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Rezeptionsgeschichte

Marx und Engels neu bzw. erneut lesen!

von Eike Kopf

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Kämpfen bedeutet auch,
die gewordene reale Lage
gründlich studieren

Die Geschichte der Arbeiterbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts schließt auch die Geschichte der Veröffentlichungen der Schriften ihrer hervorragendsten Vertreter ein.

Nur etwa ein halbes Jahr nach der blutigen Niederschlagung der Herrschaft der Pariser Kommune 1871 durch die französische Reaktion (unterstützt von preußisch-deutschen Besatzungstruppen!) vermittelte Marx folgende Erkenntnis: »Das political mo vement [die politische Bewegung - Eike Kopf] der Arbeiterklasse hat natürlich zum Endzweck die Eroberung der political power [politischen Macht - E. K.] für sie, und dazu ist natürlich eine bis zu einem gewissen Punkt entwickelte previous organisation der working class [vorherige Organisation der Arbeiterklasse - E. K.] nötig, die aus ihren ökonomischen Kämpfen selbst erwächst. Andrerseits ist aber jede Bewegung, worin die Arbeiterklasse als Klasse den herrschenden Klassen gegenübertritt und sie durch pressure from without [Druck von außen - E. K.] zu zwingen sucht, ein political movement. Z. B. der Versuch, in einer einzelnen Fabrik oder auch in einem einzelnen Gewerk durch strikes etc. von den einzelnen Kapitalisten eine Beschränkung der Arbeitszeit zu erzwingen, ist eine rein ökonomische Bewegung; dagegen die Bewegung, ein Achtstunden- etc. Gesetz zu erzwingen, ist eine politische Bewegung. Und in dieser Weise wächst überall aus den vereinzelten ökonomischen Bewegungen der Arbeiter eine politische Bewegung hervor, d. h. eine Bewegung der Klasse, um ihre Interessen durchzusetzen in allgemeiner Form, in einer Form, d allgemeine, gesellschaftlich zwingende Kraft besitzt. Wenn diese Bewegungen eine gewisse previous Organisation unterstellen, sind sie ihrerseits ebensosehr Mittel der Entwicklung dieser Organisation. Wo die Arbeiterklasse noch nicht weit genug in ihrer Organisation fortgeschritten ist, um gegen die Kollektivgewalt, i. e. die politische Gewalt, der herrschenden Klassen einen entscheidenden Feldzug [zu] unternehmen, muß sie jedenfalls dazu geschult werden durch fortwährende Agitation gegen die (und feindselige Haltung zur) Politik der herrschenden Klassen. Im Gegenfall bleibt sie ein Spielball in deren Hand, wie die Septemberrevolution in Frankreich [Am 4. 9. 1870 erzwangen die Volksmassen die Programmierung der Dritten Republik - E. K.] bewiesen hat und wie zu einem gewissen Grad das Spiel beweist, das Herrn [Premierminister - E. K.] Gladstone & Co. noch bis zur Stunde in England gelingt.«

Kein Schematismus

Am 1. Juli 1874, also gut drei Jahre nach der Niederschlagung der Herrschaft der Pariser Kommune, teilte Friedrich Engels in einer ergänzenden Vorbemerkung für den 3. Abdruck seiner Schrift »Der deutsche Bauernkrieg«, der von der Redaktion des sozialdemokratischen »Volksstaates« in Leipzig 1875 herausgebracht wurde (zum Vereinigungsparteitag von Lassalleanern und Eisenachern in Gotha!), eine bemerkenswerte Erkenntnis mit: »Man muß den deutschen Arbeitern nachsagen, daß sie die Vorteile ihrer Lage mit seltnem Verständnis ausgebeutet haben. Zum erstenmal, seit eine Arbeiterbewegung besteht, wird der Kampf nach seinen drei Seiten hin - nach der theoretischen, der politischen und der praktisch-ökonomischen (Widerstand gegen die Kapitalisten) - im Einklang und Zusammenhang und planmäßig geführt. In diesem sozusagen konzentrischen Angriffe liegt gerade die Stärke und Unbesiegbarkeit der deutschen Bewegung. [...] Es wird namentlich die Pflicht der Führer sein, sich über alle theoretischen Fragen mehr und mehr aufzuklären [...] und stets im Auge zu behalten, daß der Sozialismus, seitdem er eine Wissenschaft geworden, auch wie eine Wissenschaft betrieben, d. h. studiert werden will. Es wird darauf ankommen, die so gewonnene, immer mehr geklärte Einsicht unter den Arbeitermassen mit gesteigertem Eifer zu verbreiten, die Organisation der Partei wie der Gewerksgenossenschaften immer fester zusammenzuschließen.« Fortschrittlich wirken heißt also auch - vor allem für leitende Personen - studieren und ein produktives Verhältnis zur Wissenschaft (schließt Einrichtungen, spezifische wissenschaftliche Tätigkeit und deren Erkenntnisresultete ein) entwickeln!

