USA, Deutschland, Österreich u.a.
Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige zur Coronakrise

von Bernard Schmid

05/2020

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Wollt Ihr, im Angesicht der aktuellen Krise, lieber den Ausnahmestaat – oder darf’s ein bisschen mehr völkische Volksbewegung sein? Ungefähr zwischen diesen beiden Polen oszillieren die Reaktionen der meisten rechtsextremen Parteien und Bewegungen, in Europa und darüber hinaus. Einige von ihnen, etwa die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Deutschland, nahmen dabei im Laufe der Wochen wandelnde Positionen ein.

Im internationalen Maßstab lassen sich die Positionen in etwa zwischen zwei Extrempunkten einordnen. Auf der einen Seite stehen „modellhaft“ die beiden Rechtspolitiker Donald Trump in den USA und Jair Messias Bolsonaro in Brasilien, die in ihren jeweiligen Ländern Straßenbewegungen mit entfachen, um gegen die – in ihren Augen überflüssigen oder überteuren - sanitären Maßnahmen von Lokalregierungen oder Gouverneuren mobil zu machen. Dabei geht es im Kern darum, endlich wieder der freien wirtschaftlichen Entfaltung der Kapitalkräfte zum Durchbruch zu verhelfen; und wenn dann ein paar Alte hier oder Diabetiker dort sterben sollten, dann hätten diese sich eben besser schützen müssen, basta.

Der linke Autor Peter Nowak irrt dabei auf absolut gravierende Weise, wenn er bei telepolis am 28. März d.J. suggeriert, diese Linie in der Corona-Krise sei gegenüber jener der Mehrzahl der europäischen Regierungen die gemäßigtere und vernünftigere, weil er etwa Bolsonaro an derselben Stelle ausdrücklich zugute hält,dass er in der Corona-Krise nicht den Notstand aufruft, sondern die Normalität erhalten will“. (Vgl. https://www.heise.de/tp/features/Nach-dem-Corona-Notstand-geht-alles-weiter-wie-bisher-4692695.html?seite=all )

Bei den Demonstrationen der vergangenen Woche und dieser Woche von nordamerikanischen Rechten zwischen Seattle und Philadelphia und Concord (New Hampshire) trafen sich Aktivisten vom rechten Flügel der Trump-Anhängerschaft oder aus den Reihen der Bewegung für freien Waffenbesitz mit Neonazis und weißen Rassisten. In Lansing, Michigan am 15. April d.J. riefen dazu auch die Michigan Militia, eine der gegen den Zentralstaat – als zur Einrichtung einer „Weltregierung“ dienende Verschwörung – kämpfenden regionalen „Milizen“, und die Michigan Conservative Coalition auf. Letztere unterhält eine Facebookseite, die regelmäßig durch den Suprematisten (Anhänger weißer Überlegenheit) „Stonesoss“ illustriert wird. Angefeuert wurden die Demonstrierenden direkt durch Trump, auf dessen Twitter-Konto dazu aufgefordert wurde: Befreit Michigan! Befreit Minnesota! Befreit Viriginia! Befreien Sie drei Länder Ihrer Wahl… Die Protestierenden riefen etwa „Lasst uns arbeiten!“, und als im Staat Colorado Krankenschwestern ihren Weg blockierten, beschimpften sie diese als Kommunistinnen, die doch nach China gehen sollten.

