seinen Arbeiten „Die Agrarfrage in Rußland am Ausgang des 19.Jahrhunderts“ und „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“ und von Marx in der „Kritik des Gothaer Programms“, die allesamt ausdrücken, daß in einer sozialistischen Gesellschaft die Warenproduktion beseitigt sein wird. Die Antwort darauf, warum sich Marx, Engels und Lenin so sicher waren, daß sozialistische Gesellschaft und Warenproduktion unvereinbar miteinander sind, bleibt uns Pletnikow allerdings schuldig. Stattdessen säht er zwischen den Zeilen Zweifel, ob diese Aussagen tatsächlich so gemeint waren, wie sie gesagt wurden. Er zitiert aus Engels „Anti-Dühring“:

„Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über den Produzenten.“

Pletnikow fährt fort:

„Obwohl in den angeführten Worten von Engels die Frage offen blieb, ob alle Produktionsmittel in den Besitz der Gesellschaft übergehen, gab es bei den marxistischen Forschern keinen Zweifel an der universellen Bedeutung dieser Aussage.“3

Natürlich, und völlig zurecht gab und gibt es bei marxistischen Forschern keinen Zweifel an der universellen Bedeutung dieser Aussage, denn marxistische Forscher erlangen ihr Verständnis der Gedanken von Engels nicht durch ein Heruminterpretieren an einem aus dem Zusammenhang isolierten Satz, sondern aus dem ganzen Text. Und anderthalb Seiten vor dem zitierten Satz spricht Engels wörtlich von der „Besitzergreifung der sämtlichen Produktionsmittel durch die Gesellschaft“4. Diese schludrige Art des Umgangs mit Klassikertexten gerade bei der Eigentumsfrage - bis hin zu direkten Verfälschungen - sticht insgesamt bei den Aufsätzen der russischen Professoren Pletnikow und Schendrik so stark ins Auge, daß hier nur eine bewußte Absicht vermutet werden kann. Wir werden später weitere Beispiele sehen und merken, was dahinter steckt. Doch zuerst einmal zu den Gründen, warum Marx, Engels und Lenin sozialistische Gesellschaft und Warenproduktion für unvereinbar hielten.

Warum hielten Marx, Engels und Lenin sozialistische Gesellschaft und Warenproduktion für unvereinbar?

Ein Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage steckt bereits in dem zitierten Satz von Engels:

„Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über den Produzenten.“5

Es fällt auf, daß Engels hier nicht die mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft unmittelbar verbundenen Wirkungen betont, nämlich die Aufhebung der ökonomischen Ursachen der antagonistischen Klassenteilung und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, sondern eine weitere Wirkung, die Aufhebung der Herrschaft des Produktes über den Produzenten. Was ist damit gemeint? Sehen wir uns das Zitat im Zusammenhang an. Da heißt es weiter:

„Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle des Menschen, die nun zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eigenen Ver­gesellschaftung werden. ... Die objektiven, fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.“6

Dieser Aspekt des Kommunismus, Herren der eigenen Vergesellschaftung zu werden, ist mit fortbestehender Warenproduktion schlichtweg unvereinbar. Marx zeigt im 1.Kapitel des Kapitals, daß die ganze Crux der Warenproduktion darin begründet liegt, daß im Rahmen einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung privat produziert wird. Die Privatarbeiten bedürfen - um sich als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit zu erweisen - der Vermittlung durch den Austausch ihrer Arbeitsergebnisse, d.h. der Verwandlung ihrer Arbeitsprodukte in Waren.

Als Waren nehmen die Arbeitsprodukte einen Doppelcharakter an, nämlich Gebrauchswert und Wert zu sein. Durch diesen Doppelcharakter der Ware erscheint das arbeitsteilige gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zueinander als gesellschaftliche Eigenschaft ihrer Produkte, die erst sichtbar wird, wenn sich die Produkte auf dem Markt begegnen, im Wertgesetz, in den Wertformen, im Tauschwert. Die Produkte entfalten dadurch ein Eigenleben, bewegen sich in Formen und nach Gesetzen, völlig unabhängig vom Willen ihrer Produzenten. Das nennt Marx den Fetischcharakter der Warenwelt.7

Nun ist der Arbeitsprozeß in einer erweiterten Betrachtungsweise nicht allein Produktionsprozeß von Gebrauchsgegenständen, sondern zugleich Aneignungsprozeß der Natur und Reproduktionsprozeß der Gesellschaft. Das heißt, nicht nur die einzelnen Gebrauchsgegenstände verselbständigen sich in einer warenproduzierenden Gesellschaft gegenüber den sie produzierenden Menschen und werden vom Objekt zum Subjekt des gesellschaftlichen Prozesses, auch die weiteren Produkte der menschlichen Arbeit, die Gesellschaftsorganisation selbst, die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, und unsere gestaltete Umwelt nehmen uns gegenüber den Charakter einer fremden, uns beherrschenden Macht an. Die Gesellschaft erscheint nicht als „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, sondern als etwas von den Gesellschafts­individuen getrenntes und abstrakt gesetztes, als äußere Zwangsvergesellschaftung, die ihren Ausdruck in - den Individuen fremd gegenüberstehenden - Gesellschaftsorganen wie dem Staat finden, wo sich im Zweifelsfall das abstrakte „Allgemeinwohl“ auch auf Kosten der freien Entwicklung eines jeden durchsetzt, wo der menschliche Fortschritt noch, wie Marx sagt, „jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleicht, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.“8

Mit der Warenproduktion - und das läßt sich nicht erst aus der kapitalistischen, sondern schon aus der einfachen Warenproduktion ableiten - erscheint den Menschen die eigene Gesellschaftlichkeit als äußerlicher Zwang, als Sachzwang ihrer Produktion; nicht die Menschen beherrschen ihre Produkte, sondern die Produkte beherrschen die Menschen in Form von Sachzwängen. Des Weiteren enthält jede Form von Warenproduktion die immanente Tendenz, die Warenform zu verallgemeinern, sie auf alles auszudehnen, also auch die Tendenz, sich zur kapitalistischen Warenproduktion zu entwickeln, soweit nicht außerökonomische, politische, Zwangsmaßregeln dies behindern.

Dadurch, daß der produzierte Reichtum, bevor er für den Gebrauch zur Verfügung steht, zwischen Produktion und Konsumtion, die Warenform annehmen muß, zu Markte gehen muß, beherrschen nicht mehr die Produzenten die Produktion, sondern die Produkte beherrschen die Produzenten. Die zwei Charaktereigenschaften der Produkte, ein menschliches Bedürfnis befriedigen zu können und Resultat menschlicher Arbeit zu sein, die ihren Doppelcharakter als Waren ausmachen, führen zur Verdopplung der Ware in Ware und Geld, führen mit dem Geld als äußerer Erscheinungsform des Werts zur Verallgemeinerung der Warenproduktion, zur Verwandlung von Geld in Kapital, zur Trennung der Arbeiter von den sachlichen Voraus­setzungen ihrer Arbeit, zur privaten Aneignung des durch die Arbeiter geschaffenen gesell­schaftlichen Reichtums durch die Nichtarbeiter, die Kapital­besitzer, führt zum Zwang der Ver­wertung des Werts, zum Profit als Maß aller Dinge.

So richtig es ist, zu sagen, daß im Kapitalismus das Streben nach Profit der Motor der ganzen Wirtschaft ist, so wichtig ist es hinzuzufügen, daß dieses Streben nicht im Ermessen der Kapitalisten liegt, daß „die Sachzwänge“ der kapitalistische Produktion sie dazu zwingen, sie also tatsächlich nur Charaktermasken des Kapitals sind, ebenso gezwungen in die Rolle, die Produkte fremder Arbeit anzuhäufen, wie die Arbeiter gezwungen sind, zu produzieren, ohne von dem von ihnen produzierten Reichtum auch nur irgendetwas zu erlangen, was über das zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft Erforderliche hinausgeht.

Die Herrschaft des Produktes über die Produzenten hat also darin ihre Ursache, daß das Produkt als Ware eine gegenüber den Menschen selbständige gesellschaftliche Form erlangt, sich nach Gesetzen verhält, auf die der Mensch keinen Einfluß hat, daß sein Produkt ihm selber fremd und feindlich gegenübersteht, ja daß seine eigene Beziehung zur menschlichen Gesellschaft in seinem Produkt versteckt und nur durch dieses vermittelt wird. Das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst nimmt für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen an. Das von Dir selbst gemeinschaftlich Hergestellte steht dir gegenüber, getrennt durch Schaufenster­scheiben und sagt: „Ich gehöre Dir nicht.“ - und die Erde ist parzelliert in Zellen, an denen steht: „Privat - betreten verboten!“ - und es gibt nur ein Mittel um an dem gemeinsam geschaffenen Reichtum teilzuhaben, eine Sache, die Du brauchst, um wirklich Teil der menschlichen Gesellschaft zu sein: Geld!

Ludwig Feuerbach hat richtig herausgearbeitet, daß die Menschen sich das zu Göttern machen, wovon sie sich abhängig fühlen. Zu Beginn der gesellschaftlichen Entwicklung waren das Naturphänomene, heute sind das Gesellschaftsphänomene. Das Geld, der Staat, die Börsenkurse, das sind heute die Dinge, von denen das Menschsein abhängt, und die man anbeten, beschwören, und durch Opfer gnädig stimmen muß. Denn von ihrer Bewegung hängt unser Leben viel stärker ab als von unserer eigenen Bewegung. Sie bewegen sich zwar aufgrund unserer Bewegung, aber unabhängig von unserem Willen.

Man kann zwar ihre Bewegungsgesetze erkennen, aber das ändert überhaupt nichts daran, daß man ihrem Wirken tagtäglich unterworfen bleibt, ebenso wie die Kenntnis der Sehgesetze nicht davor bewahrt, auf optische Täuschungen hereinzufallen, oder wie das Wissen, daß die Erde sich um die Sonne dreht, nicht das Erlebnis eines Sonnenaufgangs verhindert.