Etwa 6 Jahre später bezeichnete Engels die »Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft« als »Sprung der Menschheit aus dem Reich der Nothwendigkeit in das Reich der Freiheit.« Er fuhr fort: »Diese weltbefreiende That durchzuführen, ist der geschichtliche Beruf [nicht die »Mission«! - E. K.] des modernen Proletariats. Ihre [der Tat - E. K.] geschichtlichen Bedingungen und damit ihre Natur selbst zu ergründen, und so der zur Aktion berufenen, heute unterdrückten Klasse die Bedingungen und die Natur ihrer eignen Aktion zum Bewußtsein zu bringen, ist die Aufgabe des theoretischen Ausdrucks der proletarischen Bewegung, des wissenschaftlichen Sozialismus.«

Weitere acht Jahre später - Marx war drei Jahre zuvor gestorben - warnte Engels vor einer schematischen oder gläubigen Benutzung seiner und Marx' Erkenntnisse: »Unsere Ansichten über die Unterschiede zwischen einer künftigen nichtkapitalistisch Gesellschaft und der heutigen, sind exakte Schlußfolgerungen aus den historischen Tatsachen und Entwicklungsprozessen und sind, wenn sie nicht im Zusammenhang mit diesen Tatsachen und dieser Entwicklung dargelegt werden, theoretisch und praktisch ohne Wert.«

Das bedeutet, daß sozialistische oder kommunistische Bewegungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts, also seit der Entdeckung der materialistischen Geschichtsauffassung (d. h. der materialistischen Theorie von der Gesellschaft und ihrer Geschichte) durch Marx und Engels von Ende 1843 (Beiträge in den »Deutsch-Französischen Jahrbüchern« bis 1848 (»Manifest der Kommunistischen Partei«, nur dann modern im besten Sinne des Wortes sind, also auf der Höhe der zu lösenden Aufgaben stehen, wenn ihren politischen Schlußfolgerungen, wenn ihren programmatischen politischen Orientierungen eine philosophische, eine dialektisch-materialistische Analyse der letzlich ökonomisch begründeten objektiven Interessen der sozialen Klassen und Schichten zugrunde liegt, für die sie sich einsetzen wollen.

Wenn eine politische Bewegung der »heute unterdrückten Klasse die Bedingungen und die Natur ihrer eignen Aktion zum Bewußtsein ... bringen« will, muß sie seriöse Untersuchungen, wissenschaftlich begründete Erkenntnisse, Einsichten und Orientierungen mündlich, schriftlich oder heute multimedial verbreiten.

Zu diesen Materialien gehörten auch stets Ausgaben mit Sammlungen früher erschienener Aufsätze, Schriften oder Briefe von herausragenden Personen der revolutionären Arbeiterbewegung, insbesondere von Marx und Engels.

Frühere Ausgaben

Den ersten Versuch, eine Sammlung der Werke von Marx herauszugeben, unternahm das Mitglied des Bundes der Kommunisten, der Kölner Landgerichtsreferendar, Publizist und Redakteur der »Westdeuteschen Zeitung« Hermann Becker. Im April 1851 erschienen »Gesammelte Aufsätze von Karl Marx, herausgegeben von Hermann Becker. 1. Heft« in Köln im Umfang von 25 Druckbogen und wahrscheinlich in 1 000 Exemplaren. Im Buchhändler-Prospekt hieß es: »Marx's Arbeiten sind theils in besonderen Flugschriften, theils in periodischen Schriften erschienen, jetzt aber meistens gar nicht mehr zu bekommen, wenigstens im Buchhandel ganz vergriffen. Der Herausgeber glaubt deßhalb, dem Publikum einen Dienst zu erweisen, wenn er mit Bewilligung des Verfassers diese Arbeiten, welche gerade ein Decennium umfassen, zusammenstellt und wieder zugänglich macht. [...] Der erste Band wird Marx's Beiträge zu den ›Anekdota‹ von Ruge, der (alten) ›Rheinischen Zeitung‹ (namentlich über Preßfreiheit, Holzdiebstahlsgesetz, Lage der Moselbauern usw.), den deutsch-französischen Jahrbüchern, dem Westf. Dampfboote, dem Gesellschaftsspiegel usw. und eine Reihe von Monographien enthalten, die vor der Märzrevolution erschienen, aber leider (!) noch heute passen.« Becker wurde am 19. Juni 1851 verhaftet; das 2. Heft konnte somit nicht herausgebracht werden.

An Einzelschriften der Begründer der materialistischen Geschichtsauffassung existierten damals eine Kritik der preußischen Zustände von Engels (unterschrieben mit »Von F[riedrich] O[swald]) unter dem Titel »Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen« in »Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz. Herausgegeben von Georg Herwegh. Erster Theil. Zürich und Winterthur, Verlag des Literarischen Comptoirs. 1843«, »Die heilige Familie, oder Kritik der kritischen Kritik. Gegen Bruno Bauer & Consorten. Von Friedrich Engels und Karl Marx. Frankfurt a. M. Literarische Anstalt. (J. Rütten.) 1845«, »Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen von Friedrich Engels. Leipzig, Druck und Verlag von Otto Wigand. 1845«, »Misère de la philosophie. Réponse à la philosophie de la Misère de M. Proudhon, par Karl Marx. Paris, A. Frank, Bruxelles, C. G. Vogler, 1847« (französisch), »Manifest der Kommunistischen Partei. Veröffentlicht im Februar 1848. Proletarier aller Länder vereinigt Euch! London. Gedruckt in der Office der ›Bildung-Gesellschaft für Arbeiter‹ von J. E. Burghardt« (von Marx und Engels), mehrfach nachgedruckt, »Zwei politische Prozesse. Verhandelt vor den Februar-Assisen in Köln.

