Frankfurter Rundschau v. 31.5.2000

Verschwundener Pass bringt einen Künstler plötzlich in die Nähe von Terroristen
Nach Festnahmen in Frankreich geriet das Leben von Werner R. aus den Fugen

Von Jutta Ochs

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Die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt in Zusammenhang mit den in Frankreich festgenommen mutmaßlichen Mitgliedern der "Revolutionären Zellen", Sonja S. und Christian G. Zeugen aus dem ganzen Bundesgebiet werden nach Angaben des Sprechers der Staatsanwaltschaft, Job Tilmann, in Frankfurt vernommen. Einer davon ist der Künstler Werner R. In seinem bislang geruhsamen Leben herrscht seit einigen Monaten Ausnahmezustand.

Werner R. lebt seit vielen Jahren in Hagen in Westfalen mit Freunden in einer großzügigen Altbauwohnung, er hat sich als Künstler und Mitglied einer Künstler-Kooperative einen Namen gemacht, verfügt über einen umfangreichen Freundes- und Bekanntenkreis und hat, da seine Mutter Schweizerin ist, einen deutschen und einen schweizerischen Pass.

Am Abend des 17. Januar hat sich sein bisheriges Leben grundlegend und für ihn in vor kurzem noch unvorstellbarer Weise verändert. An diesem Abend um etwa 20.30 Uhr nämlich drangen Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Staatsschutzes in seine Wohnung ein. Eine Mitbewohnerin und eine Besucherin wurden gegen die Wand gestellt, nach Waffen durchsucht und nach dem Aufenthaltsort von Werner R. befragt. Der befand sich in seinem Atelier, das nach der Schilderung von Werner R. dann von den Beamten "mit gezogenen Waffen gestürmt" wurde. Der Künstler hatte große Angst.

Nach der Durchsuchung des Ateliers fuhren die Beamten mit ihm in die Wohnung zurück und nahmen sich diese vier Stunden lang vor. Tagebücher und Briefe, Rechnungen und Kontoauszüge, sämtliche persönlichen Dinge wurden durchforstet. Um 0.30 Uhr dann musste Werner R. zur Vernehmung aufs Polizeipräsidium. Er wurde zunächst nach seinen Kontakten zur "linken Szene" befragt, später hätten Beamten dann den Begriff "terroristische Szene" benutzt.

Nach und nach schälte sich für Werner R. der Grund dieses "martialischen Einbruchs" in sein Leben heraus. Bei Christian G. war angeblich sein Schweizer Pass gefunden worden. G. soll unter seinem Namen in Frankreich gelebt haben. Eine Erklärung, wie dies geschehen konnte, hatte Werner R. - aus Sicht der Beamten - nicht. Denn Werner R. war sich noch nicht einmal bewusst, dass dieser Pass überhaupt verschwunden war. Seit vielen Jahren habe er ihn nicht mehr genutzt und auch nicht vermisst, erklärte er. Auch hatte er keinen Verdacht, wer den Pass gestohlen haben könnte. Zahllose Menschen, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte in den diversen Wohngemeinschaften, in denen er unter anderem während seiner Studentenzeit lebte, hätten theoretisch Gelegenheit gehabt, ihn zu entwenden.

R. gab gegenüber den Beamten auch an, dass er mit 16 Jahren einen Jugendfreund hatte, der viele Jahre später wegen Mitgliedschaft in der "Bewegung 2. Juni" verurteilt worden war. Auch hatte er 1975 in einer Kölner Wohngemeinschaft gelebt, in der wiederum für zwei Wochen der RAFRechtsanwalt Klaus Croissant gewohnt hatte. Nach der ersten Befragung, die bis 2.30 Uhr in der Nacht dauerte, wurde Werner R. am nächsten Tag erneut zur Vernehmung zitiert. Dort eröffneten ihm die Beamten, dass sie wegen seiner "zahlreichen Kontakte" zu "terroristischen Personen" seine Angaben zum Verschwinden des Passes nicht glaubten.

R. wurde aufgefordert, "endlich die Wahrheit zu sagen", und es wurde ihm seinen Angaben zufolge gedroht, dass er jetzt noch Zeuge sei, sich dies aber sehr schnell ändern könne. Angesichts dieser Drohung nahm sich R. eine Anwältin. In ihrer Begleitung ist er einer Vorladung der Staatsanwaltschaft Frankfurt gefolgt, die ihn ebenfalls vernehmen wollte, und hat dort das Aussageverweigerungsrecht in Anspruch genommen. Denn vom "normalen" Zeugen ist er nach Auffassung der Anwältin zu einem "tatverdächtigen Zeugen" geworden. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat ein Ordnungsgeld von 1000 Mark verhängt, das R. auch bezahlt hat. Sie hat dann mit Beugehaft gedroht, die bis zu sechs Monaten dauern kann. R. hat das Gefühl, dass ein merkwürdiges Spiel mit ihm getrieben wird. Ganz unjuristisch ausgedrückt: Er gibt artig als Zeuge Auskunft über irgendwelche Kontakte, die schon Jahrzehnte zurückliegen, in Wirklichkeit aber ist er schon lange ein Verdächtiger, und man sammelt nur noch Material gegen ihn.

