50 Jahre
Große proletarische Kulturrevolution05/2016
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onlinezeitungPeriodisierungen der Kulturrevolution in der bundesdeutschen Literatur
„Nicht nur der eigentliche Verlauf, sondern auch der Beginn und das Ende der Kulturrevolution lassen sich schwer bestimmen.” So informiert das „China Handbuch“ über den Verlauf der chinesischen Kulturrevolution. Aus den Schwierigkeiten der zeitlichen Einteilung haben sich verschiedene Meinungen darüber gebildet, von denen insbesondere zwei hervorzuheben sind.
Oskar Weggel hat im IX. Kapitel seines Buches „Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert“ die Große Proletarische Kulturrevolution von 1966 bis 1976 datiert. Er teilt sie in drei Zeitabschnitte:
Die Rotgardistenbewegung ( Mai 1966 bis zum 9. Parteitag im April 1969 ), die Lin-Biao-Zeit (vom 9. bis 10. Parteitag im August 1973 ) und schließlich die Zhou-Enlai-Phase (August 1973 bis Oktober 1976 ). Den Beginn und das Ende betreffend, sieht er den eigentlichen Ausgang der Kulturrevolution in dem „Beschluß über die GPKR“ im August 1966, der aufgrund seiner Gliederung unter der Bezeichnung „16 Punkte“ bekannt wurde.
Nach dem Sturz der „Viererbande“ im Oktober 1976 wurde, laut Weggel, der Kulturrevolution ein Ende gesetzt. Weggels Periodisierung der Kulturrevolution stimmt mit der des amtlichen China überein.
Eine andere Meinung über die Periodisierung der Kulturrevolution vertreten Erik von Groeling und Jürgen Domes. Demnach begann im November 1965 eine frühe Phase der Kulturrevolution, die durch den ersten Angriff der Maoisten gegen die Opposition ausgelöst wurde. Ein Mitglied der Viererbande, Yao Wenyuan, veröffentlichte in Shanghai eine Kritik an Wu Hans Drama „Die Entlassung des Hai Rui“(Hai Rui baguan海瑞罢官). Der weitere Verlauf der Kulturrevolution unterteilt sich in folgende Perioden:
Von November 1965 bis Mai 1966 fand ein verstärkter ideologischer Kampf (vor allem gegen den Revisionismus verschiedener mit Liu Shaoqi in Verbindung stehender Intellektueller in Literatur und Kunst) statt;von Mai 1966 bis August 1966 eskalierte der ideologische Streit zu einem Machtkampf;von September 1966 bis Januar 1967 zerstörten die Roten Garden und die roten Rebellen den Partei–und Staatsapparat;von Januar 1967 bis Juli 1967 griff die Kulturrevolution auf die Landwirtschaft und Industrie über;von August 1967 bis April 1969 folgte schließlich eine Periode der Konsolidierung, in der die zerstrittenen Splittergruppen zu sogenannten „Großen Allianzen“ zusammengefaßt wurden. Mit dem 9. Parteitag der KPCh im April 1969 endeten die heftigen und gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die sogenannten alten Kader ( Liu Shaoqi, Deng Xiaoping und deren Anhänger ) wurden entmachtet.
Vertreter dieser Periodisierung markieren das Ende der Kulturrevolution mit dem Abschluss des 9. Parteitages, obwohl es dabei nicht mehr zu einer offiziellen Abschlusserklärung gekommen war.
Konrad Seitz schreibt diesbezüglich:
Am 1. April 1969 trat der IX. Parteikongress zusammen. Er erklärte sich zum Kongress der Einheit und des Sieges. Lin Biao erstattete den politischen Bericht und feierte den erfolgreichen Abschluss der Kulturrevolution.
Die Unschlüssigkeit über Beginn und Ende der Kulturrevolution zeigt sich nochmals darin, dass zwar einige Wissenschaftler der letztgenannten Periodisierung grundsätzlich zustimmen, jedoch den Anfang der Kulturrevolution auf den von Weggel genannten Beschluss über die GPKR vom August 1966 datieren.
Editorischer Hinweis
Der Text wurde entnommen aus:
Die chinesische Kulturrevolution (1966-1976) im Spiegel der deutschen und chinesischen wissenschaftlichen Literatur (1966-2008)
Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität zu Bonn vorgelegt von Changshan Li M.A. aus Harbin, VR China - Bonn 2010 / S.25ff ohne FußnotenVom großen Sprung zur Kulturrevolution - Zeitliste
September 1956: Der VIII. Parteitag der KPCh erklärt, die grundlegende sozialistische Umgestaltung sei vollendet. Der Hauptwiderspruch sei nicht mehr der zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie, sondern zwischen dem Verlangen des Volkes nach rascher wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung und demgegenüber dem unterentwickelten Stand der Produktivkräfte.