  1. Der erste Preßprozeß der Neuen Rheinischen Zeitung.
  2. Prozeß des Kreis-Ausschußes der rheinischen Demokraten.

Köln, 1849. Verlag der Expedition der Neuen Rheinischen Zeitung« (mit Verteidigungsreden von Marx und Engels) und »Neue Rheinische Zeitung. Politisch-ökonomische Revue, redigiert von Karl Marx. London, Hamburg & New York. 1850«, enthaltend solche Arbeiten wie »Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850« (Marx), »Die deutsche Reichsverfassungskampagne« (Engels), »Die Zehnstundenfrage« (Engels), »Die englische Zehnstundenbill« (Engels), »Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850« und »[...] vom Juni 1850« (Marx, Engels) und »Der deutsche Bauernkrieg« (Engels).

Das waren sozusagen die wichtigsten Elemente des theoretischen Rüstzeugs, auf die zurückgegriffen werden mußte, als nach der Niederschlagung der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/1849 und der anschließenden politischen Verfolgung des Bundes der Kommunisten sich die revolutionäre Arbeiterbewegung unter den Bedingungen der Illegali tät finden und sammeln, sich über die gewordene Lage klarwerden und allmählich die Orientierungen für die nächsten Schritte des Kampfes erarbeiten mußte.

Was taten Marx und Engels nach der Revolution, während der sie politisch, publizistisch und organisierend sehr aktiv waren? Sie studierten etwa ein Jahrzehnt lang (!) vorrangig die Grundlagen der von ihnen geschaffenen Weltanschauung, die Politische Ökonomie. Marx gelang dabei die zweite Entdeckung, durch die nach Engels' Wertung neben der materialistischen Geschichtsauffassung die Auffassung vom Sozialismus ihren utopischen Charakter verlor und einen wissenschaftlichen annahm: das Geheimnis der Produktion des Mehrwertes.

Der organisatorisch und damit politisch neue »Schub« der revolutionären Arbeiterbewegung wurde dadurch eingeleitet, daß die Weltausstellung (!) genutzt wurde, um an deren Rande 1864 in London 1864 die Internationale Arbeiterassoziation (I. Internationale) zu gründen. Sie verfügte in verschiedenen Ländern über Sektionen (diese wieder über Gemeinden), die Sekretäre in den Generalratelegierten, der in London seinen Sitz hatte und in bestimmten Abständen internationale Kongresse organisierte. Außerdem gab es Publikationsorgane (für die »deutsche Zunge« den von Johann Philipp Becker in der Schweiz 1866-1871 herausgegebenen »Vorbote«).

War das »Manifest ...« die wichtigste Schrift für den theoretischen Kampf des Bundes der Kommunisten, so wurde Marx' 1. Band des »Kapital« (1867, 1872/73 deutsch, 1872 russisch, 1872-75 französisch) vor allem nach der Pariser Kommune 1871 immer mehr zur »Bibel [das Buch der Bücher - E. K.] der Arbeiterklasse«. Vor allem durch dieses Werk erlangte Marx bei Anhängern und Gegnern den Ruf, der führende Vertreter, der wichtigste »Kopf« der internationalen Arbeiterbewegung zu sein.

Bündige, geschlossene und folgerichtige Theorie

Vor allem in der logischen Folgerichtigkeit der Kritik der bürgerlichen Gesellschaft, insbesondere deren politischer Ökonomie, sahen theoretische Wortführer der Ausbeuterklassen die Überzeugungskraft und große Wirkung auf die arbeitenden Massen. So warnte der Führer der kleindeutschen Schule der preußischen Geschichtsschreibung, Prof. Heinrich von Sybel, Anfang 1872 in einem Vortrag 200 Fabrikanten in Engels' Heimatstadt Barmen davor, Marx' Werk zu eng nur als ökonomisches Werk zu sehen: »Die Forderungen der modernen Socialisten beziehen sich in erster Linie auf eine Umgestaltung des industriellen Lebens. Zugleich aber suchen sie ihre Berechtigung nachzuweisen durch eine neue Auffassung der Grundlagen alles menschlichen Daseins, des Rechtes und des Staates, der Geschichte und der Philosophie.« Vor allem »die Bündigkeit, Geschlossenheit und Folgerichtigkeit« der Marxschen Gedankenentwicklung machte ihm Sorgen: »Gibt man den ersten Satz [die menschliche Arbeit sei allein Quelle und Maß des Wertes der Waren ] zu, so ist an kein Aufhalten der Folgerungen zu denken.«