Nun lassen sich erkannte Naturzusammenhänge bekanntlich ausnutzen für allerlei sinnvolle Erfindungen, die das Leben erleichtern. Warum soll das mit erkannten ökonomischen Gesetzen nicht ebenso funktionieren? Natürlich funktioniert das; das erleben wir täglich. Nur bedeutet das Ausnutzen der ökonomischen Gesetze nichts anderes, als die Sachzwänge zu exekutieren, bedeutet die Produktion zu beherrschen, indem man sich der Herrschaft der Produkte unterwirft. Naturgesetze hängen von der Beschaffenheit der Natur ab und weil wir diese Beschaffenheit nicht ändern können, werden wir auch weiterhin mit den Naturgesetzen zu tun haben. Aber die Gesetze der politischen Ökonomie hängen von der Beschaffenheit der Gesellschaft ab und die können wir ändern, denn sie ist kein Naturphänomen, sondern Ergebnis des menschlichen Handelns. Es reicht nicht aus, die Bewegung der Dinge, die den gesellschaftlichen Lebensprozeß der Menschen beherrschen etwas zu beeinflußen, sondern es kommt darauf an, die Verhältnisse so zu ändern, daß wir Menschen unseren eigenen Vergesellschaftungsprozeß bewußt gestalten können.

Daher war für Marx und Engels völlig klar, daß eine klassenlose kommunistische Gesellschaft und Warenproduktion nicht vereinbar sind. In ihren Auseinandersetzungen mit den Theorien von Proudhon und Dühring werden Marx und Engels nicht müde, immer wieder zu betonen, daß es, sobald sich die Gesellschaft in den Besitz der Produktionsmittel setzt, absolut unsinnig und schädlich ist, die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit weiter in der Form des Werts der Arbeitsprodukte auszudrücken.

Warum nun doch Warenproduktion?

Und wie begründet nun Pletnikow, daß „in abgewandelter Art ... die Warenproduktion, und folglich der Markt, auch vom Sozialismus übernommen“ wird? - Da er in der Theorie nicht fündig geworden ist, bietet er uns die Praxis an:

„Die Praxis ging dann einen anderen Weg. Die ökonomischen Beziehungen zwischen der Stadt und dem Dorf entwickelten sich nicht als Produkten- sondern als Warenaustausch, dessen Grundlage das Geld-, und letztlich das Wertäquivalent darstellte. Es ergab sich die gewöhnliche Beziehung Kauf-Verkauf.“

Abgesehen davon, daß hier unterstellt wird, die Alternative zur Ware-Geld-Beziehung in einer sozialistischen Gesellschaft sei der direkte Produktenaustausch - also eine allerdings vorsintflutliche Form der Ware-Ware-Beziehung - und nicht die kommunistische Produktion und Verteilung mit Hilfe unmittelbarer Arbeitszeitrechnung, hiervon abgesehen, wie begründet Pletnikow die der Theorie widersprechende Praxis? - Er bringt zwei Argumente, erstens:

„Das Leben bewies überzeugend, daß der Markt für Konsumgüter das einfachste und flexibelste Mittel zur Realisierung des Prinzips der Verteilung nach der geleisteten Arbeit darstellt.“9 -

Das zweite - Pletnikow wichtigere - und tatsächlich auch gewichtigere Argument:

„Die grundlegenden Ursachen für die Warenproduktion im Sozialismus sind im Zusammenwirken unterschiedlicher sozialistischer Wirtschaftsformen ... zu suchen, und wenn man die Dinge tiefer betrachtet, im Vorhandensein zweier Formen des sozialistischen Eigentums - des staatlichen und des genossenschaftlichen.“

Pletnikow gibt hier die Argumente Stalins zur Warenproduktion im Sozialismus10 wieder - allerdings mit zwei wichtigen Unterschieden: Was bei Stalin als aus der Not geborene Ausnahmeerscheinung der UdSSR, als zeitweises Zugeständnis der Arbeiterklasse an die als Bündnispartner benötigten Bauern erscheint, wird bei Pletnikow zur positiven Regel für sozialistische Gesellschaften überhaupt. Und Stalin spricht nicht wie Pletnikow von zwei sozialistischen Eigentumsformen, der staatlichen und der genossenschaftlichen, sondern von zwei Formen der sozialistischen Produktion, der staatlichen und der kollektivwirtschaftlichen, die für ihn beide auf einer einzigen Eigentumsform an den Produktionsmitteln basieren - dem allgemeinen Volkseigentum, das hier in der Form des Staatseigentums erscheint.

Auf den ersten Blick scheint die Argumentation von Stalin und Pletnikow schlüssig: Solange die gesellschaftliche Produktion noch nicht in ihrem gesamten Umfang als unmittelbar gesellschaftliche Produktion organisiert wird, solange ein Teil des gesellschaftlichen Produktes noch als Gruppen- oder Privateigentum das Licht der Welt erblickt, bleibt Austausch (statt Verteilung) und damit die Verwandlung von Produkten in Ware nötig.

Aber was ist damit gesagt? - Nicht mehr, als daß wir es bei den „sozialistischen Staaten“ des 20.Jahrhunderts noch nicht mit einer Gesellschaftsordnung zu tun hatten, die Marx die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft nannte, daß auch für die „sozialistischen Staaten“ zumindest teilweise noch die Marxsche Feststellung galt:

Die Notwendigkeit selbst, das Produkt oder die Tätigkeit der Individuen erst in die Form des Tauschwerts, in Geld, zu verwandeln, daß sie in dieser sach1ichen Form ihre gesell­schaftliche Macht erhalten und beweisen, beweist zweierlei: 1) daß die Individuen nur noch für die Gesellschaft und in der Gesellschaft produzieren; 2) daß ihre Produktion nicht unmitte1bar gesellschaftlich ist, nicht the offspring of association, die die Arbeit unter sich verteilt. Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als ein Verhängnis außer ihnen existiert; aber die gesellschaftliche Produktion ist nicht unter die Individuen subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen handhaben. Es kann also nichts falscher und abge­schmackter sein, als auf der Grundlage des Tauschwerts, des Ge1des, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen ...“11

Also: Marx, Engels und Lenin haben - wohlbegründet - ein Bild von der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft (= sozialistische Gesellschaft) skizziert, daß sich von der Wirklichkeit des „realen Sozialismus“ ökonomisch in folgender Hinsicht unterschied: Sie hatten einen Gesellschaftszustand im Auge, zu dem der Anlauf zu einer sozialistischen Gesellschaft 1917-89 nie gelangt ist; einen Zustand, in dem nicht viele einzelne Wirtschaftseinheiten wie staatliche Betriebe und Genossenschaften ihre Produkte zu Markte tragen, sondern in dem die Gesellschaft selbst die Wirtschaftseinheit ist, und anstelle des Austauschs zwischen den Produzenten die Verteilung innerhalb der Gesellschaft tritt.

Ihnen war jedoch klar, daß solche Verhältnisse nicht auf einen Streich - oder gleichsam über Nacht zu erreichen sind. Daher schreibt Marx:

„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“12

Während der gesamten Zeit ihrer Existenz sind die „sozialistischen Staaten“ nicht über diesen Zustand der Übergangsperiode von der kapitalistischen zur kommunistischen Gesellschaft hinausgelangt. In dieser Periode sind wir stecken geblieben - und es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit als Kommunisten, die Ursachen für dieses Steckenbleiben in der Übergangsperiode aufzuspüren, um den nächsten Anlauf zum Kommunismus konsequenter und erfolgreicher voranzutreiben.

Zur Ökonomie der revolutionären Übergangsperiode - 1.Teil

Und dennoch waren die „sozialistischen Staaten“ schon weit weniger warenproduzierende Gesell­schaft als Pletnikow meint.

Warenproduktion, d.h. Produktion für den Austausch, kann nur da stattfinden, wo Produzent und Konsument nicht identisch sind. Daher war inhaltlich der Geltungsbereich des Warentausches schon beschränkt auf den Außenhandel, den Austausch zwischen staatlichem und genossenschaftlichem, bzw. privatem Sektor, sowie den Austausch von Konsumgütern zwischen genossenschaftlichen bzw. privaten Produzenten und den Verbrauchern. In allen anderen Bereichen war der Warenproduktion bereits die Grundlage entzogen: Die Märkte für Grund und Boden, Produktionsmittel, Arbeitskraft und Kapital waren beseitigt. Doch auch in dem der Warenproduktion verbliebenen Bereich kann im Grunde nicht mehr von Warenproduktion gesprochen werden, weil die Konkurrenz weitgehend aufgehoben war, die Produktion auch des kollektivwirtschaftlichen Sektors gesellschaftlicher Planung unterworfen war, etwa durch festgelegte Abnahmemengen zu festgelegten Preisen durch den staatlichen Handel.

Dem Inhalt nach war also in den „sozialistischen Staaten“, die gemäß der Marxschen Bestimmungen noch nicht die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft, sondern Übergangsformen auf dem Weg zur sozialistischen Gesellschaft waren, sehr viel weniger von Warenproduktion übrig, als ihre Theoretiker, incl. Pletnikow, dachten. Was jedoch blieb - und hier beginnt ein Problem - war die Beibehaltung der von der kapitalistischen Warenproduktion überkommenen Form der Verteilung.

Betrachten wir den zentralen Bereich, in dem bereits unmittelbar gesellschaftliche Produktion herrschte:

Der Form nach tritt hier weiterhin der Einzelne als Verkäufer seiner Arbeitskraft auf, nur steht ihm als Käufer der Arbeitskraft nicht mehr ein Kapitalist gegenüber, sondern die Gesellschaft - repräsentiert durch den „sozialistischen Staat“. Doch wer ist „die Gesellschaft“? - Marx schrieb:

„Es ist vor allem zu vermeiden, die 'Gesellschaft' wieder als Abstraktion dem Individuum gegenüber zu fixieren. Das Individuum ist das gesellschaftliche Wesen.“13

In diesem scheinbaren Warentausch tritt somit das Individuum als Verkäufer der Arbeitskraft sich selbst als gemeinschaftlichem Käufer gegenüber. Ebenso tritt bei den Gütern für die individuelle Konsumtion das Individuum als Käufer sich selbst als gemeinschaftlichem Verkäufer gegenüber. Was hier der Form nach Warentausch zu sein scheint, ist dem Inhalt nach kein Warentausch mehr - ein Austausch mit mir selbst ist kein Austausch. Es handelt sich hier dem Inhalt nach um gemeinschaftliche Produktion mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln; das gemeinschaft­liche Produkt gehört bereits der Gemeinschaft, also ihren Mitgliedern. Was dem Inhalt nach bloße Verteilung der Produkte innerhalb der Gemeinschaft ist, erscheint in der Form des Austausches zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedern. Und genau an dieser Stelle beginnt die alte Form auf den neuen Inhalt zurückzuwirken:

Das eigene gemeinschaftliche Produkt erscheint dem Einzelnen als etwas Fremdes, das er erst durch Austausch erlangen kann. Damit erscheint auch die Gesellschaft als etwas ihm abstrakt im täglichen Warentausch fremd gegenüberstehendes. Die von der Warenproduktion überkommene Form erfordert die Beibehaltung des Staates als Ausdruck der abstrakten von den Individuen losgelösten und ihnen gegenüber verselbständigten Gesellschaftlichkeit.

