Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Der 1. Mai der Rechtsextremen

05-2013

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Zum jährlichen Aufmarsch des Front National (FN) in Paris, den die rechtsextreme Partei seit 1988 „zu Ehren der Nationalheiligen Jeanne d’Arc“ an diesem Datum durchführt (vgl. unseren KASTEN dazu), kamen am 01.05.2013 insgesamt knapp 3.000 Menschen. Unsere eigenen Beobachtungen decken sich dabei weitgehend mit jenen der Pariser Polizei, die ihrerseits von rund 3.000 Teilnehmer/inne/n sprach. Ihrerseits sprachen der antifaschistische Journalist André Déchot von „höchstens 2.000“, die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde von 6.000, und die Parteiführung des Front National selbst von angeblich „15.000“ Teilnehmer/inne/n.

Die 1. Mai-Aufmärsche des FN

Alljährlich marschiert in Frankreich der rechtsextreme Front National (FN) zum 1. Mai auf. In Frankreich hatte die Idee, den internationalen Arbeiterfeiertag – den erst später Hitler und Pétain in „Tag der Arbeit“ bzw. Fête du travail umbenannten – zu besetzen und am selben Datum einen Aufmarsch im Namen der „Nationalheiligen“ Jeanne d’Arc durchzuführen, erstmals 1927 der Frühfaschist Georges Valois. Er hatte 1925 eine an den (damals regierenden) italienischen Faschismus angelehnte Partei unter dem einschlägigen Namen Le faisceau (Das Bündel) gegründet. Doch zu jener Zeit hatte die Parteigründung keinen Erfolg, und Valois geriet in Vergessenheit, bevor er später eine politische Kehrtwendung vollzog und unter der Nazi-Besatzung in der Résistance aktiv war.

Im Jahr 1981 startete der damalige Chef des französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, die Initiative, Anfang Mai jeden Jahres „zu Ehren von Jeanne d’Arc“ zu marschieren. Allerdings fand der Aufmarsch damals noch nicht am 1. Mai statt, sondern am ersten Sonntag im Mai, genau wie es unter dem Vichy-Regime der Fall war. Aber ab 1988 verlegte der Front National den Demonstrationstermin nach vorne auf den ersten Maitag. Neben dem Wunsch, den Gewerkschaften und der Linken symbolisch Konkurrenz zu machen und neben ihnen die Straße zu besetzen, spielte dabei auch der zeitliche Zusammenhang zu Wahlterminen eine Rolle. Denn sowohl 1988 als auch später in den Jahren 1995, 2002, 2007 und zuletzt 2012 fiel der erste Mail jeweils in die Zeitspanne zwischen den beiden Wahlgängen der französischen Präsidentschaftswahl. Entsprechend stark war jeweils die Aufmerksamkeit dafür, welche Wahlempfehlung der Chef, und ab 2011 dann die Chefin, des FN für die Stichwahl abgeben würde. (Mit Ausnahme des Jahres 2002, damals stand Jean-Marie Le Pen selbst in der Stichwahl.)

Durch Antifaschist/inn/en gestört wurde die 1. Mai-Kundgebung des FN zuletzt 1995. Damals rollten Mitglieder des – inzwischen in der Form nicht mehr existierenden – antifaschistischen Netzwerks RLF (Ras l’front, „Schnauze voll vom FN“) ein Riesentransparent vom Dach des Pariser Operngebäudes aus herab, direkt hinter dem Rücken von Jean-Marie Le Pen.

Sollten unsere Angaben (ungefähr) zutreffen, dann ist die Mobilisierung rückläufig. Zum Aufmarsch des Front National am 1. Mai in Paris kamen im Jahr 2011 rund 2.500, im darauffolgenden Jahr 2012 jedoch rund 5.000 Menschen. Allerdings fiel der Termin im Frühjahr 2012 auf die Zeitspanne zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl, und einen guten Monat vor den französischen Parlamentswahlen. Der Front National musste also auf eine möglichst starke Mobilisierung, durch (auch kostenlose) Reservierungsmöglichkeiten für Busfahrten auch aus weiter entfernt liegenden Regionen, achten.

Nach wie vor besteht eine starke Diskrepanz zwischen dem Stimmpotenzial des Front National bei Wahlen, seiner Mitgliederentwicklung (laut eigenen Angaben verfügt er – nach einem starken Anwachsen im letzten Jahr – über 65.000 Mitglieder, doch diese Zahlen sind stark aufgebläht), und seiner realen Mobilisierung von Aktivisten „an der Basis“. Letztere hinkt erheblich hinter dem Zuwachs von „einfachen“ Wählern und Sympathisantinnen zurück.

Nach wie vor schafft der FN es auf dieser 1. Mai-Demonstration auch nicht, die beiden auseinander strebenden Flügel seines Publikums bei Wahlen – ein eher bürgerlich-reaktionäres, auf Besitzstandswahrung bedachtes, und ein proletarisches oder deklassiertes Publikum – gleichzeitig zu vereinigen. Optisch überwog beim diesjährigen 1. Mai-Aufmarsch stark der Anteil an visuell auffälligen Sympathisanten (Kurzhaarschnitt, T-Shirts mit Aufschriften „Skinheads“ u.ä., Militärklamotten: in diesem Jahr mit Original-Oberkleidung der internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan…) und von offensichtlich deklassierten Menschen: Der circa 15 Minuten lang vor mir stehende Herr trug bspw. die schäbigste Anzugsjacke, die ich in meinem ganzen Leben sehen konnte, nicht nur extrem abgewetzt, sondern mit sage und schreibe 25 bis 30 Löchern...

Inhaltlich wurde in der diesjährigen Ansprache der Chefin wenig Neues geboten. Die Nation als Schicksalsgemeinschaft sowie „die Autorität des Staates“ soll die Menschen vor der Krise schützen, Frankreich muss wieder souverän werden (gegenüber supranationalen EU-Institutionen und durch Verriegelung der Grenzen für Einwanderung), und die Nation soll ein „Freiheitsraum“ sein gegenüber „den Totalitarismen, allen vor der mondialisme (ungefähr: Eine-Welt-Ideologie) und der Islamismus“.

Die Rednerin ließ die Namen des Linkspolitikers Jean-Luc Mélenchon – im letzten Jahr Präsidentschaftskandidatin des Bündnisses „Linksfront“, das aus der französischen KP und einer Linksabspaltung der Sozialdemokratie besteht – und der Arbeitgeberpräsidentin Laurence Parisot gleichzeitig ausbuhen. Beide nannte sie zu diesem Zweck in einem Atemzug, im selben Halbsatz. Aus dem Publikum ertönten dabei Zwischenrufe: „Mélenchon, in den GULAG!“ Kurz zuvor hatte Marine Le Pen ihre Theorie untermauert, „Linke und (bürgerliche) Rechte“ seien gleichermaßen „die beiden Stützpfeiler dieses neuen weltweiten Totalitarismus“, die beiden „Verteidiger dieses räuberischen Systems, das diese Welt der Vermarkung von allem und jedem schuf, und das die Völker knechtet“.

Verbale Attacken auf Gewerkschaften

Auch eine Breitseite gegen die „etablierten“ Gewerkschaften war in diesem Jahr wieder dabei, auch wenn sie inhaltlich ebenfalls nichts Neues darstellte, sondern bereits in Marine Le Pens 1. Mai-Ansprache von 2011 auftauchte. Am ersten Mai 2013 rief sie dieses Mal aus: „Wir sind für die Freiheit!“, deren natürlichen Rahmen allein die Nation darstelle. „Dazu gehört (…) die Freiheit, einer Gewerkschaft seiner Wahl beizutreten, und nicht nur einer Gewerkschaft, die auf einer vom System festgelegten Liste steht.“

Die darin enthaltene Behauptung, die Liste der anerkannten Gewerkschaften werde vom Establishment festgelegt, ist schlicht unzutreffend. Es stimmte halbwegs vor dem Gesetz vom 20. August 2008, das die représentativité (nach deutschen Begrifflichkeiten ungefähr: „Tariffähigkeit“) der unterschiedlichen Gewerkschaften neu regelte. Damals wurden insgesamt fünf Dachverbände – von der CGT über die CFDT bis zum christlichen Gewerkschaftsverband CFTC – auf frankreichweiter Ebene als „tariffähig“, und diese per Verordnung vom 31. März 1966 festgeschriebene „Repräsentativität“ („Tariffähigkeit“) wurde automatisch auch auf alle Einzelgewerkschaften ausgedehnt, die in einem dieser Dachverbände Mitglied waren oder ihm beitraten. Nichtsdestotrotz konnte eine keinem dieser fünf Verbände angehörende Gewerkschaft vor Gericht den Beweis ihrer „Tariffähigkeit“ erbringen, anhand einer Handvoll gesetzlicher Kriterien (Einfluss im Betrieb, „Gegnerfreiheit“ = Unabhängigkeit vom Arbeitgeber, …). Seit der gesetzlichen Neuregelung vom 20. August 2008 jedoch ist die automatische Anerkennung einer „Tariffähigkeit“ für die Mitgliedsgewerkschaften bestimmter Dachverbände abgeschafft: Alle Einzelgewerkschaften können und müsse ihre reale Verankerung im Betrieb unter Beweis stellen, dabei werden nunmehr die Wahlen zu den Personalvertretungen als eines der Kriterien herangezogen – wer weniger als 10 % der Stimmen erhält, verliert die „Tariffähigkeit“. Umgekehrt wurde es für alle Gewerkschaften erheblich erleichtert, ihre „Tariffähigkeit“ im Betrieb oder in der Branche unter Beweis zu stellen.