In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai d.J. erneuerten die rechten, militant-konservativen bis faschistischen Provokateure in Lansing, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Michigan, ihre Aktionen – und marschierten dieses Mal bedrohlich mit Waffen innerhalb des Parlamentsgebäudes auf. Kurz, das Faschistenpack spielt Putsch! – Vgl. ausführlicher: https://www.motherjones.com/coronavirus-updates/2020/04/lansing-michigan-capitol-protests-stay-at-home-order-whitmer/Dass solche Aktivitäten absolut nichts mit antiautoritären Positionen – und auch nichts mit Mäßigung, im Gegensatz zur Annahme von Peter Nowak (ANMERKUNG: FUSSNOTE 1) – zu haben, belegte kurz darauf Bolsonaro, der sich am 19. April d.J. bei einer Demonstration vor dem Hauptquartier der Armee zujubeln ließ und dortselbst die Militärs zum Putschen aufforderte, um den brasilianischen Kongress nach Hause zu schicken. Seit dem 21. April ermittelt deswegen sogar ein Richter am Obersten Gerichtshof gegen die Organisatoren der Veranstaltung.

Den anderen Gegenpol im rechtsautoritären Spektrum nimmt unterdessen der philippinische Präsident Rodrigo Duterte ein. Jener genießt sichtlich die Notstandsvollmachten, die die Corona-Krise in seinen Augen legitimiert, und forderte dazu auf, diejenigen zu erschießen, die Ausgangssperren übertreten. Womit er allerdings auch nur in einem anderen Kontext aktualisiert, was er bereits vor vier Jahren in anderem Zusammenhang über Drogensüchtige oder -verkäufer äußerte.

Neofaschistische und verwandte Parteien im europäischen Kontext, der unter anderem durch eine gewisse Stabilität der parlamentarischen Demokratie in den letzten Jahrzehnten und einem – im Vergleich etwa zu Brasilien und den USA –relativ geringen alltäglichen Gewaltniveau geprägt ist, können nicht in identischer Form agieren, möchten sie als halbwegs seriös erscheinen. Doch zwischen dem hemmungslosen Ausleben von Fantasien über die Vollmachten des Notstandsstaats einerseits und dem Aufruf zum rechten Volksprotest gegen Vertreter eines schlechtes Establishments, die doch nur die Tüchtigen gängelten, um Schwächlinge vor sanitären Risiken zu schützen, auf der anderen Seite schwanken auch hier die Positionen. Hinzu kommt jedoch der Anspruch, in Zeiten der Not den Anschein staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins zu erwecken.

FPÖ in Österreich

In den in unregelmäßigen Abständen per E-Mail ausgesandten Newsletter der FPÖ in Österreich beispielsweise wurde im Laufe des Krisenausbruchsmonats März zunächst die Einheit der Nation gegen den Virusfeind beschworen. „FPÖ ist Teil des nationalen Schulterschlusses gegen den Coronavirus“, war etwa am 15. März d.J. zu lesen. Und am 19. März d.J.: „Österreich muss jetzt zusammenhalten!“

Doch diese Linie war gestern. Je länger die Krise anhielt, desto stärker setzte sich die FPÖ vom – seit dem 1. Januar 2020 nunmehr schwarz-grünen - Regierungslager ab, darauf setzend, dass die Maßnahmen der Regierenden mit steigender Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahl wohl unpopulärer als am Anfang würden. Am 1. April 20 hieß es noch, in einer Art von verbalem Balanceakt: „Nationaler Schulterschluss heißt nicht Gleichschaltung, sondern Bündelung der Kräfte.“ Der rechtsextreme Ex-Innenminister Herbert Kickl gibt in einem dort verlinkten Interview seinen Carl Schmitt, der daran erinnert, dass der Staat über den Ausnahmezustand gebietet, also „dass das Recht der Politik zu folgen hat“ – die „Richtigkeit und die Gültigkeit dieses Satzes“ würden durch die Krisenerlässe ja bestätigt. Allerdings, fügte er hinzu, sei der entscheidende Punkt, „dass das Recht natürlich der richtigen Politik zu folgen hat“. Und diese, war darin impliziert, verkörperten nun einmal nicht die ÖVP oder gar die Grünen. Überdeutlich wird hier der autoritäre Führungsanspruch, welcher wie selbstverständlich beinhaltet, dass man explizit angibt, sich auch über Rechtsnormen hinwegsetzen zu dürfen: Die Politik, und zwar nur die eigene!, gebietet über den Notstand.