Wenn es in den Sozialismusvorstellungen der DKP heißt: „Bloße Verstaatlichung trat an die Stelle wirklicher Vergesellschaftung. Die Folge war eine zunehmende Entfremdung vom sozialistischen Eigentum.“, dann schimmert hier eine schwache Ahnung von den Folgen der Beibehaltung der von der Warenproduktion übernommenen Verteilungsform durch, nur kommt die tatsächliche Ursache nicht in den Blick. Was unter dem vorhandenen politökonomischen Bedingungen und ihrer Widerspiegelung im gesellschaftlichen Bewußtsein zwangsläufig war, erscheint in den Sozialismusvorstellungen der DKP als Fehlentwicklung - als subjektive Fehler der handelnden Kommunisten und ruft daher den Protest vieler Genossinnen und Genossen hervor, die ihr Leben lang ihre ganze Kraft für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft eingesetzt haben. Doch die Form, in der die Auseinandersetzungen um den ersten großen Ausbruchsversuch aus dem kapitalistischen System in der DKP geführt wird, nämlich als Debatte um die Gewichtung von historischen Leistungen und subjektiven Fehlern, führen nicht weiter. Zunächst müssen wir damit aufhören, die „sozialistischen Staaten“ mit dem zu verwechseln, was sie selbst zu sein glaubten.

„Während im gewöhnlichen Leben jeder Shopkeeper sehr wohl zwischen dem zu unterscheiden weiß, was jemand zu sein vorgibt, und dem, was er wirklich ist, so ist unsre Geschichtschreibung noch nicht zu dieser trivialen Erkenntnis gekommen. Sie glaubt jeder Epoche aufs Wort, was sie von sich selbst sagt und sich einbildet.“14

Historische Analyse ist angesagt. Im Grunde steht die Aufgabe, der gesamten Geschichte des Kommunismus als realer Bewegung nachzuspüren, ihre Verlaufsformen aus den jeweiligen Bedingungen zu erklären, und zu untersuchen: Welche Bedingungen haben zu welchen Vereinseitigungen geführt, zu Vereinseitigungen beispielsweise bezüglich der doppelten Zielsetzung: der Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und der Aufhebung der Verhältnisse, in denen sich die menschliche Gesellschaft wie ein Naturprozeß hinter dem Rücken der Menschen, unabhängig von ihrem Planen und ihren Handlungen entwickelt, wo die Menschen in ihrem individuellen Handeln immer nur gezwungen sind, auf die realen gesellschaftlichen Entwicklungen zu reagieren, statt die gesellschaftliche Entwicklung durch bewußtes Handeln, als geplantes Resultat ihres Lebensprozesses, als gesellschaftlichen Lebensprozeß planmäßig zu gestalten und dadurch erst die wirkliche Identität von Individuum und Gesellschaft möglich zu machen.

Ich kann hier nur Hinweise zu einem Gesichtspunkt geben. Doch zuvor nochmal kurz zurück zur Marxschen Theorie. Marx und Engels unterscheiden genau zwischen Weg und Ziel.15

Das Ziel: Die klassenlose Gesellschaft

Das Ziel, die klassenlose Gesellschaft, können wir nur mit ihren allgemeinsten Merkmalen beschreiben, die sich mit innerer Notwendigkeit aus der Aufhebung der zu ihrer Auflösung drängenden Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft ergeben.

Und mit Notwendigkeit ergibt sich:

  • Die Aneignungs- und Verteilungsweise des gesellschaftlich geschaffenen Produktes wird der gesellschaftlichen Weise der Produktion angepaßt werden, das bedeutet Aufhebung des Privateigentums. Die gesellschaftliche Produktion wird nicht mehr privat, sondern unmittelbar gesellschaftlich organisiert.

  • Mit der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln entfallen die heutigen klassenspezifischen Grundlagen der Reproduktion: Die Lohnarbeit auf der einen und die Abpressung fremder Arbeit auf der anderen Seite; die Klassenunterschiede verschwinden.

  • Da die Produktion unmittelbar gesellschaftlich ist, gehören die produzierten Güter von vornherein der gesamten Gesellschaft, die gleichzeitig die Wirtschaftseinheit ist. An die Stelle des Austausches von Waren zwischen den Produzenten tritt die Verteilung der Güter innerhalb der Gesellschaft.

  • Mit der Aufhebung der Warenproduktion erscheint das arbeitsteilige gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zueinander nicht mehr als sachliche Eigenschaft ihrer Produkte, die Produkte führen nicht mehr ein vom Willen ihrer Produzenten unabhängiges gesellschaftliches Eigenleben.

Dadurch werden die gesellschaftlichen Verhältnisse durchschaubar, entsteht zum ersten Mal für die Individuen die Möglichkeit, als gesellschaftliches Individuum die eigene Vergesellschaftung bewußt, freiwillig und planmäßig zu gestalten. Geschichte geht nicht mehr wie bisher bewußtlos vor sich.

Nicht der Markt, sondern gemeinschaftliche Planung regeln die Produktion. Alle Ökonomie löst sich auf in Ökonomie der Zeit - und der Ressourcen. Alle gesellschaftlichen Zwangsapparate werden überflüssig.

Der Weg: Die proletarische Revolution

Aus der Entwicklung der Bedingungen ergeben sich mit Notwendigkeit auch bestimmte Verlaufs­formen die zu dieser Negation des Kapitalismus, zur positiven Aufhebung des Privat­eigentums führen.

Im Gegensatz zu allen vorausgegangenen Revolutionen ist in der proletarischen Revolution die politische Machtergreifung nicht der Abschluß, sondern der Beginn der Revolution. Während in den bürgerlichen Revolutionen sich die ökonomische Macht der Bourgeoisie bereits unter den feudalen Verhältnissen ent­wickelte und mit der politischen Revolution nur die Konsequenz aus den veränderten ökonomischen Ver­hältnissen gezogen wurde, ist in der Konzeption der proletarischen Revolution die politische Macht­ergreifung nur die Voraussetzung für die soziale Revolution, für die Umwandlung der ökonomischen Verhältnisse im weiteren Ver­lauf des Klassenkampfes.16

Die klassische Konzeption der proletarischen Revolution hat etwa folgendes Schema:

Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse in dem Land bzw. in den Ländern, in denen die Verhältnisse es gestatten. Damit beginnt die revolutionäre Übergangsperiode vom Kapitalismus zur Kommu­nistischen Gesellschaft. In dieser Übergangsperiode hat das Proletariat die Aufgabe im weiteren Verlauf des Klassenkampfes unter den neuen Bedingungen (politische Macht nicht mehr weltweit bei der Bourgeoisie) die unmittelbare Verge­sellschaftung des Pro­duktions­prozesses voran­zutreiben, also Schritte für den Übergang von der Selbstregelung des Produktions­pro­zesses durch das Wertgesetz zur Regelung durch gemeinschaftliche Planung zu entwickeln, mit allen Kräften dafür zu sorgen, daß die politische Macht der Bourgeoisie auch weltweit gebrochen wird.

Die Praxis: Der erste Anlauf

Mit der Oktoberrevolution haben in Rußland die Bolschewiki im Namen der Arbeiterklasse die politische Macht ergriffen17. Damit wurde erstmals in die Übergangsperiode vom Kapitalismus zu einer sozialistischen Gesellschaft eingetreten. Ich kann die Ursachen für das Steckenbleiben in der Übergangsperiode hier nicht umfänglich untersuchen, das ist eine Aufgabe künftiger Forschungsarbeit. Ich möchte nur einen Hinweis geben, wann und wieso es zur Revision der Marxschen und Leninschen Vorstellung von einer sozialistischen Gesellschaft gekommen ist, wieso „das Leben einen anderen Weg ging“, um mit Pletnikows Worten zu sprechen. Zweifellos waren die Maßnahmen in den ersten Jahren der Sowjetmacht in ihrer konkreten Ausformung geprägt von den Notwendigkeiten die sich aus der besonderen Situation ergaben (Krieg und Bürgerkrieg, zahlenmäßig noch kleine Arbeiterklasse, die auf das Bündnis mit den Kleinbauern angewiesen war usw.). Die Enteignung der Gutsbesitzer, die Verstaatlichung der Banken, der Eisenbahnen und der Handelsflotte, des Außenhandels und der gesamten Großindustrie wurden von Lenin keineswegs mit dem Beginn der sozialistischen Gesellschaft gleichgesetzt, sondern als Maßnahmen der Übergangsperiode vom Kapitalismus zur sozialistischen Gesellschaft angesehen. Bis zu seinem Tode dreht sich Lenins Denken immer wieder um einen Zentralpunkt: Wie kommen wir vom Rußland der Neuen Ökonomischen Politik zu einer sozialistischen Gesellschaft? Eine entscheidende Rolle sollte dabei der sogenannte Leninsche Genossenschaftsplan spielen. Pletnikow weist in dem Aufsatz „Eigentumsverhältnisse und Sozialismus18 zu Recht auf die prinzipielle Bedeutung hin, die Lenin der Entwicklung des Genossenschaftswesens beimaß. Aber gleichzeitig mißversteht er Lenins Genossenschaftsplan: Pletnikow verdolmetscht die Ideen Lenins über das Genossen­schaftswesen mit dem Ausdruck „Kollektiveigentum von Werktätigen“.