Die Fähigkeit, eine Weltanschauung einheitlich (monistisch) und logisch folgerichtig darlegen zu können, ist also hinsichtlich ihrer Überzeugungskraft nicht zu gering zu schätzen! Diese Tatsache veranlaßte auch den 24jährigen Jurastudenten Wladimir Iljitsch Uljanow 1894 in Petersburg zu der Bemerkung: »Heute - seit dem Erscheinen des ›Kapitals‹ - ist die materialistische Geschichtsauffassung schon keine Hypothese [wissenschaftliche Annahme - E. K.] mehr, sondern eine wissenschaftlich bewiesene These, und solange kein anderer Versuch v orliegt, das Funktionieren und die Entwicklung einer Gesellschaftsformation - wohlgemerkt: einer Gesellschaftsformation, nicht aber der Lebensformen eines Landes oder eines Volkes oder selbst einer Klasse u. dgl. m. - wissenschaftlich zu erklären, ein anderer Versuch, der geeignet wäre, genauso, wie es der Mnaterialismus getan hat, in die ›entsprechenden Tatsachen‹ Ordnung hineinzutragen und ein lebendiges Bild der bestimmten Formation zu entwerfen und sie dabei streng wissenschaftlich zu erklären - solange bleibt die materialistische Geschichtsauffassung das Synonym [der bedeutungsgleiche Begriff - E. K.] für Gesellschaftswissenschaft.«

Betrachten wir weiter überblicksartig die Entwicklung des theoretischen Kampfes der Arbeiterbewegung. Die revolutionäre Sozialdemokratie, die nach der Vereinigung in Gotha 1875 im gesamtnationalen Maßstab wirken konnte, war bis 1877/78 so erstarkt, daß z. B. der katholische Philosoph Johannes Huber in der renommierten Augsburger aquo;Allgemeinen Zeitung« schrieb, die Gegner der Sozialdemokratie »übersehen die Ideen-Revolution, welche mit dieser Bewegung der Massen des Volkes sich bemächtigt, und es entgeht ihnen darüber die volle Bedeutung und der drohende Ernst dieser täglich anwachsenden, ein immer tieferes und breiteres Bett sich grabenden Strömung. Fiel es doch vielen lange schwer, überhaupt an ihr Dasein zu glauben; nun, nachdem sie von der Thatsache und der Macht dieser Bewegung sich widerwillig überzeugen mußten, vermögen sie noch immer nicht einen gründlichen Blick in ihr Wesen zu thun. Sie erkennen im Sozialismus, was allerdings mit den Händen zu greifen ist, die Tendenz des Proletariats nach einer günstigeren materiellen Lebensstellung, nach einer anderen Ordnung in den Erwerbs- und Besitz-Verhältnissen, nach dem Aufbau eines Staates und einer Gesellschaft, in denen die Güter des Daseins gleichmäßiger vertheilt sind; aber wenn dies auch die offenkundigen und Allen verständlichen Zielpunkte der Sozialdemokratie sind, - diese begründet die Berechtigung ihres Programms aus philosophischen Prämissen [Voraussetzungen, logischen Vordersätzen - E. K.].« Die Sozialdemokratie entwickele außerdem eine neue Geschichts-, Staats-, Rechts-, Moral- und Anthropologie[Menschen-]auffassung.

Unter dem Sozialistengesetz

Das hätte Huber nicht zu bedenken gegeben, wenn es damals nicht eine vielseitige und weit verbreitete sozialdemokratische Presse gegeben hätte. Im zentralen Organ hatte Engels auf Drängen von Wilhelm Liebknecht vom 3. 1. 1877 bis zum 7. 7. 1878 seine Artikelserie »Herrn Eugen Dühring's Umwälzung« der Philosophie, der politischen Ökonomie und des Sozialismus (oft kurz als »Anti-Dühring« bezeichnet) veröffentlicht, die zu seinem Hauptwerk werden sollte. Auf Betreiben Bismarcks nahm der Reichstag im Oktober 1878 das Ausnahmegesetz gegen die Sozialdemokratie (oft als »Sozialistengesetz« bezeichnet) an. Sozialistische Druckerzeugnisse unter 20 Druckbogen (à 16 Seiten) Umfang waren verboten. So erschien in Zürich ab 1879 unter der Redaktion von Georg von Vollmar (geb. 1850) und ab 1880 unter der von Eduard Bernstein (geb. 1850) die zentrale Zeitung »Der Sozialdemokrat«, die jede Woche illegal über die Grenze ins Deutsche Reich gerbracht werden mußte. Die von Karl Kautsky (geb. 1854) ab 1883 (dem Todesjahr von Marx) herausgegebene theoretische Zeitschrift »Die Neue Zeit. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens« konnte dagegen in Stuttgart herausgegeben werden, denn ihre Hefte wurden zu Jahresbänden (ab 1890 zu Halbjahresbänden) mit über 20 Druckbogen zusammengefa ßt. 1885 nahm Engels mit seiner Abhandlung »Marx und Rodbertus«, der Vorrede zur deutschen Fassung von Marx' »Elend der Philosophie«, seine Mitarbeit auf. Da jeder Band mit einem Gesamtinhaltsverzeichnis aller Hefte ausgestattet wurde, konnten leitende Vertreter der Arbeiterbewegung, also Abgeordnete, Redakteure usw., die Bände der »Neuen Zeit« von 1885 bis 1895/96 zugleich auch als eine Sammlung wichtiger Veröffentlichungen von Engels nutzen.