Wenige Wochen später hat sich der Ton tüchtig gewandelt, jedenfalls vordergründig; und nun steht der amtierende Kanzler (Sebastian Kurz) in den Worten der FPÖ für eine unzulässige Bevormundung der Bevölkerung: „Kurz‘ <neue Normalität> ist ein anderer Begriff für Ausnahmezustand“, wird ihm am 21. April 20 vorgeworfen, und am folgenden Tag: „Kurz versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken.“ Gegenstand der Kritik sind allerdings nicht beispielsweise die Modalitäten von Polizeikontrollen, sondern die Umsatzverluste für Unternehmen, die nicht arbeiten dürfen. Die Rede ist von einer „Angstmaschinerie, und es wird bemängelt: „Die Kritik wurden als ungläubige Ketzer hingestellt.

Am Montag, den 27. April 20 publizierte die FPÖ in diesem Sinne eine Petition unter dem Titel: „Allianz gegen den Corona-Wahnsinn“. Und bei ihrer virtuelle 1. Mai-Demonstration dieses Jahres – der Verfasser dieser Zeilen konnte ihr in Gänze im Internet folgen, parallel zu jener des französischen Rassemblement National (RN) in Paris – legte die FPÖ-Spitze von A bis Z den Schwerpunkt auf die Nöte der armen leidenden Unternehmen, die durch eine unverantwortliche österreichische Regierung mit ihrer unbegründeten Corona-Hysterie in den Ruin getrieben würden.

AfD und Verschwörungspresse in Deutschland

Einen ähnlichen Schwenk vollzog die deutsche AfD. Anfänglich stimmte sie den Beschlüssen der Bundesregierung vom 16. und 23. März d.J. für den Lock-down, welcher erheblich schwächer ausfiel als in Österreich oder gar Frankreich, noch zu.

Zu den Hauptinitiatoren von Versuchen, rechten, wirtschaftsliberal und/oder verschwörungstheoretisch aufgeladenen Protest dagegen zu bündeln, zählt Jürgen Elsässer, seines Zeichens Chefredakteur von Compact Magazin. Ein früherer Linker, der sich in den 1980er Jahren gerne selbst für eine Mischung aus Götz George/Kommissar Schimanski und zeitgenössischem Lenin hielt – der Autor dieser Zeilen begegnete Elsässer erstmals 1987 – und heute auf einer anderen Welle zu reiten versucht. Aus rechtlichen Gründen werden wir an dieser Stelle nicht die Frage zu beantworten versuchen, ob er heute nicht vielleicht eher einer nicht ganz gelungenen Mischung aus Dieter Bohlen und Joseph Goebbels ähnelt. Stärker gesichert erscheint, dass er am Wettbewerb für den Titel des GröGraz („Größten Großmauls alle Zeiten“ zwischen Stromboli und Stralsund, zwischen Gummersbach und Güngören, zwischen Wisconsin, Wien und Wuhan) teilnimmt und sich redlich abmüht.