Lenin hatte hier aber kein genossen­schaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln oder gar an Grund und Boden im Sinn, sondern genossenschaftliche Organisation der Produktion auf der Grundlage von gesellschaftlichen Produktionsmitteln, die von der Gesellschaft als ganzer der Genossenschaft zum Zwecke der Produktion zur Verfügung gestellt werden. Eben hierdurch unterscheiden sich die Genossenschaften im Kapitalismus, durch die zur sozialistischen Gesellschaft zu kommen Lenin für pure Phantasterei und abgeschmackt hielt, von den Genossenschaften unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats, wenn sie wie bei Lenin als Organisationsform der Produktion bestimmt werden und nicht wie bei Pletnikow als Gruppeneigentum an den Produktionsmitteln. Lenin schreibt:

„In der bei uns be­stehenden Gesellschaftsordnung“ (Rußland 1923, Staatsmacht und alle Produktionsmittel - mit Ausnahme derer, die der Arbeiterstaat freiwillig, zeitweilig und bedingt den Ausbeutern als Konzessionsobjekte überläßt - in den Händen der Arbeiterklasse) „unterscheiden sich genossen­schaftliche Betriebe von privatkapitalistischen als kollektive Betriebe, aber sie unterscheiden sich nicht von sozialistischen Betrieben, wenn sie auf dem Grund und Boden gegründet sind und mit Produktionsmitteln ausgerüstet sind, die dem Staat, d.h. der Arbeiterklasse gehören.19

So verstanden kann das von Lenin formulierte Ziel einer vollständigen Vergenossenschaftung unter den Bedingungen der Diktatur des Proletariats tatsächlich ein Schritt zur unmittelbaren Ver­ge­sell­schaftung der Arbeit sein, ein Schritt in Richtung sozialistischer Gesellschaft; insbesondere wenn man den von Lenin ins Auge gefaßten weiteren Schritt mit einbezieht, das Zusammenwachsen der Genossen­schaften zu einer großen, die gesamte Gesellschaft umfassenden Genossenschaft: Die KPR muß

„... danach streben, daß die ganze Bevölkerung in Genossenschaften zusammen­ge­schlossen wird und daß diese Genossenschaften zu einer von oben bis unten einheitlichen, die gesamte Sowjetrepublik umfassenden Genossenschaft verschmelzen.“20

Auf diese Weise, so Lenins Vorstellung, könnten Bedingungen geschaffen werden für die Aufhebung der Warenproduktion und eine Annäherung erreicht werden an die Marxsche Konzeption von der ersten Phase einer Kommunistischen Gesellschaft, wo nicht viele einzelne Wirtschaftseinheiten wie staatliche Betriebe und Genossenschaften ihre Produkte zu Markte tragen, sondern wo die Gesellschaft selbst die Wirtschaftseinheit ist und an Stelle des Austauschs zwischen den Produzenten die Verteilung innerhalb der Gesellschaft tritt.

Doch diese Vorstellung von einer sozialistischen Gesellschaft hat sich nicht gehalten. Möglicherweise vorher bereits in unklaren Formulierungen angelegt, ist beginnend ab 1925 in den Dokumenten der KPdSU eine schleichende Aufweichung des Marx-Engelsschen Verständnisses von einer sozia­listischen Gesellschaft erkennbar, und besonders eben eine Vermengung von Übergangsperiode und erster Phase der kommunistischen Gesellschaft.

Einen ersten Meilenstein dieser Revision sehe ich in der These von der Möglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Lande, die auf der 14.Parteikonferenz der KPdSU/Bolschewiki im April 1925 beschlossen wurde. Das ist aus der damaligen Situation erklärbar: Die revolutionäre Nachkriegskrise in den kapitalistischen Ländern nach dem ersten Weltkrieg ist in dieser Zeit zu Ende gegangen mit einem relativen Wiedererstarken des Kapitalismus. Also, die junge Sowjetunion konnte nicht mehr davon ausgehen, daß in kurzer Zeit die Arbeiterklasse in den westeuropäischen Ländern nachkommen würde. Und die Frage stellt sich: Kann man für längere Zeit in der revolutionären Übergangsperiode verharren, die ja gekennzeichnet ist durch - wie es im Kommunistischen Manifest heißt - „despotische Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen“? Kann man allein weiterkommen? Oder muß man gar zurück?

Die Antwort, die von Stalin gegeben wurde, war differenziert: Was die innere Seite der Frage anginge: ja, die Arbeiterklasse und die Bauernschaft könnten in der Sowjetunion ihre eigene Bourgeoisie ökonomisch völlig überwinden und die vollendete sozialistische Gesellschaft errichten. Was die internationale Seite anginge, könne ein Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion erst als endgültiger betrachtet werden, wenn durch den Sieg der proletarischen Revolution in den kapitalistischen Ländern die kapitalistische Umkreisung beseitigt sei. Also, meines Erachtens lag in diesem Beschluß, den die sowjetischen Kommunisten gefaßt haben, ein voluntaristisches Heran­gehen; man versucht das Unmögliche, weil das Mögliche, das Bleiben und Vorantreiben der Entwicklung in der Übergangsperiode zu schwer erscheint. Doch das hat in der Folge dann ziemlich verheerende Konsequenzen gehabt.

Nun kann man fragen: "Was wäre denn die Alternative gewesen?"

Ich denke schon, daß es allgemein gesprochen keine andere Möglichkeit gab, als das Erreichte zu halten, soweit voranzuschreiten, wie es möglich ist in dieser Periode, Bedingungen zu schaffen, daß auch die Arbeiterklasse in den übrigen Ländern folgen kann; aber bei allem sich darüber klar zu bleiben, daß man noch keine sozialistische Gesellschaft hat; daß das nur im Weltmaßstab geht; daß dazu die vollständige Überwindung der Warenproduktion, das Verschwinden der Klassen, damit auch das Aufhören der Herrschaft einer Klasse, das Ende der Diktatur des Proletariats, erforderlich ist.

Richtig zum Ausdruck gekommen ist das Problem dann auf dem VII.Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935. Da wurde der endgültige Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion verkündet21. Und da wurden natürlich Bedingungen genannt, an denen das festgemacht wurde. Aber an diesen Bedingungen sieht man, daß das nicht mehr die Bedingungen von Marx und Engels für die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft waren, sondern andere Bedingungen. Bedingungen, die sich im wesentlichen ableiten aus dem Verhältnis von Arbeiterklasse und Bauernschaft. Und das Problem beginnt damit, daß - wenn man in der Übergangsperiode ist, und denkt, man habe schon eine sozialistische Gesellschaft - daß dann plötzlich die Notwendigkeit des Weiterschreitens, die Notwendigkeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Grundlagen für den Übergang zur sozialistischen Gesellschaft schafft, und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, verschoben wird in eine höhere Phase oder auf irgendwann später. Das heißt, die eigentlichen Tagesaufgaben, werden dann nicht mehr als die eigentlichen Tagesaufgaben angesehen und man hat plötzlich eine Gesellschaft, die sich für sozialistisch erklärt, also eine „klassenlose“ Gesellschaft mit verschiedenen Klassen, wenn auch nicht antagonistischen, mit Warenproduktion, wenn auch nicht kapitalistischer, mit Diktatur des Proletariats, die doch eigentlich nur für die revolutionäre Übergangsperiode gedacht war. Es kommt also zu einer absoluten Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die je länger sie andauerte die Theorie desavouieren und korrumpieren mußte. Dann treten natürlich solche Merkwürdigkeiten auf, daß der Staat zum Staat des ganzen Volkes erklärt wird, aber die Macht im Staate bei der Partei der Arbeiterklasse bleibt. Auch die vom XXII.Parteitag der KPdSU 1961 als aktuelle Aufgabe formulierte Zielsetzung des Aufbaus des Kommunismus kann nur verstanden werden vor dem Hintergrund, daß zuvor theoretisch die Marxschen Bestimmungen „revolutionäre Übergangsperiode vom Kapitalismus zur Kommunistischen Gesellschaft“ und „erste Phase der kommunistischen Gesellschaft“, also die letzte Form einer Klassengesellschaft mit der ersten Form einer klassenlosen Gesellschaft im Wort „Sozialismus“ verschmolzen wurden und damit für die gesellschaftliche Weiterentwicklung nur noch das zu bleiben schien, was Marx „eine höhere Phase der Kommunistischen Gesellschaft“ nannte und wofür sich inzwischen das Wort „Kommunismus“ eingebürgert hatte.

Diese Begriffsverwirrung pflanzt sich fort bis in die heutige theoretische Debatte. In nahezu allen Strömungen der kommunistischen Linken wird heute unter der Überschrift „Sozialismus“ die revolutionäre Übergangsperiode vom Kapitalismus zur kommunistischen Gesellschaft und die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft zusammengewürfelt. Am Beispiel der DKP kann man das gut zeigen: Im Statut der DKP heißt es z.B.:

"Auf dem Weg zum Kommunismus ist der Sozialismus die historische Übergangsperiode zur neuen Gesellschaft."

In den Thesen zur programmatischen Orientierung, also dem vorläufigen Programm der DKP steht aber was völlig anderes. Da heißt es:

"Die historische Alternative ist der Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaft."

Also, einmal ist es die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft, einmal ist es die Übergangs­periode und beide Formulierungen wurden vom gleichen Parteitag (1993) beschlossen.22

Die Bestimmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit der „sozialistischen Staaten des 20.Jahrhunderts als erste, steckengebliebene Verlaufsformen der Übergangsperiode vom Kapitalismus zur kommu­nistischen Gesellschaft gründet sich ökonomisch nicht nur auf die Relikte von Warenproduktion im Inneren, sondern auch auf das Außenverhältnis zum kapitalistischen Weltmarkt.