Ab 1885 - also zur Zeit der Gültigkeit des »Sozialistengesetzes« - gab die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands eine »Sozialdemokratische Bibliothek. Sammlung von Abhandlungen über Theorie und Geschichte des Sozialismus« heraus. Der 1. Band enthielt 13 Hefte (Hottinge-Zürich 1885 - 1887), der 2. enthielt die Hefte 14 - 24 (Hottingen-Zürich 1887 - 1888) und der 3. enthielt die Hefte 25 - 34 (London 1890). Darunter waren »Karl Marx vor den Kölner Geschworen« (mit Vorwort von Engels), »Enthüllungen über den Kommunisten-Prozeß zu Köln« (Marx; mit Einleitung von Engels und Dokumenten), »Zur Wohnungsfrage« (Engels), Engels' Einleitung zu Sigismund Borkheims »Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten 1806 - 1807« und »Das kommunistische Manifest. Vierte autorisierte deutsche Ausgabe. Mit einem neuen Vorwort von Friedrich Engels«. Die anderen Abhandlungen stammten von solchen leitenden Vertretern der Arbeiterbewegung wie z. B. August Bebel, Eduard Bernstein, Wilhelm Bracke (gest. 1880), Gabriel Deville, Joseph Dietzgen, Georg Eccarius, Paul Lafargue, Ferdinand Lassalle (gest. 1864), Wilhelm Liebknecht und Wilhelm Wolff (gest. 1864). So enthalten auch diese drei Bände eine kleine Sammlung wichtiger Arbeiten von Marx und Engels, die damals, unter den Bedingungen der Illegalität, kaum zu erlangen waren.

Auch hier, wie nach 1849, war eine der wichtigsten Methoden der revolutionären Arbeiterbewegung, um eine Niederlage zu »verkraften«, das intensive Bemühen um möglichst tiefgründige theoretische Einsichten in die komplizierten Zusammenhänge der gesellschaftlichen Entwicklung.

Im Herbst 1890 verlor das »Sozialistengesetz« seine Gültigkeit, weil der Antrag Bismarcks auf eine Verlängerung im Reichstag nicht die erforderliche Mehrheit der Abgeordnetenstimmen erhielt. Der Kanzler nahm seinen Abschied. Neben der einjährigen Diskussion über ein neues Parteiprogramm, das 1891 in Erfurt das von Gotha 1875 ablösen sollte (von mehreren Entwürfen wurde mit einigen Änderungen der von Kautsky beschlossen), ging nun die deutsche Sozialdemokratie daran, den theoretische Kampf auch mit soliden Werkausgaben ihrer Gründer zu unterstützen.

Da Ferdinand Lassalle das historische Verdienst zukommt, mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Verein 1863 in Leipzig und seinem Programm die selbständige deutsche Arbeiterbewegung - unabhängig von und im Gegensatz zu junkerlichen und bürgerlichen politischen Organisationen und Ideologien - gegründet zu haben, war es auch angesichts der Vereinigung von »Lassalleanern« und »Eisenachern« in Gotha 1875 für Engels überhaupt keine Frage, die Herausgabe der Reden und Schriften von Ferdinand Lassalle zu unterstützen. Eduard Bernstein, dem auch nach dem Fall des »Sozialistengesetzes« nicht erlaubt wurde, ohne Strafverfolgung wieder nach Deutschland zu kommen (die reaktionären Klassenkräfte lassen ihre Gegner nie mehr aus den Augen!), lebte in London, also in Engels' Nähe. Er wurde mit der Ausgabe betraut; Engels gab ihm auch dabei jede gewünschte Un terstützung.

In dieser Zeit wandte sich Wilhelm Liebknecht an Engels auch mit der Anfrage, ob er mit Paul Ernst eine Gesamtausgabe in Heften machen könne. Engels lehnte das ab, weil er vor allem den 3. Band Marx' »Kapital« zum Druck fertig machen wollte und daher für die Betreuung eines solchen Vorhabens bis dahin keine Zeit aufwenden konnte. Nach Beendigung der Arbeit an diesem Band Ende 1894 begann Engels mit der Vorbereitung einer Ausgabe gesammelter Werke von Marx und von sich selbst. Sein Tod im August 1895 setzte dieser Arbeit ein Ende.

Der ideologische (unter Ideologie verstehe ich systematisiertes gesellschaftliches Bewußtsein von sozialen Klassen) oder theoretische Kampf, wie Engels ihn bezeichnete, enthielt also als Voraussetzung und wichtigen Bestandteil die Herausgabe und Verbreitung von Schriften. Die Bedeutung dieser Arbeiist angesichts der umfangreichen Mittel zur ideologischen Beeinflussung der werktätigen Massen, die die herrschenden Ausbeuterklassen seitdem einsetzen, nicht geringer geworden - im Gegenteil!

Ganz ohne MEGA geht die Chose nicht

Mit MEGA wird zur Zeit vieles bezeichnet; es ist auch die Abkürzung für Marx-Engels-Gesamtausgabe! Aber der Reihe nach. Der erste Teil der vorliegenden Übersicht war ein Überblick zur Editionsgeschichte der Schriften von Marx und Engels im 19. Jahrhundert.

Mit Marx' Tod im März 1883 war ein umfangreiches Programm zur Erforschung der Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft, nämlich ihrer Zusammenhänge bei der Produktion und der Verteilung menschlicher Existenzmittel (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Gesunderhaltung, Bildung) abgebrochen.