Elsässer gibt in der aktuellen Corona-Krise nun schon seit Wochen den Seuchenrisiken-Leugner – Covid-19 sei auch nicht gefährlicher als eine Grippe, behauptet er, die Bevölkerung werde durch die Regierenden mit Lüge und Manipulation bedacht, um eine skrupellose „Corona-Diktatur“ zu errichten. Alles in Allem übernimmt er dabei jedoch auch nur eine Rolle, die bis in den Wortlaut hinein seine Selbstdarstellung in vergangenen ökologischen Krisen ohne Abwandlung kopiert; von Tschernobyl 1986 über den Rinderwahnsinn 1996 bis zu seinem aktuellen Klimawandel-Leugnertum verspottete er stets die Befüchtungsträger/innen, auch schon in Zeiten, in denen er noch als Linker durchging. Dies sollte und soll (ob nun in linker Verkleidung, wobei die Inhalte jedoch jedenfalls damals in den fast ausschließlichen Dienst eines zügellosen persönlichen Geltungsdrangs gestellt schienen, oder heute als Rechtsautoritärer) irgendwie als rebellische Haltung erscheinen. Inhaltlich ist es das selbstverständlich keineswegs. Denn jüngst lobt Jürgen Elässer nun ausgerechnet den bösen alten Mann der deutschen Politik und obersten Verfechter der kalten Staatsräson, und zwar just für seine Positionen zum Tod in der Corona-Krise, also Wolfgang Schäuble. Vgl. dazu: https://www.compact-online.de/schaeuble-attackiert-das-philosophische-fundament-der-corono-diktatur/ (Und inhaltlich zu Schäuble: vgl. : https://www.heise.de/tp/features/Die-Wirtschaft-wird-leben-auch-wenn-wir-sterben-muessen-4711435.html Und : https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8261/ )

Bei einer gut einstündigen Debattensendung auf Compact TV mit Elsässer vom 1. April 20 (es handelte sich allerdings nicht um einen Aprilscherz) unter dem Titel „Todesvirus für den Euro?“ drehte der Bundestagsabgeordnete Peter Böhringer in einem Moment sichtlich genervt und demonstrativ die Augen zur Decke: Nein, gar so dreist könne eine Bundestagspartei einfach nicht am Gefährdungsgefühl der Bevölkerung vorbei argumentieren. Böhringer zählt zwar selbst zu den Verschwörungstheoretikern, er publizierte etwa Texte über den Einfluss der Freimaurerei auf die UN, hob sich jedoch als scheinbar staatsmännisch gegenüber dem geifernden und eifernden Chefredakteur von Compact Magazin ab. Letzterer versuchte der AfD eine Art faschistisch gewendeten Leninismus nahe zu legen: In Stunden der Krise komme es nicht darauf an, was die versumpfte Mehrheit sage, sondern dass die Avantgarde das Richtige erkenne. Ähnlich, wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im August 1914 bei der damaligen Pro-Kriegs-Stimmung nicht mitgemacht hätten; diese seien nun „leider Kommunisten“ gewesen, doch ihr Ansatz sei dennoch der richtige gewesen. (Auf diese Weise versucht der notorische Bewegungsunternehmer Jürgen Elsässer frühere linke Inhalte, die er damals für seine persönlichen Zwecke einsetzte, nunmehr in das rechte bis faschistische Spektrum zu überführen: Die Methode zählt für ihn dabei, nicht etwa die früher vorgegebene emanzipatorische und menschheitsuniverselle Zielsetzung. Dabei braucht er sich freilich bei den Rechtsnationalen heute nicht unbedingt zu verbiegen, denn wer selbst den dicken Maxen geben und den Ton angeben möchte, kann mit autoritären Positionen leben.)

Einige Tage später hat sich jedoch nunmehr auch die Position der AfD weitgehend in diesem Sinne gedreht, ohne freilich so weit im Sinne eines rechten und autoritären Avantgardismus zu gehen wie Elsässer.

Diese Partei versuchte sich nunmehr gewisserma ß en an die Spitze jener Stimmen zu setzen, die von den Mobilitäts- und vor allem den wirtschaftlichen Tätigkeitsbeschränkungen die Nase voll hatten und sich bevormundet wähnten, und die auch durch Teile der FDP angesprochen wurden. So forderte die rechtsextreme Partei bereits vor dem Osterwochenende (vom 11. bis 13. April dieses Jahres) eine „Öffnung der Kirchen für die Christen“. Bei der Aussprache im Bundestag vom 23. April dieses Jahres preschte die AfD vor und forderte eine sofortige Öffnung etwa von Restaurants, Hotels, Sportstätten wie auch Gotteshäusern, was jedoch auf Ablehnung bei den übrigen Parteien traf.