Hans Heinz Holz versucht eine Bestimmung des Verhältnisses von Kapitalismus und Arbeiterstaaten des 20.Jahrhunderts mit der philosophischen Kategorie des übergreifenden Allgemeinen:

„Daß die Formation, der wir angehören, immer noch (auch nach der Oktoberrevolution) die des Kapitalismus ist, schließt nicht aus, sondern nach der dialektischen Figur des „übergreifenden Allgemeinen“ gerade ein, daß in ihr sich ihr Gegenteil ausbildet, erhält und bis zum Umschlag in eine neue Formationsstruktur erstarken kann. Denn das „übergreifende Allgemeine“ ist (wie Hegel gezeigt hat) die Gattung seiner selbst und seines Gegenteils; das bedeutet, daß der Kapitalismus im Stadium seines entwickelten Selbstwiderspruchs die Gattung ist, die als Arten den Kapitalismus selbst (in seinen verschiedenen Erscheinungsformen) und den Sozialismus umfaßt.“23

Und Daniel Dockerill schreibt:

„... nur auf der Grundlage dieses Dogmas (Dogma vom Sozialismus in einem Land, AKG) läßt sich der Gegensatz zwischen Bürger- und Arbeiterstaat nicht zu den „inneren Widersprüchen des Kapitalismus“ rechnen; nur, wenn vorausgesetzt wird, daß der Kapitalismus an den Grenzen zum Arbeiterstaat aufhöre und dahinter etwas anderes beginne. Ob ich dieses andere dann Sozialismus nenne oder auch „Übergangsgesell­schaft“, tut leider überhaupt nichts weiter zur Sache.“24

Daß der Name, soweit sich in ihm ein gewisses Verständnis oder Unverständnis des Sachverhalts reflektiert, sehr wohl etwas zur Sache tut, habe ich versucht aufzuzeigen.

Der Widerspruch, der sich als Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat mit der Entwicklung des Kapitalismus innerhalb der einzelnen kapitalistischen Staaten herausgebildet hat, hat mit der Oktoberrevolution eine neue, zusätzliche Erscheinungsform, nämlich die des Gegensatzes zwischen kapitalistischen und Arbeiterstaaten erhalten. Dieses neu eröffnete Kampffeld, die neuen Verlaufsformen des Klassenkampfes auf zwischenstaatlicher Ebene hatten entscheidende Rückwirkungen auf den Verlauf des Klassenkampfes im Inneren der beiden Teilsysteme.

Jedes Land, in dem der Ausbruch aus dem kapitalistischen Weltsystem gewagt wird, bleibt über seine Außenbeziehungen nach wie vor mit der kapitalistischen Warenproduktion verbunden und diese Verbindung muß immer auf die innere Entwicklung zurückwirken. Es ist gezwungen mit der Scheinentwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus25 mitzuhalten. Der Ausbruch aus dem imperialistischen Weltsystem, die Eroberung der politischen Macht, der Schritt in die Übergangs­periode zwischen Kapitalismus und Kommunismus ist zwar in einzelnen, heute möglicherweise auch nur noch in mehreren hochentwickelten Ländern gleichzeitig möglich; zum vollständigen Durchschreiten dieser Periode, zum Erreichen sozialistischer Gesellschaftsverhältnisse muß dieser Schritt jedoch global vollzogen werden.

Zur Ökonomie der revolutionären Übergangsperiode - 2.Teil
Zurück oder vorwärts? - Der Weg zurück zur Kapitalherrschaft

Zur Ökonomie des ersten Anlaufs zur kommunistischen Gesellschaft ab 1917 läßt sich allgemein mit Preobraschenski sagen, daß sie als Ökonomie der Übergangsperiode gekennzeichnet war durch den ständigen Kampf zwischen dem von der kapitalistischen Vergangenheit überlieferten Wertgesetz und dem ihm diametral entgegengesetzten Prinzip der sozialistischen Planung und daß das Schicksal dieses Anlaufs eben vom Ausgang dieses Kampfes abhing.

Während bei Probraschenski 192626 der Antagonismus zwischen bewußter gesellschaftlicher Planung und naturwüchsiger Regelung der gesellschaftlichen Produktion durch das Wertgesetz noch klar gesehen wird, setzt sich in der weiteren Entwicklung eine zunehmend affirmative Betrachtungsweise von Wertgesetz, Warenproduktion und Markt durch27. „Das Leben“ hatte ja gezeigt, daß „Sozialismus“ und Wertgesetz durchaus vereinbar sind. Während in Stalins Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der Sowjetunion“ 1952 die Aufhebung der Warenproduktion und damit das Ende des Wirkens des Wertgesetzes aus der ersten in die zweite Phase der kommunistischen Gesellschaft verschoben wird - was nach der Umdefinition der Übergangsperiode in die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft nur konsequent ist - und von den sowjetischen Wirtschaftlern und Planern die Berücksichtigung der Wirkungen des Wertgesetzes gefordert wurde, wird 16 Jahre später bereits die „bewußte und planmäßige Ausnutzung der Kategorien des Wertgesetzes“28 als Bestandteil der wirtschaftsleitenden Funktion des sozialistischen Staates beschrieben. Und heute bei Pletnikow lesen wir:

„Der Markt darf dem Plan nicht entgegengestellt werden.29 Die sozialistische Ökonomie stellt sich dar als Plan-Markt-Wirtschaft.“

Die Praxis der Ökonomie der Übergangsperiode hatte gezeigt, daß in einer Formation, in der die Warenproduktion noch nicht vollständig überwunden ist, auch das Wertgesetz noch wirkt, daß es teilweise auch in Bereiche hineinwirkt, die dem Inhalt nach schon keine Warenproduktion mehr sind. Sie hat aber auch gezeigt, daß der Wirkungsbereich der Marktgesetze durch Aufhebung des Privateigentums an strategisch wichtigen Produktionsmitteln, durch gesellschaftliche Planung und politische Zwangsmaßnahmen eingeschränkt werden konnte. Die Praxis zeigte, daß unter diesen Bedingungen eine Planung, die die noch bestehenden Wirkungen des Wertgesetzes nicht einkalkuliert, „vom Leben“, d.h. von den hinter dem Rücken der Produzenten sich durchsetzenden gesellschaftlichen „Natur“gesetzen durchkreuzt wird. Zwei grundlegende Reaktionsweisen hierauf standen gegeneinander: Die Strategie der Zurückdrängung der Warenproduktion und ihrer Zwangsgesetze, und die Strategie der bewußten Ausnutzung dieser Gesetze. Die letztere Strategie, die sich schließlich durchgesetzt hat, ist kompatibel mit dem paternalistischen Sozialismus, sie entspricht einem System, in dem die Partei, der Arbeiterstaat und seine Wirtschaftsfachleute stellvertetend für die Arbeiterklasse, stellvertretend für die Menschen handeln und zusehends in die Rolle des Goetheschen Zauberlehrlings30 geraten. Solange man die Beschränkungen für das Wertgesetz aufrecht erhält, kann man so zwar die Rückkehr zu kapitalistischen Ausbeutungs­verhältnissen verhindern, aber man kann nie und nimmer das zweite große Ziel erreichen, die Brechung der Herrschaft des Produktes über den Produzenten. Und ohne dieses zweite große Ziel ist auch das erste, die Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, nicht dauerhaft zu haben.

Wie immer der Weg in die Hölle, so ist auch hier der Weg zurück zum Kapitalismus mit guten Vorsätzen gepflastert. Der erste Schritt, das Beachten der Wirkungen des Wertgesetzes, solange und wo es noch wirkt, ist sicher eine sinnvolle und notwendige Sache. Der zweite Schritt stand unter der technokratischen Überschrift vom „Ausnutzen des Wertgesetzes als Regulator für den sozialistischen Vergesellschaftungsprozeß“. Er führte über die Erfindung eines sozialistischen Wertgesetzes, was jedoch kein Gesetz im Sinne der spontan sich durchsetzenden Gesetze in der politischen Ökonomie des Kapitalismus war, sondern eher ein Postulat, nach dem die Wirkungen des Wertgesetzes durch Preisfestsetzung zu vermuteten oder kalkulierten Werten simuliert werden sollte.

„Das Wertgesetz war im Sozialismus also kein Gesetz, sondern ein Postulat, und sofern es Gesetz war, war es nicht sozialistisch. Dieses Postulat ist allerdings wohl kaum je erfüllt worden. Die These lautet: auch jene „sozialistischen Länder, die sehr weitgehend Elemente des Marktes eingeführt hatten, wie Ungarn und Jugoslawien, dürften wohl kaum an Bedingungen herangekommen sein, in denen das Wertgesetz wirklich Gültigkeit erlangte und sich entfaltete. Die Ursache dafür liegt darin, daß der letzte Schritt zum Abbau des Sozialismus, die Zulassung eines Kapitalmarktes bzw. die private Verfügung über die Produktionsmittel (noch) nicht getan war.“

Mit diesen Worten schließt Manfred Szameitat seine Betrachtungen zum „Wertgesetz“ im Sozialismus in dem sehr lesenswerten Aufsatz „Es bedarf einer Theorie des Sozialismus31 um anschließend aufzuzeigen, daß der Kapitalfluß eine entscheidende Voraussetzung zur Durchsetzung des Wertgesetzes ist.

Die nächsten Schritte gingen sehr schnell: Da sich zeigte, daß durch die technokratisch geplante Simulation von Marktmechanismen nicht die Geschwindigkeit der Produktivkraftentwicklung erreicht werden konnte, die der kapitalistische Weltmarkt entfaltete32, mußte der richtige Markt her. Voraussetzung dafür war natürlich, daß die von Pletnikow transportierte These von der Versöhnung von Plan und Markt geglaubt wurde. Das wurde durch die falsche Bestimmung des eigenen politischen Standortes - erste Phase der Kommunistischen Gesellschaft statt Übergangsperiode - befördert. Denn während für die revolutionäre Übergangs­periode unmittelbar einsichtig ist, daß sie keine in sich konsistenten Verhältnisse hervorbringen kann, daß sie geprägt ist vom Kampf zwischen zwei antagonistischen Vergesellschaftungsformen, der spontan hinter dem Rücken der Menschen sich vollziehenden und der bewußt gestalteten, daß sie eben die Revolution ist, geht man für die kommunistische Gesellschaft von einer inhaltlichen Konsistenz aus, die zu dem Bestreben führt, die vorgefundenen Phänomene theoretisch miteinander zu versöhnen. In der Praxis zeigte sich natürlich an allen Ecken und Enden, daß Warenproduktion und gesellschaftliche Planung einander widersprechen, daß die Ökonomie der Übergangsperiode - wie oben gezeigt - überhaupt nicht in sich konsistent sein kann.