Frühjahr 1958: Die 2. Tagung des VIII. Parteitags verabschiedet eine Generallinie für den sozialistischen Aufbau, die die forcierte Entwicklung der Produktivkräfte durch einen "großen Sprung nach vorn" vorsieht.
Sommer 1959: Lushan-Plenum des VIII. ZK der KPCh. Verteidigungsminister Peng Dehuai kritisierte als erster hoher Funktionär den von Mao Zedong initiierten Großen Sprung als idealistisch.
Sommer 1960: Beidahe-Konfe-renz der KPCh beschließt die Verlagerung wesentlicher Kompetenzen der Volkskommuncn auf die untergeordneten Brigaden, die im Regelfall Dörfern entsprechen.
Januar 1961: Plenum des VIII. ZKs der KPCh beschließt Maßnahmen zur Liberalisierung in der Landwirtschaft wie haushaltsorientierte Produktionssysteme, freie ländliche Märkte, die Garantie von Privatparzellen für die Bauernhaushalte.
März 1961: Zentrale Arbeitskonferenz der KPCh zur Landwirtschaftspolitik verabschiedet "60 ' Punkte zur Landwirtschaft".
September 1962: 10. Plenum des VIII. ZK der KPCh beschließt über Mechanisierung der Landwirtschaft und leitet eine "Sozialistische Erziehungsbewegung" ein, die ideologisch rechten Tendenzen vor allem unter den Bauern und in der Intelligenz entgegenwirken soll.
1964: Der Leiter der Zentralen Parteischule der KPCh Yang Xienshen tritt mit seiner Theorie der Harmonisierung der Widersprüche "Aus zwei wird eins" hervor.
Januar 1965: Die "23 Punkte" zur Sozialistischen Erziehungsbewegung, ausgearbeitet von Mao Zedong, werden veröffentlicht. In diesem Dokument ist zum ersten Mal von den "Kapitalistenfreunden in der Partei" die Rede.
September 1965: Auf einer ZK-Konferenz plädiert Mao Zedong dafür, die Sozialistische Erziehungsbewegung auf eine neue Stufe zu heben. Er erntet dafür heftige Opposition, die eine Störung der Produktion und des Arbeitseifers der Bauern befürchtet.
Mai 1966: An der Peking-Universität erscheint die erste Wandzeitung, die verschiedene Angehörige des Lehrkörpers und der Universitätsverwaltung wegen bürgerlicher Tendenzen kritisiert.
Mai 1966: Tagung des Politbüro des ZKs der KPCh Uber die Kulturrevolution. Veröffentlichung des "Rundschreibens vom 16.Mai", das offiziell die Kulturrevolution als einen großen Kampf gegen die bürgerliche Ideologie einleitet.
August 1966: 11. Plenums des VIII. ZKs der KPCh veröffentlicht die "16 Punkte zur Kulturrevolution". Eine "Gruppe für die Kulturrevolution beim ZK" wird geschaffen, der u.a. Jiang Qing angehört.
September—Oktober 1966: Pekinger Rote Garden fahren ins ganze Land, um die Linke zu sammeln und die von den Provinzparteileitungen der KPCh betriebene Isolierung der Provinzen von den kulturrevolutionären Ereignissen in der Hauptstadt und die Isolierung der radikalen Kräfte in den Provinzen zu durchbrechen.
6. Januar 1967: Der unter Mao Ze dongs Anleitung verfaßte Appell "an das gesamte Volk von Shanghai" ruft zur Bildung der Kommune Shanghai auf. Die Rebellen bilden die Kommune Shanghai, haben aber die Shanghaier Arbeiter im wesentlichen gegen sich. Nach drei Tagen werden die Arbeiter in einer "Dringenden Bekanntmachung" zur Wiederaufnahme der Arbeit aufgerufen. Nach der Bildung von ersten Revolutionskomitees in anderen Provinzen und Städten rät Mao Zedong dazu, die Kommunestruktur aufzulösen.
Januar 1967: "Januarsturm": In allen großen Städten Chinas - Ausnahme Peking, wo die kulturrevolutionäre Linke schon länger Unterstützung hat kommt es zu wochenlangen Auseinandersetzungen um die Macht. Die Rebellen sind zum Schluß isoliert.
Januar 1967: Auf Betreiben des Militärs wird in der Provinz Shanxi das erste Revolutionskomitee gebildet als die organisatorische Form des Kompromisses zwischen den Kulturrevolutionären, Kadern und Arbeiterschaft. Nach Bekanntwerden unterstützt die Führung der KPCh die Bildung von Revolutionskomitees im ganzen Land.
