Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Von Überraschung zu Überraschung

05-2013

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Rückblick auf April: Ein politisches Erdbeben erfolgte nach dem Geständnis des Ex-Haushaltsministers, „nun doch“ ein illegales Konto in der Schweiz besessen zu haben. Die Neofaschisten könnten profitieren – doch sind ihre eigenen Leute tief verwickelt. Das Konto für den Ex-Minister eröffnete ein rechtsextremer Steueranwalt. Und auch Jean-Marie Le Pen hatte ein Konto in der Schweiz offen... Dennoch droht nun die gesamte politische Landschaft in einem rechten Moraldiskurs ertränkt zu werden...

Der Bock, der da zum Gärtner ernannt worden war, war wirklich (und im buchstäblichen Sinne) kapital. Seit dem Jahreswechsel 2012/13 bestand ein Verdacht gegen den damaligen Haushaltsminister Jérôme Cahuzac. Der sozialdemokratische Politiker solle ein in Frankreich nicht angegebenes und folglich nicht versteuertes Konto in der Schweiz besessen haben, welches inzwischen nach Singapur transferiert worden sei, erfuhr die Öffentlichkeit damals. Ein Haushaltsminister in Frankreich ist ein dem Wirtschafts- und Finanzminister beigeordneter zweiter Minister, mit Zuständigkeit für die Ausarbeitung von Steuergesetzen und Staatshaushalten sowie für die Bekämpfung von, ähm, nun ja, Steuerflucht.


Der als Gärtner amtierende Bock leugnete die Sache über die Monate hinweg. Und log dabei allem Anschein nach beharrlich auch seine Vorgesetzten, Staatspräsident François Hollande und Premierminister Jean-Marc Ayrault, an – die ihn wohl als Minister gefeuert hätte, wenn er ihnen reinen Wein eingeschenkt hatte. Als es dann nun wirklich überhaupt gar nicht mehr ging (weil Cahuzac zu der Überzeugung gekommen war, die Ermittlungsbehörden seien ihm unvermeidlich auf den Schlichen), packte er dann doch noch aus. Am Spätnachmittag des Dienstag, 02. April lief sein Geständnis über die Nachrichtenticker: Ja, doch, das Konto gab es wirklich. Tatsächlich verfügte er erst über ein „steuerflüchtiges“ Bankkonto in der Schweiz und danach in Singapur. 600.000 Euro befänden sich darauf. Prompt wurde sofort ein Strafverfahren wegen „Hehlerei bei Steuerhinterziehung“ gegen ihn eingeleitet; dies ist der einzige Straftatbestand, unter dem er noch angeklagt werden kann, denn der Rest ist verjährt. Eine schweizerische Zeitung berichtete unterdessen am 07. April, in Wirklichkeit sei es aber nicht nur eine gute halbe Million, sondern 15 Millionen, die illegal (da an der Steuer vorbei) ins Ausland transferiert worden seien.
 

Ein unerträglich eitler Sack
 

Ursprünglich war es Cahuzacs Metier, Glatzen zu bepflanzen. Seine Haarklinik auf den Champs-Elysées hatte den Ruf, so formulierte es die linksliberale Tageszeitung Libération einmal, „eine Fabrik zum Gelddrucken“ gewesen zu sein. Ihr Eigentümer Jérôme Cahuzac soll Kunden – kahl werdende Großunternehmer und andere Schwerreiche – des Öfteren geraten haben, ihn lieber in bar zu bezahlen, statt per Scheck oder Überweisung. Es hinterlässt keine Spuren. Der einen Seite wird es so erlaubt, Schwarzgeld loszuwerden, und der anderen, sich am Fiskus vorbei zu bereichern.

Cahuzac war als eitle Figur, selbstverliebt und dem Geld verfallen, bekannt. Ganz früher hatte er sich einmal auf Herzchirurgie spezialisiert. Doch Herzkranken durch eine Operation zu helfen, war ihm nicht gut genug: Er gründete in den neunziger Jahren zusammen mit seiner Ehefrau eine Spezialklinik, um sich um die Luxusprobleme von Begüterten zu kümmern. Später ging er in die Politik. Die französische Sozialdemokratie erlaubte ihm eine steile Karriere, wobei die Partei heute den Verdacht nicht los wird, ihm umso mehr Aufstiegschancen verschafft zu haben, als Cahuzac in illegale Methoden der Parteienfinanzierung verwickelt gewesen sei. Ein erstes Verfahren wegen Steuerhinterziehung gegen ihn wurde 1992 eröffnet, und verlief im Sande.

Jérôme Cahuzac zählte zum betont wirtschaftsliberalen Flügel der Partei und zu jenem Kreis, der 2011 eine Kandidatur des damaligen IWF-Direktors Dominique Strauss-Kahn zur französischen Präsidentschaftswahl vorbereitete. Beide Herren, „DSK“ und Cahuzac, ließen ihr jeweiliges Image durch dieselbe Beraterfirma ausarbeiten, die Werbe- und Kommunikationsagentur „Euro RCSG“. Nachdem sein Wahlfavorit aus, nun ja, bekannten Gründen vorzeitig aus dem Rennen ausschied, wurde Cahuzac dann durch den schließlich gewählten Kandidaten François Hollande zum Haushaltsminister ernannt.

Auf diesem Posten saß Cahuzac wie der sprichwörtliche Bock, der zum Gärtner ernannt wurde. Manche in seiner Partei, deren Vorsitzender Harlem Désir ihm in der ersten Aprilwoche den Ausschluss auskündigte, bereuen es heute bitter. Seit Dezember 2012 bereits hielt sich hartnäckig das Gerücht, der Minister habe illegale, da an der Steuer vorbei aufgefüllte Konten im Ausland besessen: erst in der Schweiz, später dann in Singapur. Die linke Onlinezeitung Médiapart veröffentlichte erstmals am 04. Dezember 12 eine Audiodatei, die den Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Cahuzac und einem Anrufbeantworter enthält: Der ausgebildete Chirurg und Politiker hatte damals aus Versehen der falschen Person eine Nachricht hinterlassen, in welcher er sich darüber beklagte, dass sein Geld in der Schweiz nicht sicher genug versteckt sei. Jérôme Cahuzac leugnete jedoch, obwohl seine Dementis mitunter merkwürdig klangen. Er behauptete etwa, die Aufnahme stamme nicht von ihm, räumte jedoch ein, „vier oder fünf Sekunden lang“ könne es sich durchaus um seine eigene Stimme handeln.

Anfang April d.J. legte Cahuzac dann doch noch ein Geständnis ab, nachdem er zu der Erkenntnis gelangt war, dass es nicht mehr anders gehe, weil die Ermittler ihm unvermeidlich auf die Schliche gekommen seien. Die Enthüllungszeitung Le Canard enchaîné schickte sich an, am Mittwoch neue Details über die Affäre zu veröffentlichen, und am Vortag zirkulierten bereits Vorabinformationen dazu in den Zeitungsredaktionen. Da trat der Minister, der am 21. März auf Druck von Staatspräsident François Hollande hin zurückgetreten war – weil ein Ermittlungsverfahren dazu eingeleitet worden war -, aber sein baldiges Comeback angekündigt hatte, am Dienstag Abend vor die Kameras und räumte den Besitz des Kontos doch noch ein. Offenkundig konnte er wirklich nicht mehr anders, weil die strafrechtlichen Ermittlungen die Aufnahme mittels eines Stimmenerkennungsprogrammes ausgewertet hatten und zum Ergebnis gekommen waren, die Aufnahme sei hundertprozentig authentisch.

Cahuzac räumte dabei ein, 600.000 Euro am Fiskus vorbei ins Ausland geschafft zu haben. Am Sonntag behauptete ein Schweizer Fernsehsender nun jedoch, in Wirklichkeit seien die transferierten Summen viel höher, und sprach von fünfzehn Millionen Euro. Andere Fragen werden im Medienzirkus, in dessen Mittelpunkt der gestrauchelte Minister eine Woche lang stand, unterdessen nicht so laut aufgeworfen. Etwa, warum der Mann überhaupt an so viel unversteuertes Geld kam: Es muss ja neben seinen offiziellen Einkünften, um deren Versteuerung er nicht herum kam, geflossen sein. Es handelt sich in Wirklichkeit – neben Barzahlungen für bestimmte Operationen - um Geldmittel, die Jérôme Cahuzac für seine Tätigkeit als Lobbyist für mehrere Pharmakonzerne illegal einstreichen konnte. Sicherlich wohl kaum zum Nutzen der Patientinnen und Patienten...

Politische Auswirkungen

Seit den Enthüllungen über Cahuzacs Konten hält ein mittleres politisches Erdbeben in Frankreich. Der „Vertrauensverlust in die Politik“, wie die Medien entpolitisierend formulieren, gilt als immens. Er ist aber natürlich umso höher, als inhaltlich bei der bisherigen Politik des mit dem Versprechen auf „Veränderung“ angetretenen Sozialdemokraten François Hollande bislang für die lohnabhängige Bevölkerung schlichtweg überhaupt nichts Gutes herauskam. Die Cahuzac-Affäre ist dabei nur der Katalysator oder Kristallisationspunkt, an welchem sich das Unbehagen nun festmacht. François Hollande purzelte auf einen neuen Tiefswert von 27 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen, die ihm noch „vertrauen“. Nach nur zehn Monaten im Amt ist das ein Rekord in der jüngeren Geschichte.

Eine der erheblichen Befürchtungen, die in breiten Kreisen mit diesen politischen Entwicklungen einhergehen, ist jedoch, dass die extreme Rechte von diesem politischen Klima massiv profitieren könnte. In Großwetterlagen wie diese nutzt ein allgemeiner Ekel gegenüber Allem, was nach „Berufspolitikern“ aussieht, selten den Linken – denn auch diese stehen gegenüber einem Teil der Bevölkerung unter dem selben Erklärungszwang wie alle anderen andere politischen Kräfte, darüber, warum es überhaupt etwas bringen soll, sich zu engagieren. Die extreme Rechte in Gestalt des Front National hatte es zu Anfang der 1990er geschafft, solche Stimmungen kongenial in einem Slogan zu konzentrieren, den Jean-Marie Le Pen damals auf seine Wahlplakate stellte: Tous pourris! Also ungefähr: „Alle verkommen“.

Überraschend wurde die Sache nun aber doch noch interessant, statt einfach nur eklig. Denn weitere Enthüllungen ab dem 04. April 12 ergaben, dass das nämliche Konto in der Schweiz im Jahr 1992 für Cahuzac durch einen rechtsextremen Steueranwalt eröffnet wurde, welcher zum engeren Beraterkreis um Marine Le Pen zählt. Es handelt sich um Philippe Péninque, ein ehemaliges führendes Mitglied der rechtsradikalen studentischen Schlägertruppe GUD (Groupe Union Défense); vgl. http://www.lemonde.fr/ und http://www.lemonde.fr/politique/

Die Verbindungen zwischen Marine Le Pen und Philippe Péninque waren seit längerem bekannt (u.a. durch die Bücher, die ihr gewidmet worden waren, etwa von Caroline Monnot und Abel Mestre); nicht jedoch die Verbindungen zwischen den Clan der früheren GUD-Mitglieder und Jérôme Cahuzac, die offenbar seit den gemeinsamen Studienzeiten und gemeinsamen Feten anhielten. Für den abgehalfterten sozialdemokratischen Politiker wirft dies noch einmal zusätzliche, völlig neue Fragen auf. Die Chefin des Front National bekommt dadurch jedoch ihrerseits ebenfalls neuartige Probleme. Zunächst versuchte sie, diesen durch Scherze (über ihr angebliches „Exil in den Ardennen“) auszuweichen – und ging zugleich in die Offensive, indem sie in Anbetracht des Skandals gleich lautstark die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen forderte.

Kurz darauf wurde im Übrigen auch noch bekannt, dass der werte Herr Papa – und Gründervater der rechtsextremen Partei -, Jean-Marie Le Pen, seinerseits ab 1981 und für einige Jahre ein Konto in der Schweiz bei der UBS besessen hatte. Dieses war in seinem Namen durch einen seiner früheren Beratern Jean-Pierre Mouchard, eröffnet worden. Jean-Marie Le Pen seinerseits behauptet, dies alles sei „legal“ und mit Wissen der französischen Behörden (was für uns kaum überprüfbar ist) erfolgt; er habe lediglich deswegen auf eine eidgenössische Bank zurückgegriffen, weil er in Frankreich damals nur schwer habe Kredit bekommen können. Nichtsdestotrotz hat diese Angelegenheit die extreme Rechte aufgescheucht und erheblich verstört, zumal die finanziellen Aktivitäten des besagten Jean-Pierre Mouchard sich auch auf Gibraltar und mehrere „Steuerparadiese“ erstrecken – und ungefähr dem entsprechen, was die extreme Rechte sonst bei Anderen als „unmoralische“, vaterlandslose Geldverschieberei kritisiert... (Vgl. dazu http://www.lefigaro.fr/und http://www.liberation.fr sowie http://www.sudouest.fr ) Auch wenn es inzwischen wieder weitgehend still um diese Affäre geworden ist...

Ob die Verwicklung von führenden Protagonisten der extremen Rechten in den Finanzskandal allerdings ihrem aktuellen, starken Aufschwung Abbruch tut, oder aber nur (uns) eine kleine mediale Atempause zu verschaffen vermag, steht auf einem anderen Blatt. Hauptnutznießerin eines TOUS POURRIS-Klimas ist und bleibt in aller Regel die extreme Rechte. Durch deren starke Mobilisierung im Zusammenhang mit den teilweise riesigen Demonstrationen gegen die derzeit in Einführung befindliche Homosexuellen-Ehe (Hunderttausende gingen am 17. November 12, am 13. Januar 13 und abermals am 24. März dieses Jahres dagegen auf die Straße) weist sie derzeit unzweifelhaften Rückenwind auf – vgl. dazu nebenstehenden Artikel...

Unterdessen gingen der Reigen der Enthüllungen, aber auch der Gerüchte im April noch munter weiter. Am 08. April 13 verkündete etwa Libération, auch Außenminister Laurent Fabius habe ein illegales Konto in der Schweiz, was dieser sofort dementiert hat. Allerdings – LETZTE MELDUNG – wurde unterdessen am 30. April 13 bekannt, dass sein Sohn Thomas Fabius, der bei den Steuerbehörden als Geringverdiener angegeben ist, jüngst eine Wohnung für sieben Millionen Euro käuflich erworben hat. Angeblich mit eigenen Mitteln, hm, hm, hm... (Vgl. http://www.ouest-france.fr/ und http://www.lepoint.fr )

Zuvor war in der ersten Aprilwoche ebenfalls ruchbar geworden, dass der Finanzbeauftragte François Hollandes im Wahlkampf von 2011/12, Jean-Jacques Augier, Geld auf den Kaimaninseln und damit einem prominenten Steuerparadies angelegt haben soll. Da Augier ferner auch Chefredakteur des Schwulenmagazins Têtu ist, zogen Protagonist/inn/en der Rechten wie die ultrakatholische Politikerin Christine Boutin sogleich gewagte Parallelen zu seiner „bedenklichen Moralität (/ Haltung zur Moral), und unmittelbar zur geplanten Homosexuellenehe. Im derzeitigen Klima könnten sie damit erfolgreich Ressentiments schüren...

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.