Für die populistische Agitation wurde von den Marktsozialisten gerne das Beispiel angeführt, daß es durch das mit politischer Absicht festgesetzte niedrige Preisniveau für Grundnahrungsmittel hie und dort dazu kam, daß Brot an Schweine verfüttert wurde, weil es billiger war als Schweinefutter. Hier haben wir es klar mit einem Widerspruch zwischen Preisen, die sich durch das Wertgesetz einstellen, bzw. die entsprechend dem vermuteten oder kalkulierten Wert festgelegt werden und Preisen, die nach anderen Kriterien festgelegt werden, zu tun. Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten mit so einem Widerspruch umzugehen:

  1. Zeitweise mit diesem Widerspruch leben, weil es immer noch besser ist, daß ein paar Schweine Brot kriegen, als daß Menschen von Katzenfutter und aus Mülltonnen leben müssen

  2. Den Widerspruch nach der Seite auflösen, daß auch das Schweinefutter den Wirkungen des Wertgesetzes bzw. des simulierten Wertgesetzes entzogen wird

  3. Den Widerspruch nach der Seite auflösen, daß auch die Brotpreise dem Wertgesetz unterworfen werden.

Unter der Prämisse der Versöhnung von Markt und Plan war für die Marktsozialisten natürlich nur die dritte Variante denkbar.

Die Einführung des richtigen Marktes begann Mitte der 80er mit dem Schlachten von ein paar heiligen Kühen: Auch staatliche Betriebe müssen in Konkurs gehen können, der Warencharakter der Ware Arbeitskraft müsse wiederhergestellt werden, dadurch, daß sie gekauft werden könne, oder auch nicht, d.h. durch die Zulassung von Arbeitslosigkeit, und letztlich und entscheidend dann durch die Wiederherstellung des Kapitalmarkts. Manfred Szameitat schreibt dazu:

„Marx hat bekanntlich das Kapital historisch und logisch-begrifflich aus der Warenproduktion und dem Warentausch (das heißt dem Markt) abgeleitet und das Geheimnis der Plusmacherei des Mehrwerts als Waren­produktion mittels Waren (Arbeitskraft) entschlüsselt. Die Jagd nach dem größtmöglichen Profit ist Triebkraft und Steuerungsprinzip in der zum Kapitalismus gewordenen Marktwirtschaft. Dies kann aber nur funktionieren, wenn der freie Fluß des Kapitals in die profitabelste Anlage letztlich zur Angleichung der Profitraten (im Marxschen Gleichgewicht) führt, damit der den Arbeitern abgepreßte Mehrwert entsprechend dem Kapitaleinsatz (nicht etwa gemäß der vom Kapitalisten eingesetzten Zahl der Arbeitskräfte) verteilt und über diesen Umweg dem Wertgesetz - dem Warentausch entsprechend der in den Waren verausgabten Arbeit - zum Durchbruch verhilft. Daß Kapital in die profitabelste Anlage oder Branche strömen kann, ist daher Voraussetzung dafür, daß der Markt insgesamt seine Effizienz spendende Wirkung entfalten kann. Deshalb auch ist 'Marktwirtschaft' aufs engste mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln verbunden. Nur wenn Private über Produktionsmittel verfügen, kann das darin gebundene Kapital - meist in Geld- bzw. Kreditform - von einem Sektor der gesellschaftlichen Arbeit in den anderen fließen. Marktwirtschaft muß bei dem heute erreichten Stand der Produktivkräfte und dem erreichten Grad der Vergesellschaftung der Arbeit (weil nach dem Aufkommen des Kapitalismus Warenproduktion immer als bestimmendes gesellschaftliches Moment Warenproduktion mittels Waren ist) auch immer Kapitalismus heißen. ... Während im Kapitalismus die Warenproduktion das dominierende Element ist und die Planungen einzelner Kapitale (und die des Staates ebenfalls) an den Zielvorgaben des Marktes, den Zwängen des Wertgesetzes ausgerichtet sind, funktioniert eine umgekehrte Einbettung von Marktelementen in sozialistische Planwirtschaft nicht.

Die sozialistische Gesellschaftsformation ist, wenn es sie denn je geben wird, keine Waren produzierende Gesellschaft, deren Kennzeichen der Warentausch zu gleichen Werten ist.“33

Nach dieser Betrachtung stellen sich die bisherigen sozialistischen Staaten dar als Formationen der Übergangsperiode vom Kapitalismus zur kommunistischen Gesellschaft, in der inhaltlich die Warenproduktion bereits auf relativ kleine Bereiche beschränkt war, als Ausdrucksform der Herrschaft des Produkts über die Produzenten aber weiter seine Rolle spielte. Diese Form entwickelte einen Druck zurück zu dem ihr adäquaten Inhalt: Der Verallgemeinerung der Warenproduktion zur kapitalistischen Warenproduktion standen allein die politischen Machtmittel im Wege.

Das Wertgesetz, das im Kapitalismus wie ein den realen Prozessen zugrundeliegendes Naturgesetz wirkt - allerdings keineswegs an der Oberfläche, denn hier schwanken die Preise nicht (nur) um den Wert, sondern um den durch den Ausgleich der Profite zur Durchschnittsprofitrate modifizierten Wert, einmal ganz abgesehen von den noch weitergehenden Modifikationen des Wertgesetzes im Bereich der Monopolprofite - wurde zusehends affirmativ betrachtet. Die konsequente Umsetzung der Devise „Dem Wertgesetz Geltung verschaffen“ hatte zwangsläufig zur Folge „Demokratisierung“, d.h. in diesem Falle: Aufhebung der politischen Zwangsmittel, die der Entwicklung eines Kapitalmarkts (= freie Verfügbarkeit von Privaten über Produktionsmittel) entgegenstanden.

Pletnikow und das Privateigentum

Bereits oben zeigte sich am Beispiel von Pletnikows Umgang mit dem Engels-Zitat „Mit der Besitzergreifung der (sämtlichen?) Produktionsmittel durch die Gesellschaft...“, am Beispiel seiner Umdeutung der Bedeutung, die Lenin den Genossenschaften in der Übergangsperiode als Organisationsform der Produktion beimißt, in eine Form des Eigentums an Produktionsmitteln, und auch am Beispiel seiner Wiedergabe der Stalinschen Argumentation, daß Pletnikow wissenschaftlich unredlich wird, sobald es um die Eigentumsfrage geht. Ich werde dieser Tatsache hier etwas nachgehen. In dem Text, der den Anlaß zu diesem Aufsatz geboten hat schreibt Pletnikow:

„In der Wirtschaft des frühen Sozialismus konstituiert sich nicht nur eine einzige Wirtschaftsform, wovon früher ausgegangen wurde, sondern es bilden sich zwei sozial-ökonomische Sektoren heraus. Ihre Grundlage stellt das staatliche bzw. genossenschaftliche Eigentum dar ... Vom theoretischen Standpunkt aus ist auch eine weitere Differenzierung der Wirtschaftsformen der sozialistischen Ökonomie durchaus denkbar.“

Worauf Pletnikow hier hinaus will ist seinem Beitrag in den Marxistischen Blättern 2/97 zu entnehmen. Pletnikow zitiert dort Marx:

„Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Eigentum ist die erste Negation des individuellen, auf eigene Arbeit gegründeten Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation. Diese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf der Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel.“34

Pletnikow fährt fort:

„Wenn man die angeführten Worte durchdenkt, kann man folgende Schlußfolgerungen ziehen: ... Zweitens, die unmittelbare Negation des kapitalistischen Privateigentums ist nicht das gesellschaftliche Eigentum an sich, sondern das individuelle Eigentum, das auf der Basis der Errungenschaften der kapitalistischen Ära entstanden ist. ... Drittens, das individuelle Eigentum kann zersplittertes Privateigentum sein, (persönliches) Konsumgütereigentum, wie auch von gesellschaftlichem Eigentum abgeleitetes Eigentum an Produktionsmitteln. Viertens, das gesellschaftliche Eigentum kann sich nicht ohne individuelles Eigentum entwickeln.“35

Pletnikow stellt Marx total auf den Kopf, wenn er das individuelle Eigentum zur Grundlage und zur historischen Vorform des gesellschaftlichen Eigentums macht. In der zitierten Passage weist Marx darauf hin, daß das individuelle Privateigentum als Ergebnis der eigenen Arbeit, das der einfachen Warenproduktion entspricht und die Grundlage für die Entfaltung des Kapitalismus aus der einfachen Warenproduktion darstellt, durch diese Entfaltung negiert wird, umschlägt in das Privateigentum der Nichtarbeiter auf Grundlage fremder Arbeit und die Eigentumslosigkeit der Arbeiter, die sich eben nur das, was sie zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft benötigen durch deren Verkauf aneignen können. Die nochmalige Negation dieses kapitalistischen Eigentums ist nach Marx ganz eindeutig das Gemeineigentum und erst auf dieser Grundlage kann das individuelle Eigentum als Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum für die Arbeitenden, die Produzenten wiederhergestellt werden.

Pletnikow hingegen betreibt die ideologische Rehabilitation des Privateigentums an den Produktionsmitteln:

„In Abhängigkeit davon, ob es möglich ist, sich fremde Arbeit anzueignen, und ob dies tatsächlich erfolgt, treten zwei Arten des Privateigentums hervor: die ausbeuterische, auf die Aneignung fremder Arbeit gegründete, und die auf eigener Arbeit beruhende. Diese zweite Art des Privateigentums, z.B. die modernen Farmwirtschaften, die keine oder fast keine Lohnarbeit nutzen, kann in unserer Zeit sowohl in das kapitalistische wie in das sozialistische Wirtschaftssystem integriert werden. Hinsichtlich der Subjekte teilt sich das Privateigentum in individuelles Eigentum und Gruppeneigentum (darunter in Form von Aktiengesellschaften) und das gesellschaftliche Eigentum in allgemeines Volkseigentum und das Kollektiveigentum von Werktätigen.“ „Die Überwindung der Lohnarbeit aktualisiert sich in unserer Zeit als eine Kraft gewinnende historische Tendenz. Sie macht sich vor allem in den entwickelten kapitalistischen Ländern bemerkbar.“36

Als Beleg wird angeführt die Entwicklung kooperativer Föderationen und der Aktiengesellschaften, „in denen sich ein großer Teil der Aktien in den Händen der Mitarbeiter befindet.“ Ich lasse das hier unkommentiert und wende mich Pletnikows Kollegen Schendrik zu, der in der gleichen Moskauer Zeitschrift „Dialog“ publiziert und dessen Beitrag „Das Sozialismusbild der Klassiker des Marxismus-Leninismus“ ebenfalls von Willi Gerns für die Marxistischen Blätter übersetzt wurde37.