»Das Kapital«

Dieses Programm zur Erforschung der Ökonomie der kapitalistischen Gesellschaft sollte 6 Bücher umfassen:

  1. Kapital,
  2. Grundeigentum,
  3. Lohnarbeit;
  4. Staat,
  5. auswärtiger Handel und
  6. Weltmarkt.

In den ersten drei Büchern sollten die »ökonomischen Lebensbedingungen der drei großen Klassen, worin die moderne bürgerliche Gesellschaft zerfällt«, also Kapitalisten, Grundeigentümer und Lohnarbeiter, behandelt werden. Im 4. Buch wollte Marx den Zusammenhang von Staat und Wirtschaft, von Politik und Ökonomie darstellen (was er 1844 schon geplant hatte), während in den letzten beiden Büchern auf jeden Fall das Wesen und die Wirkung der Konkurrenz im internationalen Maße behandelt werden sollten, wie das aus zahlreichen Hinweisen, z. B. im Manuskript zum 3. Buch des »Kapitals« von 1865/1865, ersichtlich ist.

Das Buch über das Kapital sollte untergliedert werden in

  1. Produktionsprozeß des Kapitals (bzw. Mehrwerts bei den industriellen Kapitalisten),
  2. Zirkulationsprozeß des Kapitals (Verkauf der Waren auf dem Markt,
  3. Sicherung der wiederholten Produktion und ihrer gesellschaftlichen Proportionen),
  4. der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion (Abtretung von Teilen des Profits an Kaufleute, Bankbesitzer, Grundeigentümer) und

Geschichte der Theorie vom Mehrwert.

Nur Buch I konnte Marx selbst als 1. Band 1867 fertigstellen und herausgeben.

Obwohl er für Buch II acht Fassungen und für Buch III und IV je eine umfangreiche Handschrift erarbeitet hatte, kam Marx neben vielen Aufgaben (u. a. Bearbeitung der 2. deutsche Auflage und der französische Ausgabe von Band 1 sowie Zuarbeit für Engels' »Anti-Dühring«) nicht dazu, weitere Bände selbst für den Druck fertigzustellen.

Bis zum ersten Weltkrieg

Mit der Herstellung des Deutschen Reiches 1871 hatte Bismarck objektiv »von oben« umwälzend neue Bedingungen für die Entwicklung der Produktivkräfte geschaffen. Die einsetzende nahezu beispiellose Kombination von Industrie und Wissenschaft führte zu solchen wirtschaftlichen Wachstumsraten, daß bis Ende des 19. Jahrhunderts Deutschland neben den USA zur bedrohlichen Weltmacht für Großbritannien wurde.

Diese neue Entwicklung der Produktivkräfte, eingeschlossen die deutlichere Konzentration von Kapitalien, das wachsende Gewicht von Handel, Banken und Kreditwesen sowie die Entwicklung der Wissenschaften (z. B. Elektrizität, Telegrafie, Geschichte des Grundeigentums, Agrarwissenschaft, Mathematik, Agrarstatistik, Geologie, Chemie, Abstammung der Pflanzen- und Tierarten), aber auch neuartige internationale Erscheinungen in der 1879 einsetzenden zyklischen Krise, versuchte Marx theoretisch zu verarbeiten, bevor er seine großenteils aus den 60er Jahren stammenden Entwürfe der Bücher II und III endgültig für den Druck bearbeiten wollte. So hinterließ er bei seinem Tode zahlreiche Hefte, in denen er sich in der Bibliothek des Britischen Museums zu London - oft kommentierend - Auszüge aus den erreichbaren dibezüglichen Quellen gemacht hatte. Hinzu kam, daß er, wie auch Engels, Bücher und Materialien der privaten Bibliothek mit zahlreichen »stummen« und »sprechenden« Marginalien, also Unter- und Randanstreichungen sowie Bemerkungen versehen hatte.

Engels stellte ab März 1883 viele seiner wissenschaftlichen Vorhaben zurück und sorgte in mühevoller jahrelanger Arbeit dafür, daß wenigstens aus den hinterlassenen Entwürfen für Buch II und III des »Kapitals« der Arbeiterbewegung viel Lesbares zur Verfügung gestellt wurde. So erschienen unter seiner Herausgeberschaft 1885 Buch II als 2. und 1894 Buch III als 3. Band des »Kapitals«. Für die Herausgabe des hinterlassenen Materials zum IV. Buch konnte er nur noch eine kurze Inhaltsübersicht anfertigen; zahlreiche Passagen daraus hatte Marx schon in die Bücher I bis III mit einfließen lassen.

Nach Engels' Tod 1895 gelangte - wie testamentarisch festgelegt - der literarische Nachlaß der beiden Begründer der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse in das Archiv der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, enthaltend viele handschriftliche Materialien (auch Briefe), die bis dahin nicht veröffentlicht waren.