Aus einem bislang (halb) geschlossenen Club der „repräsentativen“ Gewerkschaften ist also inzwischen ein weitgehend offener Club, dem man beitreten und aus dem man nun auch herausfliegen kann, geworden. Dies ist ein grundsätzlicher demokratischer Fortschritt, auch wenn das Gesetz unter der Sarkozy-Regierung aus taktischen Gründen verabschiedet wurde (um die beiden wichtigsten Dachverbände, CGT und CFDT, zu begünstigen und umgekehrt ihr Stillhalten bei der Krisenbewältigungspolitik zu erwirken). Den Front National stört allerdings, dass er selbst in den Gewerkschaften nur eine sehr geringe Verankerung aufweist. Auch wenn an den Rändern der Gewerkschaften rechte „Versuchungen“ existieren: Eine lokale Einzelgewerkschaft im lothringischen Nilvange solidarisierte sich im Jahr 2011 mit ihrem Mitglied Fabien Engelmann, als dieser zu den Bezirksparlamentswahlen vom 20. und 27. März 11 als Kandidat des Front National antrat. Die Einzelgewerkschaft mit knapp dreißig Mitgliedern wurde daraufhin aus dem Dachverband CGT ausgeschlossen. Doch die Versuchung unter einzelnen Gewerkschaftsmitgliedern, aus irgend einem pervertierten „sozialen Protestmotiv“ heraus rechtsextrem zu stimmen, dürfte mancherorts bestehen bleiben. Eine wichtige Herausforderung und Aufgabe für die Gewerkschaften besteht darin, ihr entgegen zu wirken.

Ansonsten attackierte Marine Le Pen die französischen Gewerkschaften noch in einer anderen Passage ihrer Rede. Dort behauptete sie, die CGT (der noch immer stärkste französische Gewerkschaftsdachverband, „postkommunistisch“) und der Arbeitgeberverband MEDEF zögen beide an einem Strang, als zwei Stützpfeiler des Systems. Konkret führte sie dazu ferner aus: „Die CGT und der MEDEF, ein weiteres Mal vereint, opfern die Arbeitenden auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit – mit der Flexibilität, opfern die Rentner zugunsten der Haushaltskonsolidierung, und die französischen Arbeiter zugunsten der Immigration.“ Solche Vorwürfe an die Adresse der CGT sind in der Sache reichlich unsinnig, da die CGT just die so genannte „Vereinbarung der Sozialpartner zur Arbeitsmarktpolitik“ vom 11. Januar 13 – welche eine gehörige Portion „Flexibilität“ einführt, und u.a. den Betrieben in „Krisenzeiten“ ein Abweichen gegenüber den kollektivvertraglichen Löhnen nach unten hin erlaubt – eben nicht unterschrieben hat. Im Gegenteil hat die CGT sich diesem „Abkommen“ vom 11. Januar 13, das durch drei halb-gelbe Gewerkschaftsverbände (allen voran die rechtssozialdemokratisch geführte CFDT) unterzeichnet worden ist, deutlich widersetzt. Über ihre Entschlossenheit mag man vielleicht diskutieren, aber die CGT hat seit Februar d.J. massenhaft Kampagenmaterial gegen dieses „Abkommen“ drucken und verteilen lassen, und am 05. März sowie am 09. April 13 auch auf den Straßen dagegen mobilisiert. Ein angebliches Bündnis zwischen dem stärksten Gewerkschaftsverband und dem Kapitalistenverband Medef, wie Marine Le Pen es suggeriert, um die extreme Rechte als eine Art „einzige Alternative zu diesen Säulen des Systems“ erscheinen zu lassen, ist deswegen schlicht imaginär. Um es pointierter auszudrücken: Es handelt sich schlicht um eine Lüge.