Schendrik schreckt selbst vor plumpesten Fälschungen nicht zurück. Er schreibt:

„Im 'Manifest der Kommunistischen Partei' wird die künftige Gesellschaft als ein soziales System beschrieben, in dem es kein kapitalistisches Privateigentum geben, individuelles, selbsterarbeitetes Eigentum jedoch kraft des Umstandes bewahrt wird, daß dieses die ökonomische Grundlage 'aller persönlichen Freiheit, Tätigkeit und Selbständigkeit bilde'.“38

Hier konnte die Redaktion der Marxistischen Blätter nicht umhin in einer Fußnote anzumerken:

„Die Deutung der zitierten Worte durch den Autor scheint uns nicht exakt zu sein. Marx und Engels äußern hier nicht ihren eigenen Standpunkt. Es handelt sich vielmehr um eine Passage aus der Wiedergabe eines gängigen Vorwurfs von Kritikern der Kommunisten.“39

Hätte die Redaktion doch auch die anderen Zitate überprüft! So schreibt Schendrik über Engels:

Die Erfahrungen der Genossenschaften in Deutschland erforschend stellt er fest, „daß wir beim Übergang in die volle kommunistische Wirtschaft den genossenschaftlichen Betrieb als Mittelstufe in ausgedehntem Maß werden anwenden müssen“. Engels deklariert so den Pluralismus der Eigentumsformen, der in den frühen Arbeiten der Klassiker kategorisch abgelehnt wurde.40

Jetzt hören wir Engels selbst:

„Und daß wir beim Übergang in die volle kommunistische Wirtschaft den genossenschaftlichen Betrieb als Mittelstufe in ausgedehntem Maß werden anwenden müssen, daran haben Marx und ich nie gezweifelt. Nur muß die Sache so eingerichtet werden, daß die Gesellschaft, also zunächst der Staat, das Eigentum an den Produktionsmitteln behält und so die Sonderinteressen der Genossenschaft, gegenüber der Gesellschaft im ganzen, sich nicht festsetzen können.“41

So sieht der Pluralismus der Eigentumsformen bei Engels aus. Die Verfälschung des Leninschen Genossenschaftsplans,die wir ja bereits bei Pletnikow gefunden haben, führt Schendrik weiter:

„Die neue Gesellschaft stellt sich Lenin als eine Gesellschaft dar, in der das Wertgesetz und das Prinzip der Bezahlung nach der Quantität und Qualität der Arbeit wirksam sind, in der ein Pluralismus der Eigentumsformen existiert, in der es einen starken Staat gibt, der Apparat der Staatsangestellten jedoch unter strenger Kontrolle des Volkes steht, in der die Werktätigen über das System der Sowjets und gesellschaftlichen Organisationen aktiv an der Leitung teilnehmen.“

Was hier den russischen „Kommunisten“ von ihren Ideologen vorgebetet wird, ist Bernstein, Godesberg und Schröder-Blair-Papier in einen Aufwasch. Rußland fehlte, um wieder sozialistisch zu sein, anscheinend nur - Putin!

Ausblick

Manfred Szameitats Aufsatz schließt:

„Die allseits beklagten Demokratiemängel der früher herrschenden kommunistischen Parteien und sozialistischen Staaten waren - so die hier vorgetragene These - denn auch nicht einfach Resultat subjektiver Schwächen der politisch Verantwortlichen oder geschichtliches Ergebnis der besonderen Entwicklung der Sowjetunion. Sie waren vielmehr Resultat der Notwendigkeit, die ökonomische Entwicklung im Namen der Gesamtgesellschaft gestalten zu müssen, ohne dazu außerpolitische, ökonomisch-instrumentelle Mittel zur Hand zu haben.“42

Klopfen wir diese „Notwendigkeit“ ab. Nach der Seite des Fehlens der außerpolitischen, öko­nomisch-instrumentellen Mittel ist die Aussage richtig, wie wir oben gesehn haben. Die Versuche, solche ökonomisch-instrumentellen Mittel zu schaffen, führen zurück zur Herrschaft der Sachen, zur gesellschaftlichen Herrschaft der Sachzwänge, zum Privateigentum, zur idiotischen43 Produktions­weise des Kapitalismus. Andererseits bleibt die Ersetzung des Terrors der Ökonomie durch den Terror der Politik auf Dauer ebenso unhaltbar. Es bleibt nur, die „Notwendigkeit, die ökonomische Entwicklung im Namen der Gesamtgesellschaft gestalten zu müssen,“ selbst aufzuheben. Die Gesellschaft selber muß ihre Angelegenheiten regeln und die Gesellschaft ist nichts anderes als die Assoziation der gesellschaftlichen Individuen. Kommunistische Vergesellschaftung kann nur bewußt vollzogen werden, dies eben unterscheidet sie von allen historischen Vorformen menschlicher Vergesell­schaftung.

Der bisherige Kommunismus hat sich wesentlich entwickelt vom Standpunkt der abstrakt gefaßten Gesellschaft und damit korrespondierend vom Standpunkt des von seiner Gesellschaftlichkeit losgelösten Klassen­individuums. Er hat die Praxis gespalten in die großen, hehren, gesellschaftlichen Ziele, denen gegenüber der Einzelne ein Nichts ist, und in den „Kampf ums Teewasser“, der an der persönlichen Betroffenheit gerade des seiner Gesellschaftlichkeit entfremdeten Klassenindividuums ansetzt. Der künftige Kommunismus wird auszugehen haben von einem Standpunkt, der die Gesellschaft konkret faßt, als das gesellschaftliche Individuum.44

Der heutige Kapitalismus hat mit den elektronischen Netzen und der Möglichkeit von Just-in-time-Produktion die Produktivkräfte entwickelt, die eine nach den Bedürfnissen der Produzenten geplante unmittelbar gesellschaftliche Produktion ermöglichen; und zwar mit einer direkten, alle ein­schließenden Form der Planung, die mit den staatlichen Plankommissionen des ersten Anlaufs nur noch wenig gemein hat.

Anmerkungen

1Dieses Zitat, ebenso wie alle weiteren nicht näher gekennzeichneten Zitate Pletnikows, ist dem Beitrag Warenproduktion und Markt im Sozialismus, entnommen in: UZ vom 20.11.98, S.15

2Pletnikow versteht unter Sozialismus die gesellschaftliche Organisationsform der Sowjetunion, die er als praktische Umsetzung dessen ansieht, was Marx in der Kritik des Gothaer Programms „die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft“ nennt. Zur Kritik dieser Begriffsbildung lese man den Beitrag von Vollrat Neumann. Der Sache nach war die gesellschaftliche Organisationsform der Sowjetunion und der übrigen „sozialistischen Staaten“ des 20.Jahrhunderts eher eine Verlaufsform dessen, was Marx an gleicher Stelle folgendermaßen beschreibt: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre.“ Allerdings eine Verlaufsform, in deren Verlauf den Kommunisten das Bewußtsein von der Periode, in der sie handelten gründlich abhanden gekommen ist, was mit dazu beigetragen hat, daß der Übergang nicht bewältigt wurde. (s.u.)

3Diese rhetorische Frage, ob hier Engels wohl die Besitzergreifung sämtlicher Produktionsmittel durch die Gesellschaft meint, hat Pletnikow übrigens abgeschrieben aus Stalins Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“. Allerdings gewinnt diese Frage bei Pletnikow einen völlig anderen Sinn als bei Stalin. Während Stalin diese Frage stellt, um gleich darauf zu zeigen, daß Engels selbstverständlich die Vergesellschaftung sämtlicher Produktionsmittel gemeint hat und daß daher seine Konsequenz der Aufhebung der Warenproduktion auf die Sowjetunion noch nicht anwendbar sei, weil hier eben erst ein Teil der Produktionsmittel vergesellschaftet worden ist, läßt Pletnikow die Frage offen im Raum stehen und suggeriert damit, daß für Engels möglicherweise auch eine sozialistische Gesellschaft mit dem Nebeneinanderbestehen von gesellschaftlichem, genossenschaftlichem und kleinem Privateigentum denkbar gewesen wäre.

4Engels, Anti-Dühring, MEW 20, S.262

5Engels, Anti-Dühring, MEW 20, S.264

6ebenda

7Im Abschnitt mit der Überschrift „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ zeigt Marx auf, daß die Arbeitsprodukte dadurch, daß sie die Warenform annehmen, „den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere ihrer Arbeitsprodukte ... zurückspiegeln, daher auch das gesell­schaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen. ... Die (Wertgrößen AKG) wechseln beständig, unabhängig vom Willen, Vorwissen und Tun der Austauschenden. Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren. ... Die Bestimmung der Wertgröße durch die Arbeitszeit ist daher ein unter den erscheinenden Bewegungen der relativen Warenwerte verstecktes Geheimnis. Seine Entdeckung hebt den Schein der bloß zufälligen Bestimmung der Wertgrößen der Arbeitsprodukte auf, aber keinesfalls ihre sachliche Form. ... Es ist ebendiese fertige Form - die Geldform - der Warenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnisse der Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren.“ (MEW 23, S.86ff)

8MEW 9, S.226

9Das Leben hat überhaupt noch nicht ausgetestet, ob es nicht wesentlich einfacher und flexibler ist, wenn die Produkte statt einem Preisschild einen Aufkleber auf ihrer Stirn haben, auf dem steht, wieviel gesellschaftliche Arbeitszeit für ihre Produktion zum Zeitpunkt ihrer Produktion im Durchschnitt erforderlich war!