Die Anfang des 20. Jahrhunderts hinsichtlich ihrer Mitglieder- und Abgeordnetenzahl, hinsichtlich ihrer Kampferfahrungen, hinsichtlich ihres Bestandes an theoretisch fähigen Kräften, hinsichtlich ihrer Organisation, ihrer vielgestaltigen und umfangreichen Presse sowie auch bezüglich ihrer Parteischulung größte Arbeiterpartei der Erde, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, gab bis 1914, bis zum Beginn des ersten Weltkrieges, wichtige Werke und Teile des Nachlasses von Marx und Engels heraus. Es seien hier genannt: Franz Mehring: »Geschichte der Deutschen Sozialdemokratie.« 4 Bände. Stuttgart 1898; Franz Mehring: »Aus dem literarischen Nachlaß von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle«. 4 Bände. Stuttgart 1902; »Briefe und Auszüge aus Briefen von Joh. Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marx u. A. an F. A. Sorge und Andere.« Bearbeitet von Friedrich Adolph Sorge. Stuttgart 1906; Karl Marx: »Theorien über den Mehrwert« [= IV. Buch des »Kapitals«]. Herausgegeben von Karl Kautsky. 3 Teile. Suttgart 1905-1910; »Der Briefwechsel zwischen Friedrich Engels und Karl Marx 1844 bis 1883«. Herausgegeben von August Bebel und Eduard Bernstein. 4 Bände. Stuttgart 1913; »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie von Karl Marx. Erster Band [...] Volksausgabe.« Herausgegeben von Karl Kautsky. Stuttgart 1914 [sie bot z. B. Übersetzungen von Fremdwörtern und zum ersten Mal ein unter Mitwirkung von David Rjasanow erarbeitetes Register]; Franz Mehring: »Karl Marx. Geschichte seines Lebens.&la quo; Leipzig 1918. Während des ersten Weltkrieges erschienen außerdem 2 Bände mit Artikeln von Marx und Engels aus den fünfziger Jahren, hauptsächlich aus der »New York Daily Tribune«, bearbeitet von David Rjasanow. Außerdem erschienen seit Engels' Tod in der »Neuen Zeit« einzelne Veröffentlichungen aus dem Nachlaß. Das alles waren Quellen, auf die sich auch die Vertreter des Spartakusbundes stützen konnten; auch Lenin nutzte sie.

Eine neue Etappe bei der Veröffentlichung des literarischen Erbes von Marx und Engels wurde mit der Errichtung der Sowjetmacht in Rußland eingeleitet. Die KPR (Bolschewiki), die Sowjetregierung und Lenin persönlich betrachteten die umfassende Publikation dieses Erbes als eine der wichtigsten Aufgaben auf theoretischem Gebiet und als ihre internationalistische Pflicht gegenüber der Arbeiterklasse der Erde. 1921 wurde das Marx-Engels-Institut mit David Rjasanow als Direktor gegründet. Es veröffentlichte erstmals solche wichtigen Arbeiten wie »Die deutsche Ideologie«, »Dialektik der Natur« und »Zur Kritik der Politik und Nationalökonomie [ökonomisch-philosophische Manuskripte von 1844]«. 1924 besloß der XIII. Parteitag der KPR(B) die Herausgabe vielbändiger Ausgaben in russischer als auch in den Originalsprachen. Der V. Kongreß der Kommunistischen Internationale begrüßte dies und rief zur internationalen Unterstützung auf.

Werkausgaben

Die erste Werkausgabe in russischer Sprache erschien von 1928 - 1941 und umfaßte 28 Bände (33 Bücher). Sie enthielt etwa 1 250 Werke und ca. 3 300 Briefe, von denen 460 Werke und etwa 800 Briefe bis dahin der Öffentlichkeit nicht bekannt waren. Von der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe in den Originalsprachen (MEGA¹) erschienen von 1927 bis 1935 (bis 1933 in Leipzig, danach in Leningrad gedruckt) 7 Bände Werke, 4 Bände Briefe sowie einen Sonderband zum 40. Todestag von Engels, enthaltend dessen Werke »Anti-Dühring« und »Dialektik der Natur«. Nach dem Typ dieser Ausgabe wurde 1939 und 1941 Marx' erster Rohentwurf zum »Kapital«, die »Grundrisse zur Kritik der politischen Ökonomie, aus den Jahren 1857/1858« veröffentlicht.

Parallel zu diesen Bänden wurden ab 1924 Bände des »Marx-Engels-Archiv« (in deutscher und in russischer Sprache) mit Materialien der beiden Denker und Revolutionäre herausgegeben.

Bei der Herausgabe zahlreicher preiswerter Schriften von Marx und Engels in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR von 1945 bis 1956 konnte auf die Arbeit, die vor allem in Moskau (von sowjetischen Spezialisten, aber auch von deutschen, ungarischen u. a. Emigranten) geleistet worden war, zurückgegriffen werden.