Sein Misstrauen gründet sich in erster Linie auf den Paragrafen 129 a des Strafgesetzbuches. Der wurde in den 70er Jahren ins Strafgesetzbuch aufgenommen, als der Staat glaubte, sich mit allen Mitteln wehren zu müssen gegen die Bedrohungen durch den linken Terror, namentlich der RAF. Zu diesem dehnbaren Paragrafen gehört auch der Tatbestand der Mitgliedschaft oder der Unterstützung einer "Terroristischen Vereinigung". Strafbar konnte sich schon derjenige machen, der im weitesten Sinne Sympathie mit RAF-Gefangenen bekundete. Beispielsweise durch Proteste gegen die damals so genannte Folter durch Isolation der RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim.

Seit Jahren gibt es bereits die Forderung insbesondere von Seiten der Grünen, diesen "Gesinnungsparagrafen" als rechtsstaatlich zweifelhaftes "Relikt der 70er" abzuschaffen. Die rot-grüne Bundesregierung hat zwar die ebenfalls im Dunstkreis der Terroristenfahndung entstandene Kronzeugenregelung gestrichen, der 129 a aber besteht nach wie vor.

Und scheint nach Ansicht von Werner R. eine neue Blüte zu erleben. Job Tilmann, Sprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft, sagt lediglich, dass durch die Festnahme der 67-jährigen Sonja S. und des 58-jährigen Christian G. wieder "mehr Drive" in die Fahndung nach Verbrechern der linksextremistischen Szene gekommen sei.

Sonja S. und Christian G. wird, so weit bekannt ist, vorgeworfen, sich an drei Sprengstoff- bzw. Brandanschlägen auf Zuliefererfirmen von Atomkraftwerken in den Jahren 1977 und 1978 beteiligt zu haben, bei denen Sachschaden entstanden war. Die beiden sind in Frankreich gegen Kaution auf freiem Fuß. Es ist noch nicht entschieden, ob sie überhaupt ausgeliefert werden.

Werner R. aber droht nun die Beugehaft.

Job Tilmann versicherte, es bestehe gegen ihn "noch kein Anfangsverdacht". In den beschlagnahmten Unterlagen sei nichts gefunden worden, was dies rechtfertigen würde. Das Vorgehen des BKA gegen R., die unangemeldete Durchsuchung, erkläre sich mit "Gefahr im Verzuge". Man habe verhindern wollen, dass er auf die kurz vorher erfolgte Festnahme in Frankreich reagieren könne. Die BKA-Beamten würden lediglich "zum Selbstschutz" ihre Waffen ziehen.

Die beiden ersten Vernehmungen von Herrn R. seien freiwillig erfolgt. Der Staatsanwaltschaft aber liege daran, den "Weg des Ausweises von Herrn R. zu dem Festgenommenen nachzuvollziehen". Deshalb sei R. mehrfach nach Frankfurt als Zeuge vorgeladen worden, habe aber nun die Aussage verweigert.

Ordnungsgeld und die Androhung der Beugehaft seien Maßnahmen, weil die Staatsanwaltschaft sich nicht mit dem bislang unerklärlichen Wegen des Passes zufrieden geben könne. "Aus ermittlungstaktischen Gründen" kann der Sprecher der Staatsanwaltschaft nicht bekannt geben, in welchem Umfang weitere Menschen mit mutmaßlichen Kontakten zu "terroristischen Vereinigungen" derzeit vernommen werden.

Für Werner R. hat sich bereits ein Unterstützerkreis gebildet, der sich unter anderem mit einer Postkartenaktion an den hessischen Justizminister Christean Wagner (CDU) wendet. In dem Postkartentext heißt es, dass gegen die "völlig unangemessene Durchsuchung" der Wohnung und des Ateliers von Werner R. protestiert wird.

Wagner wird aufgefordert, die Androhung von Beugehaft zurückzunehmen, und gebeten, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für die Abschaffung des Paragrafen 129 a einzusetzen.

Erwartungsgemäß sieht man im Justizministerium "keinen Anlass, eine Diskussion über den 129 a zu initiieren", so Pressesprecher Martin Huff. Die Angelegenheit Werner R. sei in groben Zügen bekannt, doch mische sich das Ministerium selbstverständlich nicht in Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein.

Wagners Vorgänger im Justizministerium, der Grüne Rupert von Plottnitz, sieht allerdings derzeit auch wenig Aussichten, eine Initiative gegen den 129 a insgesamt zu starten. Der ehemalige RAF-Anwalt kritisiert insbesondere Teilaspekte des Paragrafen, wie den eingeschränkten Umgang zwischen Mandant und Anwalt nach einer Verhaftung.

Werner R. hilft das nun derzeit wenig. Er hat das Gefühl, als gehe ein Gespenst der 70er derzeit wieder um und habe sein bis vor kurzem so friedliches Leben in einen Albtraum verwandelt.

Kolportiert wird auch, dass sich in der "linken Szene" derzeit einige furchtsam fragen, ob sie vielleicht auch mal in einer Wohngemeinschaft gelebt haben, in der vielleicht mal einer zu Besuch war, der dann später . . .