Gewalttätige rechtsextreme Attacken

Im Raum Reims fand am ersten Mai dieses Jahres einerseits die frankreichweite Kleckerkundgebung von drei halbgelben Gewerkschaftsverbänden (CFDT – rechtssozialdemokratisch, UNSA – „unpolitisch“ und „moderat“, CFTC – Christenheinis) statt. Vgl. dazu den nebenstehenden Artikel zum gewerkschaftlichen 1. Mai in Frankreich.

Parallel zu ihr fand, andererseits, eine Demonstration von nicht-gelben Gewerkschafter/inne/n im Stadtzentrum von Reims statt. Dazu kamen lt. Regionalpresse rund 350 Menschen, besonders von der CGT, der Bildungsgewerkschaft FSU, sowie einige Menschen von der „Linksfront“ (reformistische Linke, Zusammenschluss aus französischer KP und einer Abspaltung der Sozialdemokratie“) und der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (radikale Linke). Dieser 1. Mai-Zug hatte einen rein regionalen Charakter, und die Beteiligung an ihm fiel in diesem Jahr – die derzeitigen Schulferien und die allgemeine soziale Depression mögen die Hauptgründe sein – außergewöhnlich schwach aus.

Gegen 10 Uhr früh stieß der gewerkschaftliche Demonstrationszug auf ein Dutzend neofaschistischer Aktivisten, die in der Nähe einer Statue des früheren Königs Ludwig XV. verweilten, wo sie ihrerseits eine Kundgebung (im Geiste der ewigen Konterrevolution) abhalten wollten. Beim Aufeinandertreffen der beiden, ungleich großen, Gruppen kam es sofort zu Aggressivität. Zwischen einem der gewerkschaftlichen Demonstranten und einem Faschisten kam es zu einer Prügelei, während ein anderer eine Fahnenstange als Schlaginstrument benutzen wollte. Die Faschisten riefen „Reims den Reimsern!“, während die Gewerkschafter/innen die Internationale anstimmten – welche wiederum der Anführer des rechtsextremen Häufleins, Thierry Maillard, aus Provokation mit ihnen absang. (Sic)

Thierry Maillard tritt in Reims seit mindestens 1990 aktiv in Erscheinung. Er war wiederholt Parlamentskandidat für die rechtsextreme Wahlpartei Front National (FN), ist jedoch zugleich der Aktivist offen gewaltbereiter neofaschistischer Grüppchen. 1999 nahm er an der Gründung einer Abspaltung vom Front National unter Bruno Mégret teil, dem damaligen FN-Mouvement national und späteren MNR; dabei gab folgende Erklärung ab: „OK für die innerparteiliche Demokratie, aber nicht für die Demokratie außerhalb der Partei, mit Urnen undsoweiter!“ (Vgl. http://www.antifaschistische-nachrichten.de/1999/03/014.shtml ) Später kehrte er zur „Mutterpartei“, dem FN, zurück, und trat bei ihrer 1. Mai-Kundgebung 2010 in Paris mit Fallschirmjägermützen, Vollkörper-Lederschutz und Schlägerhandschuhen auf (vgl. http://droites-extremes.blog.lemonde.fr/). Thierry Maillard ist vor Ort in Reims im Vereinsregister als Gründer einer „Gruppe revolutionärer Nationalisten“ (GNR) eingetragen, unter deren Fahne auch das Faschistengrüppchen am diesjährigen 1. Mai auftrat.

Die Polizei trennte die Kontrahenten daraufhin rasch, wie die örtliche Presse erzählt (vgl. http://www.lunion.presse.fr/ ). Örtliche Antifaschist/inn/en dagegen berichteten uns, ein entschlossener Teil des – zahlenmäßig weitaus stärkeren – Gewerkschaftszugs habe daraufhin das Grüppchen von aufgeheizten Faschisten zu umzingeln begonnen. Jedoch habe die örtliche CGT daraufhin entschieden, den Demonstrationszug glatt an der Stelle zu beenden, also um ein Drittel abzukürzen (offiziell „aufgrund der schwachen Mobilisierung“), umzudrehen und die Reden vor dem Gewerkschaftshaus von Reims statt an der ursprünglich vorgesehenen Stelle zu halten.