In der Sowjetunion wurde von 1955 bis 1966 die 2. russische Ausgabe der Werke von Marx und Engels in 39 Bänden (42 Büchern) herausgegeben. Sie umfaßt 5 500 Werke und Briefe, also 1 000 Dokumente (darunter 600 Briefe) mehr als die erste. Nach ihrem Vorbild wurden in der DDR 1956 bis 1968 die Marx-Engels-Werke (MEW) in 39 Bänden (41 Büchern) und einem Ergänzungsband (in 2 Büchern) herausgebracht [diese erhielten dann die Bandziffern 40 und 41]. Die 2. russische Ausgabe wurde bis 1991 durch 11 Bände (40 - 50) ergänzt; die MEW durch die Bände 41 - 43 und ein Sachregister. All die genannten Ausgaben dienten jahrzehntelang vor allem Gesellschaftswissenschaftlern als theoretische und methodische Grundlage ihrer Arbeit - wie man unschwer aus den Publikationen, aber auch aus Diplom-, Doktor- und Habilitationsarbeiten bis etwa 1990 ersehen kann. Es wäre von existentieller Bedeutung gewesen, wenn führende Vertreter der Parteien und der Staaten dieser Menge an gedanklich geordneter menschlicher Erfahrung mehr inhaltliche Aufmerksamkeit gewidmet hätten. Ihre Bezugnahmen auf Marx und Engels stützten sich im Laufe der Jahre immer mehr auf Zuarbeiten von Marx-Engels-Spezialisten, weniger auf eigene gedankliche Auseinandersetzung mit diesen wichtigen Quellen.

Die & raquo;MEGA«

Dennoch muß festgehalten werden, daß die Zentralkomitees der KPdSU und der SED beschlossen, die Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA²) erneut in Angriff zu nehmen, denn der literarische Nachlaß von Marx und Engels ist so umfangreich, daß er wenigstens 120 Bände füllen kann.

Die MEGA² ist als akademische, als historisch-kritische Ausgabe gedacht und soll die wissenschaftliche Grundlage für alle nun erscheinenden Werk-, Sammel-, Studien- oder Einzelausgaben sowie Übersetzungen auf der ganzen Erde sein. Daher wurden auch folgende Editionsgrundsätze zugrunde gelegt:

  1. Der Nachlaß soll vollständig veröffentlicht werden;
  2. die Texte sollen in der Sprache veröffentlicht werden, in der sie Marx und bzw. oder Engels verfaßt haben (also nicht nur in deutscher);
  3. das Reifen der Erkenntnisse und Darlegungen von der ersten Skizze bis zur Fassung letzter Hand soll vom Benutzer nachvollzogen werden können;
  4. es erfolgt eine textkritische Analyse und eine für einen wissenschaftlichen Benutzer ausreichend umfassende Kommentierung.

Den verschiedenen Formen des Schaffens entsprechend gibt es vier Abteungen:

  1. Werke, Artikel, Entwürfe (mit Ausnahme des »Kapitals«);
  2. »Das Kapital« und Vorarbeiten;
  3. Briefwechsel (darunter auch Briefe an Marx und Engels, z. T. auch über sie);
  4. Exzerpte, Notizen, Marginalien. In gesonderten Bänden sollen »Lebenszeugnisse« geboten werden.

Von 1975 bis 1990 erschienen 43 (Teil-)Bände, 1991/92 folgten 4 weitere, noch unter der Redaktion der UdSSR/DDR erarbeitete. Daran hatten vor allem in Moskau und Berlin, aber auch in Halle, Jena, Leipzig und Erfurt/Mühlhausen zusammen etwa 120 Spezialisten gearbeitet. Die MEGA-Gruppen der DDR wurden nach dem »Beitritt« 1990 alle »abgewickelt«. Eine Evaluierung durch Vertreter westdeutscher Akademien ergab, daß die Ausgabe im ganzen modernen wissenschaftlichen Editionserfahrungen entspricht. Auf Empfehlung des Bundeskanzleramtes, das seinerseits durch massive internationale Proteste unter Druck geriet, wurden 7 (!) Stellen in der akademischen Forschungslandschaft der BRD für die MEGA eingerichtet, die vom Bund sowie den Ländern Berlin (3), Thüringen (2), Sachsen (1) und Sachsen-Anhalt (1) finanziert werden. Sie wurden personell so »durchmischt«, daß noch 4 MEGA-Spezialisten aus der DDR als Mitarbeiter wirken können. Andere MEGA-Spezialisten aus der DDR helfen noch ehrenamtlich als »freie« Mitarbeiter oder haben begonnen, im Neue Impulse Verlag Essen Hefte der Reihe »Marx und Engels neu gelesen« herauszugeben. Zu den genannten 7 Stellen kommen noch die der deutsch-französichen Gruppe (Sitz im Karl-Marx-Haus in Trier) sowie einzelne Forscher in den Niederlanden, Dänemark, Japan und Kanada hinzu.

Nach dem revidierten Plan soll die zweite MEGA - »redimensioniert« um über 40 Bände (vor allem die der IV. Abteilung, in denen die Marginalien in Büchern dokumentiert werden sollten) - nun immerhin noch 114 Bände umfassen. Seit 1992 erschien einer davon (IV/3) Ende 1998. Es stehen noch aus:

  • 18 Bände in der I.,
  • 7 in der II.,
  • 37 in der III. und
  • 32 in der IV. Abteilung!

Erst danach könnte jemand das gesamte literarische Schaffen von Marx und Engels studieren. Welch eine theoretische Herausforderung für alle, die gedanklich geordnete menschliche Erfahrung von Jahrhunderten nutzen wollen, um die großen Probleme des 21. Jahrhunderts besser meistern zu können!

Prof. Dr. Eike Kopf,
Erfurt, den 24.10.1999