Zwischenzeitlich hatte etwa ein Landtagsabgeordneter der AfD in Baden-Württemberg, Stefan Räpple, am 15. April 20 an einer Kundgebung rund um die Heidelberger Anwältin Beate Bahner teilgenommen, auf der rund 200 Menschen „Wir sind das Volk“ skandierten. (Gegen diese wird nunmehr wegen Verletzung der Corona-Ma ßnahmen ordnungsrechtlich ermittelt, vgl.: https://www.heidelberg24.de/heidelberg/coronavirus-anwaeltin-beate-bahner-demo-teilnehmer-strafbar-polizei-anzeige-klage-heidelberg-13640822.html ) Anwältin Bahner hatte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Corona-Maßnahmen geklagt, am Karfreitag (10. April 20) dort verloren, hielt sich danach zwei Tage in Behandlung in einer psychiatrischen Abteilung auf – nein, nicht, um eine Dissidentin zu psychiatrisieren, sondern weil die Frau auf Polizisten zugegangen war, dabei extrem wirr wirkte und behauptete, von bewaffneten Männern in einer Tiefgarage verfolgt zu werden - und kurz nach ihrer Entlassung ihren Auftritt zelebriert.

Die wirre Anwältin behauptet unter anderem auf ihrer Webseite, die Corona-Maßnahmen bildeten „die blitzschnelle Etablierung der menschenverachtensten (Rechtschreibung im Original) Tyrannei, die die Welt jemals gesehen hat“. Hitler, Mussolini und Pol Pot waren nichts dagegen. Es scheint, dass man am Beispiel von Beate Bahner nur bedauern kann, dass im Gesundheitssektor in Deutschland offensichtlich solche Mängel herrschen, dass die man die werte Dame nicht noch eine Weile lang in der Klapsmühe behalten konnte…

In Kassel beteiligte sich u.a. der hessische AfD-Politiker Manfred Mattis am Wochenende des 25./26. April 20 als Ordner an einer Demonstration gegen die Pandemiemaßnahmen. Er war zur Bundestagswahl 2017 als Direktkandidat der AfD im Wahlkreis der Stadt Kassel angetreten. (Vgl. zu dem kleinen Auflauf u.a.: https://www.hna.de/kassel/kassel-demo-corona-skeptikern-grundrechte-bebelplatz-zr-13717819.html  )

Zur „Hygienedemo“ am selben Wochenende Berlin werden andere Autorinnen und Autoren von trend.infopartisan wohl fundierter und aus größerer Nähe berichten können. Zum dort vertretenen Spektrum zählten in jedem Falle neben NPD-Politikern, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern, Esoterikern und Hooligans ebenfalls Mitglieder der AfD-Landtagsfraktionen aus Berlin und Brandenburg. Aber auch verwirrte oder frühere Linke waren unzufrieden, ähnlich wie offenkundig in Kassel…

(Vgl. dazu etwa aus bürgerlichen Medien, unter mehreren Links ausgewählt : https://www.tagesspiegel.de/berlin/hygienedemo-vor-der-volksbuehne-wird-berlin-zum-zentrum-rechter-corona-proteste/25774770.html  oder https://www.tagesspiegel.de/politik/anti-lockdown-proteste-warum-corona-leugner-zur-gefahr-werden-koennen/25778086.html sowie https://www.tagesspiegel.de/berlin/hygiene-demo-neonazis-und-impfgegner-vereint-bei-corona-demo/25768284.html ; und von links zum Thema: https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/politik/deutschland/berlin-hygiene-demo-querfront-1753.html - Es hat (glücklicherweise) auch antifaschistischen Protest dagegen gegeben, vgl. sogar in der bürgerlichen Presse dazu: https://www.tagesspiegel.de/berlin/coronavirus-und-verschwoerungstheorien-linker-gegenprotest-gegen-hygiene-demonstration-in-berlin/25772782.html )