Februar 1967: Der Staatsrat der VR China veröffentlicht einen "Dringenden Erlaß" gegen den Zustrom von armen Bauern, Saisonarbeitern und aufs Land geschickten Jugendlichen in die Städte.
Februar 1967: Auf zentralen Parteikonferenzen kritisieren Mitglieder des Politbüros und der Militärkommission beim ZK, darunter der jetzige Staatspräsident Li Xiannian und der frühere Marschall Ye Jianying, die Praxis der Kulturrevolution. Ihre als "Februarströmung" bekannt gewordene Position, die wahrscheinlich die Meinung vieler mittlerer und hoher Parteikader ausdrückte, findet keine Mehrheit.
Oktober 1967: "Oktoberniederlage": In verschiedenen Städten - u.a. in Kanton - unternehmen die Rebellengruppen, die nicht den Kompromiß der Revolutionskomitees unterstützen, einen weiteren Versuch, die Macht in den Städten zu übernehmen. Der Versuch scheitert. April 1969: IX. Parteitag der KPCh. Der Parteitag, der erste nach den kulturrevolutionären Ereignissen, billigt die bisherigen Beschlüsse und Ergebnisse der Kulturrevolution. Lin Biao wird zum Nachfolger Mao Zedongs erklärt.
April 1971: Nach offiziellen Berichten kommt Lin Biao, der nach der Aufdeckung seiner Putschpläne in die SU fliehen will, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.
August 1973: X. Parteitag der KPCh stellt nach wie vor die Bedeutung der Kulturrevolution heraus, zielt aber praktisch auf die Konsolidierung der Wirtschaft. Deng Xiao-ping hat inzwischen Funktionen in der Regierung übernommen und tritt wieder als ZK-Mitglied in Erscheinung.
Anfang 1974: Beginn der landesweiten "Bewegung zur Kritik an Lin Biao und Konfuzius"die soziale und ideologische Hintergründe der Affäre um Lin Biao, des Personenkults klären soll. Tatsächlich hat die Kampagne aber vielerorts eine Stoßrichtung gegen Zhou Enlai als Exponenten einer pragmatischen Konsolidierungspolitik.
1975: Deng Xiaoping übernimmt die Leitung der Tagesgeschäfte des ZK in Vertretung des schwer erkrankten Zhou Enlai. Mit Maßnahmen z.B. im Eisenbahnwesen kann er wirtschaftliche Probleme bereinigen und gewinnt so Unterstützung. Januar 1976: Tod von Ministerpräsident Zhou Enlai.
April 1976: Aus Anlaß des traditionellen chinesischen Totenfestes (Qingming) organisieren Anhänger Zhou Enlais und Deng Xiaopings in Peking mehrtägige Demonstrationen, an denen sich Millionen beteiligen. Die Aktionen richten sich gegen die Gruppe um Jiang Qing; es gibt auch Parolen gegen Mao. Die Gruppe um Jiang Qing erklärt Deng Xiaoping zum Anstifter der Aktionen; Deng verliert alle Ämter.
September 1976: Tod von Mao Zedong.
Oktober 1976: In einem von den Pekinger VBA-Einheiten gedeckten Putsch wird die Gruppe um Jiang Qing verhaftet.
Editorischer Hinweis
Der Text wurde entnommen aus:
Zentrales Komitee des Bundes Westdeutscher Kommunisten (Hrg): Dokumente zur großen proletarischen Kulturrevolurion, Köln 1986, S, 59
Covertext Im Sommer 1966 begann in der VR China die Kulturrevolution. Die Demonstrationen und Kundgebungen von Millionen Rotgardisten im Sommer und Herbst in der Hauptstadt Peking trugen dazu bei, die Mehrheit des ZK der KPCh zur Unterstützung der Kulturrevolution zu bewegen. Die Ereignisse um die Kulturrevolution, die heute von der KPCh als die "zehn finsteren Jahre" oder gar als quasi faschistische Diktatur etikettiert werden, fanden ihren Widerhall unter revolutionär gesinnten Menschen in der ganzen Welt. Schon das spricht dafür, daß den Ereignissen in China objektive Entwicklungen zugrundelagen, die sich auch anderswo - wenn auch in anderer Form — vollzogen, und daß deswegen die Diskussion und die Klärung der Entwicklungen vor und in der Kulturrevolution in China nützlich sind u.a. für die Bündnispolitik des Proletariats nicht erst nach der erfolgreichen Revolution.