Einige Fotos von dem Ereignis können on-line besichtigt werden; vgl. https://www.box.com/

Inzwischen hat auch die antifaschistische Gewerkschafter/innen/initiative VISA (für Vigilance et Initiatives Syndicales Antifascistes) ausführlicher darüber berichtet, vgl. http://www.visa-isa.org/node/18772

Andere Aggressionen

Anderswo in Frankreich kam es ebenfalls zu Aggressionen. In Grenoble versuchte eine offenkundig homophobe Gruppe, die sich auf „maskulinistische“ Forderungen und die Ideale der „Väterrechtsbewegung“ berief, gewaltsam in den Frauenblock der 1. Mai-Demonstration und in den der Union syndicale Solidaires einzudringen. Mutmaßlich, um ein weiteres Mal ihrer Opposition gegen das Frisch verabschiedete Gesetz zur Homosexuellen-Ehe Ausdruck zu verleihen. Nachdem dies den Teilnehmern an dem Versuch verweigert worden war, wurden sie gewalttätig. Mehrere Demonstrant/inne/n und gewerkschaftliche Verantwortliche wurden mit Schlägen traktiert; ein Mitglied der anarcho-syndikalistischen CNT musste daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert werden.

In Paris hatte am Vormittag gegen 10 Uhr, ungefähr zeitgleich zum Beginn der jährlichen Demonstration des Front National (FN) – über welche Labournet bereits berichtete -, eine radikale Antifagruppe in deren Sichtweite zu einer Protestkundgebung aufgerufen. Unter dem Motto „Ihnen nicht die Straße überlassen“ versuchten sie sich dem FN symbolisch zu widersetzen. Man mag dies – unter uns – für taktisch ungeschickt erhalten, zumal nur (je nach Angaben) zwischen 50 und 150 Menschen dazu erschienen. Die Kundgebung war über Facebook und anderswo öffentlich angekündigt worden. Binnen kürzerster Zeit wurde sie durch rund dreißig vermummte Rechtsradikale überfallen; lt. beteiligten Antifaschisten handelte es sich um Hooligans des Pariser Fußballclubs PSG und um Anhänger der neonazistischen Jeunesses nationalistes (FN), die im Oktober 2011 als Abspaltung vom „schlappen“ Front National entstanden. Es kam zu drei Runden Schlagabtausch, in der Folge musste ein Antifaschist ins Krankenhaus eingeliefert und fünffach genäht werden. Wenig später tauchte die Polizei auf.

Die Antifaschist/inn/en nahmen kurz darauf an der „klassischen“ Anti-FN-Kundgebung auf dem Pont du Carrousel statt, zu der mehrere Hundert Menschen erschienen. Jährlich seit 1996 wird auf dieser Seinebrücke dem Tod von Brahim Bouarram gedacht, der am 1. Mai 1995 an genau der Stelle ertränkt worden waren – durch Neonazis. Diese liefen beim jährlichen Zug des Front National (FN) mit, gehörten allerdings nicht der Partei selbst an, sondern der offen faschistischen Splittergruppe Oeuvre française (ungefähr: „Französisches Werk“). Allerdings waren sie zu dem Zweck mit einem Bus, den der FN für die Anreise seiner Aktivisten und Sympathisanten zur Verfügung gestellt hatte, aus Reims angereist. (Schon wieder Reims! L’Oeuvre française ist übrigens dieselbe Gruppe, welcher früher der oben erwähnte Thierry Maillard aus Reims als führender Kader angehörte – und L’Oeuvre française ist heute ebenfalls die „Erwachsenen“organisation der erwähnten Jeunesses Nationalistes.) Die Mörder von Brahim Bouarram wurden 1999 verurteilt. – Die Kundgebung auf dem Pont du Carrousel, zu der jährlich mehrere antirassistische Organisationen aufrufen, blieb wie immer friedlich. Allerdings wurde ein faschistischer und Verschwörungstheorien liebender Blogger überrascht, nachdem er zahlreiche Menschen auf der Brücke „interviewt“ und fotografiert hatte. Antifaschisten versuchten, ihm zum Löschen seiner Fotos zu zwingen, bevor die Polizei eingriff – die dies zwar verhinderte, den faschistischen Provokateur jedoch einer peniblen Kontrolle unterzog.

Kurz darauf begann auf dem Vorplatz der Pariser Oper die jährliche 1.Mai-Kundgebung des Front National unter Marine Le Pen (siehe oben). Dazu muss noch erwähnt werden, dass im unmittelbaren Umfeld dieser Kundgebung kleine Flyer/Aufkleber verurteilt wurden, die den Namen und die persönliche Adresse des Journalisten Abel Mestre enthielten. Er arbeitet für die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde als Spezialist für die extreme Rechte, und konnte dies nur als Drohung auffassen. Die Zeitung hat am Nachmittag des 02.05.13 Strafanzeige deswegen erstattet.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.