Norditalien

Eine andere Angriffslinie wählt die Lega in Norditalien, die auf regionaler Ebene seit Jahren in so genannter Regierungsverantwortung steht, also in ihren Verlautbarungen nicht unbedingt das gesamte Etablishment – jedenfalls nicht auf örtlicher Ebene - in die Wüste schicken kann. Die rechtsextremen Regionalisten müssen überdies damit kämpfen, dass sie eine wesentliche Rolle bei der Privatisierung der lukrativen Filetstücke des Gesundheitswesens in Oberitalien spielten und auf diese Weise mit zur Krankenhauskatastrophe beitrugen. In ihren Augen ist jedoch ein tauglicher Schuldiger ausgemacht, den man in der Öffentlichkeit anprangern kann, nämlich die EU. Vertreter der Lega wie auch der eher in Süditalien verankerten neofaschistischen Fratelli d’Italia nahmen mehrfach an Verbrennungen der EU-Flagge teil. In der zweiten Aprilhälfte hat Lega-Chef Matteo Salvini ferner ein Kampagnenthema entdeckt, bei dem seine Partei auf bekanntem Terrain spielt. Nachdem 300.000 überwiegend osteuropäische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft aufgrund Corona-bedingter Grenzschließungen ausblieben, beschloss die amtierende Regierung, rund 200.000 „papierlosen“, illegalisierten Einwanderern Aufenthaltstitel zu geben – vor allem, um sie zu regelmäßiger Arbeit auf die Felder schicken zu können. Die Lega wettert nun in altbekannter Manier gegen die vermeintliche ausländische Invasion.

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1) Noch kurz zu Peter Nowak: Der Verfasser dieser Zeilen möchte es ihm ausdrücklich zugute halten, dass er anderer Stelle und zu einem späteren Zeitpunkt selbst sichtlich um die Abgrenzung von rechten Inhalten bemüht war; dazu folgender Hinweis: https://www.freitag.de und https://www.heise.de/tp/

Und doch: Sein anfängliches klares Unvermögen, die derzeitige gefährliche rechtsautoritäre Dynamik (welche nicht in ihrer Gesamtheit faschistisch ist, doch einen faschistischen Flügel einschließt; was nicht notwendig ihre realen Durchsetzungschancen benennt) rund um Donald Trump und J. Bolsonaro als solche zu erkennen, hängt mit einem politischen Grundfehler in seinem allgemeinen Herangehen zusammen. Dieser beruht auf seinem Naserümpfen gegenüber der, in den Augen des Verf. absolut notwendigen (nicht für eine linke Gesamtposition ausreichenden, jedoch ihren notwendigen Bestandteil bildenden) antifaschistischen Dimension unserer Gesellschaftskritik. In jüngerer Zeit trat Nowak des Öfteren als ein Autor auf, der bürgerlich-liberale Politiken einerseits, rechtsautoritäre (eine faschistische Tendenz als Unterströmung mit einschließende) politische Phänomene anderseits de facto auf dieselbe qualitative Stufe stellte. Dies, um sich selbst als eine Art neutralen Schiedsrichter zwischen beiden aufzuspielen, mit dem Ansinnen, dem lupenreinen Revolutionäre seien alle bürgerlichen Katzen mehr oder minder gleichermaßen grau – weswegen man schon auch einmal Linksliberale als „undemokratisch“ dafür kritisieren darf, dass sie faschistoiden Rechten einen Sperrriegel vorschieben möchten. (Vgl. stellvertretend für eine Serie von Beiträgen aus jüngster Zeit: https://www.heise.de/tp/ und zur Kritik bzw. als Gegenposition dazu: https://www.heise.de/tp/features/; oder auf einem anderen, doch verwandten Gebiet, mit einer faktischen Verharmlosung der Vorgänge in Ungarn: https://www.heise.de/tp)

