Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige zur Coronakrise

05/2020

trend
onlinezeitung

Das nennt man ein klares Ergebnis! Ende März d.J. befragte ein Umfrageinstitut im Auftrag der sozialdemokratischen Jean Jaurès-Stiftung sowie des sich mit Verschwörungstheorien beschäftigenden Think-tanks Conspiracy Watch eine Auswahl von 1.008 Französinnen und Franzosen über ihre Auffassungen zu den Ursachen der Covid19-Pandemie. Dabei stellte sich heraus, dass eine krasse Polarisierung auftrat, wenn man die Ergebnisse in ihrer Gesamtheit mit den Angaben zur parteipolitischen Einstellung der Befragten kreuzte.

Insgesamt gaben demnach 17 Prozent der Befragten an, das neue Coronavirus (SARS Cov-2) sei „im Labor entstanden“, und zwar „absichtlich“ dort geschaffen worden. Weitere neun Prozent gingen demnach davon, das Virus sei zwar unabsichtlich, jedoch „durch einen Unfall“ in einem Biowaffen- oder sonstigen Forschungs-Laboratorium entstanden. Damit liegt Frankreich, mit einem Anteil insgesamt einem Viertel der Befragten für beide Antworten zusammengenommen, unterhalb des Prozentsatzes etwa in der US-amerikanischen Bevölkerung: Dort stimmten anlässlich einer Umfrage des Pew Research Center zwischen dem 10. und dem 16. März respektive 23 Prozent („absichtlich“) und sechs Prozent, für die These vom Laborunfall, einem der beiden Antwortvorschläge zu. Zwischen den USA und China war die Behauptung einer künstlichen Erschaffung des Virus im vergangenen Monat zeitweilig auch als außenpolitische Waffe wechselseitig eingesetzt worden; sie gilt jedoch unter Wissenschaftler/inne/n bereits als widerlegt (vgl. bspw/ https://jungle.world/ ) Nichtsdestrotrotz macht nun seit neuestem auch die US-Administration unter Donald Trumo explizit mit solchen Vorwürfen Politik; vgl. https://edition.cnn.com  und https://www.merkur.de

Auffällig wird es jedoch auf der französischen Seite, sobald man die innenpolitischen Präferenzen der Befragten berücksichtigt. Die zur Verschwörungstheorie neigenden Antworten liegen nämlich in quasi jeder einzelnen Wählergruppe mit einer, wie auch immer gearteten, Parteiorientierung unterhalb des Gesamtdurchschnitts. Bei den nicht parteigebundenen Wählerinnen und Wählern liegt der Wert knapp über dem Schnitt, bei denen der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“) auf der Durchschnittslinie. Doch die Anhängerschaft des rechtsextremen Rassemblement National (RN, „Nationale Sammlung“, bis 2018 Front National) bildet den dicken Ausreißer.

In ihr glauben allein 40 Prozent, das Virus sei „mit Absicht“ in finsteren Laborhallen erzeugt werden, und noch einmal fünfzehn Prozent kommen hinzu, die an eine Erzeugung im Labor ohne Absicht glauben. Zum Vergleich: Bei der Präsidentenpartei LREM (La République en marche), deren Anhängerinnen und Anhänger zweifellos in jeglicher Hinsicht an die Rationalität der regierenden Eliten glauben – oft auch zu Unrecht - sind es insgesamt nur zwei Prozent für beide Antwortoptionen zusammengenommen.

Diese Ausgangssituation führte kurz nach Veröffentlichung dieser Umfragewerte zu einer innenpolitischen Kontroverse. Am 30. März d.J. reagierte Marine Le Pen in einem Interview beim Sender Franco Info auf eine Nachfrage dazu, indem sie die offenkundig in ihrer eigenen Wählerschaft verbreiteten Einstellungen offensiv verteidigte: „Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, wie schlecht ich über diese Art von Studie über das Verschwörungsdenken (le complotisme) denke. Dass die Leute sich fragen, ob dieser Virus natürlicher Herkunft ist oder ob er nicht aus einem Labor entsprungen sein kann, das ist eine Frage des gesunden Menschenverstands.“ Die LREM-Abgeordnete Aurore Bergé griff die RN-Vorsitzende daraufhin am folgenden Tag beim Rundfunksender Sud Radio in den Worten an, Marine Le Pen versuche, „den Virus des Verschwörungsdenkens (virus du complotisme) in unserem Land einzupflanzen“. Die Chefin der rechtsextremen Partei fühlte sich deswegen wohl herausgefordert. In einer elektronischen Aussendung an alle, auf ihre Mailinglisten eingetragenen Sympathisanten vom selben Tag erfährt die geneigte Leserschaft: „Die Regierung ist der größte Lieferant von Fake News seit Beginn dieser Krise!“

Inhaltlich dreht es sich dabei dieses Mal nicht um verschwörungstheoretische Pseudoerklärungen der globalen Wirklichkeit, sondern eher um handfeste und zum Teil auch begründete innenpolitische Attacken gegen das Regierungslager. Es geht um dessen manifeste Planlosigkeit in den ersten Wochen der Coronakrise; die vor allem in der Anfangsphase verbreiteten manifesten Lügen – Gesichtsmasken böten keinerlei Schutz, wurde zunächst behauptet, was allerdings nur kaschierte, dass es nicht ausreichend Gesichtsmasken gab -, denen die Regierung später selbst widersprach; die Unfähigkeit, ausreichend Tests zum Nachweis einer Infektion bereit zu stellen… An dieser Stelle verrichtet der RN in gewissem Sinne seinen Job als Oppositionspartei, wie es im Übrigen andere Oppositionskräfte auch tun.

Es ist wahrscheinlich, dass es Marine Le Pen und die Anführer des RN in Wirklichkeit selbst relativ egal ist, ob der Virus nun aus einem biochemischen Labor, einem Fledermauskörper oder einem Gürteltier stammt. Es kann ihnen jedoch nicht gleichgültig bleiben, dass solche Thesen in ihrer eigenen Wählerschaft einen starken Anklang finden und dort offenkundig Bedürfnisse bedienen.

Antisemitische Konnotation und Projektionen auf einen (modernen) gallischen Druiden

In manchen Milieus gehen diese auch mit einer manifesten antisemitischen Konnotation der Behauptungen über die Ursachen oder den Verlauf der sanitären Krise einher. Dies trifft allerdings nicht oder nicht auf explizite Weise für die Parteispitze des RN zu, was damit zusammenhängt, dass diese seit dem Wechsel von Jean-Marie Le Pen zu Marine Le Pen im Vorsitz (2011) offiziell dem Antisemitismus abgeschworen hat – der Vizevorsitzende Louis Aliot hatte 2014 formuliert, der Vorwurf des Antisemitismus bilde „den letzten Sperrriegel“, der den damaligen Front National noch vom Marsch an die politische Macht abhalte. Dies bedeutet so viel wie, dass man der Partei sonst Alles durchgehen lasse, dass also Nationalismus und Rassismus in die politische „Normalität“ eingehen könnten, dass jedoch eine Verdächtigung des Antisemitismus potenzielle Bündnisse verhindere.

Nichtsdestotrotz machte der RN-Europaparlamentarier Gilbert Collard sich in einem am 24. März 20 von ihm publizierten Video eine Verschwörungsbotschaft zu eigen, die in Teilen der extremen Rechten – und wohl darüber hinaus – kursiert, deren antisemitischen Kern er jedoch nicht explizit ausspricht. Collard mischt sich damit in die Kontroverse ein, die zwischen den offiziellen Gesundheitspolitikern und der Regierung einerseits und dem in Marseille ansässigen Medizinprofessor Didier Raoult andererseits ausbrach. Raoult propagiert seit Wochen, das früher verbreitete Malariamittel Chloroquin stelle einen billigen und bereits allseits verfügbaren Stoff dar, mit dem sich das neue Coronavirus behandeln lasse. Es wird allerdings seit Januar dieses Jahres in Frankreich in offiziellen Dokumenten als toxisch eingestuft (und laut einem neuen US-Bericht scheint es tatsächlich „schwerwiegende Nebenwirkungen“ zu haben; vgl. : https://heavy.com ) ; die Entscheidung dazu fiel in Frankreich bereits im November 19. Unter dem Druck der Öffentlichkeit, die gerne Hoffnung auf ein Heil- oder auch Wundermittel schöpfen möchte (was auch verständlich ist und dennoch keine wissenschaftlich begründeten Schnellschüsse zulässt), überließ die Regierung es allerdings dann den Ärztegremien in den Krankenhäusern, sich für oder gegen eine Verwendung von Chloroquin bei der Behandlung von Covid-19 zu entscheiden; aber wenn, dann unter ständiger ärztlicher Aufsicht.

Es muss Mediziner/inne/n überlassen bleiben, zu entscheiden, was fachlich für oder gegen diese Behandlungsmethode spricht. Auch ohne medizinischen Sachverstand mischt sich jedoch eine wachsende Anzahl von politischen oder medialen Akteure in ihre Kontroverse ein, etwa um den guten gallischen Druiden Raoult – der Mann ließ sich in den letzten Jahren lange weiße Haare und einen ebenso weißen Bart wachsen und weist eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit der Comicfigur Miraculix auf – dem jüdischen Ehepaar Agnès Buzyn und Yves Lévy entgegenzusetzen. Madame war bis Mitte Februar 20 und ihrer reichlich verunglückten Kommunalwahl-Kandidatur in Paris (anlässlich der Rathauswahlen vom 15. März d.J.) amtierende Gesundheitsminister, Monsieur war bis vor einem guten Jahr der Präsident des medizinischen Forschungsinstituts INSERM.

Von da aus ist der Weg nicht mehr weit bis zu der Behauptung, Raoult vertrete die einzig vernünftige Lösung, diese sei jedoch durch Buzyn und Lévy aus Geschäftsinteressen verhindert worden. Allerdings war die Entscheidung zur Toxizität von Chloroquin nicht durch die Ministerin allein getroffen worden, sondern durch einen Expertenrat, und Lévy war damals bereits nicht mehr Chef des INSERM. In einem Video des früheren Komikers und jetzigen Berufsantisemiten Dieudonné M’bala M’bala wird der Faden unschwer fortgesponnen: Den Fluchtpunkt bildet dabei die Aussicht, israelische Firmen würden den künftigen Impfstoff gegen SARS Cov-2 entwickeln, und ihre Interesse gelte es nicht zu beeindrucken. Ohne direkten Verweis auf eine jüdische Herkunft dieser oder jener Herkunft vertritt Collard jedoch dieselbe These. Aber auch die fanatischen Muslimhasser der rechtsextremen Internetpublikation Riposte Laïque (ungefähr: „Säkularistischer Gegenschlag“), die sich Abend für Abend in ihrer täglichen Newsletter in diese Kontroverse hineinsteigern und mittlerweile alle, die das gallische Elixier des Professors Raoult ablehnen, nur noch als „Mörder“ tituliert.

Mittlerweile hat Raoult sich aus anderen Gründen tendenziell ins Aus geschossen, indem er kürzlich ins Blaue hinein behauptete, die Epidemie sei in Südfrankreich angeblich bereits „im Verschwinden begriffen“, weil die Außentemperaturen anstiegen, was in der Pauschalität absolut unhaltbar erscheint. Vgl. bspw.: https://www.europe1.fr

Offizielle Parteilinie

Die Parteiführung des RN konzentriert sich unterdessen in ihren eigenen Angriffen eher auf andere Zielscheiben. In ihrer Agitation stehen vor allem Angehörige der sozialen Unterklassen in den banlieues, also in Trabantenstädten mit Hochhaussiedlungen, im Vordergrund. Ihnen wird von Seiten des RN und ihm nahe stehender Medien wie dem Wochenmagazin Valeurs actuelles oder dem TV-Journalisten Eric Zemmour immer wieder und wieder vorgeworfen, sie seien es, die sich nicht an Ausgangssperren und Mobilitätsbeschränkungen hielten. Nun trifft es zu, dass in einigen besonders markanten Sozialghettos Verstöße gegen die Auflagen, und eine von diesen überforderte oder aber zum Einschreiten unwillige Polizei zu beobachten sind. Es ist allerdings auch leichter, sich daran zu halten, wenn man in einem Landhaus oder in einem geräumigen Innenstadtappartement als in einer überbelegten Hochhauswohnung lebt, wie auch Innenminister Christophe Castaner bei einer Pressekonferenz einräumen musste.

Die Zahl der mutwilligen Verstöße dürfte allerdings auch nicht höher liegen als unter individualistisch gesonnenen Besserverdienenden, die sich partout nicht von ihrem Sonnenbad oder Jogging abhalten lassen möchten (oder vom Aufenthalt am Zweitwohnsitz; lt. Angaben der Telefon-Anbieter befinden sich seit Beginn der Aufenthaltsbeschränkungen 17 Prozent der Pariser Abonnent-inn-en in anderen Landesteilen…), nur weil irgendwo ein paar Rentner/innen an Covid-19 erkranken könnten. Dies betonte selbst Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye, die auch einräumte, es gebe „ein rassistisches Geschmäckchen“ bei der Ausrichtung eines Teil der Polizeikontrollen, die am Osterwochenende die Zahl von neun Millionen überschritten, die der Geldbußen erreichte zur selben Zeit eine halbe Million. In der zweiten Märzhälfte wurden zehn Prozent aller Strafzettel landesweit allein im nördlichen Pariser Banlieuebezirk Seine-Saint-Denis verhängt, dem ärmsten französischen Département, wo 2,5 Prozent der Bevölkerung des Landes wohnen. Ein Artikel der Tageszeitung 20 minutes vom 03. April d.J. (vgl. https://www.20minutes.fr/ ) benennt unterdessen einige Ursachen, warum hier auch die Sterblichkeit an Covid-19 um 67 Prozent über dem regionalen Durchschnitt liegt: In dem Bezirk lebten auch besonders viele Angehörige prekärer Beschäftigtengruppe, darunter vielfach in Gesundheits- oder Verkaufsberufen, die unter den derzeitigen Bedingungen weiterarbeiten müssten, während sich andere – insbesondere qualifizierte - Berufsgruppen in Kurzarbeit befinden oder im Home Office arbeiten.

Dies hält die extreme Rechte nicht von intensiver Hasspropaganda gegen diese angeblich von lauter undisziplinierten Sozialschmarotzern bevölkerten Zonen ab. François de Voyer, Präsident des Cercle Audace – ein Zirkel, in dem RN-Anhänger und Konservative zusammen kommen sollen – sprach in diesem Zusammenhang, in Abwandlung des auf der Rechten traditionell verwendeten Begriffs der zones de non-droit (rechtlosen Zonen), Ende März von zones de non-France. Und Marine Le Pen behauptete, es finde eine „Eskalation“ statt, weil nunmehr die Moscheen – die während der sanitären Krise ebenso wie Kirchen geschlossen bleiben – über Lautsprecher ihre Gebetsaufrufe verbreiteten. In einem von ihr angeführten, angeblichen Beispiel in der Nähe von Montpellier recherchierte die Lokalpresse nach. Es entpuppte sich jedoch als Falschbehauptung. Die Moschee hatte vollständige Ruhe bewahrt. Unterdessen war aus dem geöffneten Balkonfester eines Anwohners kurzzeitig Gebetsgesang aus einer Stereoanlage in seiner Privatwohnung gedrungen.

Ihre erbitterte Agitation hat der extremen Rechten im Augenblick keinen zusätzlichen Sympathiebonus eingehandelt. Im Popularitätsbarometer der führenden Politikfiguren rutschte Marine Le Pen von 26 Prozent Zustimmungswerten Anfang März auf 23 Prozent, Anfang April, zurück. Dies hängt den Demoskopen zufolge vor allem mit einem Rückgang ihrer Popularität in älteren Jahrgängen und in Ostfrankreich, etwa dem besonders von der Pandemie heimgesuchten Elsass, zusammen. Dort werden ihre Angriff auf die Regierenden derzeit nicht sonderlich goutiert, sondern wird die Bekämpfung der Krankheit als die Aufgabe der Stunde betrachtet, auch unter Zurückstellung parteipolitisch motivierter Profilierungsversuche. Doch die Wirtschaftstageszeitung Les Echos, die die Umfrage am 02. April 20 vorstellte, warnt vor möglichen künftigen Entwicklungen: Die extreme Rechte bereite bereits ihre Positionierung für die Krise nach der Krise vor, also die am Horizont heraufziehende Wirtschafts- und Sozialkrise.
 

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.