10Stalin, Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR

11Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953 S. 76

12Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, MEW 19, S.28

13Marx, Ökonomisch-phiolosophische Manuskripte, MEW EB I, S. 538

14Marx/Engels: Die deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 49

15s. Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Marx, Kritik des Gothaer Programms, oder auch Lenin, Staat und Revolution. Näheres dazu auch in der folgenden Fußnote.

16Diese völlig neue Verlaufsform einer Revolution wird von Marx und Engels schon 1848 antizipiert. Sie schreiben zusammenfassend im „Manifest der Kommunistischen Partei“:

"Wir sahen schon oben, daß der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.

Es kann dies natürlich zunächst nur geschehn vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktions­weise unvermeidlich sind." [MEW Bd.4, S. 481]

Es folgt der Übergang von der Weg- zur Zielbestimmung:

"Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf."

Dann kommt der berühmte Satz:

"An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." [MEW Bd.4, S. 482]

28 Jahre später finden wir bei Marx diese Abfolge von Schritten etwas weiter ausgearbeitet wieder in den „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei“, besser bekannt unter dem Namen „Kritik des Gothaer Programms“. Hier heißt es zur Übergangsperiode:

"Zwischen der kapitalistischen und kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats." [ MEW Bd.19. S.28]

Und dann nach dieser Übergangsperiode etwas, was Marx die erste Phase der kommunistischen Gesellschaft nennt:

„Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren."

Und fügt hinzu, damit deutlich wird worauf er sich bezieht:

"Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent - nach den Abzügen (für gesellschaftliche Fonds, das wurde schon vor dem hier zitierten Absatz entwickelt, AKG) exakt zurück, was er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat, ist sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. der gesellschaftliche Arbeitstag besteht aus der Summe der individuellen Arbeitsstunden; Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat an Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück.

Es herrscht hier offenbar dasselbe Prinzip, das den Warenaustausch regelt, soweit er Austausch Gleichwertiger ist. Inhalt und Form sind verändert, weil unter den veränderten Umständen niemand etwas geben kann, außer seiner Arbeit, und weil andererseits nichts in das Eigentum des einzelnen übergehen kann, außer individuellen Konsumtionsmitteln. Was aber die Verteilung der letzteren unter die einzelnen Produzenten betrifft, herrscht dasselbe Prinzip wie beim Austausch von Warenäquivalenten, es wird gleich viel Arbeit in einer Form gegen gleich viel Arbeit in einer andern umgetauscht." [MEW Bd.19, S.19f]

Das heißt, Marx geht für diese erste Phase des Kommunismus von einer Vorstellung aus, die schon keine Warenproduktion mehr ist, wo eine vollständige Vergesellschaftung der Produktionsmittel und auch eine vollständige Vergesellschaftung der Arbeit bereits stattgefunden hat, wo die Gesellschaft selbst die Wirtschaftseinheit ist, und an die Stelle des Austauschs zwischen den Produzenten die Verteilung innerhalb der Gesellschaft tritt. Und von daher ist dann auch logisch, daß es hier keinen Wert, kein Wertgesetz mehr gibt.

Allerdings, sagt er, herrscht hier für die Verteilung der Konsumtionsmittel noch das gleiche Prinzip wie beim Warenaustausch, nämlich das Arbeitsquantum als Bezugspunkt, aber Inhalt und Form sind verändert, die auf Produkte verwandte Arbeit erscheint nicht mehr als Wert dieser Produkte, Prinzip und Praxis liegen sich nicht mehr in den Haaren.

Dieses Prinzip, führt Marx weiter aus, macht zugleich die Beschränktheit dieser ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft aus, da es ja noch das Prinzip des gleichen Rechtes ist, ein bürgerliches Prinzip des gleichen Rechtes, was - da die Menschen nicht gleich sind - immer das Moment der Ungleichheit in sich enthält. Und sagt dann:

„Aber diese Mißstände sind unvermeidbar in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen...", ... nämlich der revolutionären Übergangsperiode der Diktatur des Proletariats, ... „hervorgegangen ist. Das Recht kann nie höher sein, als die ökonomische Gestaltung und dadurch bedingte Kulturentwicklung der Gesellschaft."

Weiter heißt es: „In einer höhern Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktionskräfte gewachsen sind und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen." [MEW Bd.19, S.21]

Lenin knüpft dann in "Staat und Revolution" an diese Marxschen Bestimmungen aus der Kritik des Gothaer Programms an, wobei er besonders die Frage des Absterbens des Staates untersucht und diesen Punkt dahingehend modifiziert oder weiter ausarbeitet, daß das Absterben des Staates zwar beginnt in der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, - und Lenin fügt hier in Klammern hinzu: „die gewöhnlich Sozialismus genannt wird“ - aber erst richtig Platz greift als Prozeß von langer Dauer in „der höheren Phase des Kommunismus".

Das sind also bei Marx, Engels und Lenin sehr klare Bestimmungen eines Ablaufs der Entwicklung zur klassenlosen Gesellschaft, nämlich zuerst die Erkämpfung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, damit beginnend die revolutionäre Übergangsperiode, die schon nicht mehr allein Kapitalismus, aber auch noch keine sozialistische Gesellschaft ist, die noch Klassengesellschaft ist. Die Hauptaufgaben des Proletariats in dieser Übergangsperiode liegen im Prozeß der unmittelbaren Vergesellschaftung des Produktionsprozesses, sowohl der Produktionsmittel als auch der Arbeit, und liegen in der weltweiten Verallgemeinerung der politischen Revolution, im weltweiten Einstieg in diese Übergangsperiode. Zu diesem letzten Punkt heißt es im Kommunistischen Manifest:

"Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden immer mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse."

Kurz vor der hier zitierten Stelle gehen Marx und Engels davon aus, daß die politische Revolution erstmal im Rahmen der Nation stattfinden wird. Aber dann in der Übergangsperiode werden die Widersprüche zwischen den Völkern verschwinden:

"Die Herrschaft des Proletariats wird sie nochmehr verschwinden machen." heißt es dann weiter und: "Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen ihrer Befreiung.

In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben.

Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander."

17Welche gravierenden Probleme für die weitere Entwicklung bereits in dieser Form der politischen Machtergreifung, in dem zugrundeliegenden Verständnis des Verhältnisses von Partei und Klasse, in den Organisationsprinzipien der Partei angelegt waren, kann an dieser Stelle nicht näher untersucht werden. Es sei nur kurz angemerkt, daß die im Folgenden angerissenen Probleme Bestandteil eines ganzen Problemkomplexes sind und keineswegs allein als monokausale Erklärung für das Scheitern des ersten großen Ausbruchsversuches aus dem System kapitalistischer Vergesellschaftung genommen werden dürfen.

18Juri Pletnikow, „Eigentumsverhältnisse und Sozialismus“, in: Marxistische Blätter 2-97

19Lenin, „Über das Genossenschaftswesen“, in LW Bd. 33

20Rohentwurf des Programms der KPR, in Lenin Werke Bd.29

21In der Resolution zum Bericht D.S.Manuilskis heißt es: „... stellt der VII.Weltkongreß der Kommunistischen Internationale mit großer Genugtuung fest, daß ... der endgültige und unumstößliche Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion sowie die allseitige Festigung des Staates der Diktatur des Proletariats erreicht ist.“ zitiert nach: VII.Kongreß der Kommunistischen Internationale, Referate und Resolutionen, FfM 1975, S. 333

22hinzugefügt sei, daß ich selbst Delegierter auf diesem Parteitag war und mir dieser Widerspruch damals nicht aufgefallen ist.

23Hans Heinz Holz, Kommunisten heute, Essen 1995, S.117; vgl. auch S.104f

24Daniel Dockerill in: Kommunistische Streitpunkte Nr.5

25Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit bedeutet wie Marx gezeigt hat wesentlich auch immer Ersatz lebendiger durch vergangene Arbeit. Diese Beschreibung ist hinreichend genau, solange der Stoffwechselprozeß der Menschheit klein ist im Verhältnis zu den globalen Naturprozessen und daher im Wesentlichen mit einer natürlichen Reproduktion der natürlichen Produktionsbedingungen gerechnet werden kann. Solange dies der Fall ist, läßt sich mit Fug und Recht davon sprechen, daß Naturkräfte und Naturstoffe kostenlose Produktivkräfte sind, kann man sagen, Luft, Wasser, Stoffe aller Art in ihrem naturursprünglichen Zustand haben keinen Wert, da zu ihrer Produktion keine menschliche Arbeitskraft benötigt wird. In dem Maße nun, in dem durch die Größen­ordnung ihrer Vernutzung die natürliche Reproduktion dieser Stoffe nicht mehr gewährleistet ist, gewinnen sie einen Wert, der bestimmt ist durch die zu ihrer Reproduktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Solange sie jedoch noch in hinreichender Qualität und Menge von Natur aus vorhanden, werden sie nicht zur Ware, lassen sich nach wie vor gratis aneignen, denn ihre Nutzung findet privat statt, durch das Kapital, während ihre Reproduktion eine gesellschaftliche Aufgabe ist. Es findet hier praktisch neben der Ersetzung lebendiger Arbeit durch vergangene auch eine Substituion lebendiger Arbeit durch zukünftige statt, die im Gegensatz zur völlig bezahlten toten Arbeit und zur teilweise bezahlten lebendigen Arbeit nicht bezahlte und nicht geleistete Arbeit ist, ein ungedeckter Wechsel auf die Zukunft, Beraubung künftiger Generationen.

Beispiel: Giftige Produktionsrückstände werden in der Nordsee verklappt. Dies spart in großem Stil lebendige Arbeit, die notwendig wäre um diese Stoffe unschädlich zu machen, aufzuarbeiten und in den Stoffwechsel­kreislauf zu reintegrieren, bzw. um die Produktion so zu verändern, daß diese Stoffe gar nicht erst anfallen. Gleichzeitig erwächst hieraus für die Zukunft die in ihrem Umfang überhaupt nicht überschaubare Aufgabe der Entgiftung der Meere.

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