Nun möchten wir mit unserer – vielleicht falschen, doch begründeten – Kritik nicht in eine Karikatur verfallen. Denn Erstens hat Peter Nowak in einem Punkt Recht, nämlich darin, dass Linksliberale in eine politisch fatale Überheblichkeit verfallen, wenn sie zu glauben scheinen, Rechte seien schlicht dumm und müssten aufgeklärt werden – das ist falsch, auch faschistische Parteien und „Bewegungen“ verfügen zumindest über einige strategisch intelligente Vordenker und Anführer (neben denen es Idioten geben mag), die nicht einfach aus Uninformiertheit oder Kenntnislosigkeit handeln, im Gegenteil. Insofern muss man den Gegner, bzw. in diesem Falle den potenziellen politischen Todfeind, auch ernst nehmen. An diesem Punkt rennt Nowak offene Türen ein. Zum Zweiten grenzt auch er sich mitunter verdienstvoll von rechten Inhalten ab; vgl. das oben zitierte jüngste Beispiel.

Dennoch bleibt ein blinder Fleck übrig. Und er hängt mit einer tendenziellen Geringschätzung des Antifaschismus als notwendiger eigenständiger Dimension jeglicher linker Politik zusammen, die sich auch in den oben zuletzt zitierten Artikeln in Teilen widerspiegelt. Ein extremerer Ausfluss dieser Haltung war es jedoch, als unserem Kollegen Peter Nowak 2019 der ungewollt doch objektiv potenziell schwerwiegende Ausrutscher unterlief, ausgerechnet den italienischen Ideologiespinner Armando Bordiga ausdrücklich zu loben, und zwar in diesem Text (vgl. https://www.heise.de/tp/ ) und in folgender Passage: Da bestätigt sich noch einmal die Kritik des kommunistischen Dissidenten Amato Bordiga, der in den 1920er Jahren den in der Komintern zusammengeschlossenen Kommunistischen Parteien vorwarf, unter dem Label "Antifaschismus" eigene revolutionäre Grundlagen über Bord geworfen zu haben. Nun ist Bordiga (in Wirklichkeit Amadeo, nicht Amato, doch wir sprechen eindeutig über ein und dieselbe Person) nicht nur ein früherer „Linkskommunist“ seit den 1920er Jahren, sondern vor allem auch ein Ideologe, der zunächst 1960/61 das Buch unter dem Titel „Auschwitz und das große Alibi“ verfasste – um darin zu behaupten, es gebe explizit keinen qualitativen Unterschied zwischen bürgerlicher Demokratie, Faschismus/Nazismus und auch Stalinismus, alle Herrschaftssysteme glichen sich im Wesenskern – und dessen Anhänger, mindestens die französische Anhängergruppe um die Publikation La Vieille Taupe, späterhin dann zu expliziten Auschwitz-Leugnern wurden. Wobei mindestens einer, Pierre Guillaume, in den 1990er Jahren beim französischen Front National landete. (Vgl. bspw.: https://jungle.world/)

Sicherlich war Peter Nowak sich nicht des vollen Ausmaßes dieser politischen Verheerung bei den Leuten rund um Amadeo Bordiga bewusst, und nach einer kritischen Intervention des Autors dieser Zeilen ließ er offenkundig auch auch die Finger von Bordiga. Umso besser: Dessen ideologischer Müll sollte definitiv im Giftschrank bleiben. Wir werden gewiss nicht den Fehler begehen, Nowak für sämtlichen Irrsinn Bordigas und seiner Anhänger, welcher sich zum Zeitpunkt der Abfassung o.g. Artikels mutmaßlich seiner Kenntnis entzog, zu belasten. Dennoch sollten politische Irrtümer, die objektiv (nicht subjektiv gewollt) die Tür auf Abgründe hin öffnen, zum Nachdenken Anlass geben. Und zwar besonders über den blinden Fleck der Miss- oder gar Verachtung des Antifaschismus.

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe.