Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Ein gespaltener 1. Mai
Regierungsfreundliche und –kritische Gewerkschaften demonstrieren getrennt

05-2013

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Doch so viele“: 300 Teilnehmer/innen sind lt. der französischen Nachrichtenagentur AFP gekommen; wenn es hoch kommt, denn eine regionale Quelle vor Ort spricht ihrerseits von „höchstens 200“. Ganze 200 bis 300 Teilnehmer/innen also, für gleich drei Gewerkschaftsdachverbände. So sieht die wirklich mega-glänzende Bilanz des rechtssozialdemokratischen Gewerkschaftsdachverbands CFDT aus.

Die CFDT hatte im Vorfeld des diesjährigen 1. Mai entschieden, zusammen mit zwei kleineren Verbänden - der „unpolitischen“ doch „moderaten“ UNSA und dem christlichen Gewerkschaftsbund CFTC -, doch getrennt von den übrigen Gewerkschaftsverbänden eine eigene „zentrale“ 1.Mai-Kundgebung in der Nähe von Reims abzuhalten. Ursprünglich sollte die fette Sause in der Stadt Reims selbst steigen, doch aufgrund der Schwierigkeiten, einen geeigneten Saal zu finden, wich man letztendlich in das Kaff Cormontreuil aus – warum ausgerechnet dort?, irgend ein Acker hätte es auch getan. Diese Kundgebung hatte, im Gegensatz zu den übrigen Gewerkschaftsdemonstrationen vom 01.05. dieses Jahres, einen ausgeprägten Pro-Regierungs-Charakter. Ganze 300 Leute kamen zu der Kundgebung, die als frankreichweit galt, vgl. http://www.lefigaro.fr/

Einige Berichte aus der regionalen Presse zu dem Mini-Ereignis finden sich bspw. hier:

Noch erwähnt werden muss, dass lt. örtlichen Kollegen drei Personen, die bei der Kundgebung der CFDT-UNSA-CFTC-Arschlöcher eine Spendensammlung für streikende Kollegen bei PSA Sochaux durchführten wollten, vom Ordnerdienst brutal hinausgeworfen wurden.

Etwas besser, allerdings nicht eben glänzend, sah es für die mehr oder minder kämpferischen Gewerkschaften aus. In ganz Frankreich demonstrierten bei den Zügen der nicht-gelben Gewerkschaften lt. polizeilichen Zahlen/Angaben des französischen Innenministeriums 97.000 Personen mit, und laut Zahlen der CGT 160.000; vgl. http://www.lefigaro.fr/ . Immerhin nicht so lächerlich wie bei den inzwischen halb-gelben Verbänden CFDT und UNSA: Die kleinen Idioten bestraft der liebe Gott sofort…

In Paris demonstrierten am Nachmittag des 1. Mai 2013 laut unseren Beobachtungen zwischen 20.000 und 25.000 Menschen (polizeiliche Angaben: 16.000) von der Place de la Bastille zur Place de la Nation. Dazu riefen die CGT, die Union syndicale Solidaires – Zusammenschluss u.a. der linken Basisgewerkschaften SUD – und die Bildungsgewerkschaft FSU auf. Das Gros der Marschierenden stellte (wie bei vergleichbaren Demonstrationen üblich) die CGT, gefolgt von einem nicht so riesigen, aber optisch sehr beeindruckenden Block der Union syndicale Solidaires. Auch mehrere Blöcke von ,travailleurs sans papiers‘ – eingewanderten Arbeiter/inne/n ohne Aufenthaltstitel -, der Studierendengewerkschaft UNEF, ein Solidaritätsblock zu Tunesien (mit traditioneller Musik auf der Ladefläche eines Lastwagens) und die üblichen türkischen, kurdischen und tamilischen Organisationen nahmen teil. Eindrucksvoll, da lautstark, war nicht zuletzt auch der Block der Beschäftigten des Automobilkonzerns PSA, der aktuell den Standort Aulnay-sous-Bois in der Nähe von Paris komplett dichtmachen möchte. Von ihm hängen 2.800 Arbeitsplätze direkt, und 8.000 indirekt ab.

Trotz zeitweiligen strömenden Regens war die Stimmung insgesamt nicht so gedrückt, wie man es aufgrund der allgemeinen Atmosphäre im Lande hätte erwarten können. Diese ist von einer tiefen Spaltung, Desorientierung, Ausweglosigkeit und Frustration erheblicher Teile der Linken und der Arbeiterbewegung geprägt. Ob sie nun von vornherein nichts Positives von der Bilanz aus demnächst einem Jahr sozialdemokratischer Regierungspolitik (am 06. Mai 2012 wurde François Hollande zum Staatspräsidenten gewählt) erhofften, oder aber von ihr enttäuscht sind – beide Lager sind sich aufgrund ihrer ursprünglichen unterschiedlichen Erwartungen an die (hümmm, hümmm) „Links“regierung untereinander nicht grün, und beide stehen gleichermaßen vor der Wand. Eine Umfrage, die am 29. April 13 publik wurde, enthielt folgende Ergebnisse: Falls an diesem Sonntag Präsidentschaftswahlen (im ersten Durchlauf) stattfänden, dann würde der vor heute 361 Tagen – aus guten Gründen - abgewählte Nicolas Sarkozy mit 34 Prozent der abgegebenen Stimmen triomphieren. Die Rechtsextreme Marine Le Pen erhielte stattliche 23 %, und François Hollande würde mit 19 % deutlich abgeschlagen auf dem dritten Platz landen.

Die aktuelle „Tonlosigkeit“ der sozialen Kämpfe und Bewegungen im Land widerspiegelt sich, trotz insgesamt eher erfreulicher Stimmung, auf den 1. Mai-Demonstrationen in der weitgehenden Abwesenheit konkreter Forderungen, neben allgemeinen Slogans (für „neue Rechte“ der Lohnabhängigen, besser Löhne, Verteidigung der Renten“). Gegenüber den letzten beiden Jahren stellt dies eine Kontinuität dar. Allerdings waren doch erfreulich kämpferische Töne zu verzeichnen, in allgemeiner Form („Es liegt nicht an den Lohnabhängigen, die Krise zu bezahlen“), aber auch in konkreter Form in Gestalt von mehreren Fronttransparenten in Demonstrationsblöcken, die sich gegen das aktuell in erster Lesung verabschiedete „Gesetz zur Beschäftigungssicherung“ (Loi de sécurisation de l’emploi) richteten. Es basiert auf dem, nun ja, „sozialpartnerschaftlichen“ Abkommen vom 11. Januar 13, das neben den Arbeitgeberverbänden maßgeblich durch die CFDT unterzeichnet wurde.

Das so genannte „ANI“ (Accord national interprofessionnel für „branchenübergreifendes frankreichweites Abkommen“, ausgesprochen gerne wie âne = „Esel“ oder auch ironisch wie ami = Freund: „Un ANI qui veut du mal“, ungefähr: „Ein Freund/ANI, der Ihnen Übles will“) vom 11. Januar 13 war auch Gegenstand mehrerer kritischer Plakate. Unter anderem hatte die CGT des Pariser Raums ein Plakat kleben lassen, auf dem das „Abkommen MEDEF zur Beschäftigungspolitik“ kritisiert wurde. Ursprünglich stand da zweifellos „Abkommen MEDEF-CFDT“, denn ein einzelner Akteur (wie der Arbeitgeberverband MEDEF) kann nicht allein mit sich selbst eine Vereinbarung eingehen. In linken gewerkschaftlichen Kreisen wird das Abkommen vom 11. Januar 13 oft als „das Abkommen Medef-CFDT“ gegeißelt. Offensichtlich hatte aber die zentrale CGT-Leitung eingegriffen, und den kritischen Hinweis auf die rechtssozialdemokratische CFDT von den Plakaten entfernen lassen. Auf anderen Plakaten, ebenfalls von der CGT, wurde die Kritik am „ANI“ vom 11. Januar durch das Statement ergänzt: „Die Flexibilität der Arbeit – ist die Sicherheit des Kapitals! Das MEDEF-Abkommen darf nicht zum Gesetz werden“. Genau dafür sorgt allerdings die sozialdemokratisch-grüne Parlamentsmehrheit, die bereits in erster Lesung den entsprechenden Gesetzentwurf annahm…

Mutmaßlich machte die CFDT-Führung sich in die Hose, dass sie im Falle ihrer Teilnahme an den „allgemeinen“, organisationsübergreifenden 1.Mai-Demos heftige Kritik einstecken müsste. Deswegen ihr Ausweichen auf den Ersatztermin am Arsch der W…, ähm, in der Nähe von Reims. (Gut, immerhin wurden dort, in Reims, einstmals die französischen Könige gekrönt. Doch ob das ein triftiger Grund für die Ortswahl sein konnte?)

Anlässlich des Gewerkschaftskongresses der CGT in der letzten Märzwoche in Toulouse, wo der neue Generalsekretär Thierry Lepaon offiziell die Amtsgeschäfte vom Vorgänger Bernard Thibault übernahm (und eine lahme, einschläfernde Rede hielt), war die CGT-Führung mit ziemlicher Mühe darauf besorgt, keine allzu laute und heftige Kritik an der CFDT aufkommen zu lassen. In einigen rest-stalinistischen Überbleibseln innerhalb der CGT wird nur gar zu gerne jede Gelegenheit aufgegriffen, um mit Dreck auf die unliebsame Konkurrenz zu werfen – aber anders, als die Leitung suggerieren möchten, beschränkt sich die heftige Kritik an der rechtssozialdemokratischen CFDT und ihrem Kurs heute längst nicht mehr auf solche Reflexe von eher „Gestrigen“. Die CFDT unter ihrem seit dem 28. November 12 amtierenden, neuen Generalsekretär Laurent Berger war mit einer Delegation beim CGT-Kongress in Toulouse vertreten (ähnlich wie die regierende „Sozialistische“ Partei PS), aber durfte in diesem Jahr kein Grußwort halten. Bei ihrer Erwähnung wurden die Delegationen von CFDT und PS von den Delegierten im Saal ausgepfiffen, vgl. http://www.lemonde.fr/ Da konnte der neue Generalsekretär Lepaon es auch nicht völlig herausretten, indem er am Mikrophon betonte, nein, es gebe „keine Scheidung mit der CFDT“ (mit welcher die CGT seit ihrem Kongress im Februar 1999, der den Eintritt der CGT in den Europäischen Gewerkschaftsbund besiegelte, oft im Doppelpack auftrat).

Zuvor waren bei den Demonstrationen gegen das „Abkommen“/ANI am 05. März 13 in Nordfrankreich von CGT-Demonstranten einzelne Flaggen des konkurrierenden Verbands CFDT angezündet worden, auch wenn die Leitung ihres Dachverbands sich davon distanziert hat.

Post scriptum: Die wohl interessanteste 1. Mai-Kundgebung fand im lothringischen Florange statt, wo in der vorausgegangenen Woche der Hochofen in dem umkämpften (und trotz schwarzer Zahlen vom Mittal-Konzern dichtgemachten) Stahlwerk definitiv abgeschaltet wurde. Von anderen bedrohten oder plattgemachten „Standorten“, wie Goodyear in Amiens – wo seit 60 Monaten gegen Zumutungen der Kapitalseite und ein drohendes Dichtmachen gekämpft wird – oder bei Fralib in Marseille, inzwischen seit über 950 Tagen im Kampf für die Übernahme des (vom Lipton-Konzern geschlossenen) Werks durch eine Arbeiterkooperative, und anderswo kamen Delegationen dorthin.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.